Deutschland, der Multilateralismus und die Klimakrise: Wie Kooperationen die Klimapolitik stärken können

08. Dezember 2020   ·   Camilla Bausch

Für erfolgreichen Klimaschutz ist das Zusammenwirken großer Emittenten unerlässlich. Deutschland sollte dafür in der EU, G20 und G7 bereits begonnene Arbeit vorantreiben und gleichzeitig für konkrete transformative und innovative Maßnahmen auf ambitionsorientierte Allianzen setzen. Dabei sind klimaschutzorientierte Wissenssysteme, die Sozialwissenschaften einschließen, zentral.

Es gab ein großes Aufatmen bei Klimaschützern weltweit, als das Wahlergebnis in den USA feststand. Joe Biden hat nicht nur die Rückkehr ins Pariser Abkommen angekündigt, sondern auch, dass die USA bis 2050 „net-zero emissions“ erreichen sollen. Auch China hat verkündet, noch vor 2060 klimaneutral zu werden. In Europa hat Ursula von der Leyen mit dem European Green Deal die Klimakrise zum Herzstück ihrer politischen Agenda gemacht. Hinzu kommen vielversprechende Zahlen zum Ausbau der erneuerbaren Energien, der in der Corona-Pandemie eine erstaunliche Krisenfestigkeit zeigt. Wird jetzt also alles gut? Kann sich Deutschland multilateral nun anderen Themenfeldern zuwenden?

Leider nein. Fast täglich erreichen uns Nachrichten über Brände, Stürme, Fluten. Der Klimawandel zeigt seine verheerenden globalen Folgen. Und trotz des Pariser Abkommens steigen die globalen Treibhausgas-Emissionen weiter. Tatsächlich sieht der Global Risk Report des World Economic Forum den Klimawandel und seine Folgen als größte Risiken, noch vor Themen wie etwa Terrorismus, Cyber-Attacken oder Massenvernichtungswaffen. Als „Threat Accelerator“ ist die globale Erwärmung Thema auf der Münchener Sicherheitskonferenz, auch 2020. Die Menschen sind alarmiert: Nach einer internationalen Umfrage empfinden 71% der Befragten den Klimawandel als ebenso grundlegende Bedrohung wie das Coronavirus.

Das macht die Klimakrise zum zentralen Thema für den Multilateralismus. Die Zielrichtung muss sein: ein gutes Leben innerhalb der planetaren Belastbarkeitsgrenzen für eine wachsende Weltbevölkerung. Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen mit ihren Nachhaltigkeitszielen gibt die Richtung vor. Das Pariser Abkommen setzt den politischen und rechtlichen Rahmen, die Wissenschaft zeigt Emissionsminderungspfade auf. Handlungsdruck besteht dabei in Themenfeldern wie klimafreundliche Energieversorgung, umweltfreundliche Mobilität und CO2-Bepreisung, Kohleausstieg, nachhaltige Lieferketten und Finanzierung, klimafreundliche Landnutzung, Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ernährung. Das aktuelle Top-Thema aber ist: Green Recovery.

Nachfolgend konzentriere ich mich auf Aspekte des Klimaschutzes. Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels ist aber gerade im Multilateralismus ebenso wichtig.

Klimapolitischer Multilateralismus muss in den nächsten 5 Jahren messbare Wirkung zeigen

Bei multilateralen Prozessen dauert es mitunter Jahrzehnte, bis ihre Früchte geerntet werden können. Für erfolgreichen Klimaschutz sind aber die nächsten fünf bis zehn Jahre entscheidend. Dieser Zeithorizont sollte daher auch für die klimapolitischen Bemühungen der Bundesregierung maßgebend sein. Es sollte sich multilateral auf Aktivitäten konzentriert werden, bei denen mit relevanten Erfolgen in den nächsten fünf Jahren, jedenfalls aber vor 2030 gerechnet werden kann:

So sollte zum Beispiel weniger auf Reformen der Welthandelsorganisation (WTO) abgezielt werden, sondern eher auf die klimagerechte Ausgestaltung von bilateralen bzw. regionalen Handelsverträgen. Statt neue internationale Umweltabkommen zu initiieren, sollte der politische Fokus auf Ambitions- und Implementierungspartnerschaften liegen – mit Zielen, Zeitplänen und Finanzierungszusagen. Darauf sollten auch die relevanten internationalen Organisationen und Entwicklungsbanken ausgerichtet werden.

Deutschland steht dabei nicht allein. Es ist eingebettet in die Europäische Union. Das bedeutet Abstimmungsbedarf und außenpolitische Stärkung. Außerdem hält die EU an klimapolitisch neuralgischen Punkten die Zügel in der Hand – etwa bei handelsrechtlichen Fragen. Hier sollte sich Deutschland auf europäischer Ebene z.B. konsequent für sanktionsbewehrte umweltrechtliche Verpflichtungen in Handelsabkommen einsetzen.

Erfolgreicher Klimaschutz braucht das Zusammenwirken großer Emittenten

Wenn man über die Grenzen der EU hinausschaut, kommen klimapolitisch zunächst die größten Treibhausgas-Emittenten in den Blick. Zu ihnen gehören China, die USA und Russland.

Für Russland braucht es wohl insbesondere bilaterale Bemühungen angesichts seiner geopolitischen Rolle, der komplexen deutsch-russischen Beziehungen, der russischen Abhängigkeit vom Export fossiler Rohstoffe und seiner reservierten Haltung bei Klimaverhandlungen.

Bei den USA ergeben sich unter dem designierten Präsidenten Joe Biden klimapolitisch wieder Kooperationsmöglichkeiten. Angesichts der gesteigerten klimapolitischen Ambitionen auch von China bietet sich hier eine Gelegenheit, trotz der angespannten Beziehungen zwischen China und den USA eine gemeinsame politische Agenda zu gestalten. Hier sollte sich Deutschland mit der EU einbringen. Wie wichtig Allianzen der großen Mächte für den multilateralen Klimaschutz sind, hat nicht zuletzt die klimapolitische Einigung der USA und Chinas 2014 gezeigt, die ein entscheidender Baustein für die erfolgreiche Verabschiedung des Pariser Abkommens war.

Doch die Situation ist fragil. Biden wird womöglich einem republikanisch dominierten Senat gegenüberstehen und außerdem den Fokus auf die innenpolitische Agenda legen. China investiert immer noch in Kohlekraftwerke und seine angekündigte Klima-Ambition muss noch im nächsten Fünfjahresplan verankert werden. In der EU hingegen muss der European Green Deal noch zeigen, wieviel Kraft er entwickeln kann. In diesem hoffnungsvollen, aber fragilen Moment könnten multilaterale Kooperationen und Erfolge klimapolitisch bestärkend wirken.

G20 / G7 – nicht zu viel erwarten, aber Vorarbeiten und Chancen nutzen

Die großen Emittenten spielen eine wichtige Rolle auch in der G20. Allerdings sollte man hier nicht zu viel erwarten. Zwar sind die G20-Staaten für etwa dreiviertel der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich und gehören außerdem zu den finanzstärksten Ländern der Welt. Aber selbst wenn die USA wieder an den klimapolitischen Verhandlungstisch zurückkehren, bleiben die Regierungen von Brasilien, Russland, Saudi-Arabien und der Türkei schwierige Partnerinnen.

Das heißt natürlich nicht, die Hände in den Schoß zu legen. Deutschland und seine Partner sollten in der G20 die bereits begonnene Arbeit etwa zum Abbau umweltschädlicher Subventionen vorantreiben, nachdem die G20-Staaten fossile Brennstoffe in 2017 mit fast 130 Milliarden US-Dollar subventioniert haben bzw. in den Jahren 2017-2019 durchschnittlich mit 584 Milliarden US-Dollar, wenn man auch die indirekte Unterstützung dazuzählt. Zudem sollten aktuelle Chancen genutzt werden – zum Beispiel beim Thema Green Recovery mit der zukunftsorientierten Zielrichtung nach dem Motto „build forward better“. Dafür bietet sich 2021 mit gleich drei europäischen Präsidentschaften an: G20 (Italien), G7 (UK) und die britisch-italienische Doppel-Präsidentschaft der UN-Klimaverhandlungen (COP26).

Bei der G7 muss sich zeigen, welche Potenziale sich mit der neuen US-Regierung ergeben. Bei der deutschen G7-Präsidentschaft 2022 wird man hier klarer sehen. Da besonders vom Klimawandel betroffene Staaten hier aber nicht mit am Tisch sitzen, sollten die Präsidentschaften darauf hinwirken, den Diskurs, wie zum Teil auch schon geschehen, an der Agenda 2030 und dem Pariser Abkommen auszurichten und über den Kreis der G7 hinaus zu erweitern.

Partnerschaften mit transformativem Potenzial auf- und ausbauen

Für die Bewältigung der Klimakrise geht es aber nicht nur um Emissionsmengen. Es geht auch um Inspiration, Innovation und Beispiele erfolgreicher Transformation. In Allianzen kann dies schneller und besser gelingen. Große Volkswirtschaften wie Japan und Südkorea und laut UN-Generalsekretär António Guterres sogar mehr als 110 Staaten haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Hier entwickelt sich eine Dynamik, die multilaterale Möglichkeitsräume eröffnet. Mit jenen, die solchen Ankündigungen konkrete Maßnahmen folgen lassen, sollte die Bundesregierung Partnerschaften mit transformativem Potenzial auf- bzw. ausbauen.

Internationale Klimagipfel könnten dabei ein Kulminationspunkt für politische Sichtbarkeit werden. Dies haben die Powering Past Coal Alliance und die von Deutschland mitinitiierte NDC Partnerschaft erfolgreich vorgemacht. Beide Initiativen wurden auf Klimagipfeln bekannt gegeben und haben mittlerweile über 100 Mitglieder (unter ihnen mehrere G20-Staaten). Zu den erfolgreichen praxisorientierten Initiativen gehört auch die von Deutschland getragene Internationale Klimaschutzinitiative, die sich aus Versteigerungserlösen des Emissionshandels finanziert.

Wissenssysteme klimaschutzorientiert gestalten

Um grundlegende Veränderungen voranzutreiben, braucht es außerdem zukunftsweisende Wissenssysteme. Einen positiven Beitrag leistet hier zum Beispiel die International Renewables Energy Agency, die von Deutschland mitinitiiert wurde.

Es geht darüber hinaus auch um praxisrelevante Informationen und Bildung, etwa zu nachhaltigen Produktionsmethoden, Liefersystemen, Märkten und Finanzierungsmöglichkeiten. Das notwendige Wissen muss dabei sowohl Neueinsteigern als auch Umsteigern leicht zugänglich sein – gerne auch über innovative Formate wie den grenzüberschreitenden Austausch zwischen Landwirten. Hier bestehen noch erhebliche strukturelle Hürden sowohl national wie auch international, an deren Beseitigung die Bundesregierung mitwirken sollte.

Außerdem geht es auch um Wissenschaft und Forschung. Für eine erfolgreiche, zielgerichtete Gestaltung gesellschaftlicher Transformationsprozesse sind dabei die Geisteswissenschaften von wesentlicher Bedeutung. Nach einer breit angelegten internationalen Studie wurden in den letzten 30 Jahren allerdings nur 0,12% aller Forschungsgelder für sozialwissenschaftliche Arbeiten zum Klimaschutz ausgegeben. Technische und naturwissenschaftliche Forschung zum Klimawandel erhielten 770% mehr Zuwendungen als geisteswissenschaftliche. Wenn Gesellschaften sich fundamental wandeln sollen, muss der dafür notwendigen Forschung mehr Raum gegeben werden.

Außerdem könnte man versuchen, Lehren aus der gegenwärtigen Corona-Pandemie zu ziehen. Hier haben Wissenschaft und Forschung mit vereinten Kräften jenseits der ausgetretenen Pfade und Gepflogenheiten ein rasantes Tempo entwickeln können. Die Bundesregierung sollte ausloten, wo man das auch bei klimarelevanter Forschung möchte und multilateral vorantreiben könnte.

Diplomatische Vertretungen sollten Leuchttürme des Klimaschutzes sein

Im Sinne konsequenter und glaubwürdiger Klimapolitik hat Deutschland außerdem die Chance, mit seinen Botschaften im Ausland Leuchttürme des Klimaschutzes zu schaffen. Diese könnten nicht nur Formate wie die „Climate Talks“ fortführen, sondern Vorreiter bei Gebäudeeffizienz, Energieversorgung und Catering, Reisen, Dienstwagen und Beschaffungswesen werden. Das gleiche gilt für Konsulate, Infrastrukturen der Entwicklungszusammenarbeit und Goethe-Institute. Zu zeigen, was möglich ist, ist für eine Export-Nation eine inspirierende Aufgabe mit zukunftsweisendem Potenzial.

This article was also published in English on the PeaceLab blog.

Partner Klimawandel Multilateralismus

Camilla Bausch

Dr. Camilla Bausch ist Direktorin des Ecologic Instituts. Ihre Themenschwerpunkte sind Klima- und Energiepolitik. Sie war viele Jahre Teil der deutschen Delegation bei den UN-Klimaverhandlungen. Sie hat im US Kongress mit Ed Markey zu Klimagesetzgebung gearbeitet und mit Alexandria Ocasio-Cortez und anderen an einer klimapolitischen Townhall von Bernie Sanders teilgenommen. Sie hat EnergieWendeKunst initiiert. @BauschCamilla