Die friedenspolitische Kohärenz deutscher Afrikapolitik stärken: Anregungen für die Bundesregierung

01. Dezember 2020   ·   Julian Bergmann, Ina Friesen, Christine Hackenesch, Julia Leininger

Eine neue Studie im Auftrag des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung zeigt: Das in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern” entwickelte friedenspolitische Leitbild der Bundesregierung spiegelt sich bisher nur selektiv in den afrikabezogenen Strategien wider und bedarf einer stärkeren Übersetzung in die deutsche Afrikapolitik.

In den vergangenen fünf Jahren hat die deutsche Afrikapolitik eine strategische Neuausrichtung erfahren, welche insbesondere durch die Verabschiedung einer Reihe von Leitlinien und Strategiepapieren vorangetrieben wurde (siehe Schaubild 1). Seit 2015, und insbesondere seit der deutschen G20 Präsidentschaft 2017, ist die Kooperation mit Afrika auf der Agenda der politischen und öffentlichen Debatte höher gerückt. Die Wahrnehmung Afrikas hat sich dabei vom „hilfsbedürftigen Kontinent” zum „Kontinent der Chancen und Möglichkeiten mit wachsender wirtschaftspolitischer und geostrategischer Bedeutung gewandelt. Diese strategische Neuausrichtung spiegelt sich in den Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung „Vertiefte Partnerschaft mit Afrika“ sowie in den Strategien einzelner Ressorts wie dem „Marshallplan mit Afrika“ des BMZ oder der „Pro!Afrika-Initiative“ des BMWi wider.

Parallel zur stärkeren wirtschaftspolitischen Ausrichtung bleiben Gewaltkonflikte, fragile Staatlichkeit und gesellschaftliche Polarisierungen in afrikanischen Ländern zentrale Herausforderungen für die deutsche Afrikapolitik. Diese zunehmend komplexen und miteinander verwobenen Herausforderungen für Frieden und Sicherheit erfordern einen vielschichtigen Einsatz unterschiedlicher Instrumente der Krisenprävention, des Konfliktmanagements und der Friedensförderung, die eng miteinander verzahnt und auf das friedenspolitische Leitbild der Bundesregierung ausgerichtet werden müssen.

Die Frage nach der friedenspolitischen Kohärenz der deutschen Afrikapolitik steht im Zentrum einer neuen Studie im Auftrag des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung. Die Studie untersucht, ob und wie sich friedenspolitische Kohärenz in den politischen Strategien zur Kooperation mit Afrika niederschlägt. Friedenspolitische Kohärenz wird dabei als das Zusammenwirken von Politiken in Bezug auf das übergeordnete Ziel der Förderung nachhaltigen Friedens im Sinne der Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern” verstanden. Die Studie basiert auf einer umfassenden Dokumentenanalyse und Hintergrundgesprächen mit Vertreter*innen der Ressorts der Bundesregierung.

Schaubild 1: Übersicht der afrikapolitischen Strategiedokumente der Bundesregierung

Die friedenspolitische Kohärenz deutscher Afrikapolitik stärken: Anregungen für die Bundesregierung

Quelle: Eigene Darstellung der Autor*innen

Nachhaltiger Frieden sollte das übergeordnete Ziel sein

Im Hinblick auf die Herausforderungen, Zielsetzungen und die vorgesehenen Mittel und Instrumente deutscher Afrikapolitik weisen die Strategien eine hohe inhaltliche Kohärenz auf. Die demographische Entwicklung und die damit verbundene Notwendigkeit, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen sowie der Zerfall von Staatlichkeit, Kriege und Gewalt werden als zentrale Herausforderungen für das deutsche Engagement herausgestellt. Zentrale Ziele sind die Schaffung von Frieden, Sicherheit und Stabilität, die Unterstützung der ökonomischen Entwicklung und die Förderung von Entwicklungschancen und Zukunftsperspektiven in Afrika. Diese Ziele sollen primär durch die Stärkung der Eigenverantwortung der afrikanischen Partner erreicht werden - ein gemeinsamer strategischer „Nenner” der deutschen Afrikapolitik ist damit klar zu erkennen.

Die Bedeutung von Frieden in den Afrikastrategien der Bundesregierung wird jedoch eher einseitig definiert. Die vergleichende Betrachtung zeigt, dass nachhaltiger Frieden im Rahmen der Wirkungslogik deutscher Afrikapolitik primär als eine Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung verstanden und nicht explizit als übergeordnete Zielrichtung bzw. zentraler Fluchtpunkt des deutschen Regierungshandelns identifiziert wird.

Präventionsvorrang, kontextspezifisches Handeln und Sorgfaltspflichten kommen zu kurz

Die Kernbestandteile des friedenspolitischen Leitbilds der Bundesregierung, das in den Leitlinien entwickelt wurde, werden nur selektiv in den afrikabezogenen Leitlinien und Strategiepapieren reflektiert. Das Handlungsprinzip „Menschenrechte achten und schützen“ wird in mehreren Dokumenten als grundlegendes Prinzip deutscher Afrikapolitik genannt und in manchen Dokumenten als Entscheidungskriterium für eine (verstärkte) Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern hervorgehoben. Dahingegen wird das Prinzip des „Primats der Politik und Vorrangs der Prävention“ in den Strategiedokumenten nicht explizit in die Afrikapolitik der Bundesregierung übersetzt. Außerdem weisen die afrikabezogenen Strategien Lücken in Bezug auf die Übersetzung des Handlungsprinzips „Kontextspezifisch, inklusiv und langfristig orientiert handeln“ auf. Zwar ist die Eigenverantwortung der Partnerländer und -organisationen zur Förderung von Frieden und Sicherheit stark in den Strategien verankert. Allerdings fehlt eine kontextspezifische Perspektive auf unterschiedliche Ländergruppen und Regionen und die konsequente Orientierung an der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Das Handlungsprinzip „Risiken transparent machen, kohärent handeln und Sorgfaltspflichten beachten” ist ebenfalls nicht in den Strategien verankert. Mögliche Risiken deutschen Engagements in afrikanischen Krisen- und Konfliktkontexten oder mögliche Wechselwirkungen und Zielkonflikte zwischen unterschiedlichen Politikfeldern werden in den Strategien nicht thematisiert.

In Bezug auf die Prozessdimension friedenspolitischer Kohärenz wird das ressortgemeinsame Handeln als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche deutsche Afrikapolitik hervorgehoben. Die Schaffung neuer Instrumente und Mechanismen der Ressortabstimmung, wie die Gemeinsame Analyse und abgestimmte Planung (GAAP) oder die Staatssekretärsrunde Afrika, hat die Koordinierung innerhalb der Bundesregierung verbessert und intensiviert. Gleichwohl betonten Ressortvertreter*innen, dass es nach wie vor darauf ankäme, dass der ressortgemeinsame Ansatz „gelebt” und im konkreten Krisen- oder Konfliktfall umgesetzt werde.

Friedenspolitisches Leitbild umsetzen, Krisenprävention stärken, europäisch vernetzen

Basierend auf diesen Ergebnissen ergeben sich drei Empfehlungen für die Bundesregierung. Erstens sollte die Bundesregierung im Zuge der Reflektion über den Stand der Umsetzung der Leitlinien einen Verständigungsprozess darüber anstoßen, wie das friedenspolitische Leitbild auf der strategischen und regierungspraktischen Ebene umgesetzt werden kann und welche Prinzipien hierfür weiter konkretisiert werden müssten. Über die deutsche Afrikapolitik hinaus ist eine solche Konkretisierung für alle Krisen- und Konfliktkontexte relevant, in denen sich Deutschland engagiert.

Zweitens besteht ein besonderer Handlungsbedarf für das Prinzip des Präventionsvorrangs, zu dem sich die Bundesregierung verpflichtet hat. Wir empfehlen der Bundesregierung ein klareres Verständnis der Inhalte von Krisenprävention, geeigneter Präventionsmittel und ihres strategischen Einsatzes zu entwickeln, um diesem wichtigen Grundsatz besser gerecht werden zu können. Diese konzeptionelle Schärfung ist insbesondere für die deutsche Afrikapolitik wichtig, da die Kooperation mit Afrika oft davon geprägt ist, kurzfristig auf unvorhergesehene Krisen reagieren zu müssen, und langfristiges Engagement der Krisenprävention dadurch schnell in den Hintergrund gedrängt wird.

Drittens sollte die Bundesregierung die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um die eigenen Erfahrungen mit der Entwicklung und Umsetzung der Leitlinien auch auf europäischer Ebene einzubringen. Das im deutschen Präsidentschaftsprogramm genannte Ziel, einen Prozess zur Entwicklung von EU-Leitlinien für Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung bzw. eines Europäischen Konsens anzustoßen, ist hierfür ein guter Anknüpfungspunkt.

Die Fragen nach der friedenspolitischen Kohärenz und eines friedenspolitischen Leitbilds, das einen konzeptionellen und strategischen Rahmen für alle Aktivitäten der Krisenprävention, des Konfliktmanagements und der Friedensförderung liefert, stellen sich auch auf europäischer Ebene. Mit der voraussichtlichen Einrichtung einer Europäischen Friedensfazilität zum Jahr 2021 wird die EU ihren Instrumentenkasten um Ertüchtigungsmaßnahmen, die auch die Lieferung von Waffen und Munition beinhalten können, erweitern. Da die gegenwärtige EU-Strategie für Sicherheitssektorreform von 2016 solche Maßnahmen gar nicht berücksichtigt, ist die Entwicklung einer EU-Gesamtstrategie zur Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung, die das Prinzip der friedenspolitischen Kohärenz in den Mittelpunkt stellt, dringlicher geboten denn je.

Politikkohärenz Friedensförderung Afrika

Julian Bergmann

Dr. Julian Bergmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). @bergmann_jph

Ina Friesen

Dr. Ina Friesen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). @friesen_ina

Christine Hackenesch

Dr. Christine Hackenesch leitet das Forschungsprogramm „Inter- und transnationale Zusammenarbeit“ und ist Regionalkoordinatorin für Afrika am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). @CHackenesch

Julia Leininger

Dr. Julia Leininger leitet das Forschungsprogramm „Transformation politischer (Un-)Ordnung“ und ist Regionalkoordinatorin für Afrika am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). @Ju_Lein