Zutaten eines erfolgreichen Ansatzes: Ressortübergreifender Wille zum Handeln, Lernen, und Durchhalten

04. August 2016   ·   Bodo von Borries

Die neue Verantwortung Deutschlands in der Welt muss ziviler werden: Statt Stabilität zu reanimieren sollte Frieden Leitbild sein. Dazu bedarf es politischer Spielräume für lokale Akteure, ehrlicher Bilanzierung, der Institutionalisierung von trial and error und des präventiven Einsatzes von Integrationspolitik und Völkerstrafrecht.

Vielfach wurden in den letzten Monaten die globalen Trends beschrieben: wachsende soziale Ungleichheit zwischen und innerhalb von Staaten oder Regionen, die Zunahme autoritär-nationaler Bewegungen und radikaler Gesellschaftsvorstellungen, die Reduzierung zivilgesellschaftlichen Handlungsraumes sowie eine Digitalisierung, die Lebensentwürfe vergleichbar macht und zu wachsender Mobilität beiträgt. Die Zahl der bewaffneten Konflikte steigt zwar nicht kontinuierlich, wohl aber deren humanitäre Auswirkungen, insbesondere die Zahl von intern Vertriebenen und Flüchtlingen. Die verschiedenen Trends sind stark verknüpft und führen zu sich schnell verändernden Konfliktsituationen.

Eine solche globale Analyse verdeckt allerdings unterschiedliche regionale Entwicklungen und lokale Prozesse, informelle Akteure und Potentiale für Gewaltreduzierung. Auch die Entwicklung der deutschen Friedenspolitik trägt einer lokalen Perspektive kaum Rechnung und reagierte eher auf innenpolitische Entwicklungen.

Aktionsplan und Agenda 2030: Fortschritte – aber mit Luft nach oben!

Die mit der Zustimmung von 194 Regierungen verabschiedete „2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung“ und insbesondere das Ziel 16 „Inklusive und friedliche Gesellschaften“ ist eine positive Anerkennung der Verflechtung nationaler und internationaler Politiken und ihrer lokalen Wirkungen.

Der Aktionsplan „Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Konfliktnachsorge“ aus dem Jahr 2004 brachte einen ressortübergreifenden Willen zum Ausdruck. Außerdem trug er zur Schaffung neuer Strukturen und zu mehr finanziellen Mitteln bei und entwickelte Konzepte zu Transitional Justice, Sicherheitssektorreform, Dialog- und Vermittlungsprozesse weiter. Bei der Ressortkohärenz und dem Abbau negativer Wechselwirkungen gab es jedoch kaum Fortschritte; auch der Ressortkreis als Einrichtung des Aktionsplanes fristete ein Schattendasein.

Einseitiges Verständnis von Verantwortung vermeiden

Das gemeinsame Bekenntnis von Bundespräsident Gauck, Minister Steinmeier und Ministerin von der Leyen zu einer „neuen Verantwortung Deutschlands in der Welt“ auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 reagierte auf die Zunahme von Konflikten in Europa oder der unmittelbaren Nachbarschaft (Ukraine, Naher Osten, Maghreb). Aber: „Neue Verantwortung“ sollte sich nicht auf militärische Verantwortung begrenzen. Viele Nichtregierungsorganisationen (NROs) erlebten die Reden – vielleicht auch aufgrund einseitiger Berichterstattung – als einseitiges Verständnis von Verantwortung. Zu wenig wurden zivile Handlungsmöglichkeiten auf staatlicher oder gesellschaftlicher Ebene anerkannt, zu wenig wurde staatliches Handeln „durch Unterlassen“, z.B. im Bereich Rüstungsexporte in Drittstaaten, thematisiert.

Insofern begrüße ich den am 5. Juli begonnenen Prozess zur Entwicklung von „Leitlinien Krisenengagement und Friedensförderung“ als Chance. Um diese zu nutzen, sollten die folgenden Aspekte diskutiert werden und sich in den Leitlinien wiederspiegeln.

„Stabilität“ ist gescheitert: Frieden als zentrales Leitbild etablieren

Nach dem Scheitern des arabischen Frühlings in den meisten Ländern und der Ausbreitung des islamischen Staates ist „Stabilität“ wieder hoffähig. War sie doch zuvor in der Region zu Recht verpönt, weil sie trügerisch war und die Fragen der jungen Bevölkerung nach Beschäftigung und Beteiligung nicht beantworten konnte. Stabilität bedeutete vor allem eine autoritäre Ordnung, die soziale und politische Konflikte unterdrückt, aber nicht löst. Dies hat sich auch mit dem Scheitern des arabischen Frühlings in vielen Ländern nicht verändert. Anstatt auf schon gescheiterte Leitbilder wie das der Stabilität zu setzen, gilt es den Frieden als positives Leitbild auszufüllen.

Mit Mut und klaren Worten Spielraum für lokale Konfliktbearbeitung behaupten

Deutschland muss politischen Spielraum für lokale Bearbeitung von Konflikten entgegen Ängsten, Populismus und Kontrollversuchen autoritärer Regierungen erhalten. Dabei helfen Mut und klare Worte in Gesprächen, aber auch abgestimmte Signale der EU-Mitgliedsstaaten und z.B. Umsetzung der Leitlinien zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen durch deutsche Botschaften im Ausland. Die Nutzung sozialer Medien und der ungehinderte Zugang von progressiven Bloggern und allen Nutzerinnen und Nutzern zum Internet sollte dabei gefördert werden. Kontrollversuche einzelner Regierungen sollten erschwert, Privatfirmen sollten dabei unterstützt und dazu aufgefordert werden, dem Druck auf Kontrolle nicht nachzugeben.

Vorbild Chilcot: Ehrliche Bilanz ziehen

Handelnde Akteure in allen Ressorts sollten mehr Auswertungen und Berichte zu langfristigen Wirkungen insbesondere der deutschen und europäischen Außen- und Wirtschaftspolitik erhalten. Deswegen reicht es auch nicht, wenn zu Afghanistan die einzelnen Ressorts in einem internen Prozess die Verfahren untereinander auswerten. Der gerade veröffentlichte kritische Bericht der Chilcot-Kommission zur Rolle Großbritanniens im Vorlauf und während des Irak-Krieg von 2001 bis 2009 zeigt, was zurzeit im politischen System in Deutschland (noch) nicht vorstellbar ist.

Vorbild DEval: „Trial and error“ institutionalisieren

Es wurden viele negative Erfahrungen mit kurzfristigen Maßnahmen, hohem Ressourceneinsatz und Konkurrenz um lokale Partner gemacht, nicht zuletzt in Afghanistan oder dem Südsudan. Sie schaden letztlich der Legitimität und lokalen Prozessen der politischen Verständigung. Auch NROs haben hier eine Verantwortung. Vielleicht könnte eine unabhängigen Einrichtung zur strategischen Evaluierung helfen, ähnlich dem Deutschen Evaluierungsinstitut für die Entwicklungspolitik (DEval) oder der Ausbau der Deutschen Stiftung Friedensforschung, so dass auch eine wissenschaftliche Begleitung von Krisenpräventiven und friedensfördernden Maßnahmen finanziell gefördert werden.

Integrationspolitik als Instrument der Krisenprävention

Aus der Feststellung, dass lokale Konflikte immer direktere Auswirkungen in Deutschland und Europa zeigen folgt die Erkenntnis, dass auch eine gelungene Integrationspolitik (Bildungs- und Arbeitspolitik mit der Zielgruppe Flüchtlinge) ein Instrument von Krisenprävention ist und friedensfördernde Wirkung hat. Dazu müssen die Kommunikationswege zwischen Flüchtlingsgemeinden in Deutschland und Bevölkerungsgruppen in ihrem Heimatland und ihr Potential für konfliktmindernde Wirkung besser untersucht werden.

Völkerstrafgesetz trotz politischer Verhandlungen konsequent anwenden

Es ist zu begrüßen, wenn trotz vieler praktischer und finanzieller Schwierigkeiten erstmals in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch angewendet wurde und im Oktober 2015 zwei ruandische Milizenführer verurteilt wurden. Auch im Falle Kolumbiens ist es wichtig zu wissen, dass der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs die Situation beobachtet und einer weitgehenden Straflosigkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht tatenlos zusehen wird. Auch wenn dies die politischen Verhandlungen zu Maßnahmen der Übergangsjustiz im Rahmen der Friedensverhandlungen erschwert hat, so hat die Ankündigung geholfen, Machtungleichgewichte im Konflikt zu reduzieren und Zugang zu Rechtsmitteln im Rahmen des Friedensprozesses aufrechtzuerhalten. Ohne Stärkung der Position von Gewaltopfern wird ein dauerhafter Frieden Illusion bleiben.

Leitbild Evaluierung Politikkohärenz Entwicklungszusammenarbeit

Bodo von Borries

Bodo von Borries ist Abteilungsleiter beim Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe Deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO e.V.) und Mitglied im Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung (Co-Federführung der AG Umsetzung Leitlinien).