Diplomaten an die Front! Krisenprävention braucht das richtige Personal

08. September 2016   ·   Gerrit Kurtz

Die Bundesregierung braucht mehr Diplomaten in Krisenländern. In krisengeschüttelten Staaten kommt diesen eine Schlüsselrolle zu, um die häufig beklagte Lücke zwischen Frühwarnung und entschiedenem Handeln zu überbrücken. Das deutsche Botschaftspersonal braucht eine bessere Vorbereitung, zusätzliche Ressourcen und ein offenes Ohr in der Zentrale.

Innerstaatliche Krisen entstehen in der Regel vor Ort, zwischen polarisierten Eliten einer Gesellschaft oder als Folge einer marginalisierten Opposition. Lange bevor Entscheidungen des Bundestags über den Einsatz militärischer Mittel anstehen, verdichten sich Zeichen, dass unterdrückte Gruppen Frustration anstauen oder scheinbar stabile Systeme vom Wohl und Wehe autoritärer Herrscher abhängig sind. Neben der eher langfristig angelegten Entwicklungszusammenarbeit, welche konsequent konfliktentschärfend ausgerichtet sein sollte, ist der politische Dialog das Kerngeschäft von Diplomaten.

Gute Diplomaten können die Lücke zwischen Warnung und Reaktion schließen

Eine zentrale Herausforderung in der Krisenprävention ist die häufig identifizierte Lücke zwischen Warnung und einer entschiedenen Reaktion. Dabei greifen die Forderungen wie die von Simon Adams auf diesem Blog zu kurz, die lediglich einen stärkeren „politischen Willen“ einfordern und sich auf normative oder historische Gründe berufen, aus denen Deutschland sich stärker engagierten sollte. Die politischen Zielkonflikte um finanzielle und politische Ressourcen sind real, wie Philipp Rotmann in seinem PeaceLab2016-Beitrag feststellt. Hochrangige Besuche des Außenministers oder Anrufe der Kanzlerin bei Staatschefs, die sich gegen die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen wehren, müssen abgewogen werden gegenüber dem Einsatz in bereits lodernden Krisenfeuern oder zu innenpolitisch wichtigeren Themen. Investitionen in Krisenprävention sind hochgradig unsicher. Zudem laufen sie Gefahr, die bilateralen Beziehungen mit der jeweiligen Regierung oder involvierten Nachbarstaaten zu beeinträchtigen.

Frühwarnung ist ein Überzeugungsprozess innerhalb der bürokratischen Maschinerie. Hier kann es leicht zu organisatorischen Engpässen kommen, bevor die politische Leitung weiteren Maßnahmen zustimmt. Die Steuerung von politischen Prozessen tausende Kilometer entfernt von der eigenen Hauptstadt ist nicht allein über Anweisungen und politische Stellungnahmen möglich. Ein größerer operativer Spielraum für Diplomaten in Krisenländern ist daher eine zentrale Voraussetzung für ein aktives Krisenengagement.

Aktiv einmischen und Netzwerke nutzen

Krisenerprobte Diplomaten können auf Erfahrungen in anderen Ländern zurückgreifen und Gelegenheiten erkennen, Eskalationsspiralen umzukehren und die handelnden Akteure zu einer konstruktiven Streitbeilegung zu ermutigen. Sie können die Regierung oder Oppositionsgruppen mit Nichtregierungsorganisationen in Verbindung setzen, sich mit Konfliktparteien ohne größere politische Aufmerksamkeit treffen und, theoretisch zumindest, dabei mit dem notwendigen Taktgefühl hantieren. Im Gegensatz zu nichtstaatlichen Organisationen verfügen sie mitunter über erhebliches politisches Gewicht und können mit staatlichen Akteuren auf gleicher Ebene verhandeln.  

Präventiv tätig zu sein bedeutet jedoch, sich in laufende politische Auseinandersetzungen des betreffenden Landes einzumischen. Hier ist Bedachtsamkeit unabdingbar, um den Konflikt nicht zu verschärfen. Diplomaten werden passende Gelegenheiten, sich einzumischen, nur erkennen und erhalten, wenn sie bereits zu „normalen“ Zeiten ein weites Netz an Kontakten unterhalten, das über die der Regierung nahe stehenden Eliten hinausgeht. Belastbare Beziehungen zahlen sich gerade in Krisenzeiten aus.  

Das Botschaftspersonal muss dem sich selbst bestätigenden Kreis von Diplomaten, Unternehmern, Journalisten und Regierungsmitarbeitern regelmäßig entfliehen, um festgefahrene Vorurteile über die politische Dynamik eines Landes aufzubrechen. So waren viele westliche Botschaften während des Umsturzes in Ägypten Anfang 2011 überrascht, dass die Mehrheit der Demonstranten keine Islamisten waren. Die Regierung hatte lange genug davon gesprochen, dass die einzige Alternative zur Herrschaft Mubaraks die Muslimbruderschaft sei.

Auslandsvertretungen brauchen mehr und besser ausgebildetes Personal

Das Auswärtige Amt muss Maßnahmen treffen, um die Auslandsvertretungen zu stärken. Dazu gehört ganz grundsätzlich, Krisenposten ernster zu nehmen und mit ausreichend dauerhaftem Personal auszustatten. Zum Beispiel arbeiten viel zu wenige deutsche Diplomaten vor Ort oder in den Nachbarländern im Irak oder zu Syrien. Darüber hinaus sollten die Leitlinien drei Bereiche stärken: Vorbereitung, Ressourcenbereitstellung und Organisationskultur.  

Angehende deutsche Diplomaten genießen eine ausführliche Ausbildung zu Beginn ihrer Karriere. Ein Jahr lang pauken sie am Tegeler See Völkerrecht, volkswirtschaftliche Grundlagen, Konsularrecht, Umgang mit der Presse und Sprachen. Doch krisenrelevante Fähigkeiten kommen häufig zu kurz. Erst dieses Jahr führte das Auswärtige Amt ein Mediationstraining für die Attachés (und ein separates Training für erfahrene Diplomaten) ein. Die Postenvorbereitung wird zu großen Teilen den Betroffenen selbst überlassen. Gespräche mit Länderreferenten und den Vorgängern sind richtig, aber Sprachkenntnisse kommen häufig zu kurz. Kein deutscher Diplomat, keine deutsche Diplomatin sollte in ein arabisches Land geschickt werden ohne zumindest Grundkenntnisse der Sprache zu besitzen.  

In vielen Staaten, in denen innerstaatliche Konflikte drohen, verfügt Deutschland nur über kleine oder gar keine Vertretungen (mehr). In größeren Staaten nehmen die sonstigen Beziehungen einen großen Teil der Arbeit ein. Daher ist es wichtig, Auslandsvertretungen im Zweifel mit schnell verfügbaren Ressourcen zu unterstützen:

  • der Bereitstellung von Expertise und Ausarbeitungen, die über die Kapazitäten eines einzelnen Länderreferenten, der vielleicht noch für mehre Länder gleichzeitig zuständig ist, hinausgehen;
  • wenn nötig auch der Entsendung von zusätzlichen Mitarbeitern, die gegebenenfalls besondere Fähigkeiten wie Konfliktanalyse oder Mediation abdecken können, oder einfach die Botschaftsleitung entlasten können bei Koordinationstreffen mit anderen internationalen Partnern.  

Kleinstprojekte, über deren Vergabe die Botschaften selbst entscheiden können, sind ein weiteres Mittel mit dem Auslandsvertretungen direkt konfliktvermindernde Projekte durchführen können. Die Auswahl der Projekte sollte sich jedoch nicht allein danach richten, welche Organisation die meisten Schlüsselwörter in ihrem Antrag verwendet oder wo man eine Plakette draufkleben kann.  

Zuletzt ist eine aktivere diplomatische Präventionsarbeit nicht allein eine Frage der ausreichenden Vorbereitung und materiellen Ausstattung, sondern eine Sache der grundlegenden Einstellung der Diplomaten. Die Leitlinien oder länderspezifische Weisungen der Zentrale können nicht jeden Einzelfall regeln; sie bleiben notwendigerweise abstrakt. Staatssekretäre und Abteilungsleiter sollten eine Organisationskultur fördern, die internen Austausch über Hierarchien und Abteilungen hinweg belohnt, konstruktiv-kritische Berichte ernstnimmt und Eigeninitiative der Auslandsvertretungen gerade im Bereich Krisenprävention anregt. Der Review2014 Prozess hat hier bereits die richtigen Weichen gestellt. Nun gilt es sicherzustellen, dass dieser Wandel auch an den Botschaften umgesetzt wird.

Immer wieder den eigenen Ansatz hinterfragen

Eine aktive diplomatische Rolle in innerstaatlichen Konflikten läuft stets Gefahr, Krisen zu verschärfen, oder doch zumindest zu neuen Problemen zu führen. Zu häufig ist internationales Engagement gekennzeichnet von Stereotypen, Vorurteilen und Templates, obwohl sich Geber weltweit vorgenommen haben, „local ownership“ zu priorisieren. Den eigenen Ansatz regelmäßig zu hinterfragen und Ortskräfte auch in strategische Überlegungen einzubeziehen ist ein wichtiger Anfang – wie auch Cornelia Brinkmann in ihrem PeaceLab2016-Beitrag argumentierte. Am Ende gilt: auch wenn die Einflussmöglichkeiten deutscher Diplomatie begrenzt sind, sollten Diplomaten ihren Spielraum ausschöpfen. Sonst bleiben die hehren Ziele der Leitlinien nur Papier.

Gerrit Kurtz promoviert am King’s College London zu präventiver Diplomatie und ist Non-Resident Fellow am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

Early Action Partner

Gerrit Kurtz

Dr. Gerrit Kurtz ist Research Fellow für Krisenprävention und Diplomatie in Afrika bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. @GerritKurtz