Geographische Schwerpunktsetzung - einen Anfang wagen!

17. November 2016   ·   Mathias Krämer

Deutschland sollte sich für eine klare geographische Prioritätensetzung im Krisenengagement auf nationaler und EU-Ebene einsetzen. Dafür muss die Bundesregierung gemeinsam ihre Interessen definieren und ein Gremium für einen regelmäßigen Austausch zur gemeinsamen Festlegung, Evaluierung und Anpassung von ihren Schwerpunkten schaffen.

Auf den ersten Blick erscheint die Frage, wo Krisenprävention zum Einsatz kommen soll, leicht zu beantworten: Nämlich dort, wo sich Konflikte und Krisen anbahnen. Eben jene Anzeichen zu erkennen und dementsprechend rechtzeitig zu handeln, ist indes eines der Kernprobleme der Krisenprävention. Die PeaceLab2016-Debatte hat diesen Aspekt bislang hauptsächlich mit dem Blick auf das „Wann“ und „Wie“ aufgegriffen, dem „Wo“ jedoch wenig Beachtung geschenkt. Das sollte sich ändern.

Deutschland sollte geographische Schwerpunkte setzen

Der Begriff der Krisenprävention bezieht sich allgemein auf das Intervenieren vor dem Entstehen einer Krise. In solchen Situationen ist das „Wann“ und das „Wie“ für ein erfolgreiches Eingreifen von zentraler Bedeutung. Da zivile und insbesondere strukturelle Krisenprävention auch mit entwicklungspolitischem Handeln im Zusammenhang stehen, ist das „Wann“ aber nicht nur auf den Moment beschränkt, in dem sich eine Krise abzeichnet, sondern auch auf die Phasen weit davor. Um dabei Gesellschaften und Staaten zu identifizieren, in denen Ursachen von Krisen existieren, kommt dem „Wo“ einer kohärenten Krisenstrategie eine zentrale Bedeutung zu.

Strukturelle Krisenprävention ist grundsätzlich eine globale Aufgabe. Dennoch stechen der Nahe Osten und Afrika besonders hervor, wie Comfort Ero und Jean-Marie Guéhenno nahelegen. Auch der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ sowie die European Union Global Strategy der Europäischen Union (EU) haben Afrika als strategisches Ziel benannt. Freilich fällt die Schwerpunktsetzung bei solch einem großen, heterogenen Kontinent wie Afrika schwer. Die Heterogenität der EU tut ihr übriges hinzu. Allerdings hat sich das bisherige Gießkannenprinzip, wie Almut Wieland-Karimi anmerkt, als wenig fruchtbar herausgestellt. Stattdessen sollte sich Deutschland für eine klare Prioritätensetzung auf EU-Ebene aussprechen und geographische Schwerpunkte setzen – auch für sein bilaterales Engagement.

Empfängerländer regelmäßig neu klassifizieren

Deutschland sollte hierzu eine dynamische Klassifizierung der (weltweiten) Empfängerstaaten vornehmen, die sich daran orientiert, welche Länder sich vergleichsweise positiv entwickeln und welche nicht. Die Bundesrepublik sollte zugleich vorschlagen, dieses Konzept auch auf EU-Ebene einzuführen. Ein Schritt hin zu dieser Klassifizierung wären regelmäßige Analysen über die Bedingungen in den jeweiligen Ländern, die innerhalb eines neuen (nationalen) Gremiums von Experten und Entscheidern ständig aktualisiert sowie debattiert werden und schließlich eine strategische Handlungsgrundlage der zivilen Krisenprävention bilden. Ein Beispiel für ein solches Gremium könnte ein Friedensrat sein, wie ihn Franziska Brantner vorschlägt. Experten und Entscheider aus den verschiedenen Ressorts der Exekutive und Legislative sowie (ziviler) Organisationen würden so eine Diskussions- und Entscheidungsplattform erhalten, die neue Handlungsmöglichkeiten aufzeigt und die Entwicklung von maßgeschneiderten Instrumenten vereinfacht.

Die Analyse der Länder und Regionen muss, neben den Indizes wie dem Human Development Index (HDI), dem World Development Report und anderen Berichten, vor allem politische und soziale Ungleichheiten miteinbeziehen (beispielsweise anhand der World Income Inequality Database (WIID)). Neben der Bewertung der Staaten anhand dieser Parameter sollten ebenfalls Situationen in umliegenden Staaten in Betracht gezogen werden – Spill-over-Effekte treten zwar nicht zwangsläufig auf, sind aber möglich. Die jeweiligen „Musterschüler“ und „Problemkinder“ dieser Klassifizierung würden sodann mehr Förderung durch Deutschland und/oder die EU erhalten.

Es liegt auf der Hand, dass Staaten mit einer negativen Entwicklung intensive Förderungen erhalten, um diese aufzufangen. Doch sollten auch Staaten unterstützt werden, die sich anhand der festgelegten Kriterien positiv entwickeln. Neben einer wahrscheinlichen und oft dringend benötigten Erfolgsmeldung bietet dies auch langfristige Vorteile. Es befähigt vergleichsweise starke Staaten, Krisen in ihrer Region besser standzuhalten oder diese selbst zu lösen.

Frühwarnung und Evaluierung verbessern und Schwerpunkte regelmäßig anpassen

Für eine sinnvolle Klassifizierung und Schwerpunktsetzung sind zwei Themen zentral. Erstens müssen auch Fälle auf die Tagesordnung des Auswahlgremiums kommen, die sich möglicherweise in Zukunft schlecht entwickeln. Roderich Kiesewetter machte auf diesem Blog bereits deutlich, dass im Bereich der Frühwarnung noch einige Defizite bestehen. Bei der Auswahl von Länderfällen, in denen sich die Situation stark verschlechtern könnte, dürfen technokratische Analysen in Berlin nicht das einzige Mittel sein. Persönliche Kontakte zu Experten und Insidern vor Ort sind unerlässlich, um Situationen, Prozesse und die zugrundeliegende Datenlage richtig einschätzen sowie fundierte Prognosen abgeben zu können. Die Verbindung zwischen verschiedenen staatlichen sowie nichtstaatlichen Experten (Warnern) und politischen Entscheidern muss – um hier den Vorschlag von Christoph Meyer zu bekräftigen – intensiver verknüpft und deren Beziehung verbessert werden. Solche Erkenntnisse sollten dann von einem Gremium aufgegriffen werden, das die Schwerpunktsetzung des deutschen Krisenengagements regelmäßig anpasst.

Zweitens bedarf es regelmäßiger Evaluierungen, um die Schwerpunktsetzung Deutschlands kontinuierlich anzupassen (siehe auch die Beiträge von Andrew Blum und Andreas Wittkowsky). Die sich daraus ergebenden Änderungen und Erkenntnisse müssen dann auf die Auswahl und Verwendung der Instrumente Einfluss haben.

Nachvollziehbare Interessen definieren

Für eine fundierte Priorisierung muss die Bundesregierung schließlich auch nachvollziehbare Interessen definieren, die in Kombination mit der dynamischen Klassifizierung entsprechende Zielländer herausfiltern. Dies erfordert aufgrund der Gefahr der Vernachlässigung anderer Staaten Mut. Die bereits angesprochenen fortlaufenden Analysen und Evaluierungen helfen bei der regelmäßigen Neubewertung der Lage und können somit auf die eigenen Interessen Einfluss nehmen, woraus sich eine neue Schwerpunktsetzung bilden kann. Dieses Medium ist also nicht statisch. Da dies negativ auf den langfristigen Charakter der Entwicklungsprojekte einwirken kann, muss Deutschland bei dieser Gratwanderung besonders Acht geben und sich sowohl mit den europäischen Partnern als auch auf EU-Ebene koordinieren, um eine eventuelle Verschiebung intelligent zu bewerkstelligen. Zu guter Letzt muss und sollte auch eine stärkere Priorisierung nicht heißen, dass nicht mehr in die Entwicklung von Staaten investiert werden sollte. Die EU-Quote der Official Development Assistance (ODA) liegt statt der angepeilten 0,7% des europäischen Bruttonationaleinkommens bei nur 0,47%. Die ODA-Quote Deutschlands beträgt anstelle von 0,7% nur 0,52%. Da ist also noch Luft nach oben.

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Mathias Krämer

Mathias Krämer ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Internationale Politik an der Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg.