Projektumsetzung in Krisengebieten: Herausforderungen, Lernerfahrungen, Perspektiven

14. November 2016   ·   Tanja Gönner

Komplexe Herausforderungen in Krisenregionen betreffen die Umsetzung von Projekten der internationalen Zusammenarbeit zunehmend. Vor diesem Hintergrund sind drei Themen für die Leitlinien zu Krisenengagement und Friedensförderung besonders wichtig: Die Gestaltung von Übergängen zwischen kurzfristiger Stabilisierung und strukturbildender Entwicklungszusammenarbeit, eine stärkere Vernetzung zwischen Politik- und Umsetzungsebene sowie die Entwicklung ressortübergreifender Strategien mit klarer gemeinsamer Zieldefinition für einzelne Regionen und Länder.

Die Umsetzung von Projekten der internationalen Zusammenarbeit in Krisenregionen hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich an Gewicht gewonnen. Deutschland engagiert sich stärker denn je in der Welt. Gleichzeitig sind heute zwei Drittel der Kooperationsländer der GIZ von Konflikt, Gewalt, Fragilität sowie akuten oder langanhaltenden Krisen betroffen. Dementsprechend ist die Umsetzung von Projekten in Krisensituationen sowie in Konflikt- und Gewaltkontexten in den vergangenen zehn Jahren auch deutlich komplexer geworden. Globale Herausforderungen wie zunehmende Flüchtlings- und Migrationsströme, die Einengung demokratischer Spielräume, wachsender Extremismus in Verbindung mit erhöhter Gewaltbereitschaft auch gegenüber Mitarbeitenden von Entwicklungsorganisationen sowie die steigende Asymmetrie von gewaltsam ausgetragenen Konflikten stellen uns als Umsetzungsorganisation tagtäglich vor neue operative Herausforderungen, sei es in Afghanistan und Pakistan, in den Ländern des Nahen Ostens oder in Teilen Subsahara-Afrikas. Deshalb ist das Vorhaben der Bundesregierung, mit neuen Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung einen Beitrag zur Bearbeitung dieser globalen Herausforderungen zu leisten, ein wichtiger Schritt. Hierzu möchte die GIZ mit denen von ihr gemachten Erfahrungen einen Beitrag leisten.

Was sind unsere Lernerfahrungen und was bedeuten diese veränderten Kontexte für die Umsetzung? Wenn wir Projekte in Krisensituationen umsetzen, sehen wir uns ganz unterschiedlichen Herausforderungen ausgesetzt. Neben einem extrem volatilen Kontext zählen hierzu auch die teilweise brüchige Legitimität der Partnerregierungen sowie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit für die Zivilgesellschaft. In den vergangenen Jahren haben wir Erfahrungen gesammelt, wie wir in solchen Kontexten trotzdem arbeiten und Perspektiven für die Bevölkerung schaffen können.

Partnerschaften ausbauen

Wir haben gelernt: Bedingungen für nachhaltige und friedliche Entwicklung und ein wirksames Krisenengagement sind nur in Partnerschaften möglich. Die Fragestellungen sind so vielschichtig, dass sie von einem Akteur allein nicht erfolgreich bearbeitet werden können. In manche Gebiete können unsere entsandten Mitarbeitenden aus politischen oder sicherheitsrelevanten Gründen nicht reisen, obwohl wir die dort lebende Bevölkerung unterstützen möchten. In solchen und anderen Konstellationen sind wir auf Partner angewiesen, die gemeinsam mit uns an der Lösung komplexer Probleme arbeiten oder an uns unzugänglichen Orten Projekte umsetzen können. Das gilt besonders auch für die unabhängige Berichterstattung über die Wirkungen der von uns finanzierten Aktivitäten. Kooperationen mit so unterschiedlichen Akteuren wie internationalen oder lokalen Nichtregierungsorganisationen, Universitäten oder multilateralen Organisationen haben daher für die Umsetzung in Krisengebieten extrem an Bedeutung gewonnen. Ein konkretes Beispiel möchte ich an dieser Stelle benennen: Die unter Zentralverwaltung stehende Stammesregion (Federally Administered Tribal Area -FATA) in Pakistan wurde im Auftrag der Bundesregierung von der GIZ unterstützt, ohne dass direkter Zugang zur Projektregion bestand. Die von der Universität Peshawar koordinierte unabhängige Projektberichterstattung liefert dabei einen wichtigen Beitrag zum Monitoring unserer Arbeit. Professionelle JournalistInnen und studentische BerichterstatterInnen, die selbst aus der Region stammen, besuchten regelmäßig die für Außenstehende schwer oder gar nicht zugänglichen Stammesgebiete. Sie trugen so, ergänzend zum technischen Monitoring, zu einer transparenten Berichterstattung bei.

Mehr Flexibilität aller Beteiligten bei der Projektumsetzung

Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt: Krisenkontexte erfordern erhöhte Flexibilität in der Durchführung von Projekten. Wir müssen ständig andere Wege finden und neue Ansätze erproben, um Ziele zu erreichen. Zusätzlich müssen wir stets darauf achten, die bestehenden Konflikte nicht zu verschärfen oder neue Konflikte zu schaffen. Die Ziele von Projekten müssen gelegentlich bescheidener formuliert sowie mit Blick auf ihre tatsächliche Erreichbarkeit in einem sich stetig verändernden Kontext angepasst werden.

Trotz aller Herausforderungen sind wir überzeugt, dass gerade mit Blick auf diese Krisenkontexte die von der OECD geprägte Leitlinie Stay engaged, but differently weiterhin Gültigkeit besitzt. Dafür kombinieren wir bewährte Methoden und Instrumente mit neuen Ansätzen, die wir häufig erstmals erproben. 

Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Fernsteuerung. In dem Fall, dass die Sicherheitslage die Arbeit des Expertenteams vor Ort zeitweise unmöglich macht, reduzieren wir die physische Präsenz in Krisengebieten auf ein vertretbares Maß. Meist übernimmt gut ausgebildetes Personal aus dem entsprechenden Kooperationsland mehr Verantwortung, während internationale Mitarbeitende die Maßnahmen im Hintergrund unterstützend steuern. Allerdings ist auch Fernsteuerung kein Allheilmittel. Wir benötigen in Zukunft voraussichtlich noch mehr Flexibilität. Das heißt auch, dass wir unsere etablierten Verfahren weiter ausbauen und an die unterschiedlichen Kontexte anpassen müssen. Wo business as usual keine Option ist, müssen wir neue Wege und auch Medien wählen – wie z.B. Business counselling via WhatsApp, was Geschäftsfrauen im Jemen erfolgreich untereinander praktizieren.

Systematischer mit Risiken umgehen

Projektumsetzung in Krisenkontexten birgt deutlich höhere Risiken, sowohl für die Umsetzungsorganisation als solche als auch für das Projekt und für die Mitarbeitenden. Wir müssen uns dieser Risiken bewusst sein und informierte Entscheidungen über sie treffen. Dies erfordert mehr Anstrengungen und Investitionen in ein systematisches Risikomanagement auf unterschiedlichen Ebenen. Wir versuchen, vom Kontext ausgehende Risiken, wie den Ausbruch erneuter Gewalt, möglichst frühzeitig abzuschätzen und sind dabei auch mit der Möglichkeit konfrontiert, Projektziele nicht im zeitlichen Rahmen oder nur teilweise zu erreichen. Das Erproben neuer Ansätze und Methoden birgt trotz gründlicher Vorbereitung immer auch ein Risiko des Fehlschlags. Manchmal ist dies allerdings nur schwer abzusehen. Die Umsetzung in diesen hoch fragilen Kontexten birgt zudem erhöhte institutionelle Risiken wie beispielsweise treuhänderische Gefahren. Die höchste Priorität hat für uns aber die Risikoabschätzung der personellen Sicherheit der nationalen und internationalen Mitarbeitenden. Ihre Sicherheit und Gesundheit ist oberste Fürsorgepflicht der GIZ. Hier Entscheidungen auf Führungsebene zu treffen, ist nicht immer leicht. Wir haben festgestellt, dass es wichtig ist, bei unserer Einschätzung von Risiken mit dem Rückhalt auf politischer Ebene rechnen zu können. Was benötigen wir nun zukünftig, um in Krisenkontexten weiterhin handlungsfähig zu sein oder besser agieren zu können? Drei Themen möchte ich gerne besonders hervorheben.

Übergänge von Nothilfe, kurzfristiger Stabilisierung und Wiederaufbau zur strukturbildenden Entwicklungszusammenarbeit gestalten

Erstens ist es wichtig, eine Verknüpfung von Maßnahmen zur kurzfristigen Stabilisierung fragiler Extremzustände mit der Übergangshilfe und Maßnahmen der mittel- und langfristigen, strukturbildenden Entwicklungszusammenarbeit voranzutreiben. Auf diese Weise können Akteure der verschiedenen Politikfelder gemeinsam mit den Organisationen der Humanitären Hilfe und der internationalen Zusammenarbeit Rahmenbedingungen für friedliche und nachhaltige Entwicklung schaffen. Häufig können in Krisenkontexten zwar kurzfristig die low-hanging fruit (z.B. funktionierende Grundversorgung in Flüchtlingslagern) erreicht werden; das ist schon viel. Trotzdem sollten die high-hanging fruit wie u.a. die Schaffung vertrauensvoller Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft oder funktionsfähiger rechtsstaatlicher Mechanismen nicht aus dem Blick geraten. Denn diese sind maßgeblich für die Prävention erneuter Gewaltausbrüche. Wie diese kurz- und langfristigen Zielebenen miteinander verknüpft werden können, wird für die Ressorts eine weitere Aufgabe im Rahmen der Erstellung der Leitlinien sein. Um langfristige Ziele zu erreichen, benötigen wir allerdings Ausdauer und Beharrlichkeit. Wir müssen auch Rückschläge einkalkulieren. Franziska Brantner und Almut Wieland-Karimi haben in ihren Blog-Beiträgen bereits darauf verwiesen: Laut Weltentwicklungsbericht aus dem Jahr 2011 zum Thema „Konflikt, Sicherheit und Entwicklung“ werden viele Jahre, zum Teil Jahrzehnte, benötigt, um funktionierende Governance-Strukturen aufzubauen.

Eine stärkere Vernetzung zwischen Politik- und Umsetzungsebene

Zweitens sind ein verstärkter, regelmäßiger Austausch über den Kontext und dessen gemeinsame Einschätzung sowie das gemeinsame Tragen von Risiken nötig, um die Perspektiven von Politik- und Umsetzungsebene besser zu verstehen und zu vereinen. Hier ist ein intensiver Dialog bereits in der Phase der Projektkonzeption wünschenswert, um die positiven Effekte für beide Seiten, Ressorts und Umsetzungsebene zu verstärken.

Bei der Projektumsetzung in Krisengebieten bedarf es einer hohen Flexibilität in der Planung, Umsetzung und im Monitoring von Projekten. Auch auf diesem Gebiet kann ein von vornherein geführter regelmäßiger Austausch zur Verschlankung von Abstimmungsprozessen führen.

Mehr Kohärenz und gemeinsame Zielsetzungen auf Politikebene

Drittens sind ressortübergreifende Strategien mit klarer gemeinsamer Zieldefinition für Regionen und Länder von großer Bedeutung für uns als durchführende Organisation der Bundesregierung. Gemeinsame Kontext- und Risikoanalysen schaffen nicht nur Synergien zwischen den Ressorts, sondern liefern auch die notwendige Orientierung für die Umsetzungsebene in Krisengebieten mit volatilem Kontext und fragiler Sicherheitslage. Durch diese Vernetzung über ressortgemeinsame Konzepte kann auch der oben erwähnte Übergang zwischen den verschieden Phasen des Krisenengagements von Anfang an berücksichtigt und besser gestaltet werden.

Die hier genannten Aspekte dienen immer dem übergeordneten Ziel: Prävention weiterer Krisen zur nachhaltigen Friedensförderung. Das muss eindeutig unsere Handlungsmaxime sein und im Mittelpunkt stehen. Frieden kann nur vor Ort entstehen – mit und durch die dort lebenden Menschen. Wir sind als Umsetzungsorganisation mit über 130 Büros dort, zumeist vor, während und nach akuten Krisen. Wir kennen die lokalen Akteure, die für die Bearbeitung von Krisen entscheidend sind und verfügen über entsprechende Ansätze und Instrumente, um in allen Konfliktphasen einen Beitrag zu leisten. Wir möchten unsere Kenntnisse und Erfahrungen auch zukünftig in den Dienst der unterschiedlichen Politikfelder zur Umsetzung der Leitlinien für Krisenengagement und Friedensförderung stellen.