Perspektiven des zivil-militärischen Krisenmanagements

16. November 2016   ·   Karl-Heinz Kamp

Am 12. Oktober 2016 veranstalteten das Bundesministerium der Verteidigung und die Bundesakademie für Sicherheitspolitik den PeaceLab2016-Workshop Perspektiven des zivil-militärischen Krisenmanagements. Der folgende Text fasst die Schwerpunkte der in Berlin abgehaltenen Diskussion zusammen.

Dass Sicherheit und Entwicklung einander bedingen ist eine Binsenweisheit. Die Einsicht, dass Sicherheit in Krisenregionen auch den Einsatz militärischer Mittel erforderlich machen kann, wird nur noch am politischen Rand ernsthaft bestritten. Allerdings führt allein die Erkenntnis, dass ziviles und militärisches Planen und Handeln ineinander greifen müssen, noch nicht automatisch zu erfolgreichem Krisenmanagement. Stattdessen zeigen aktuelle Krisen und Konflikte, etwa in Afghanistan, im Mittleren Osten oder in Nordafrika, dass die „Vernetzung“ der verschiedenen, mit dem Krisenmanagement befassten Akteure oder der beteiligten Nationen noch verbesserungsfähig ist.

In Deutschland hat sich das ressortübergreifende Handeln im Bereich des Krisenmanagements in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Interministerielle Spannungen sind deutlich kleiner als etwa in den USA, obgleich dort das Ressortprinzip weit schwächer ausgeprägt ist und man obendrein über den National Security Council (NSC) als koordinierendes Gremium verfügt. Dennoch zeigen sich auch im deutschen Krisenhandeln eine Vielzahl offener Fragen:

  • Wie kann der Informationsaustausch unter den Handelnden verbessert werden, gerade wenn zivile und militärische Kulturen zusammentreffen?
  • Wie überbrückt man die Lücke zwischen steigendem Bedarf nach Stabilisierungsoperationen einerseits und der wachsenden „Interventionsmüdigkeit“ nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit andererseits?
  • Wie lässt sich die doppelte Vernetzung – einmal zwischen den deutschen Akteuren und zum anderen auf der internationalen Ebene – verbessern?
  • Was sind die allseits akzeptierten Kriterien und Parameter, um den „Erfolg“ im zivil-militärischen Krisenmanagement zu messen?

Mit diesen Fragen beschäftigte sich ein im Rahmen des PeaceLab2016 durchgeführter Workshop des Bundesministeriums der Verteidigung und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 12. Oktober 2016. Zehn Erkenntnisse und Ergebnisse lassen sich festhalten:

1. “Lessons Learned“ aus Afghanistan

Obgleich die Erfahrungen aus dem Afghanistan-Einsatz bislang nur unzureichend ausgewertet wurden, zeichnen sich mindestens drei Einsichten ab. Erstens bedarf erfolgreiches zivil-militärisches Krisenmanagement einer starken und engagierten politischen Führung. Dabei haben nationale Regierungen bzw. Staats- und Regierungschefs in der Regel ein deutlich größeres Gewicht als die Spitzen internationaler Organisationen wie NATO oder EU. Es bedarf also einer oder mehrerer Führungsnationen. Zweitens muss – und das wurde in Afghanistan zu lange versäumt – mehr Gewicht auf die „Good Governance“ des Empfängerlandes gelegt werden. Dies sollte gerade dort möglich sein, wo die Staatshaushalte der Krisenländer zum überwiegenden Teil von den Geberländern bzw. von den mit dem Krisenmanagement befassten Nationen und Organisationen finanziert werden. Drittens sollte im Zusammenhang mit dem Good Governance Ansatz verstärkt auf Resilienz geachtet werden und nicht zwingend auf Demokratieförderung. Durch die Stärkung bestehender Strukturen kann ein Staat rascher stabil und handlungsfähig werden, als wenn Bevölkerung und Regierung mit einem völlig neuen Konzept konfrontiert werden.

2. Stärken und Schwächen der EU

Die EU vereint zivile und militärische Fähigkeiten und ist im Prinzip für das vernetzte Handeln prädestiniert. FRONTEX ist ein Beispiel für eine erfolgreiche zivil-militärische Zusammenarbeit. Im Gegensatz dazu hat die EU keine Kultur im Umgang mit als vertraulich oder geheim eingestuften Informationen, sodass verdecktes operieren kaum möglich ist. Das erschwert erheblich die Kooperation mit NATO oder mit Interpol.

3. Breites militärisches Handeln

Der Beitrag von Streitkräften in Krisenoperation wird oft auf die Kampfeinsätze reduziert. Stattdessen beinhaltet er auch „nicht-kinetische“ Operationen wie etwa Ausbildung oder den Transfer von militärischem Know-how. Dies wirft aber häufig die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Exports von Rüstungsgütern auf. Einerseits macht Ausbildung nur Sinn, wenn auch das entsprechende Gerät bereitgestellt wird, andererseits stößt das in Deutschland an die für den Rüstungsexport gesetzten Grenzen.

4. Schnittstellen-Management

In Krisenregionen agieren meist fünf große Akteursgruppen: Bundeswehr, Polizei, zivile Experten, Entwicklungsexperten und humanitäre Akteure. Gerade an den Berührungspunkten der Akteure ist eine reibungsarme Kooperation gefragt. Dies muss geübt werden. Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die von Deutsch-Niederländischen Corps wechselweise in beiden Ländern durchgeführten Übungen (Common Effort). Allerdings wurde die Übung in Deutschland abgeschirmt von der Öffentlichkeit in einer Kaserne abgehalten, während die holländischen Streitkräfte das Übungsszenario vor dem niederländischen Parlament durchführten. Die kommende unter deutscher Schirmherrschaft stehende Simulation sollte ebenfalls an sichtbarer Stelle stattfinden, um die Relevanz des Themas zu verdeutlichen.

5. Schaffung klarer Verantwortlichkeit

Verantwortlichkeit sollte so weit möglich in einer oder in wenigen Händen verbleiben. Das setzt auch voraus, dass Kompetenzen von der nationalen auf die internationale Ebene verlegt werden. In Mali erlebt man gerade wieder genau das Gegenteil, nämlich das Nebeneinander von EUTM, EUCAP, MINUSMA und der französischen Mission BARK-HANE.

6. Koordination auf Bundesebene

Auch wenn sich die im Weißbuch-Prozess diskutierte Idee einer Aufwertung des Bundessicherheitsrates politisch nicht realisiert werden konnte, wird man langfristig ein Gremium/Organ zur Koordinierung der Ressorts in einer Krisenoperation etablieren müssen. Daran wird sich letztlich die Strategiefähigkeit Deutschlands entscheiden. Staatssekretärsrunden sind ein möglicher Behelf, kommen aber auf Dauer angesichts der wahrscheinlichen Zunahme der Krisenherde an ihre Grenzen.

7. Der Zeitfaktor wird unterschätzt

Zivil-militärisches Krisenmanagement ist nur sinnvoll, wenn es langfristig gedacht wird. Selbst Ausbildungsmissionen, die in der öffentlichen Wahrnehmung als rasches Handeln gesehen werden, haben einen erheblichen Zeitbedarf. In der Bundeswehr dauert die Ausbildung eines Kompanieführers zehn Jahre. 20 Jahre braucht die Heranbildung eines Bataillonskommandeurs. Zu glauben, dass man die in Krisenländern, in denen Teile des Militärs Analphabeten sind, in sechs oder zwölf Monaten leisten könne, ist eine Illusion.

8. Der Einfluss der Politik

Krisenoperationen sollten vorab auf einem Konsens über den zu erreichenden „End State“ sowie auf einer nüchternen Analyse des Konflikts beruhen. In der Realität wird man sich aber immer mit dem Einfluss der Politik auseinandersetzen müssen. Politische oder militärische Schritte werden nicht nur aufgrund rationaler Notwendigkeiten unternommen, sondern aus allianzpolitischen Überlegungen oder zugunsten eines engen Verbündeten. Auch innenpolitische Erwägungen beeinflussen den Entscheidungsprozess.

9. Rasche Reaktionszeit

Im Einzelfall muss sehr schnell gehandelt werden, auch ohne dass schon langfristige Konzeptionen vorliegen. So wurde etwa nach der Befreiung von Städten von der Herrschaft des IS (Tikrit) sofort mit dem Aufbau der Strom und Wasserversorgung oder hinreichend funktionsfähiger Verwaltungsstrukturen begonnen. In einer solchen Situation zählt die rasche und nicht die perfekte Lösung. Rasche Reaktionszeiten sind auch gerade bei neuen Bedrohungen wie hybriden oder Cyber-Angriffen gefordert.

10. Zurückhaltung in der Rhetorik

Aktuelle Debatten über Migration, Flucht oder islamistische Gewalt werden oft von der Forderung begleitet, man müsse an den Ursachen ansetzen, um den Krisen Herr zu werden. Dieser Allgemeinplatz nährt aber Illusionen und verdeckt, dass in einigen Krisenregionen eine wirksame Ursachenbekämpfung angesichts der Größe der Herausforderungen nicht möglich ist – Syrien ist hierfür ein Beispiel. Allerdings muss das nicht zu Resignation und Passivität führen. Kann der unmittelbare Krisenherd nicht stabilisiert werden, so besteht die Möglichkeit, positiv auf die angrenzenden Regionen einzuwirken, um ein Übergreifen der Konflikte zu verhindern oder Destabilisierungen dort zu verhindern.

Dr. Karl-Heinz Kamp ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.