Europäisch und abgestimmt: Zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung als Markenkern unserer Außenpolitik

12. Dezember 2016   ·   Thorsten Frei

Die neuen Leitlinien müssen den Rahmen für ein eigenständigeres und besser vernetztes europäisches Handeln schaffen und ein Signal setzen für mehr Austausch zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik. Um zukünftig schnellere und besser abgestimmte Entscheidungen zu treffen, sollte die Bundesregierung den Ressortkreis Zivile Krisenprävention neu organisieren.

Der Vierte Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention definiert als Ziel, eine Überprüfung und Anpassung bestehender Leitlinien und Grundsätze aller mit dem Querschnittsthema Krisenprävention befassten Ressorts vorzunehmen. Dieses Ziel hat die Bundesregierung mit dem sogenannten PeaceLab2016-Prozess zur Neudefinierung unserer deutschen Kernleitlinien für das Engagement bei Krisenprävention, Stabilisierung und Friedensförderung aufgegriffen. Ich glaube, dass dieser Prozess nach mehr als einer Dekade rein zeitlich, angesichts der Fülle unseres Erfahrungsschatzes aber auch inhaltlich angezeigt ist. Am Ende müssen wir mit dem Ergebnis zwei zentralen Entwicklungen Rechnung tragen.

Eine eigenständigere europäische Sicherheitsverantwortung

Erstens: Wir müssen auch für diesen ganz zentralen Bereich unserer Außen- und Sicherheitspolitik den bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 definierten Selbstanspruch, noch mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, auch entsprechend in das maßgebliche Grundsatzdokument einfließen bzw. darin zum Ausdruck kommen lassen. Dieser Aspekt ist gerade im Lichte der Äußerungen des designierten amerikanischen Präsidenten Donald Trump mehr denn je von aktueller Bedeutung. Zwar hat Trump Recht, wenn er auf die Verantwortung der europäischen Staaten bei der NATO-Finanzierung verweist. Anders als die USA definieren wir unsere außenpolitische Agenda jedoch zunächst nicht militärisch. Für uns haben zivile Mittel Vorrang.

Dass Deutschland diesem gesteigerten Anspruch gerade im Bereich der zivilen Krisenprävention in der Praxis bereits folgt, lässt sich an unseren finanziellen Beiträgen beispielsweise bei der Londoner Syrien-Konferenz oder bei unserer Führungsrolle bei der Vermittlung der notwendigen Friedensprozesse in der Ostukraine sehen. Dabei dürfen wir neben unserer Werteorientierung aber niemals unsere eigenen Interessen aus den Augen verlieren.

Mehr Kapazitäten für den Aufbau staatlicher Strukturen

Um der selbstgesteckten Verantwortung auch konzeptionell gerecht zu werden, müssen die künftigen Leitlinien den Rahmen für ein eigenständigeres und besser vernetztes europäisches Handeln abstecken. Das setzt unverändert gute Abstimmung im multilateralen Rahmen innerhalb der EU voraus. Das setzt insbesondere aber auch die Verfügbarkeit eines ausreichenden Kräfte- und Mitteldispositiv über das gesamte Spektrum der Möglichkeiten voraus – also neben diplomatischen, zivilgesellschaftlichen, entwicklungspolitischen und wirtschaftlichen vor allem auch polizeiliche und militärische Mittel. Für Deutschland bedeutet das in erster Linie, dass wir unsere Hausaufgaben zunächst im Bereich von Polizei und Justizexperten in Angriff nehmen müssen.

Schließlich sind wir überzeugt davon, dass es für die friedliche gesellschaftliche Entwicklung eines Landes vor allem auf den Aufbau staatlicher Strukturen sowie die Durchsetzung rechtstaatlicher Strukturen durch das staatliche Gewaltmonopol ankommt. Mit unseren Experten, die qualitativ im weltweiten Vergleich Maßstäbe setzen, können wir für die Schlüsselfunktion des Statebuilding sicherlich noch mehr leisten. Dafür müssen aber zunächst die Klippen zwischen Bund und Ländern in der zuständigen Arbeitsgruppe kartiert und umschifft werden. Und der Bund muss für die Kosten im Zusammenhang von Auslandseinsätzen von Landesbeamten aufkommen.

Individuelle Strategien für individuelle Krisen

Zweitens: Nicht minder von Bedeutung ist die Herausforderung, dass die internationale Gemeinschaft stärker als bisher auf die besonderen Rahmenbedingungen jedes einzelnen Konfliktszenarios eingeht. Standardlösungen sind heute nicht mehr das Maß der Dinge. Sie führen zu einer zu geringen Zielerfüllung und müssen deshalb durch eine Logik der Individualisierung abgelöst werden. Damit folgen wir dem Ansatz, den wir auch bei der Europäischen Nachbarschaftspolitik verfolgen.

Um dies in die Praxis zu transferieren, bedarf es eines stärkeren Transfers von Wissen zwischen Verbündeten und Partnern, zwischen Zivilgesellschaft und staatlichen Akteuren und vor allem zwischen Wissenschaft und Politik. Das bedeutet einerseits, dass wir durch Evaluierung versuchen, in der Empirie gesammelte Erfahrung auch in der Zukunft nutzbar zu machen. Das erfordert aus meiner Sicht eine stärkere Inklusion wissenschaftlicher Betrachtungen in politische Prozesse. Mit Fokussierung auf eine systematische Auswertung der Aktivitäten im Bereich der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung können wir deren Auswirkung wissenschaftlich evaluieren. Dies betrifft beispielsweise die Wirkungs- und Fortschrittsanalyse von militärischen und zivilen Maßnahmen – im Einzelnen aber auch im Verbund. Dafür bedarf es transparenter und objektiver Kriterien, um Fehlentwicklungen rechtzeitig zu erkennen und die notwendigen politischen Kurskorrekturen vornehmen zu können und um unser Handeln besser zu erklären. In der deutschen Wissenschaft ist bereits ein erhebliches Wissen vorhanden. Und wahrscheinlich helfen die Ansätze auch, Krisen frühzeitiger zu erkennen und schneller zu handeln – ein Aspekt, der bis dato nicht allzu oft gut funktioniert hat.

Punktgenauigkeit durch Evaluation und besserer Beurteilung der Lage im Vorfeld

Darüber hinaus müssen wir mehr Zeit und Aufwand in die Wirkungsanalysen im Vorfeld von Einsatzentscheidungen investieren. Allzu oft werden entscheidende Details übersehen oder gar ignoriert. Natürlich steht es im Widerspruch, dass einerseits die Dynamik der Geschehnisse und Akteure zunimmt und andererseits mehr Details Beachtung finden und schnellere, gut abgestimmte Entscheidungen getroffen werden sollen. Dazu müssen wir die weitere Verbesserung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit vorantreiben. Womöglich führt der Weg einer effektiven Abstimmung zwischen den Ressorts doch nicht an regelmäßigen und institutionalisierten Prozessen vorbei. Dabei müssen wir dafür Sorge tragen, dass unterschiedliche Ressortinteressen kein Hemmschuh für unser Handeln sind. Der Ressortkreis Zivile Krisenprävention muss daher neu organisiert werden.