Krisenprävention: Unsere Verantwortung als Parlamentarier

01. Dezember 2016   ·   Andreas Nick

Deutschland und Europa werden zukünftig mehr Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen müssen. Für Parlamentarier als Außenpolitiker stehen in der Krisenfrüherkennung und -reaktion vier Aufgaben im Vordergrund: Die politische Bewertung der Krisensituation, die Kommunikation mit der politischen Öffentlichkeit, die demokratische Legitimation der zu treffenden Entscheidungen und die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen.

Deutschland besitzt als Land der Mitte Europas und weltweit führende Wirtschaftsnation ein vitales Interesse an einer dauerhaft friedlichen und regelbasierten Ordnung in Europa und der Welt. Wir profitieren wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung und der offenen, freien und sicheren Weltordnung, die sie möglich macht. Die Ströme von Menschen, Gütern und Informationen, die uns verbinden, sind um ein Vielfaches wichtiger geworden als die Kontrolle über geographisch abgegrenzte Räume. Es ist daher unser überragendes strategisches Interesse, diese freiheitliche Ordnung zu bewahren und Krisen vorzubeugen. Vor dem Hintergrund veränderter sicherheitspolitischer Gegebenheiten aufgrund des Ergebnisses der U.S.-Präsidentschaftswahl werden Deutschland und Europa zukünftig mehr Verantwortung für ihre Sicherheit übernehmen müssen.

Regionale und vermeintlich weit entfernte Konflikte entfalten durch die Globalisierung unmittelbare Auswirkungen für die deutsche Außenpolitik. Ein verändertes Sicherheitsumfeld, gekennzeichnet durch gewaltbereiten Extremismus, fragile Staatlichkeit und neue Verwundbarkeiten im Cyber-Raum, erfordert auch eine Neugewichtung der außen- und sicherheitspolitischen Instrumente. Vorrangiges Ziel sollte dabei stets die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Verrechtlichung internationaler Prozesse sowie Friedensschaffung und Krisenprävention sein: die am besten zu bewältigende Krise ist eine, die sich erst gar nicht entwickelt oder in vollem Umfang entfaltet.

Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung neuer Leitlinien der Bundesregierung für Krisenengagement und Friedensförderung ausdrücklich zu begrüßen. Dieser Prozess ordnet sich in eine Reihe jüngerer außenpolitischer Prozesse ein, in denen Ansätze für mehr deutsche Verantwortung im veränderten internationalen Umfeld diskutiert wurden. Der Review-Prozess und insbesondere der Weißbuchprozess haben die aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Vorgaben geschaffen, die durch die für 2017 geplanten neuen Leitlinien zur Krisenprävention ergänzt werden.

Zu den Aufgaben der parlamentarischen Außenpolitik in der Krisenprävention gehört es natürlich, potenzielle Krisen möglichst frühzeitig zu erkennen, ihr Entwicklungspotenzial einzuschätzen und die demokratische Legitimation für als angemessen erachtete Reaktionen sicherzustellen. Ebenso wichtig sind allerdings der aktive Diskurs zur institutionellen Ausgestaltung der Krisenprävention und das Engagement in der Bekämpfung struktureller Konfliktursachen, um Krisen vorzubeugen.

Rolle und Aufgaben der Parlamentarier in der Krisenfrüherkennung

Als politische Entscheidungsträger müssen sich Parlamentarier stets von neuem auf die Gleichzeitigkeit von nicht oder nur schwer vorhersehbaren politischen Entwicklungen einstellen. Krisen und Konflikte nehmen zu und vollziehen sich keineswegs mehr linear oder sequentiell. Für den Parlamentarier als Außenpolitiker stehen in der Krisenfrüherkennung und -reaktion vier Aufgaben im Vordergrund: Die politische Bewertung der Krisensituation, die Kommunikation mit der politischen Öffentlichkeit, die demokratische Legitimation der zu treffenden Entscheidungen und die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen.

Parlamentarier müssen Krisensituationen unter Einbeziehung aller verfügbaren Kenntnisse zur jeweils aktuellen Situation in der betreffenden Region, ihrer Geschichte und Einschätzungen bezüglich zukünftigen Entwicklungen beurteilen. Dazu stehen sie in engem Kontakt zu Experten im In- und Ausland und werden von der Regierung möglichst frühzeitig über wichtige Ereignisse informiert. Vor diesem Hintergrund wird fundiertes Wissen über internationale Zusammenhänge immer bedeutsamer. Im Bereich der Universitäten sollten deshalb sicherheitspolitische Studiengänge und Regionalwissenschaften ausgebaut und Denkfabriken mit Fokus auf Fragestellungen der Sicherheitsforschung weiter gestärkt werden.

Es ist schließlich Aufgabe der Parlamentarier, die notwendigen Ressourcen für Friedensschaffung und Krisenprävention bereitzustellen. Eine wichtige Erwartung an Deutschland ist zum Beispiel, mehr Polizisten und zivile Experten in multidimensionale Missionen zu entsenden, um aktiv zum Aufbau von Polizeistrukturen und zur Stabilisierung von Konfliktregionen beizutragen.

Konsequente Ressortabstimmung ausbauen

Um die zivile Krisenprävention zu stärken, ist aus Sicht des Parlaments eine konsequente Ressortabstimmung notwendig. Der vernetzte Ansatz sollte immer Primat unserer Politik sein, um nachhaltig wirksame Maßnahmen zu gewährleisten. Krisenprävention erfordert ganzheitliches Vorgehen: Fragen der Entwicklungsperspektiven und wirtschaftlichen Vernetzung eines Landes beeinflussen mittel- und langfristig immer auch strukturelle Konfliktursachen. Zur Förderung von verlässlichen staatlichen Strukturen und nachhaltiger Entwicklung ist die Expertise von Auswärtigem Amt, Entwicklungs- und Verteidigungsministerium deshalb gleichermaßen gefragt. Nur koordinierte Maßnahmen werden Konflikte langfristig vorbeugen und Friedensschaffung ermöglichen.

Dazu unterstütze ich als Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion den Vorschlag, den Bundessicherheitsrat auszubauen, damit er die Funktion eines nationalen Gremiums zur Definition unserer Sicherheitsinteressen erhält. So ließe sich die Koordinierung zentraler Maßnahmen unserer Außen- und Sicherheitspolitik verbessern und eine ressortübergreifende Planung deutschen außen- und sicherheitspolitischen Engagements ermöglichen.

Strukturelle Konfliktursachen bekämpfen

Vorrang aus parlamentarischer Sicht hat natürlich insbesondere die Bekämpfung struktureller Konfliktursachen. Dazu gehört neben der Förderung guter Regierungsführung und rechenschaftspflichtiger Institutionen auch der Einsatz für eine regelbasierte internationale Ordnung. Nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts schafft dauerhaften Frieden und Stabilität.

Frieden und Stabilität ermöglichen Wohlstand und Entwicklung und hängen auch maßgeblich davon ab, ob sich leistungsfähige, offene und rechenschaftspflichtige Institutionen herausbilden. Ein funktionierender institutioneller Rahmen ist ausschlaggebend, um die in der Bevölkerung eines Landes gleichmäßig verteilten Talente und Potenziale voll auszuschöpfen und den Weg für Innovationen und fairen Wettbewerb um Lebenschancen freizumachen. Im Rahmen multilateraler Institutionen setzt sich Deutschland dafür ein, Konflikten durch strukturelle Maßnahmen vorzubeugen und internationale Verständigung diesbezüglich zu schaffen.

Den internationalen Bezugsrahmen für die Schaffung von nachhaltiger Entwicklung und friedlicher Stabilität stellt die Agenda 2030 dar. Die darin enthaltenen Sustainable Development Goals decken alle Dimensionen von Nachhaltigkeit ab, und für ihre Implementierung bedarf es wichtiger Prozesse zur Förderung von Frieden und Sicherheit. Unser Engagement zur Krisenprävention leitet sich insbesondere von der Umsetzung des 16. Ziels „Frieden und Gerechtigkeit“ ab. Die Tragweite und Wirksamkeit unserer Krisenprävention hängt somit auch von der Reichweite unserer Umsetzung der Agenda 2030 ab – daher sollten alle Ressorts der Bundesregierung die Agenda 2030 konsequent umsetzen.

Intervention als Ultima Ratio

Häufig erfordern die Parallelität und Schnelllebigkeit auftretender Konflikte von Parlamentariern schwierige Entscheidungen. Jeder Einzelfall erfordert die sorgfältige Abwägung über Notwendigkeit und Risiken der geplanten Reaktion. Ist die Eskalation einer Krise schon so weit fortgeschritten, dass durch friedensschaffende Missionen der Vereinten Nationen oder der Europäischen Union interveniert werden muss, ist für eine deutsche Beteiligung zunächst die Zustimmung des Deutschen Bundestages erforderlich. Die demokratische Legitimation von besonders kritischen Entscheidungen zur Intervention ist die vornehmste Pflicht von Parlamentariern, im Falle von Auslandseinsätzen der Bundeswehr erfolgt diese daher stets in namentlicher Abstimmung. Als Parlamentarier sind wir uns unserer besonderen Verantwortung für unsere Parlamentsarmee sehr bewusst. Interventionen werden auch in Zukunft die Ultima Ratio bleiben.

Early Action Politikkohärenz Kommunikation

Andreas Nick

Dr. Andreas Nick ist Mitglied des Deutschen Bundestags (CDU/CSU) und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.