Privatwirtschaft systematisch in Krisenprävention und Friedensförderung integrieren

15. Dezember 2016   ·   Isabel Ebert, Maximilian Spohr

Wirtschaftsunternehmen können in Krisenregionen ihren politischen Einfluss dazu nutzen, demokratische und rechtsstaatliche Strukturen zu fördern. Die neuen Leitlinien können einen Anstoß dazu geben, Unternehmen eine deutlich größere Rolle in der Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung zuteilwerden zu lassen.

Laut OECD waren in den letzten fünfzehn Jahren 53 Länder durch Formen politischer Gewalt betroffen. Damit lebte fast die Hälfte der Weltbevölkerung unter dem Einfluss politischer Gewalt oder erfährt die Auswirkungen dieser. In fast allen diesen betroffenen Staaten sind multinationale Konzerne tätig. Sie bieten die wichtigsten Alltagsprodukte an, liefern Produktionsmaschinen und Schlüsseltechnologien, bieten grundlegende Dienstleistungen an und beziehen Produkte als Teil der globalisierten Lieferketten. Transnationalen Konzernen und anderen großen Wirtschaftsunternehmen kommt so oft ein größerer politischer Einfluss zu als nationalen Regierungen.

Unternehmen in Konfliktregionen: negatives Potenzial minimieren, positives Potenzial fördern

Das negative Potential wirtschaftlicher Betätigung im Zusammenhang mit der Entstehung und Eskalation von Konflikten ist insbesondere aus dem Rohstoffsektor bekannt. Wertvolle Mineralien und andere Rohstoffe werden und wurden zur Finanzierung von kriegerischen Auseinandersetzungen genutzt wie etwa in Sierra-Leone, Liberia, Sudan, Kolumbien oder Afghanistan. Gewalt entbrennt um das Recht zur Ausbeutung von Vorkommen oder aufgrund ungerechter Verteilung der Erträge wie im Sudan, Zimbabwe, Brasilien oder Bolivien. In anderen Fällen führen Landenteignungen, mangelnde Konsultation der Betroffenen oder schlechte Arbeitsbedingungen zu Gewalt, wie etwa in Kolumbien, Ecuador, Bolivien oder Südafrika.

Die Bundesregierung hat dieses negative Potential durchaus erkannt und spricht in ihrem Aktionsplan von 2004 von der Möglichkeit einer engeren Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. Als positive Anzeichen hierfür werden Initiativen wie der Kimberley Prozess und der Global Compact genannt. Auch wird den Unternehmen eine wichtige Rolle in der Konfliktnachsorge zuerkannt. Hier gilt es durch den Aufbau wirtschaftlicher Strukturen und den Übergang von Kriegs- zu Friedenswirtschaft den Menschen in Postkonfliktszenarien schnellstmöglich wieder eine Lebensgrundlage zu bieten und so die unmittelbare Kriegsgefahr zu mindern. Die ungleiche Verteilung des Wohlstandes im Zusammenhang mit unzureichenden Strukturen zur Steuerung des wirtschaftlichen und sozialen Interessenausgleichs kann verstärkend zur Konfliktanfälligkeit einer Gesellschaft beitragen.

Politischen Einfluss von Unternehmen in Krisenprävention und Konfliktnachsorge nutzen

Dieser Ansatz beschränkt sich dabei jedoch darauf, das negative Potential wirtschaftlicher Betätigung als Konfliktursache zu minimieren bzw. das positive Potential der Wirtschaft nur im Bereich der Schaffung wirtschaftlicher Existenzgrundlagen abzurufen. Unternehmen können vielmehr bereits präventiv ihren politischen Einfluss nutzen und so Anreize setzen, um demokratische und rechtsstaatliche Strukturen zu fördern oder arbeits- und menschenrechtliche Mindeststandards einzufordern.

Im Bereich der Konfliktnachsorge sollten Unternehmen zudem systematisch in den Prozess der Konfliktaufarbeitung und transitional justice einbezogen werden. Zwar sind die Verstrickungen von Unternehmen in Konflikten häufig enorm komplex, ihre Einbeziehung in die Konfliktaufarbeitung aber unerlässlich, wie etwa das Beispiel Kolumbien veranschaulicht.

Südafrika und Myanmar: Privatwirtschaft nach dem Ende von Konflikten

Die Erfahrungen aus Südafrika zeigen zudem, dass ökonomische Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft in Aussöhnungsprozessen aufgearbeitet werden müssen. Ein mangelnder Ausgleich des wirtschaftlichen Machtgefüges beim Übergang von Apartheid zu demokratischen System in den 90er Jahren führte hier zu teilweise oligarchischen wirtschaftspolitischen Machtmonopolen, die denen zu Zeiten der Apartheid ähneln. Die Wertschöpfung erreicht die breite Masse der Bevölkerung bis heute nicht und bildungsferne Schichten können lediglich unter prekären Arbeits- und Lebensbedingungen an der Marktwirtschaft teilhaben. Dies erschwert die Etablierung einer guten Regierungsführung und führt zum Verhärten bzw. erneuten Aufbrechen von soziodemokratischen Konfliktlinien in der Bevölkerung.

Das positive Potential der Wirtschaft in der Konfliktnachsorge zeichnet sich demgegenüber gegenwärtig am Beispiel Myanmar ab. Angesichts der rapiden Marktöffnung erlebt das Land einen massiven Zustrom an Investitionen, so dass um die Gewährleistung arbeitsrechtlicher Mindeststandards zu fürchten war. Eine Gruppe westlicher Firmen setzte sich in dieser Situation für eine Erhöhung der Löhne der Fabrikarbeiter ein und konnte so zu einem vergleichsweise fortschrittlichen Lohnniveau im Lande beitragen. Dies zeigt, wie Unternehmen in sehr praktischen Schritten zu besseren Lebensbedingungen für die lokale Bevölkerung nach dem Ende eines Konfliktes beitragen können.

Rolle der Wirtschaft in Krisenprävention integrieren

Die neuen Leitlinien der Bundesregierung sollten daher die Unternehmensdimension systematisch in die Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung integrieren. Es sollten Kooperationsmodelle zwischen staatlichen, zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisationen entwickelt werden, die die finanziellen und fachlichen Ressourcen bündeln. Unternehmen verfügen häufig über einen enormen Erfahrungsschatz in der effizienten Arbeit in komplexen, multinationalen Umfeldern und könnten staatliche und staatlich finanzierte Krisenpräventions- und Konfliktnachsorgeprojekte unterstützen. Die Unternehmen könnten zudem Erfahrungen aus ihrer Praxis einbringen, um die wichtigsten Probleme zu identifizieren, die etwa eine gezielte Rechtsstaatsförderung bekämpfen sollte. Schließlich sind in der Kooperation mit der Wirtschaft flexiblere Finanzierungsmodelle als die staatliche, grundsätzlich nur einjährige, Projektfinanzierung insbesondere für zivilgesellschaftliche Organisationen denkbar.

Insgesamt könnten Effizienz und Struktur der Krisenpräventions- und Konfliktnachsorgearbeit insbesondere auch in der Koordination mit anderen Staaten gefördert werden. Hier müssen die Staaten ihre Bemühungen und Finanzierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen außerhalb des multilateralen Kontextes noch besser abstimmen, wie etwa das Beispiel Afghanistan in den letzten Jahren zeigte. Andernfalls kommt es zu Verdopplungen oder sogar kontraproduktiven Effekten.

Unternehmen als aktive Kooperationspartner einbinden

Im Rahmen des deutschen Netzwerks des Global Compacts bemüht man sich zur stärkeren Einbindung von deutschen Unternehmen zur Stärkung von Menschenrechten, Nachhaltigkeit und demokratischer Werte im In- und Ausland. Das Potential solcher kooperativen Schritte zwischen Politik und Wirtschaft sollte jedoch ausgeweitet und systematischer in die Krisenpräventions- und Konfliktbewältigungsarbeit einbezogen werden. Auch die Leitprinzipien für Meinungsfreiheit und Datenschutz der Informations- und Kommunikationstechnologieindustrie von 2013 stellt eine interessante Initiative der Privatwirtschaft in diesem Zusammenhang dar, die zur ethischen Unternehmensführung im Telekommunikationsbereich in Konfliktgebieten Hilfestellung leisten kann. Schließlich zeigt sich auch im Bereich der internationalen Organisationen, dass Unternehmen zunehmend nicht mehr nur als Geldgeber, sondern auch als aktiver Kooperationspartner gesehen werden – etwa im Bereich der humanitären Angelegenheiten. Diese Entwicklung spiegelt sich letztlich auch im Übergang von den Millenium zu den Sustainable Development Goals der UN wieder – letztere definieren eine wesentlich klarere Mitverantwortung der Unternehmen hinsichtlich dieser Ziele.

Debatte zur menschenrechtlichen Verantwortung der Privatwirtschaft einbeziehen

Will die Bundesregierung einen systematischen Ansatz der Integration der Unternehmensdimension in die Konfliktprävention und Krisennachsorge entwickeln, muss sie die diesbezüglichen Überlegungen aber auch in die aktuelle Diskussion um die menschenrechtliche Verantwortung der Privatwirtschaft einordnen. Hier stellen sich die gleichen Fragen, die bereits im Aktionsplan 2004 als Hürde für eine stärkere Einbeziehung der Privatwirtschaft gesehen wurde: Inwieweit soll wirtschaftliche Tätigkeit im Ausland reguliert werden? Auch im Kern der Debatte um die menschenrechtliche Verantwortung der Privatwirtschaft im In- und im Ausland wird diskutiert, inwieweit wirtschaftliches Handeln zu diesem Zweck einen regulativen Rahmen benötigt. Aus der Antwort auf diese Frage muss letztlich auch abgeleitet werden, welche Verantwortung Unternehmen im Rahmen der Krisenpräventions- und Konfliktnachsorgearbeit tragen.

Nur wenn es gelingt, hierauf eine ganzheitliche und kohärente Antwort zu finden, die in einem überzeugenden Nationalen Aktionsplan zu Wirtschaft und Menschenrechten zur Umsetzung der VN-Leitprinzipien widerzuspiegeln wäre, kann ein bedeutsamer Fortschritt in der Konzeption der Krisenpräventions-, Konfliktlösungs- und Friedenskonsolidierungsarbeit der Bundesregierung erreicht werden. Eins scheint dabei auch vor dem Hintergrund der neuen SDGs klar: Den Unternehmen muss eine deutlich größere Rolle zuteilwerden. Die Bundesregierung könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen und alle im staatlichen Eigentum stehenden Unternehmen einbeziehen. Hiermit wäre ein erster großer Schritt getan.

Entwicklungszusammenarbeit Partner Menschenrechte

Isabel Ebert

Isabel Ebert ist Beraterin beim Business & Human Rights Resource Centre und Repräsentantin für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Maximilian Spohr

Dr. Maximilian Spohr ist Menschenrechtsreferent der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.