„Im Irak hat Stabilisierung Vorrang vor Demokratisierung“

20. Dezember 2016   ·   Stefan Stahlberg

Am 14. Dezember diskutierten Dr. Markus Ederer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, und Roderich Kiesewetter, Mitglied des Bundestages, im Gespräch mit Sylke Tempel (DGAP) am Beispiel des Irak über die Frage, wie Krisenengagement, Stabilisierung von Konfliktgebieten und die Bekämpfung von Fluchtursachen in der Praxis gelingen können. Die Diskussion wurde von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert und fand in Berlin statt.

Das irakische Militär arbeitet daran, die Terrormiliz Islamischer Staat aus Mosul zu vertreiben. Gezielt bereitet die internationale Gemeinschaft und insbesondere Deutschland die Zeit nach der Befreiung vor. Der Fokus im Irak liegt ganz klar auf der Stabilisierung: dem Wiederaufbau der Infrastruktur und der Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen. Für den Staatssekretär Dr. Markus Ederer und den Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter steht fest, dass die Demokratisierung erst dann folgen kann, wenn der Boden dafür bereitet ist.

Systematische Vorbereitung humanitärer Netze

Aus drei wichtigen Städten konnten irakische Regierungstruppen und verschiedene Milizen die Terrormiliz bereits vertreiben: Falludscha, Ramadi und Tikrit. Die Herrschaft der Islamisten und die Kämpfe hatten hunderttausende Menschen fliehen lassen. Doch die internationale Gemeinschaft lernte dazu – und hat sich vorbereitet: Mit dem Einsatz von 90 Millionen US-Dollar für Stabilisierungsmaßnahmen konnten fast eine Million Menschen nach der Rückeroberung in ihre Heimat zurückkehren, berichtete Ederer: „Und wir haben uns auch auf Mosul vorbereitet.“ So stünden Stromgeneratoren bereit, es seien Stabilisierungsteams für die einzelnen Stadtteile eingeplant und die Versorgung von 400.000 möglichen Flüchtlingen im nahen Umland Mosuls sei gesichert.

„Die Demokratie muss folgen, wenn alles andere stimmt“

Nicht nur die konkrete, unmittelbare humanitäre Hilfe am Boden sei wichtig. Auch politische Prozesse müssten angestoßen werden. Aber im Gegensatz zu den Bemühungen in Afghanistan Stünden im Irak nicht die Demokratisierung, sondern die Stabilisierung im Vordergrund: „In Afghanistan hatten wir zu hohe Ansprüche, jetzt sind wir in vielem besser geworden“, resümierte Ederer und Kiesewetter stimmte ihm zu: „Im Irak muss die Demokratie folgen, wenn alles andere stimmt.“ Und zur Stabilisierung gehört auch Versöhnung. Ein Ziel sei es, in Mosul alle Akteure – Sunniten, Schiiten und Kurden – konstruktiv in einem Stabilisierungsrat zusammenarbeiten zu lassen. „Wir arbeiten an nicht diskriminierenden, inklusiven Verwaltungsstrukturen“, so Ederer. Den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Förderung von Beschäftigung hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz BMZ, übernommen. Für Roderich Kiesewetter ist es „beeindruckend, wie die Ministerien dort zusammenarbeiten, um Hilfe vor Ort zu gewährleisten“.

„Wer keine Stabilität exportiert, importiert Instabilität“

Das deutsche Engagement in „einem der zentralen Konfliktherde der Welt mit einer immensen Gewaltintensität“, wie Paul Linnarz den Irak in seiner Einführung in den Abend bezeichnete, ist wichtig, machte Kiesewetter deutlich. In Diskussionen mit Bürgern muss er immer wieder darauf hinweisen, dass der Erhalt der Staatlichkeit des Irak und die Investitionen im Libanon und in der Türkei - alle drei Länder haben Millionen Flüchtlinge aufgenommen - auch Deutschland zugutekommen: „Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass diese Länder nicht zerfallen und die Flüchtlinge dann zu uns kommen“, sagte der Abgeordnete. Und Ederer fügte hinzu, dass man die „Kosten des Handelns und des Nicht-Handelns vergleichen sollte.“ 680 Euro zahlt der Bund den Ländern in Deutschland für jeden Flüchtling – pro Monat. Doch für „nur“ 90 Millionen Euro konnte eine Million Iraker in ihre Heimatstädte zurückkehren. Für Kiesewetter steht fest, dass Deutschland sich auf langfristige Unterstützung des Irak einstellen muss, ein Engagement von etwa 20 Jahren: „Denn wir müssen eine ganze Generation erreichen.“ Und damit dienen wir auch uns selbst, sagte Ederer zum Abschluss: „Wer keine Stabilität exportiert, importiert Instabilität.“

Naher Osten & Nordafrika Stabilisierung Veranstaltung

Stefan Stahlberg

Stefan Stahlberg ist Online-Redakteur bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.