Ressortzusammenarbeit aus Sicht eines Offiziers der Bundeswehr: Für ein besseres Miteinander

23. März 2017   ·   Marcel Bohnert

Als Offizier der Bundeswehr hat der Autor in Afghanistan sowohl Akzeptanz als auch offene Ablehnung von Vertretern anderer Ressorts erlebt. Aus seiner Sicht können ressortübergreifende Ausbildungsformate und eine klare Abgrenzung von Aufgabenfeldern dazu beitragen, den vernetzten Ansatz tatsächlich in die Tat umzusetzen.

Leider steht die Beteiligung von Bundeswehrangehörigen am öffentlichen Diskurs in keinem Verhältnis zum Personalumfang der deutschen Streitkräfte. Ich bin erst der zweite aktive Militärangehörige, der sich in diesem Blog äußert. Und das bei einem partizipativen Prozess zur Entwicklung von Leitlinien der Bundesregierung für das Krisenengagement. Absolut unverständlich! Dem Unbehagen welcher Seite das nun auch geschuldet sein mag – es ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Verschränkungen zwischen der Bundeswehr und anderen Ressorts noch immer nicht stark genug sind.

Die Charakteristika von Krisen und Konflikten der letzten Jahrzehnte haben zu der Erkenntnis geführt, dass sich Strategien einzelner Ressorts kaum dazu eignen, nachhaltige Erfolge bei der Stabilisierung zu erzielen. Die Bundesregierung reagierte mit dem Konzept der Vernetzten Sicherheit, das ein gemeinsames Vorgehen verschiedener Akteure im fragilen Umfeld gewährleisten und die Nachhaltigkeit des Engagements sichern sollte. Eine schlüssige Ableitung. Nun hat sich allerdings in der Praxis gezeigt, dass das alles nicht ganz so einfach ist, wie es sich in der Theorie anhört. Kompetenzstreitigkeiten, Eifersüchteleien und ideologische Grabenkämpfe haben auf allen Seiten auch zu Ernüchterung und der Erkenntnis geführt, dass es wohl noch einige Jahre dauern wird, bis die übergreifende Zusammenarbeit reibungslos funktioniert.

Ressortzusammenarbeit in der Praxis: Mischung aus Akzeptanz und Ablehnung

Als Offizier sind meine persönlichen Erfahrungen mit Vertretern anderer Ministerien und ziviler Hilfsorganisationen ambivalent: Im afghanischen Kunduz habe ich beides erlebt, Akzeptanz und Ablehnung. Es gab diejenigen, die sich der gemeinsamen Aufgabe verschrieben hatten und es sehr zu schätzen wussten, dass sie ihre Projekte in unserem Schutz durchführen konnten. Sie informierten sich durch unsere Verbindungselemente – spezielle Teams zur zivil-militärischen Kooperation – über unsere Fortschritte und synchronisierten ihre Maßnahmen mit der Sicherheitslage im Distrikt. Das gab uns auch im Umgang mit der lokalen Bevölkerung ein gutes Argument an die Hand: Helft uns dabei, die Aufständischen aus euren Dörfern zu vertreiben, dann werden bei euch Unterstützungsprojekte anlaufen. Es gab aber auch diejenigen, deren Abneigung ich unmittelbar zu spüren bekam. Ich erinnere mich an eine Einweisung, die ich an der Lagekarte meines Gefechtsstandes gab. Wir lebten schon über Tage im Staub und ja, es stank vermutlich nach Benzin, Schweiß und Feuerqualm. Und ja, wir hatten uns sicher schon ein wenig im für Außenstehende hart wirkenden militärischen Sprachjargon verloren. Die teils herablassenden Kommentare zur Operationsführung meiner Kompanie haben mich damals dennoch getroffen. Insbesondere weil ich wusste, was meinen Soldatinnen und Soldaten dort zugemutet wurde und unter welchen Risiken und Entbehrungen sie ihre Aufträge erfüllten. Anerkennung dafür spürte ich nicht, eher hatte ich das Gefühl, dass man uns irgendwie die Schuld für die gefährliche Lage im Distrikt zuschob. Als ob unser Einsatz – den wir uns im Übrigen nicht ausgesucht hatten – der eigentliche Grund dafür gewesen sei, dass Anschläge verübt und Gefechte geführt wurden. Dass es aber unser Anliegen war, den Zuspruch der lokalen Bevölkerung zu gewinnen und sie vor Übergriffen zu schützen, wollten die anwesenden Ressortvertreter offenbar nicht anerkennen.

Entfremdung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft

Dieses Erlebnis hat mich zwar irritiert, es entsprach letztlich aber einem Grundgefühl vieler Einsatzsoldatinnen und -soldaten: Sie sahen sich und was sie taten in der deutschen Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrgenommen und erst recht nicht wertgeschätzt. „Wir leben in einer zutiefst pazifistischen Gesellschaft mit einer Grundskepsis gegenüber allem Militärischen“ sagte Thomas de Maizière 2013 als Bundesminister der Verteidigung, um die Ursache für das distanzierte Verhältnis der Bevölkerung zur Bundeswehr zu beschreiben. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler prägte in diesem Zusammenhang bereits 2005 den Begriff „freundliches Desinteresse“. Eine militärskeptische Haltung mag historisch nachvollziehbar sein, sie droht jedoch zu einer Entfremdung zwischen Bundeswehr und Gesellschaft beizutragen, wenn Soldatinnen und Soldaten gemäß politischer Vorgaben weltweit an kriegerischen Auseinandersetzungen teilnehmen. Und das tun sie inzwischen seit über 25 Jahren. Gerade Kampfeinsätze kommen in der friedensgesellschaftlichen Logik dabei einem Tabubruch gleich und stoßen auf generelle Ablehnung. Die Bundeswehr ist aber keine Armee von Kriegsfanatikern. Sie ist zivilgesellschaftlichen Normen verschrieben und fest in die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eingebettet. Es gilt das Primat der Politik; Kriseneinsätze folgen den Beschlüssen des Parlamentes. Der Auftrag des Militärs mag vergleichsweise speziell sein, als äußerstes Mittel der Konfliktlösung ist er aber eben manchmal auch notwendig. Und dann ist auch eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und anderen Ressorts unumgänglich.

Gemeinsame Ausbildung fördert gegenseitiges Verständnis

Äußerst positive Erfahrungen konnte ich hingegen als Teilnehmer eines Seminars zu fragilen Staaten an der Akademie Auswärtiger Dienst machen. Dort habe ich gemeinsam mit angehenden Attachés des Auswärtigen Amtes und Vertretern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine Woche lang an unterschiedlichen Länderfällen gearbeitet und Möglichkeiten zur Stabilisierung entwickelt. Hier waren kaum Berührungsängste vorhanden; stattdessen war ein ehrliches Interesse an den jeweils anderen Ressorts wahrnehmbar und etwaige Vorurteile konnten im direkten Kontakt schnell abgebaut werden. Auch abseits des offiziellen Lehrplanes entwickelte sich ein spannender Austausch über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Denken und Handeln. Was man in derartigen Seminaren über organisationale Logiken und institutionelle Eigenheiten lernt, kann keine noch so gute theoretische Unterrichtung leisten. Das wechselseitige Verständnis wird durch diese Art von Kooperationen enorm gefördert. Je früher im beruflichen Werdegang sie stattfinden, desto besser. An dieser Stelle noch mehr zu investieren, wird sich in zukünftigen Kriseneinsätzen vielfach bezahlt machen.

Vernetzt handeln – aber mit klar abgegrenzten Aufgabenfeldern

Wir alle tragen diesen Satz ja wie eine Monstranz vor uns her: „Der vernetzte Ansatz ist alternativlos.“ Wir müssen ihn weiter mit Leben füllen, konsequent und umfangreicher als bisher. Vor dem Hintergrund aktueller sicherheits- und verteidigungspolitischer Entwicklungen und neuer Konfliktformen können wir uns kein Zurückziehen in die eigenen Ressorts mehr leisten. Dazu gehört aber auch eine klarere Abgrenzung der Aufgabenfelder. Gerade für uns Soldaten ist diese konzeptuelle Klarheit ein wichtiger Pfeiler, um handlungssicher agieren zu können. Auf das anspruchsvolle Aufgabenspektrum in dynamischen und hochkomplexen Einsatzszenarien lassen sich unsere Soldatinnen und Soldaten schon jetzt kaum noch vollumfänglich vorbereiten. Sie sehen sich mit diffusen und schwer operationalisierbaren Risiken konfrontiert und sind über die klassischen soldatischen Aufgaben hinaus mit polizeilichen, humanitären und diplomatischen Tätigkeiten betraut. Die Bundeswehr steckt durch ihren vergleichsweise großen Personalumfang in der Verfügbarkeitsfalle und läuft Gefahr, abseits ihres Kernauftrages überfordert zu werden. Soldatinnen und Soldaten übernahmen in Krisengebieten oft Aufgaben, für die nach der Logik des Vernetzten Ansatzes klassischerweise andere Ressorts verantwortlich gewesen wären. Dabei ringt die Bundeswehr selbst mit internen Herausforderungen wie der Nachwuchsgewinnung, Ausstattungsmängeln und zunehmenden Einsatzverpflichtungen. Das entscheidende Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr ist ihre Befähigung zum legitimen Einsatz militärischer Gewalt. Der Kampf gegen feindliche Akteure sollte in Auslandsmissionen deshalb der Kern soldatischen Handelns sein. Hinzu kommen der Schutz der Zivilbevölkerung, die Absicherung ziviler Hilfsmaßnahmen und kritischer Infrastruktur sowie die Ertüchtigung lokaler Sicherheitskräfte.

Eine klarere Aufgabenverteilung, in der die Bundeswehr sich auf diese Kernaufgaben konzentriert und damit ein Zeitfenster für Maßnahmen anderer Akteure öffnet, könnte zur Lösung praktischer Disharmonien mit anderen Regierungsressorts und zur Entlastung der Streitkräfte beitragen.

Gemeinsame Strategieentwicklung ist zentral

Der Flickenteppich ressortspezifischer Maßnahmen, der sich in der Vergangenheit über viele Krisengebiete ausgebreitet hat, muss dringend einem abgestimmten und ganzheitlichen Vorgehen weichen. Dass eine gemeinsame Strategieentwicklung angesichts konfuser Krisenverläufe sehr schwierig sein kann ist dabei unbestritten. Partikularinteressen und Machtstreben dürfen aber keine der Faktoren sein, die eine kohärente Vorgehensweise erschweren. Dafür sind die Szenarien selbst schon kompliziert genug. In aktuellen und zukünftigen Krisengebieten sind erneut langwierige und komplizierte Stabilisierungsprozesse unter Einbeziehung politischer, entwicklungspolitischer, kultureller, und ja, auch militärischer Fragen zu erwarten. Das können wir nur gemeinsam bewältigen!

Friedenseinsätze Politikkohärenz Afghanistan

Marcel Bohnert

Marcel Bohnert ist Major der Bundeswehr und Teilnehmer des Generalstabslehrganges an der Führungsakademie in Hamburg. Er war 2011 für sechs Monate Chef einer Kampfeinheit in Afghanistan und ist Verfasser zahlreicher Bücher und Beiträge über die Auslandseinsätze der Bundeswehr.