Milliarden statt Millionen für zivile Konfliktlösung: Antwort auf Marcel Bohnert

03. April 2017   ·   Lutz Krügener

Die Bundeswehr sollte sich tatsächlich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Der Verfügbarkeitsfalle wird sie aber nur entkommen, wenn zivile Ansätze mehr geachtet und besser finanziert werden. Die bevorstehende Erhöhung des Wehretats wirkt dem und damit der Zielsetzung des vernetzten Ansatzes entgegen.

Ich schreibe eine kurze Reaktion zu dem Artikel von Major Marcel Bohnert. Eigentlich müsste hier eine Reaktion von anderen Akteuren des sogenannten “vernetzten Ansatzes“ kommen und ich hoffe, dies geschieht noch. Ich selbst habe keinerlei praktische Erfahrungen im Auslandseinsatz, bewege mich schon dadurch „auf dünnem Eis“ und werde bei einer grundsätzlichen Einschätzung bleiben.

Konstruktiv und mit gegenseitigem Respekt über den vernetzten Ansatz streiten

Zu dem ersten Teil des Artikels von Herrn Bohnert möchte ich nur kurz andeuten, dass es selbstverständlich sein sollte und für mich ist, dass jeder einzelne Soldat, jede einzelne Soldatin zu respektieren ist, so wie jeder Mensch zu respektieren ist. Der Soldat/die Soldatin ist dies sogar im besonderen Sinne, da sie für die Aufgabe in die sie gestellt wird, hohe Risiken und Entbehrungen in Kauf nehmen muss. Zu bedenken ist jedoch, dass dies für viele Akteure gilt, die sich in ein Konzept des „vernetzten Ansatzes“ einbinden lassen, also auch die zivilen Kräfte. Es gilt auch für die Akteure, die vor Ort aktiv sind und sich bewusst nicht in das Konzept einbinden lassen wollen. Ein wichtiger Punkt wird also sein, diesen gegenseitigen Respekt zu teilen. Der Respekt soll jedoch nicht verhindern, dass Handlungen und Strategien kritisiert und auch ablehnt werden können. Nach zivilem Denken können auch Hierarchien hier nicht weiterhelfen, sondern nur die „Begegnung auf Augenhöhe“ und der offene Diskurs. Es geht um einen notwendigen konstruktiven Streit bei Achtung des einzelnen Menschen, wie könnte man sonst vernetzt zusammenarbeiten?

Doch nun zu meinem eigentlichen Anliegen. Es war für mich beeindruckend, wie klar Major Bohnert die Aufgabe der Bundeswehr beschrieben hat: „Das entscheidende Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehr ist ihre Befähigung zum legitimen Einsatz militärischer Gewalt. Der Kampf gegen feindliche Akteure sollte in Auslandsmissionen deshalb der Kern soldatischen Handelns sein.“ Der Kampf ist der Kern. Nur „durch ihren vergleichsweise großen Personalumfang“ wird die Bundeswehr zu immer weiteren Aufgaben herangezogen. Die auch von kirchlicher Seite kritisierte „Verfügbarkeitsfalle“ wird hier klar benannt. Die „polizeilichen, humanitären und diplomatischen Tätigkeiten“ sind nicht Aufgabe der Bundeswehr. Auch „der Schutz der Zivilbevölkerung, die Absicherung ziviler Hilfsmaßnahmen und kritischer Infrastruktur sowie die Ertüchtigung lokaler Sicherheitskräfte“ könnte zumindest in Teilen anders organisiert werden, so lese ich es aus der Beschreibung heraus.

Der zivilen Ebene fehlen die Mittel für langfristiges, strategisches Handeln

Auch wenn ich den vernetzten Ansatz in vielen Teilen kritisch sehe, was an anderer Stelle schon vom Geschäftsführer der EAK, Wolfgang Burggraf, ausgeführt wurde, so kann doch nur ernsthaft darüber geredet werden, wenn die zivilen Akteure für die oben benannten Aufgaben als die Fachleute angesehen werden. Dafür müssen sie jedoch mit ganz anderen Mitteln als bisher ausgestattet werden. Sonst führt die „Verfügbarkeitsfalle“ sowohl das militärische Handeln in eine falsche Richtung als auch das Zivile, da auf ziviler Ebene gar nicht die Mittel für ein langfristiges, strategisches professionelles Handeln vorhanden sind.

Mit der 2%-Debatte wird die „Verfügbarkeitsfalle“ in absurde Höhen gesteigert

Politisch stehen wir jedoch (schon lange vor Trump!) mitten in der Debatte zu „2% des BIP für den Verteidigungshaushalt.“ Und wenn gegenüber der NATO auf die zivilen Anstrengungen hingewiesen wird, so nicht mit der Absicht, diese wesentlich zu erhöhen, sondern es wird das benannt, was schon oft kritisiert wurde, dass sie als Teil des sicherheitspolitischen Ansatzes zu verstehen sind und eingesetzt werden. Dies steht dem Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit jedoch entgegen. Die Sicherheitslogik dominiert mal wieder und setzt sich durch gegenüber einer Friedenslogik. Bei der Erhöhung des Verteidigungshaushalt um 20 bis 30 Milliarden Euro (in einem jährlichen Haushalt!), wird die von Major Bohnert treffend beklagte „Verfügbarkeitsfalle“ der Bundeswehr in absurde Höhen gesteigert. Vielleicht zeigt sich hier, dass die unterschiedlichen Ansätze doch kaum zu vernetzen sind, da sie von zu unterschiedlichen Voraussetzungen und Sichtweisen ausgehen.

Mehr Geld für zivile Mittel, auch im Interesse der Bundeswehr

Aber um den in allen kirchlichen Verlautbarungen geäußerten und politisch erklärten Willen zum „Vorrang für Ziviles“ zumindest in Ansätzen zu realisieren, müssten die Mittel für zivile Konfliktlösungsansätze von der Millionenebene auf die Milliardenebene gehoben werden. Dann müsste auch der Verpflichtung, 0,7 % des BIP für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, der entscheidende politische Nachdruck gegeben werden. Nur so würden erste zaghafte Schritte gemacht, um tatsächlich von einer vernetzten Zusammenarbeit auf Augenhöhe sprechen zu können.

Mir ist bewusst, dass dies politisch in den heutigen Zeiten nicht nur kaum umsetzbar, sondern unrealistisch ist. Dann sollte man aber auch nicht ernsthaft politisch von einer „Vernetzung“ sprechen. Sollten aber alle Akteure eines „vernetzten Ansatzes“ diese grundlegende Richtungsänderung fordern, könnte vielleicht noch Bewegung in die Debatte kommen. Dazu bedürfte es aber mutiger Entscheidungen und auch Einlassungen auf Seiten der Bundeswehr und der verantwortlichen Politiker und Politikerinnen. Es wäre doch mal ein wirkliches Signal, wenn z.B. vom Bundeswehrverband eine deutliche Erhöhung der zivilen Mittel gefordert würde. Dann könnte man immer noch und vielleicht offener diskutieren, was denn der Kernauftrag der Bundeswehr sein sollte.