Krisenprävention und Menschenrechtsschutz - zur Rolle von Unternehmen

17. Mai 2017   ·   Bärbel Kofler

Stabilität muss allumfassend gewährleistet sein. Die besten Maßnahmen zur Stabilisierung verlieren ihren Sinn, wenn mächtige Akteure sie konterkarieren. Die Rolle von Unternehmen muss daher mitgedacht werden. Dies geschieht durch den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ der Bundesregierung.

Für eine friedliche und gerechte Welt sind die Schaffung von sozialer Gerechtigkeit und nachhaltigem Wachstum unerlässlich. Die sich weiter verschärfende Ungleichheit innerhalb von Staaten und zwischen den Weltregionen ist eine der Ursachen vieler Konflikte und macht eine aktive Außen-, Menschenrechts-, und Entwicklungspolitik notwendiger denn je. Um den damit verbundenen Anspruch an eine höhere Kohärenz zwischen verschiedenen Politikfeldern gerecht zu werden, müssen die Außen-, Menschenrechts- und Entwicklungspolitik deutlicher als bisher mit anderen Politikfeldern, von der Wirtschafts- bis zur Steuerpolitik, verknüpft werden.

Politikkohärenz, ein Aufruf der VN-Zukunftsagenda

Dieser Gedanke entspricht auch den neuen globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs). Die neue Zukunftsagenda der Vereinten Nationen (VN) bedeutet einen Quantensprung: Entwicklung betrifft nicht mehr nur die armen und ärmsten Länder der Welt, sondern uns alle. Das geht dabei weit über die Themen hinaus, die einem unmittelbar in den Sinn kommen. Neben Infrastruktur, dem Aufbau von für alle zugängliche Gesundheitssystemen, der Einrichtung von Bildungs- und Ausbildungssystemen, fairem Handel und fairen Handelsverträgen geht es vor allem auch um zivile Krisenprävention, Verwaltungsaufbau, Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen und Diplomatie weltweit und ganz besonders auch um die Schaffung menschenwürdiger Arbeit weltweit.

Globale Lieferketten bei Armutsbekämpfung und Krisenprävention stärker in den Blick nehmen

Wenn wir einen wirksamen Beitrag zur Krisenprävention und zur Reduzierung von Armut und Perspektivlosigkeit leisten wollen, müssen wir zukünftig die Fragen fairer Handelsbeziehungen stärker als bisher in den Blick nehmen, globale Lieferketten mit verbindlichen Sozial- und Umweltstandards etablieren und gute und existenzsichernde Arbeit weltweit schaffen. Dies wurde bereits im Jahr 2015 beim G7-Gipfel in Elmau sowie bei den VN-Konferenzen zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba und zu den Nachhaltigkeitszielen in New York deutlich. Diese Zusammenkünfte der Staats- und Regierungschefs haben Impulse gesetzt, damit die Staaten dieser Welt - und zwar alle - ihr Handeln so ausrichten, dass es entwicklungsfördernd und armutsbekämpfend ist. Das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung ist zu Recht Kerngedanke der neuen Zukunftsagenda und heißt, dass auch wir in Deutschland und Europa unser bisheriges Handeln überprüfen und verändern müssen.

Denn deutsche und europäische Unternehmen sind zunehmend in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten vernetzt. Das bietet Chancen, aber auch Herausforderungen: Mit der Erschließung von neuen Märkten und Produktionsstätten können Arbeitsplätze und Wohlstand geschaffen werden. Es gilt aber auch, die Risiken zu bedenken, die durch Intransparenz und die oft mangelhafte Durchsetzung von Menschenrechten, Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten global agierender Unternehmen entstehen können. Wenn wir unseren Anspruch an eine soziale Gestaltung der Globalisierung ernst nehmen, sollte unser Ziel sein, in allen Handels-, Investitions- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Regeln für eine verbindliche Einhaltung und Umsetzung menschenrechtlicher, ökologischer und sozialer Standards zu vereinbaren. Das beinhaltet die ILO- Kernarbeitsnormen mit konkreten Beschwerde-, Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen und auch gewerkschaftliche Rechte und Beteiligung voran zu bringen.  

Ein wichtiger Schritt in Deutschland ist in diesem Zusammenhang der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung für Wirtschaft und Menschenrechte, der verbesserte Regelungen für die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten vorsieht.

Der Aktionsplan definiert die Rolle von Unternehmen bei möglichen Menschenrechtsverletzungen

Mit dem Nationalen Aktionsplan hat die Bundesregierung klare Erwartungen an die Rolle der Unternehmen bei möglichen Menschenrechtsverletzungen definiert. Das Ziel des Aktionsplans ist es, die Kräfte der verschiedenen Akteure aus Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften zu bündeln und damit einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der menschenrechtlichen Lage entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten in Deutschland und weltweit zu leisten.

Was bedeutet das genau? Zur Antwort auf diese Frage zunächst ein Blick in die Vergangenheit: Dass transnationale Unternehmen nicht nur über einen erheblichen wirtschaftlichen, sondern auch politischen Einfluss verfügen, ist keine neue Erkenntnis. Bereits in den siebziger Jahren begann im Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) der Versuch, einen rechtsverbindlichen Verhaltenskodex („Code of Conduct“) für transnationale Unternehmen zu verabschieden. Die zähen Versuche wurden im Jahre 1990 endgültig aufgegeben – während gleichzeitig in der Zivilgesellschaft das Unbehagen angesichts der „Globalisierung“ (1996 immerhin auf Platz vier der Wörter des Jahres in Deutschland) stetig wuchs.

Die VN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechte entstanden im Gespräch mit den Betroffenen

Viele wandten sich an die Vereinten Nationen und Kofi Annan, Generalsekretär von 1997 bis 2006, beauftragte John Ruggie, um in der Diskussion um Regeln für transnationale Unternehmen endlich weiterzukommen. Ruggie bereiste als “Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises” sechs Jahre lang die Welt, von 2005 bis 2011. Er sammelte Regeln und Vorschriften aus vielen Ländern und trug Fälle zusammen, in denen Unternehmen die Verletzung von Menschenrechten vorgeworfen wurde. Vor allem: Ruggie sprach mit den Betroffenen. Er führte mit mehr als 47 Multi-Stakeholdern Beratungen auf fünf Kontinenten und beteiligte Unternehmen, Arbeiterinnen und Arbeiter aus allen Teilen der Lieferkette, Vertreterinnen und Vertreter indigener Völker, dörflicher Gemeinschaften und Regierungen. Aus alledem destillierte Ruggie konsensfähige Standards, die er im März 2011 als „UN Guiding Principles on Business and Human Rights“ dem Menschenrechtsrat vorlegte.

Diese VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind auch als „Ruggie Principles“ bekannt und basieren auf drei Säulen: erstens der Pflicht des Staates zum Schutz der Menschenrechte, zweitens der Verantwortung des Unternehmens zur Achtung der Menschenrechte und drittens dem Zugang zu Abhilfe. Diese von Prof. Ruggie erstmals beschriebenen Säulen wurden mit 31 handlungsleitenden Prinzipien unterlegt. Als Bezugsrahmen haben sie sich in der Arbeit vieler internationaler Organisationen zu Wirtschaft und Menschenrechten wie beispielsweise der OECD, der International Finance Corporation und der Europäischen Union (EU) inzwischen fest etabliert.

Der Aktionsplan entstand in einem umfangreichen Konsultationsprozess

Hierauf baut auch der Aktionsplan der Bundesregierung auf. Zum ersten Mal werden die Verantwortlichkeiten deutscher Unternehmen zur Achtung und Wahrung der Menschenrechte in einem festen Rahmen verankert. Zum ersten Mal werden Standards darüber festgelegt, wie deutsche Unternehmen sich in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte weltweit verhalten sollten.  

Diesem Text ging ein zwei Jahre dauernder, umfangreicher Konsultationsprozess mit der deutschen Öffentlichkeit voraus. Von Anfang an wurde der Aktionsplan mit Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften intensiv diskutiert. Der Plan trägt den unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Akteure Rechnung und bringt belastbare, konkrete Ergebnisse. Der Aktionsplan ist ein Schritt nach vorn, der sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann.

Anforderungen an Unternehmen: Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht und Einrichtung von Beschwerdemechanismen

Durch die klare Anforderung an Unternehmen, und zwar an alle Unternehmen, ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen, wird mit dem Aktionsplan endlich auf faire, globale Wettbewerbsbedingungen, das sogenannte „Level Playing Field“, hingewirkt.  

Er sieht vor, dass sich Unternehmen mit ihrem Umfeld auseinandersetzen und dafür sorgen, dass Fälle, in denen Menschenrechtsverletzungen stillschweigend toleriert werden, gar nicht erst passieren. Das ist Teil der Erwartungshaltung, die die Bundesregierung im Aktionsplan an die unternehmerische Sorgfalt in der Achtung der Menschenrechte formuliert. Wer keine Verfahren einführt, um tatsächliche und potenziell nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte zu ermitteln, wer keine Maßnahmen umsetzt, um negative Auswirkungen abzuwenden, der erfüllt seine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht. Und die Einrichtung von Beschwerdemechanismen oder zumindest die Teilnahme an solchen, die bereits bestehen, gehört auch zu den Erwartungen an Unternehmen, die im Aktionsplan festgeschrieben sind.

Die Bundesregierung kann die Einhaltung überprüfen und Anreize setzen

Darüber hinaus legt der Aktionsplan auch fest, dass die Bundesregierung überprüfen wird, ob diese Erwartung erfüllt wird. Bereits ab dem Jahr 2018 soll dies durch eine nach wissenschaftlichen Standards durchgeführte Erhebung erfolgen. Die Einhaltung der Standards wird durch eine Stichprobe von Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern jährlich evaluiert werden. Falls weniger als 50% dieser Unternehmen die im Aktionsplan verankerten Standards nicht hinreichend umsetzen, sieht der Aktionsplan explizit die Möglichkeit von gesetzlichen Maßnahmen in der Zukunft vor. Im Bereich Monitoring ist die Bundesregierung mit der Einführung des Aktionsplans im internationalen Vergleich damit Vorreiterin.

Mit dem Aktionsplan wird auch der Gestaltungsspielraum genutzt, um effektive Anreize zu setzen. Zum Beispiel bei den Voraussetzungen, unter denen die Instrumente der Außenwirtschaftsförderung in Anspruch genommen werden können, also bei Exportkreditversicherungen, Förderungen von Direktinvestitionen im Ausland und bei der Vergabe von ungebundenen Finanzkrediten. Wer hier in Zukunft Anträge stellt, wird sich in einem gesonderten Punkt zum Thema Menschenrechte äußern müssen. Ziel ist, dass Unternehmen, die die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht derzeit nicht erfüllen, dies bei Inanspruchnahme von Instrumenten der Außenwirtschaftsförderung in Zukunft tun. Wenn ein Unternehmen die Teilnahme an einem Beschwerdeverfahren vor der deutschen Nationalen Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen verweigert, werden seine Anträge auf Übernahme dieser Förderinstrumente nicht bewilligt.

Mehr Abhilfemechanismen: Verbandsklagen möglich machen

Ein Bereich, in dem ich mir allerdings noch mehr wünsche, ist der Bereich der Abhilfemechanismen, nicht nur in Drittstaaten, sondern auch und vor allem in Deutschland. Das Vorhaben, eine mehrsprachige Broschüre über Zugang zu Recht in Deutschland zu erarbeiten, ist sicher eine gute Idee. Aber dann? Sind Menschen aus ganz anderen sozialen und geographischen Räumen nicht auf etwas mehr Hilfestellung angewiesen? Ich würde mir die Möglichkeit von Verbandsklagen wünschen, insbesondere dann, wenn die geäußerten Belange über den Einzelfall hinausgehen und von genereller Bedeutung sein können. Das Umweltrecht zeigt, dass dies möglich ist. Die „Gemeinsamen Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten“ der EU-Kommission enthalten viele gute Gedanken zu kollektiven Rechtsschutzmechanismen, die es sich lohnt, weiter zu denken.

Folgeprozess: Konkrete Sektor- bzw. Branchenvereinbarungen, Beratung von Unternehmen, internationale Vorstellung des Aktionsplans

Um genau diese Fragen, d.h. wie der vom Bundeskabinett im Dezember 2016 verabschiedete Aktionsplan nun umgesetzt wird, geht es in den kommenden Monaten. Institutionell wurde innerhalb der Bundesregierung unter Leitung des Auswärtigen Amtes ein interministerieller Ausschuss „Wirtschaft und Menschenrechte“ (IMA) eingerichtet. Er wird dabei durch das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geleitete CSR-Forum beratend unterstützt. Erarbeitet werden sollen Sektor- bzw. Branchenvereinbarungen zur Konkretisierung der Sorgfaltspflichten in Zusammenarbeit mit Wirtschaftsverbänden, Zivilgesellschaft und anderen Stakeholdern. Eine weitere Kernaufgabe ist die Beratung von Unternehmen im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Und nicht zuletzt starten die Vorbereitung, Beauftragung und Evaluierung der Stichprobenerhebung zur Einhaltung des Verfahrensstandards durch Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern ab 2018.

Auf internationaler Ebene soll der deutsche Aktionsplan bei wichtigen Foren wie beispielsweise dem Responsible Business Forum der OECD in Paris im Juni 2017 und dem UN Forum on Business and Human Rights in Genf im November 2017 vorgestellt werden, ebenso den engen bilateralen Partnern wie den Niederlanden und Frankreich und natürlich den europäischen Institutionen.

Der Aktionsplan verbessert die Kohärenz verschiedener Politikfelder

Die eingangs genannte Anforderung an eine verbesserte Kohärenz verschiedener Politikfelder wird meiner Ansicht nach mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte gestärkt. Denn er verbindet Anliegen der Außenwirtschaftspolitik, Menschenrechtspolitik, Entwicklungspolitik, internationalen Sozialpolitik und Umweltpolitik. Die Bedeutung dieses Themas als wichtiger Beitrag zur Gestaltung der Globalisierung wird in Zukunft sicher noch weiter wachsen. Das neue globale Nachhaltigkeitsziel SDG 8 thematisiert unter dem Titel „Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle“ seine hohe Relevanz ausdrücklich.  

Die eigene Lieferkette zu kennen, erfordert keine detektivischen oder gar hellseherischen Fähigkeiten, sondern schlichtweg die Sorgfalt des ordentlichen Kaufmanns, also ein professionelles Agieren innerhalb der eigenen Branche. Und „professionell“ bedeutet im Jahre 2017 und nach Verabschiedung des Aktionsplans eben auch, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob innerhalb der Lieferkette möglicherweise Menschenrechte verletzt werden. Was nun nicht mehr geht: Über mögliche Menschenrechtsverletzungen nicht einmal nachzudenken, die Augen davor zu verschließen, schlimmstenfalls Profit daraus zu schlagen und sich darauf zurückzuziehen, es seien ja andere, die in der Lieferkette die Menschenrechte verletzten.

Der Aktionsplan stärkt die Menschenrechte in vielen Wirtschaftsbereichen

Der Aktionsplan wird für viele Wirtschaftsbereiche relevant werden, nicht nur für diejenigen, die Rohstoffe, sondern auch für andere, die verarbeitete Waren einkaufen. Hinzu kommt der Dienstleistungsbereich, etwa die Tourismusindustrie, die sich schon seit langem mit dem Thema Wirtschaft und Menschenrechte beschäftigt und viele gute Beispiele dafür zu bieten hat, wie einzelne Unternehmen Initiative ergreifen können.  

Ich bin gespannt, ob die klar formulierte Erwartung des Aktionsplans, Prozesse anzustoßen, die zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfalt führen, bereits bald erfüllt wird. Wenn ja, hat bereits der Aktionsplan einen Beitrag zur Stärkung der Menschenrechte geleistet. Wenn nein, müssen gesetzliche Regelungen geschaffen werden.

Politikkohärenz Menschenrechte

Bärbel Kofler

Dr. Bärbel Kofler ist Bundestagsabgeordnete (SPD) und Beauftragte für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt.