Lasst Reparationsprogramme nicht im Stich!

04. Dezember 2018   ·   Eva Ottendörfer

Reparationsprogramme stellen einen zentralen Teil von Aufarbeitungsprozessen nach Bürgerkriegen dar. Doch häufig werden sie mangelhaft ausgeführt und führen zu erneuter Frustration bei Betroffenen. Die Bundesregierung sollte Reparationsprogramme daher stärker und nachhaltig finanziell fördern und Expertise zur technischen Umsetzung bereitstellen.

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Ein Aufarbeitungsprozess nach einem Bürgerkrieg oder repressiven Regime ist langwierig und komplex. Hierbei stellen Reparationsprogramme für viele Opfer massiver Gewalt das zentrale Element von Vergangenheitsarbeit dar. Doch genau diese Programme leiden häufig darunter, dass internationale Organisationen und bilaterale Geber kaum bereit sind, Gelder und technische Unterstützung bereitzustellen, wenn sie zuvor Tribunale und Wahrheitskommissionen unterstützt haben. Während zahlreiche Experten dafür plädieren, das Konzept der Vergangenheitsarbeit zu erweitern, sollten wir uns also zunächst einmal darum sorgen, ob die bereits bestehenden Instrumente adäquat eingesetzt werden.

Die Bundesregierung sollte deshalb auf drei Punkte achten: Erstens, dass nach der Einrichtung von Tribunalen und Wahrheitskommissionen kein commitment gap entsteht. Sie sollte sich stärker dafür einsetzen, dass anschließende Reparationsprogramme tatsächlich implementiert werden. Zweitens, dass diese Programme so gestaltet werden, dass sie die Opfer nachhaltig unterstützen und strukturelle Gegebenheiten verändern. Dabei ist es wichtig, verantwortungsvoll mit Reparationszusagen umzugehen und keine Erwartungen zu wecken, die nicht erfüllt werden und daher noch mehr Frustration bei den Betroffenen auslösen. Und drittens, sollte sie die bestehende Expertise zu Entschädigungsprogrammen systematischer für Regierungen und internationale Organisationen zur Verfügung stellen.

Reparationen als direkter Beitrag zu einem präventiven Ansatz

Vergangenheitsarbeit soll nicht nur die begangenen Verbrechen ahnden, sondern auch deren Wiederauftreten in der Zukunft verhindern. Wie einige Beiträge auf dem PeaceLab-Blog betonen, ist solch ein präventiver Ansatz nur umsetzbar, wenn Vergangenheitsarbeit transformatives Potential hat, d.h. Rechtsstaatlichkeit fördern, ausbeuterische soziale Verhältnisse und strukturelle Gewalt beenden und Lebensbedingungen verbessern kann. Auch die Bundesregierung hat in ihren Leitlinien einem solchen Ansatz verschrieben. Reparationen bestehen laut Definition der Vereinten Nationen aus Restitution, Kompensation, Rehabilitation, Satisfaktion und einer Garantie auf Nicht-Wiederholung. Sie umfassen damit neben finanzieller Unterstützung sowohl medizinische und psychologische Betreuung als auch Bildungsmaßnahmen und die Einrichtung erinnerungspolitischer Projekte. Folglich haben sie per se das Potenzial transformativ zu wirken.

Die Realität von Reparationsprogrammen sieht jedoch anders aus. Reparationen stellen meist den Abschluss eines Jahre dauernden Aufarbeitungsprozesses dar und werden erst nach anderen Instrumenten, wie Tribunale und Wahrheitskommissionen, eingerichtet. Zudem besteht die Annahme, dass Reparationen entweder von den Parteien bereitgestellt werden müssen, die für die begangenen Verbrechen verantwortlich sind, oder von der Regierung, die nicht willens oder nicht in der Lage war, ihre Bevölkerung zu schützen. Beide Faktoren führen zu einem commitment gap von Staaten und internationaler Organisationen, sich an der Finanzierung von Reparationsprogrammen zu beteiligen.

Reparationsmaßnahmen müssen nachhaltige Hilfe leisten

Sierra Leone ist ein Beispiel für genau diese Problematik. Verschiedene Regierungen finanzierten ein Tribunal zur Ahndung der massiven Menschenrechtsverletzungen, die während des Bürgerkriegs von 1991 bis 2000 begangen worden waren. Zudem richteten die Vereinten Nationen eine Wahrheits- und Versöhnungskommission ein. Für die zehntausende Opfer des Bürgerkrieges, die unter schwerster sexueller Gewalt, Vertreibung, Zwangsrekrutierungen und Verstümmelungen gelitten hatten, stand jedoch von Anfang an die Forderung nach Reparationen im Vordergrund. Hinzu kam, dass die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Sierra Leone aktiv mit Reparationen geworben hatte, um die Menschen dazu zu bringen, von ihren Gewalterfahrungen zu berichten.

Allerdings zeigte sich nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Wahrheitskommission weder die sierra-leonische Regierung noch die internationale Gemeinschaft willens, ein Reparationsprogramm einzurichten. Erst durch aktives Lobbying der Opfer und internationaler NGOs konnte der Peacebuilding Fond der Vereinten Nationen dazu bewogen werden, Gelder bereitzustellen. Was zunächst nach einer Erfolgsgeschichte klingt, erwies sich für die Opfer jedoch als weitere Enttäuschung. Während einige wenige Opfer Unterstützung in Form von Berufsausbildung und Mikrokredite erhielten, blieb es aufgrund der geringen Mittel für die meisten Personen bei einer Einmal-Zahlung von 100 US-Dollar.

Schlecht implementierte Reparationsprogramme bergen Konfliktrisiko

Hinzu kam, dass viele Personen sich zwar registrieren ließen, aufgrund des schlechten Informationsmanagements aber keine Reparationen erhielten. Viele Betroffene verdächtigten lokale Chiefs und das Personal der ausführenden Regierungsabteilung, die Gelder veruntreut und den eigenen Familienangehörigen ausgezahlt hatten. Folglich wähnten die Betroffenen weiterhin in jenen sozial ungleichen und ausbeuterischen Strukturen zu leben, die unter anderem als Auslöser für den Bürgerkrieg in Sierra Leone gelten. Obwohl sie aufgrund ihrer Situation für jede Hilfe dankbar waren, zeigte dieser Umgang mit ihnen, dass niemand ernsthaft an der Verbesserung ihrer Situation interessiert ist. Wie ein Mann, dessen Bein von den Rebellen amputiert worden war, es ausdrückte, zogen viele Menschen daraus die Konsequenz, dass es sinnvoller gewesen wäre, Gewalt einzusetzen, um von der Regierung Unterstützung zu erhalten:

“The rebels, they fight, they kill, they do so many bad things. And today they are well. (…) You only get benefits if people are afraid of you. That is the truth. (…) Next time I will take up arms because then people will listen.”

Ein schlecht implementiertes Reparationsprogramm birgt folglich das Risiko, Frustration zu schaffen und eventuell auch die Gewaltbereitschaft bei den Betroffenen zu erhöhen, indem es einen negativen Demonstrationseffekt bezüglich der Haltung der Regierung gegenüber Opfern entwickeln kann.

Verantwortungsvoll mit den Erwartungen der Menschen umgehen

Wie das Beispiel Sierra Leone zeigt, ist die Einrichtung von Reparationsprogrammen trotz entsprechender Gerichtsentscheidungen und Empfehlungen von Wahrheitskommissionen noch immer keine Selbstverständlichkeit. Natürlich kann ein Reparationsprogramm nie alle Forderungen erfüllen. Es kommt darauf an, welche konkreten Maßnahmen sie enthalten und wie gut sie auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abgestimmt sind. Umso notwendiger ist es, die Menschen in Konsultationen nicht nur nach ihren Bedürfnissen zu fragen, sondern ihnen auch die Grenzen des Möglichen zu vermitteln und keine Versprechen zu machen, die später nicht erfüllt werden können.

Die Bundesregierung sollte deshalb ressortübergreifend auf eine Verbesserung der Reparationspraxis hinwirken. Hierfür sollte sie sich, erstens, Ländern wie Japan, Finnland und Schweden anschließen und auf internationaler Ebene als verlässlicher Partner für die Finanzierung von Reparationsprogrammen agieren. Das gilt momentan beispielsweise für den Treuhandfond für Opfer des Internationalen Strafgerichtshofes, der sich aus freiwilligen Spenden von Staaten und internationalen Organisationen finanziert, aber auch für den Treuhandfond der Extraordinary African Chambers, der für die Entschädigung der Opfer des ehemaligen Diktators im Tschad, Hisène Habré, eingerichtet wurde.

Reparationsprogramme müssen Teil eines entwicklungspolitischen Kontexts sein

Zweitens sollte die Bundesregierung Reparationen als Teil entwicklungspolitischer Maßnahmen verstehen. Sie sollte die Kapazitäten dieser Maßnahmen so gestalten, dass sie die Lebensverhältnisse der Betroffenen nachhaltig verbessern. Zwar sollen entwicklungspolitische Maßnahmen nicht als Ersatz für Reparationen dienen, doch können bilaterale Geberorganisationen ausgewählte Maßnahmen finanzieren, die ihrem Portfolio entsprechen, solange diese explizit als Reparationen deklariert werden. Sie sollte Reparationsmaßnahmen nicht isoliert von einem breiteren entwicklungspolitischen Kontext durchführen, um zu verhindern, dass sozialer Neid und eine erneute soziale Ausgrenzung der Opfer entsteht. 

Drittens verfügt die Bundesregierung aufgrund der eigenen Geschichte und Ihrer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) über eine starke Expertise im Bereich Entschädigungsprogramme. Diese Expertise sollte sie systematischer einsetzen, um sowohl Reparationen transformativ zu gestalten, als auch den Risiken entgegenzuwirken, dass Reparationsmaßnahmen missbraucht oder mangelhaft ausgearbeitet werden. Sie könnte beispielsweise einen Pool an Experten einrichten, die Regierungen und internationale Organisationen zu Ausgestaltung und Ausführung von Reparationsprogrammen beraten können.

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Entwicklungszusammenarbeit Transitional Justice

Eva Ottendörfer

Eva Ottendörfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt, Lehrstuhl für Internationale Institutionen und Friedensprozesse.