Politische Initiativen und Länderprogramme miteinander verknüpfen

06. Dezember 2018   ·   Heidi Grau

Ein Gespräch über das Engagement der Schweiz im Bereich Vergangenheitsarbeit mit Botschafterin Heidi Grau, Leiterin der Abteilung Menschliche Sicherheit im Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Die Schweiz setzt bei Vergangenheitsarbeit auf multilaterales Engagement, politische Initiativen und die Förderung von Programmen in Schwerpunktregionen. Sie hat personelle Kapazitäten aufgebaut, eine Sondergesandte eingesetzt und eine Task Force etabliert, die flexibel und unbürokratisch die Expertise im Außenministerium bündelt und die Thematik gleichzeitig breiter verankert. Mit der Global Action Against Mass Atrocity Crimes (GAAMAC) hat sie ein globales Netzwerk angewandter Präventionsarbeit ins Leben gerufen.

 „Vergangenheitsarbeit“ ist seit 15 Jahren ein Schwerpunkt der Schweizer Außen- und Friedenspolitik: Was war Ihr Ausgangspunkt?

Sicherlich standen mehrere Aspekte am Anfang unserer Überlegungen zu „Dealing with the Past“. Die Abteilung „Menschliche Sicherheit“ ist im Außenministerium für Friedens- und Menschenrechtspolitik verantwortlich. Uns war wichtig, dass wir beides im Rahmen des Schwerpunktes verfolgen und politisch vorantragen können. Dies gilt sowohl für unser multilaterales Engagement, insbesondere im UNO Menschenrechtsrat, als auch für unsere bilaterale Arbeit.

Wichtig war – und ist - uns außerdem, über ein reines Konfliktmanagement hinausgehen zu können, die Wurzeln von Konflikten zu bearbeiten und nachhaltigen Frieden zu fördern. Wenn man dies möchte, ist Vergangenheitsarbeit ein zentrales Element.

In der Schweiz selbst hat uns um die Jahrtausendwende die Aufarbeitung der „nachrichtenlosen Vermögen“ (jüdischer Holocaustopfer mit Bankkonten in der Schweiz, A.d.R.) sehr bewegt. Auch dies war ein Ausgangspunkt, denn uns wurde bewusst, dass eine stärkere Reflexion der Thematik notwendig ist.

…und was waren Meilensteinen beim Aufbau des Schwerpunktes?

Wir haben 2003 wirklich klein begonnen – mit nur 20% Stellenprozent in der Zentrale. Die personellen Kapazitäten wurden dann bis 2010 langsam aufgebaut auf 100%. Heute haben wir 400% Stellenprozent, was eigentlich gar nicht so viel ist.

Ein wichtiger Meilenstein war die Etablierung unserer Task Force und die Ernennung von Mô Bleeker zur Sondergesandten für Vergangenheitsarbeit und die Prävention von Gräueltaten. Das war in 2011 – und hat unserer Arbeit ein ganz anderes politisches Gewicht gegeben. Auf Initiative der Schweiz wurde im gleichen Jahr vom UN Menschenrechtsrat das Mandat für den UNO Sonderberichterstatter zur Förderung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nicht-Wiederholung verabschiedet. Das war ein weiterer Meilenstein.

Seit dem World Outcome Summit zur Responsibility to Protect setzen wir außerdem in unserer Abteilung einen Akzent auf Prävention. Wir arbeiten mit dem UN Büro für die Prävention von Genozid und Schutzverantwortung zusammen. Und wir haben 2013 die Global Action Against Mass Atrocities als Netzwerk von Regierungen, UN und regionaler Organisationen sowie Zivilgesellschaft ins Leben gerufen. Für mich ist GAAMAC ein Paradebeispiel angewandter Präventionsarbeit. Gemeinsam arbeiten wir daran, auf nationaler Ebene Strukturen einzurichten, die Gräueltaten verhindern. Unser Ziel ist es, dieses Netzwerk weiterzuentwickeln und breiter abzustützen.

Für unser Engagement entwickeln wir alle vier Jahre Strategien, die dann vom Staatssekretär bzw. der Staatssekretärin verabschiedet werden. Auch das sind natürlich Meilensteine für uns.

Was sind die wesentlichen Bestandteile und „Instrumente“ Ihrer Strategie?

Einige Aspekte habe ich schon erwähnt: Wir haben intern personelle Kapazitäten aufgebaut, mit denen wir politische Prozesse vorantragen können. Nicht nur in der Zentrale, sondern auch in unseren Botschaften vor Ort. Dafür entsenden wir Human Security Advisors. Gleichzeitig verfügen wir über finanzielle Mittel, um Programme in Schwerpunktregionen umzusetzen. Diese Kombination ist für mich das Besondere unserer Strategie, der „Clou“ des Ganzen. 

Abhängig vom Kontext arbeiten wir in unseren Schwerpunktländern auf unterschiedlichen Ebenen. In Kolumbien sind wir zum Beispiel seit langem auf track 1 aktiv. Doch häufig braucht es einen Vorlauf, um ins Gespräch zu kommen. Hier spielt die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle. Deswegen haben wir auch strategische Partnerschaften mit unterschiedlichen Organisationen aufgebaut, wie etwa swisspeace, Interpeace und dem Centre for Humanitarian Dialogue. So können wir langfristig arbeiten, aber auch punktuell Projekte unterstützen. Für uns ist das anspruchsvoll, weil wir eigentlich eher kurzfristig präsent sein wollen. In vielen Ländern, wie etwa Simbabwe oder Nepal, merken wir aber, dass ein langer Atem notwendig ist. Als lernende Organisation führen wir deswegen auch regelmäßig Evaluationen durch. Das alles sind wesentliche Elemente unseres strategischen Gesamtansatzes und gilt nicht nur für den Schwerpunkt Dealing with the Past.

Wir bieten außerdem regelmäßig Kurse zu Dealing with the Past an, zu denen wir ganz gezielt Regierungsvertreter*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus unseren Schwerpunktregionen einladen. Das sind nicht Trainings um des Trainings willen. Wir möchten damit Dialog, Vertrauensbildung und Netzwerke fördern, um darauf aufbauend Prozess in den Ländern vorantragen zu können.

Darüber hinaus ist die Task Force für die Weiterentwicklung unserer Strategie ganz zentral, weil wir damit die Thematik im Ministerium selbst breiter verankern können.

Können Sie die Zusammensetzung und die Arbeit der Task Force nochmals etwas ausführlicher erklären?

Die Task Force ist unser „Experten*innenpool“ im Ministerium. Innerhalb der Politischen Direktion sind die Abteilung Menschliche Sicherheit und die Abteilung Vereinten Nationen und internationale Organisationen vertreten, außerdem die Direktion für Völkerrecht und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. So können wir über die unterschiedlichen Organisationseinheiten hinweg zusammenarbeiten, Kompetenzen bündeln und Initiativen vorantragen.

Auf Steuerungsebene treffen wir uns zweimal im Jahr. Auf Arbeitsebene geschieht dies regelmäßig. Nach Bedarf und Thema werden auch weitere Ressorts oder Institutionen hinzugezogen. Es ist ein flexibles Instrument, das strukturiertes Arbeiten ermöglicht, gleichzeitig eine variable Geometrie zulässt – und nicht superbürokratisch ist. Dieses Modell hat sich sehr bewährt und ist eine Erfolgsgeschichte, denn es ist wirklich wichtig, zu der Thematik gemeinsam mit unterschiedlichen Abteilungen zu arbeiten und gleichzeitig die Vernetzung über ein Ministerium hinaus zu stärken.

Und abschließend: Warum wäre aus Ihrer Sicht ein Engagement Deutschlands in dem Themenfeld wichtig?

Deutschland hat unglaublich viele Grundlagen für Friedensförderung gelegt und das friedenspolitische Leitbild der Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bearbeiten, Frieden fördern“ bringt dies zum Ausdruck. Die Glaubwürdigkeit, die Deutschland im Bereich Vergangenheitsarbeit hat, ist wirklich einmalig und deswegen ist Deutschland einmalig gut positioniert, um sich hier zu engagieren. Auch im europäischen Kontext kann die Bundesregierung die Thematik vorantragen und die Umsetzung des EU Policy Framework on support to transitional justice unterstützen. Und wir würden es natürlich sehr begrüßen, mit der Bundesregierung in diesem Themenfeld zusammenzuarbeiten.

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in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Partner Transitional Justice

Heidi Grau

Heidi Grau, Leiterin der Abteilung Menschliche Sicherheit im Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA)