Postkoloniale Außenpolitik: Wie sich Deutschland in Kamerun engagieren sollte 20. Mai 2019 · Maria Ketzmerick Das deutsche Engagement in Kamerun sollte bei uns Zuhause beginnen: Mit einer Aufarbeitung der eigenen kolonialen Vergangenheit. Denn diese gehört zu den Ursachen des heutigen Konflikts. Die Bundesregierung sollte sich außerdem dafür einsetzen, dass der UN-Sicherheitsrat effektive humanitäre Maßnahmen beschließt und Dialogforen mit der Diaspora in Deutschland unterstützen. Debatten Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern Prioritäten bis 2021 Der jährliche Nationalfeiertag am 20. Mai in Kamerun feiert den Zusammenschluss der anglophonen und frankophonen Bevölkerung im Jahr 1972. Doch das Land steht heute am Rande eines Bürgerkriegs. Eindrücklich beschreibt Ottmar von Holtz in seinem Beitrag auf dem PeaceLab-Blog die Informationsreise des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ des Bundestages: In der ehemaligen deutschen Kolonie fordern separatistische Gruppen die Unabhängigkeit zweier Regionen, in denen die anglophone Bevölkerung als Minderheit gegenüber des größtenteils frankophonen Zentralstaats lebt. Die Konfliktdynamik [in Kamerun] basiert auf Kontinuitäten aus der deutschen Kolonialzeit und der UN-Treuhandzeit sowie der mangelnden Integration der anglophonen Minderheit. Die Konfliktdynamik basiert auf Kontinuitäten aus der deutschen Kolonialzeit und der UN-Treuhandzeit sowie der mangelnden Integration der anglophonen Minderheit. Es liegt auch in der deutschen Verantwortung, sich für eine Konfliktlösung in Kamerun einzusetzen. Die Spirale der Gewalt: Mehr als 1850 Tote und 170.000 Vertriebene seit 2016 Das jüngste Aufkommen der Gewalt lässt sich durch die besondere historische Situation Kameruns erklären: Als ehemalige deutsche Kolonie wurde Kamerun nach dem 1. Weltkrieg als UN-Treuhandgebiet gemeinsam von Großbritannien und Frankreich verwaltet. Bedingt durch diese Aufteilung sprechen die drei Millionen Einwohner der nordwestlichen und südwestlichen Provinz im Gegensatz zu den anderen Provinzen Englisch statt Französisch. Sie verfügen über ein eigenes Bildungs- und Justizsystem und eine eigene Identität. Was 2016 als friedlicher Protest von anglophonen Lehrer_innen und Anwält_innen begann, ist seit der Unabhängigkeitserklärung Ambazoniens 2017 in einen gewaltsamen Konflikt zwischen separatistischen Gruppen und den Sicherheitskräften eskaliert. Hierunter leiden besonders die Zivilist_innen: Die neuesten Zahlen von Organisationen wie der International Crisis Group und dem UN-Flüchtlingshilfswerk gehen inzwischen von über 1850 Todesopfern und über 170.000 Vertriebenen aus. Kamerun hat weltweit inzwischen die sechstgrößte Gruppe an Binnenvertriebenen, deren Situation besonders prekär ist: Laut UN-Angaben ist der Zugang für humanitäre Maßnahmen versperrt, über 1.5 Millionen Menschen brauchen medizinische Unterstützung. Wie Satellitenaufnahmen und Fotos dokumentieren, sollen die staatlichen Sicherheitskräfte seit den Wahlen im Oktober 2018 vermehrt willkürliche Tötungen und Folter anwenden und unzählige Häuser in den anglophonen Provinzen zerstören. Doch auch die Separatisten nutzen Gewaltmittel, um einen geschlossenen Boykott gegen die Regierung durchzusetzen. So sollen sie Kameruner_innen entführt, getötet und gefoltert haben, die sich nicht daran beteiligten. Für globale Aufmerksamkeit für die Anliegen der anglophonen Minderheit sorgt nicht zuletzt die Diaspora. Dennoch scheint eine friedlichere Konfliktlösung derzeit weit entfernt. Präsident Biya zeigt kein Interesse an einer friedlichen Konfliktlösung Hinter der Eskalation stecken sowohl die fehlende Aufarbeitung der Folgen kolonialer Grenzziehung als auch die Politik des Präsidenten Paul Biya, der seit 36 Jahren im Amt ist. Dabei ist der anglophone Konflikt nur ein Symptom: Auf nationaler Ebene gibt es weder ein Frühwarnsystem für die Prävention von Konflikten, noch staatliche Maßnahmen zur Konfliktregelung. Vielmehr reagiert das Regime Biyas mit Repression: es delegitimiert oppositionelle Meinungen und schließt sie aus. Präsident Biya regiert per Dekret und Twitter-Botschaften, mit denen er nicht nur u.a. seine Kandidatur zur Präsidentschaftswahl erklärt, sondern auch anglophone Demonstrant_innen als Terroristen bezeichnet hat. Auch wenn er in seiner Neujahrsansprache 2018 auf die anglophone Krise einging und zu einer Rückkehr der Ruhe aufrief, will er vor allem eines: seine eigene Macht erhalten. Für die Stabilität des Regimes spielt dieses partikulare Gruppen und Eliten gegeneinander aus und nutzt klientelistische Strukturen: So sitzen zwar anglophone Repräsentant_innen im Kabinett, doch diese setzen sich oftmals eher für ihre persönlichen Interessen ein, als für eine nachhaltige Lösung des Konflikts. Die Anglophonen selbst identifizieren sich, laut Afrobarometer, gleichermaßen als Kameruner_innen und als ethnische Gruppe. Sie sind gleichzeitig viel unzufriedener mit der aktuellen Politik in Kamerun als ihre frankophonen Mitbürger. Die gesellschaftliche Spaltung wird durch die seit Jahren sinkenden Einkommen verstärkt, sodass gut ausgebildete Kameruner_innen keine Perspektive haben und es beispielsweise im medizinischen Bereich zu einem massiven „Brain Drain“ kommt. Vom System der politischen Lähmung profitieren vor allem die alten Eliten. Frauen sowie Minderheiten wie LGBTI, Menschen mit Behinderung oder indigene Gruppen werden systematisch benachteiligt. Dennoch inszeniert sich Präsident Biya als der alleinige Garant für Stabilität und staatliche Einheit, während die Opposition stark gespalten ist. Dringend benötigt: Umfassender Versöhnungsprozess Seit dem Beginn der Krise richtete die Regierung zahlreiche Kommissionen und Komitees ein, um den Konflikt zu regeln – zuletzt im Dezember 2018 das „Disarmament Demobilization and Reintegration Committee“. Dieses soll die separatistischen Kämpfer_innen entwaffnen und eine Rückkehr ins gewaltfreie Leben ermöglichen. Bisher blieben jedoch alle Dialog- und Friedensversuche der Regierung erfolglos. Dringend notwendig für Fortschritte in der Konfliktbearbeitung wäre ein umfassender Transitions- und Versöhnungsprozess, der die kamerunische Vergangenheit aufarbeitet, anglophone Vertreter_innen einbezieht und die Belange der Minderheiten sowie junger Menschen anerkennt. Eine wichtige Rolle könnten darin die kirchlichen Vertreter_innen einnehmen, wie etwa Kardinal Christian Tumi, der, wie von Holtz bereits feststellt, bisher nicht einbezogen wird. In diesem Versöhnungsprozess sollten die Vorstellungen lokaler Expert_innen aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der Jugendvertreter_innen Priorität haben. Doch hier könnten internationale Partner, aber auch die Afrikanische Union beratend zur Seite stehen. Die Bundesregierung sollte sich sowohl auf der internationalen politischen Ebene im UN-Sicherheitsrat engagieren als auch im bilateralen Verhältnis mit Kamerun, insbesondere mit den folgenden fünf Maßnahmen. 1. Die koloniale Vergangenheit anerkennen Auch wenn sich in Deutschland nur Wenige daran erinnern: In Kamerun und in anderen ehemaligen deutschen Kolonien ist die deutsche Kolonialperiode bis heute unvergessen. Auch wenn sich in Deutschland nur Wenige daran erinnern: In Kamerun und in anderen ehemaligen deutschen Kolonien ist die deutsche Kolonialperiode bis heute unvergessen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit und eine Analyse der Kontinuitäten zu Ausgrenzung und Rassismus sind zentral für heutige Debatten um das „Deutschsein“ und gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Sie sind aber auch zentral für die Außenpolitik und internationale Nord-Süd-Hierarchien. Mit einer systematischen Aufarbeitung und gesellschaftlichen Anerkennung der eigenen Geschichte der Kolonialherrschaft könnte Deutschland international eine Vorreiterrolle einnehmen. Eine solche Anerkennung hätte monetäre Konsequenzen, aber würde auch der verflochtenen Geschichte in Politik, Wirtschaft und Bildung Rechnung tragen. Die Stärke einer solchen postkolonialen Außenpolitik wäre es, das transformative Potential von Vergangenheitsaufarbeitung aufzuzeigen. In Bezug auf Kamerun wäre dafür die kritische Überprüfung aller Felder der Außenpolitik, Instrumente und Kooperationen, wie etwa in der Entwicklungszusammenarbeit, nötig, um den Beitrag an und den Gewinn aus kolonialen Strukturen zu analysieren. 2. Im UN-Sicherheitsrat für humanitären Zugang einsetzen Als koloniale Kontinuität ziehen sich wirtschaftliche, politische und militärische Beziehungen bis heute. Noch immer prägt Frankreich die wichtigsten Wirtschaftsaktivitäten in Kamerun. Eine der Stärken Biyas ist ebendiese Unterstützung Frankreichs, die ihn im Kampf gegen Boko Haram brauchen. Auch im militärischen Bereich tragen Rüstungsexporte und –zusagen zur Stabilität Biyas bei. Anfang Februar haben zumindest die USA die Militärhilfen für Kamerun gesenkt. Trotz der im Verhältnis geringeren deutschen Rüstungshilfen für Kamerun (laut Rüstungsexportbericht 2018 nur eine Genehmigung für Minenräumgeräte), wäre Abrüstung das entscheidende Thema für den Sicherheitsrat, da auch China Kameruns Regierung militärisch unterstützt. Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass Kamerun auf die formale Agenda des UN-Sicherheitsrats kommt. Dafür war das Arria-Treffen am 13. Mai, bei dem die aktuelle Gewalt in Kamerun besprochen wurde, ein guter Auftakt. Nun sollte die dabei besprochene effektive humanitäre Antwort folgen, die die Zivilist_innen schützt und weitere Gewalt verhindert. 3. Dialogplattform mit der Diaspora in Deutschland stärken Teil der Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialherrschaft wäre es, die kamerunische Diaspora in Deutschland anzuerkennen. Trotz deren intensiver Proteste und Aktionen, kommen von der Bundesregierung wenige Signale, ihren eigenen Forderungen nach Menschenrechten und Demokratie auch Taten folgen zu lassen. Ein wichtiger Schritt dafür wäre zunächst, wirksame legale Einreisemöglichkeiten nach Deutschland zu schaffen. Denn trotz Gewaltkonflikt und politischer Verfolgung wird das bestehende Recht auf Asyl derzeit nicht eingehalten. Um das Potential der hier bereits lebenden Diaspora zu nutzen, die organisiert, politisch aktiv und involviert ist und vom kamerunischen Staat seit jeher mit Skepsis betrachtet wird, könnte die Bundesregierung Dialogplattformen unterstützen, die zur Entwicklung friedlicher Konfliktlösungen und Ideen für die kamerunische Zukunft beitragen könnten. Es gibt bereits unzählige Vereine und Initiativen: Dieses Potential gilt es zu nutzen und den Raum für Austausch zu schaffen. 4. Konfliktursachen angehen: Europäische Lösungen für wirtschaftliche Teilhabe schaffen Eine weitere Maßnahme für die nachhaltige Konfliktursachenbekämpfung wäre stärkere wirtschaftliche Teilhabe im internationalen Handel, die kamerunischen Bürgern zu Gute kommt. Unbenommen des Konflikts verfolgt die Regierung in Kamerun das Ziel, bis 2035 zu einem Schwellenland zu werden, was massive Investitionen in Infrastruktur und Energiesicherheit nach sich zieht. Ob das gelingt, ist fraglich, da Kamerun als einziges zentralafrikanisches Land 2014 das EU-„Economic Partnership Programm“ (EPA) ratifizierte: Dieses birgt die Gefahr, Armut und Perspektivlosigkeit zu verschärfen, weil es den Aufschwung im Bereich der Agrarwirtschaft und Kleinindustrie gefährden könnte. Zwar erhofft sich die kamerunische Regierung, dass die Wirtschaft wettbewerbsfähig genug sein wird, um von dem Abkommen zu profitieren. Viele kamerunische NGOs sehen das aber nicht so und kritisieren, dass subventionierte Agrarprodukte aus der EU, wie etwa das bekannte EU-Hühnchen, in Kamerun sehr viel billiger seien als eigene Produkte, weil kamerunische Bauern nicht subventioniert werden. Deutschland sollte sich für eine weniger restriktive Wettbewerbspolitik (z.B. durch Ermöglichung von quantitativen Beschränkungen) oder die komplette Aussetzung des Abkommens einsetzen, damit Armut und Perspektivlosigkeit nicht Konfliktursachen bleiben. 5. Informationen und internationale Aufmerksamkeit erhöhen Zuletzt ist die Informationsgewinnung und internationale Aufmerksamkeit für die Konfliktregelung von großer Bedeutung. Die Reise der parlamentarischen Gruppe um Ottmar von Holtz ist dafür ein guter Auftakt. Denn zu wenig ist aus den anglophonen Provinzen bekannt. Nun müssen diese Erfahrungen Eingang in die Beschlüsse des Bundestags finden, das bestehende Potential und Möglichkeitsräume genutzt und eine nachhaltige Konfliktlösung angestrebt werden. Dabei müssen wir in Deutschland Zuhause beginnen: Mit der Aufarbeitung der eigenen kolonialen Vergangenheit. Denn nur dann kann Deutschland zu einer nachhaltigen globalen Friedenssicherung und gerechteren Nord-Süd-Beziehungen beitragen. Mit einem Engagement für Kamerun könnte sich die Bundesregierung nicht nur in ziviler und nachhaltiger Konfliktlösung engagieren, sondern auch zeigen, dass die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit ein wichtiger Pfeiler für friedliche internationale Zusammenhänge ist. Debatten Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern Prioritäten bis 2021 Sub-Sahara Afrika Frieden & Sicherheit Maria Ketzmerick Dr. Maria Ketzmerick ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung an der Philipps-Universität Marburg.
Artikel Die brennende Lunte nicht ignorieren: Ein Reisebericht aus Kamerun Kamerun steht am Rande eines Bürgerkriegs. Der “Unterausschuss zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ des Bundestages fuhr unter Leitung seines Vorsitzenden, dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Ottmar von Holtz, Anfang Dezember in das zentralafrikanische Land und suchte nach Wegen, wie Deutschland sich für eine friedliche Bearbeitung des komplexen Konflikts einsetzen kann. Ottmar von Holtz • 20. März 2019
Artikel Making Power-Sharing Work: The Role of Mediation While the promise of power-sharing is often necessary to reach peace agreements, power-sharing institutions are unlikely to function effectively in post-conflict settings. Mediation can help making power-sharing work – if it improves inter-elite relationships, addresses issues unresolved in peace agreements, and provides a framework for local conflict resolution. Alexandre Raffoul • 15 May 2019
Artikel A New French Crisis Prevention Strategy Against Fragilization Through its newly adopted strategy “Prevention, Resilience and Sustainable Peace”, France renewed its efforts to address root causes of fragilization around the world. Sharing many similarities with the German guidelines, this new approach provides opportunities for deeper synergies and more comprehensive and cross-cutting actions at all levels. French Ministry for Europe and Foreign Affairs • 21 February 2019