Frieden ist langweilig? Von wegen!

29. Oktober 2019   ·   Michael Gleich

Der Erfolg der Initiative Peace Counts zeigt, dass Reportagen über Friedensstifter*innen in Konfliktregionen auf großes Interesse stoßen. Wichtig beim „konstruktiven Journalismus“ sind kritische und unabhängige Recherchen, gutes Storytelling sowie die Zusammenarbeit mit Experten. Die Bundesregierung sollte dieses Konzept stärken.

Seit 2002 berichten wir, ein Netzwerk von Journalist*innen und Fotograf*innen, über erfolgreiche Friedensstifter*innen in Konfliktregionen. Bei Diskussionen über Peace Counts haben wir festgestellt, dass in der breiten Bevölkerung in Deutschland, das heißt bei Menschen, die sich nicht eingehend mit dem Thema beschäftigen, ein fataler Irrglaube herrscht. Er lautet: „Wenn die Waffen schweigen, dann herrscht Frieden.“

Nach dem Friedensvertrag fängt die eigentliche Arbeit erst an

Auch bei Entscheidungsträger*innen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft herrscht diese Sichtweise zu häufig vor. Dass mit einem Waffenstillstand oder Friedensvertrag die eigentliche Arbeit erst anfängt, ist vielen unbekannt. Dabei stehen nach einem Friedensschluss sehr konkrete Aktivitäten an: Heilung von Kriegstraumata, individuell und kollektiv; Reintegration von Kindersoldaten in die Dörfer; neue Jobs für Ex-Kombattanten; Versöhnungsdialoge; Einübung von gewaltfreier Kommunikation; Wiederherstellung von Gerechtigkeit durch Täter-Opfer-Ausgleich und vieles, vieles mehr. Der Weg zum so genannten „positiven Frieden“, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg, bedeutet harte Arbeit. Dies nicht zu wissen, ist aus meiner Sicht ein wichtiger Grund dafür, dass lokale Friedensmacher*innen und ihre Organisationen immer noch nicht die Unterstützung von uns bekommen, die sie bräuchten.

Selbst Journalist*innen, also Angehörige der so genannten Info-Elite, unterliegen dieser falschen Einschätzung. Als wir Redaktionen, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiteten, von dem Plan einer Serie über „Erfolgreiche Friedensmacher“ berichteten, kam von zwei Chefredakteuren die Antwort: „Frieden? Ist doch langweilig. Was wollen Sie denn da erzählen?“

Wer vom Frieden zu erzählen weiß, dem hören die Leute zu

Wir haben uns von dieser Haltung nicht entmutigen lassen, ein gemeinnütziges Unternehmen gegründet und sind mittlerweile in 65 Krisenregionen weltweit gereist, um die Arbeit von charismatischen, mutigen und wirkungsvollen Peacebuildern zu dokumentieren. Ihre Methoden und Strategien, Erfolge und Rückschläge, ihre Visionen und die kleinen Schritte der Umsetzung. Und siehe da: Die Reportagen, die wir mitbrachten, sind alles andere als langweilig, und sie wurden auch von jenen Chefredakteuren abgedruckt, die anfangs so skeptisch gewesen waren.

Unsere Dokumentationen richteten sich nicht an kleine Nischenmedien, sondern waren von Anfang an für große, reichweitenstarke Publikationen gemacht. Sie wurden in Magazinen wie Stern, brand eins und Fokus, in Tageszeitungen wie Süddeutsche, Frankfurter Rundschau und Neue Zürcher Zeitung, im Web von Fokus Online und Huffington Post sowie im Radio u.a. vom WDR veröffentlicht, mit dem wir 18 Folgen à 30 Minuten unter dem Titel „Frieden zählt“ produzierten.

Kritische Recherche, Gutes Storytelling, Zusammenarbeit mit Experten

Doch wie erklärt sich dieser Erfolg? Was lässt sich davon für die Kommunikation zu Krisen und Konflikten lernen – auch für die Bundesregierung? Hier einige Thesen, warum die Berichterstattung von Peace Counts hohe Auflagen und Quoten erzielt haben:

  1. Unabhängiger Journalismus: Unsere Dokumentationen beruhen auf unabhängiger; kritischer Recherche. Wir fragen nach der tatsächlichen Wirkung auf den Friedensprozess. Das heißt umgekehrt, dass wir keine Public Relation für Projekte von NGOs sind. Wir recherchieren und fragen kritisch nach, um „gut gemeint“ von „gut gemacht“ zu unterscheiden. Diese Praxis und Reputation ist der Schlüssel dafür, dass Peace Counts und die von uns produzierten Beiträge von Chefredakteuren akzeptiert und veröffentlicht werden.
  2. Hohe Qualität: Wir beschäftigen professionelle Reporter*innen und Fotograf*innen mit langjähriger Erfahrung, denn wir streben bei Texten, Fotos, Filmen und Radiobeiträge ein hohes Niveau an, mit dem die Beiträge auch mit den „lauten“ Themen aus Krisenregionen konkurrieren können, die normalerweise die Berichterstattung dominieren.
  3. Gutes Storytelling: Menschen wollen interessante Menschen kennenlernen, das ist eine anthropologische Konstante, zu allen Zeiten, in allen Kulturen. Deshalb kombinieren wir Stilmittel der Personalisierung (spannende Biografien von Friedensstifter*innen) mit der Analyse von Strukturen und Strategien.
  4. Reportage als journalistische Form: Sie ist besonders gut geeignet, zwischen Ebenen abzuwechseln, vom Speziellen (etwa einer Persönlichkeitsschilderung) auf das Allgemeine (beispielsweise eine Methode der Friedensarbeit) zu kommen.
  5. Faszination statt Moral: Die Fähigkeit guter Reporter*innen ist es, spannende und fesselnde Geschichten zu erzählen. Sie sind gewohnt, komplexe Zusammenhänge einfach und (laien-)verständlich zu vermitteln. Dadurch schaffen sie es, Interesse für das Geschehen in Krisenregionen zu wecken. Das ist viel wirkungsvoller als moralische Appelle, man solle sich gefälligst für den Weltfrieden interessieren.
  6. Zusammenarbeit mit Friedens-und Konfliktforscher*innen: Da wir an Best Practices in der Friedensarbeit interessiert sind, lassen wir die Peace Counts und die Auswahl von Protagonist*innen auch von Expert*innen beraten, die durch ihre Forschungen vertiefte Kenntnis in der jeweiligen Krisenregion haben. Diese Kooperation hat über die Jahre unsere eigene Sachkompetenz erhöht und auch dazu geführt, dass unsere Initiative in der deutschen Zivilgesellschaft hohe Akzeptanz erfährt. Unter anderem wurden wir mit dem Sievershäuser Friedenspreis und dem Peter-Becker-Preis für Friedens- und Konfliktforschung ausgezeichnet.   

Die Menschen sind es leid, nur noch von Kriegen zu erfahren

So berichteten wir über zwei ex-Milizionäre aus Nigeria, heute Pastor Wuye und Imam Ashafa, die sich in jungen Jahren Fürchterliches angetan hatten; sie fanden in einem schmerzhaften, inneren Versöhnungsprozess zusammen und leiten heute eine interreligiöse Organisation, die erfolgreich zwischen Christen und Muslimen vermittelt und wertvolle Präventionsarbeit gegen die Radikalisierung im Norden des Landes leistet. Wir begleiteten den Menschenrechtsanwalt Babloo Loitongbam in Nordostindien, der es mit seiner Organisation schaffte, ein Sonderermächtigungsgesetz für die Armee zu kippen, das tausenden Unschuldigen das Leben gekostet hatte. Eine seiner Mitstreiterinnen ging dafür sogar in den längsten Hungerstreik der Geschichte: Sie nahm 15 Jahre nichts zu sich und wurde im Polizeigewahrsam künstlich ernährt. Der Ruander Dieudonné Munyankiko bringt Tutsis und Hutus zusammen und schafft es mit einer Mischung aus traditioneller Streitschlichtung und modernen Methoden des Täter-Opfer-Ausgleichs, dass die Menschen das Trauma des Genozids von 1994 verarbeiten und in den Dörfern wieder zusammenleben können. In Sri Lanka nutzt Dishani Jayaweera das Medium Fotografie, um junge Tamilen, Singhalesen und Muslime, die nach einem der längsten und blutigsten Bürgerkriege der Welt hermetisch getrennt leben, in Dialoge miteinander zu bringen.

Die positive Resonanz, die Peace Counts-Reportagen auch bei Leser- und Hörer*innen erzielten, hängt sicher auch mit einer wachsenden Sehnsucht des Publikums zusammen, nicht mehr nur von negativen, bedrohlichen Nachrichten bombardiert zu werden. Die Mediennutzer*innen sind es leid, nur noch von Kriegen, Krankheiten und Katastrophen zu erfahren. Sie wollen, das ist durch Umfragen belegt, auch wissen, wer mit welchen Erfolgsaussichten an Lösungen arbeitet. Wir haben mit unserer gemeinnützigen Culture Counts Foundation das innovative Konzept des „konstruktiven Journalismus“ in Deutschland bekannt gemacht und weiterentwickelt. Die Berichterstattung über Friedenslösungen ist Teil dieser Arbeit.

Das Konzept des „konstruktiven Journalismus“ in Post-Konflikt-Ländern vermitteln

Dieses Konzept ist als Bestandteil von unabhängigem Qualitätsjournalismus auch für die Medien in Krisenregionen wichtig. Wir machen bei Trainings in Ländern wie Sri Lanka, Elfenbeinküste, Kolumbien und auf dem Balkan die Erfahrung, dass insbesondere junge Journalist*innen begierig danach sind, eine verantwortliche Rolle in der Gesellschaft zu spielen und – neben dem investigativen, problemorientierten Journalismus – auch Lösungen für gesellschaftliche Missstände zu recherchieren. Für sie scheint das auch ein Ausweg zu sein: Weg von der Orientierung an parteipolitischen Polaritäten und Konfliktlinien, hin zu Sachthemen und einer Orientierung am gesellschaftlichen Gemeinwohl.

Die Bundesregierung könnte Trainings fördern, die vor allem praktisch orientiert sind, das heißt dass die Teilnehmer*innen Berichte und Reportagen produzieren, deren Fokus Lösungen sozialer Probleme in ihrem Land sind. Ich habe gerade ein solches Programm in der Elfenbeinküste durchgeführt, mit dem Partner Studio Mozaik – l’Ecole des medias. Es zeigt sich dabei, dass der größte Lernerfolg darin besteht, wenn die örtlichen Kolleg*innen selbst losgehen und über relevante Themen konstruktiv berichten: Lösungen für Landnutzungskonflikte; Integration von Behinderten; Strategien gegen Hatespeech in Social Media; Ansätze für nachhaltiges Wirtschaften und vieles mehr. Außerdem könnte die Bundesregierung gezielt Patenschaften fördern zwischen deutschen Medien, die bereits konstruktive Formate pflegen, mit Medien in Post-Konflikt-Ländern, die dies verstärkt tun wollen und dabei Unterstützung brauchen.

Nach 17 Jahren Peace Counts können wir kaum von einem „Erfolg auf ganzer Linie“ sprechen. Ich komme auf meine Anfangsthese zurück: Noch hat sich in der Gesellschaft die Erkenntnis nicht durchgesetzt, dass lokale zivilgesellschaftliche Initiativen, Organisationen und Persönlichkeiten in Krisenregionen eine zentrale Rolle im Friedensaufbau spielen. Dass sie eine Arbeit machen, die niemand von uns (aus dem globalen Norden) machen könnte, weil die Verwurzelung und Vernetzung in den jeweiligen Ländern eine unabdingbare Voraussetzung erfolgreicher dauerhafter Friedenarbeit ist. Und dass sie mit ihrem Engagement ein hohes Risiko eingehen, bis hin zu Todesdrohungen.

Finanzierung darf die journalistische Unabhängigkeit nicht gefährden

Daraus ziehe ich den Schluss, dass es weiterhin journalistische Initiativen (im Gegensatz zu Public Relation-Kampagnen) braucht, die sich der Friedensarbeit zivilgesellschaftlicher Akteure widmen und sie kritisch-konstruktiv begleiten. Solcher Qualitätsjournalismus braucht Zeit, die Recherchen sind aufwändig und unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen in der Medienlandschaft nicht mehr mit herkömmlichen Modellen finanzierbar.

Eine solche Berichterstattung, die auf aufwändigen Recherchen vor Ort beruht, braucht zusätzliche Unterstützung, sowohl durch Stiftungen als auch durch die öffentliche Hand. Direkte Finanzierung von Recherchen und Publikationen durch staatliche Institutionen wäre jedoch kontraproduktiv. Dadurch wären die journalistische Unabhängigkeit und damit die Akzeptanz von Berichten in Redaktionen gefährdet. Viel sinnvoller wäre es, gemeinnützige Organisationen und Stiftungen in diesem Bereich zu fördern und ihnen die Möglichkeit zu bieten, sowohl Weiterbildungen im konstruktiven (Qualitäts-)Journalismus in Krisenregionen anzubieten als auch selbst aufwändige Recherchen zu Lösungen von Konflikten durchzuführen. Hierfür geeignet halte ich das Modell eines Förderfonds für Recherchen, das von einer unabhängigen Stiftung verwaltet wird. Es ist hierbei jedoch wichtig, den beteiligten Reporter*innen und Fotograf*innen möglichst große Freiheiten einzuräumen, was die Auswahl und Umsetzung der Themen angeht. Denn sie wissen am besten, wie man ein großes Publikum begeistert.

Stabilisierung Zivilgesellschaft Kommunikation

Michael Gleich

Michael Gleich ist Journalist, Moderator und Social Entrepreneur. Mit der gemeinnützigen Culture Counts Foundation fördert konstruktiven Journalismus in Deutschland und in Krisenregionen und hat den Global Peacebuilders Summit initiiert, der seit 2016 jährlich stattfindet.