COVID-19 im südlichen und westlichen Afrika: Zeit für Krisenprävention

29. Juni 2020   ·   Melanie Müller, Judith Vorrath

Fragile Staaten außerhalb des sogenannten afrikanischen Krisenbogens erhalten in Zeiten von COVID-19 noch weniger Aufmerksamkeit. Dabei ist gerade jetzt die Krisenprävention im südlichen und westlichen Afrika wichtig. Die Bundesregierung sollte dafür mehr Mittel zur Verfügung stellen, einen Schuldenerlass unterstützen und gezielt regionale Kooperation fördern.

Kaum ein Land war ausreichend auf die Corona-Pandemie vorbereitet. Wirtschaftliche, soziale und politische Folgen treten weltweit auf. Doch einige Staaten werden sie besonders treffen – darunter wahrscheinlich auch  afrikanische. Bislang richtet sich die ohnehin eingeschränkte internationale Aufmerksamkeit auf die extrem fragilen Staaten mit anhaltenden Gewaltkonflikten und hoher Instabilität, beispielsweise Somalia, Süd-Sudan oder Mali. In Krisenregionen bestehen besondere Herausforderungen bei einer weiteren Ausbreitung von COVID-19. Der Chef des Welternährungsprogramms warnte schon im April vor einer dort drohenden “Hungerpandemie“.  

Weniger Aufmerksamkeit finden dagegen fragile Staaten im westlichen und südlichen Afrika, die außerhalb des sogenannten afrikanischen Krisenbogens liegen – zu dem, oft etwas diffus, instabile und von Terrorismus betroffene Staaten vom Horn über die Tschadseeregion bis in die Sahelzone gezählt werden. Bislang erscheint die Sicherheitslage in diesen Ländern relativ stabil. Doch im Sinne substanzieller Prävention lohnt ein genauerer Blick.  

Auch jenseits des „Krisenbogens“ ist die Lage für fragile Staaten kritisch

Viele sehr düstere Szenarien für die Folgen von COVID-19 in Afrika haben sich bislang nicht bewahrheitet. Das darf jedoch nicht über die angespannte Situation in einigen Ländern hinwegtäuschen. Staaten wie Mosambik oder Simbabwe im südlichen Afrika und Guinea, Liberia und Sierra Leone in Westafrika mögen in den gängigen Indices nicht als extrem fragil gelten. Doch ein Blick auf verschiedene Indikatoren zeigt, dass die Ausgangslage vor der Pandemie bereits sehr kritisch war. Gemeinsam sind diesen Ländern eine schwierige wirtschaftliche Situation, starker demografischer Druck und hohe Beschäftigungsanteile im informellen Sektor. Zudem trifft COVID-19 hier auf andere Faktoren, wie schwache Gesundheits- und Sozialsysteme, schlechte hygienische Bedingungen gerade in den informellen Siedlungen vieler Großstädte, und häufig hohe Infektionsraten etwa bei HIV/Aids oder Tuberkulose. Dazu fallen indirekte Folgen wie ausbleibende Rücküberweisungen von Verwandten im Ausland und Einkommensausfälle durch Ausgangssperren und Geschäftsschließungen für die Bevölkerung besonders ins Gewicht. 

Die Lage in Mosambik und Simbabwe war bereits vor der Ausbreitung von COVID-19 schwierig. Beide Staaten sind hoch verschuldet und kämpfen mit einer Wirtschafts- und Währungskrise, die die ohnehin bestehende soziale Ungleichheit weiter verstärkt haben. Die Wirbelstürme Kenneth und Itai trafen beide Staaten im Jahr 2019 hart. In Westafrika hatte die Ebola-Epidemie 2014-16 für die besonders betroffenen Staaten Guinea, Liberia und Sierra Leone massive wirtschaftliche und soziale Folgen. Sie stehen – ebenso wie die benachbarten Cȏte d’Ivoire und Guinea-Bissau – heute etwa im Ranking des Fragile States Index nicht besser da als die meisten Sahelländer. Es gibt zwar keine akuten bewaffneten Konflikte (mehr) und vom transnationalen Terrorismus in der Region sind sie – anders als etwa Burkina Faso - bislang höchstens punktuell erfasst. Doch wie auch in Mosambik und Simbabwe mangelt es an der Bereitstellung staatlicher Dienstleistungen, während der Grad an Korruption im öffentlichen Sektor weiter hoch bleibt

Bislang sind die Infektionszahlen und Todesraten bei COVID-19 in Simbabwe, Mosambik, Liberia und Sierra Leone niedrig. Eine sehr junge Bevölkerung, die schwache Anbindung an den Welthandel und internationale Reisewege haben wohl eine stärkere Ausbreitung verhindert. Durch geringe Testkapazitäten einiger Länder wird das wahre Ausmaß aber möglicherweise unterschätzt. Positiv wirkte sich sicherlich aus, dass Regierungen in den jeweiligen Ländern und auch die Zivilgesellschaft schnell reagiert haben. Liberia und Sierra Leone führten früh Gesundheitskontrollen bei Reisenden ein und riefen den landesweiten Ausnahmezustand aus. Zu Einreisebegrenzungen wie in Simbabwe und der Aussetzung von Einreisevisa in Mosambik kam es dann nach den ersten bestätigten Fällen. Schulen und Bildungseinrichtungen wurden geschlossen, in Liberia und Simbabwe wurde ein landesweiter Lockdown, in Sierra Leone und Guinea zumindest ein teilweiser angeordnet. 

Um aber indirekte bzw. sekundäre Folgen der Corona-Pandemie abzuschätzen, ist eine genauere Betrachtung der Herausforderungen in den genannten Ländern nötig. Denn neben ähnlich schwierigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen unterscheidet sich die (sicherheits)politische und gesellschaftliche Lage in den Staaten.  

Liberia: Generell stabil, doch steigende Unzufriedenheit erhöht Gewaltpotenzial 

Liberia ist dabei eines von mehreren Ländern in Westafrika, in denen bewaffnete Konflikte oder politische Krisen beigelegt wurden und sich relativ pluralistische Systeme entwickelt haben, die aber strukturell instabil bleiben. Es ist wahrscheinlich, dass die Erfahrungen mit der Ebola-Epidemie in der Region bei der Eindämmung von COVID-19 hilfreich sind. Doch die Folgen des damaligen Ausbruchs belasten beispielsweise Liberia bis heute – von der hohen Sterberate unter dem Gesundheitspersonal über die Folgen der Schulschließungen bis hin zu dem ökonomischen Schock. Seitdem hat sich der wirtschaftliche Spielraum zusätzlich durch die niedrigen Preise der Hauptsexportgüter verringert. Die sicherheitspolitische Lage im Land ist auch nach dem Abzug der VN-Mission 2018 generell stabil geblieben. Es gibt jedoch ein ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle und ein starkes Misstrauen gegenüber den politischen Eliten. Trotz des Machtwechsels in Liberia durch die Wahlen 2018 basiert das System weiterhin vor allem auf Patronage. Der zunächst populäre Präsident Weah kündigte für 2020 ein Jahr der wirtschaftlichen Erholung an, nachdem er wegen hoher Inflation, ausstehender Gehaltszahlungen und anhaltender Korruption zunehmend unter Druck geraten war.  Die ist nun in weite Ferne gerückt.

Schon vor Corona wurde ca. 90% des staatlichen Budgets für laufende Kosten ausgegeben, so dass die Regierung viele Entscheidungen und Reformen nicht umsetzen kann. Die Unzufriedenheit mit der mangelnden Steuerungsfähigkeit und Transparenz der Regierung könnte nun weiter steigen. Es kam bereits zu Protesten und teilweise zu Zusammenstößen mit Sicherheitskräften bei Pandemie-bedingten Kontrollen. Momentan ist keine politische Kraft oder Bewegung in Sicht, die massiv gegen die Regierung mobilisieren könnte. Doch lokale Gewalt gerade in der Hauptstadt Monrovia könnte sich mit zunehmenden Verteilungskonflikten und Versorgungsengpässen verstärken.  

Simbabwe: Desperate ökonomische Situation und politische Polarisierung

Daneben steht im südlichen Afrika ein Staat wie Simbabwe, wo sich die politische Lage unter den Bedingungen autoritärer Regierungsführung bereits über längere Zeit verschärft hat. Zentral für den Umgang mit der Pandemie ist vor allem die politische Polarisierung im Land zwischen der Regierungspartei ZANU-PF und der Oppositionspartei MDC Alliance. Diese hat sich seit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juli 2018 derart zugespitzt, dass es nicht einmal in Bezug auf die Corona-Krise gelingt, eine gemeinsame Linie zu finden. Selbst oppositionsnahe zivilgesellschaftliche Gruppen rufen mittlerweile zu einer Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien auf, um die schlimmsten Auswirkungen der Krisen – der Wirtschafts- und Währungskrise, einer sich immer weiter zuspitzenden Nahrungsmittelkrise und den Folgen der Pandemie – abzuwenden. Bislang sind sie damit erfolglos.  

Die desperate ökonomische Situation führt seit 2019 immer wieder zu Protesten, die sich durch eine Verschlechterung der Lage durch COVID-19 verschärfen dürften. Sollte dies eintreten, sind zwei Optionen denkbar: Eine wäre eine noch autoritärere Reaktion der ZANU-PF geführten Regierung, die die Polarisierung in Simbabwe nur weiter verstärken und bestehende strukturelle Probleme zementieren würde. Zunehmende Angriffe auf Opposition und Protestierende – insbesondere Frauen - haben neun UN-Menschenrechtsexpertinnen und –experten im Juni 2020 scharf kritisiert. Eine zweite Option ist, dass der derzeitige Präsident Emmerson Mnangagwa die Unterstützung aus den eigenen Reihen verliert. Dann wäre auch ein erneutes Eingreifen des Militärs denkbar, wie bei der Absetzung von Mugabe 2017. In beiden Fällen würde es die ohnehin vulnerable simbabwische Gesellschaft nur noch härter treffen.  

Mosambik: Verschärfte soziale Ungleichheit und intensivierte extremistische Gewalt

Mosambik hingegen hatte schon vor der Pandemie mit einer erodierenden Sicherheitslage zu kämpfen – aufgrund eines brüchigen Friedensprozesses und vor allem neuer Gewaltphänomene, verbunden mit transnationalem Extremismus. Zwar feierte das Land im August 2019 die Verabschiedung eines neuen Friedensabkommens. Doch gestaltet sich die Umsetzung als nach wie vor wackliger Elitenpakt zwischen der Regierungspartei FRELIMO und der Oppositionspartei RENAMO. Zu diesem unbeständigen Machtgefüge kommt nun die schlechte Sicherheitslage in der nördlichsten Provinz Cabo Delgado. Seit Ende 2017 überfallen dort islamistisch-fundamentalistische Gruppen – international bekannt als »Ahlu Sunna wa Jamaa« (ASWJ) oder »Ansar al‑Sunna« -  immer wieder Sicherheitskräfte und zunehmend auch zivile Ziele. Die Region verzeichnet über 1000 Todesopfer und schätzungsweise 100.000 Binnenvertriebene. In jüngerer Zeit bekennt sich der sogenannte Islamische Staat zu den Anschlägen.  

Als ein zentraler Treiber für die extremistische Gewalt gilt die massive Ungleichheit in Mosambik, die sich in einer Nord-Süd-Spaltung manifestiert. Bislang ging die Regierung mit harter Hand und unter Mithilfe von externen Sicherheitsfirmen gegen die fundamentalistischen Gruppen vor. Sie hat dadurch aber auch das ohnehin schon geringe Vertrauen der Bevölkerung beschädigt. Durch die Corona-Pandemie kommt nun ein weiterer Risikofaktor hinzu. Wahrscheinlich ist, dass sich die sozio-ökonomische Lage Mosambiks mit dem Einbruch von Handelsbeziehungen verschlechtert. Damit geht das Risiko einher, dass sich die hohe soziale Ungleichheit in Mosambik weiter verschärft und bestehende Gräben vertieft. Mittelfristig könnte dies die bereits zunehmende extremistische Gewalt weiter intensivieren und den Norden massiv destabilisieren .  

Umschichtung von ODA-Mitteln sollte nicht zu Lasten der zivilen Krisenprävention gehen  

Damit substantielle Krisenprävention greifen kann, muss sie sich an den unterschiedlichen Bedingungen der Staaten orientieren und an die Rahmenbedingungen unter Corona angepasst werden. Neben den drei beschriebenen Fällen gibt es eine Reihe von Staaten, die in der aktuellen Situation wenig Aufmerksamkeit erfahren, gleichzeitig aber durch die Auswirkungen der Pandemie an einem Scheidepunkt stehen könnten. Ihre Ausgangslage macht sie auf unterschiedliche Weise verwundbar. Ein ausgeprägtes Patronagesystem und geringe staatliche Steuerungsfähigkeit wie in Liberia, zunehmende autoritäre Tendenzen und politische Polarisierung wie in Simbabwe oder besonders starke Ungleichheit und verstärkte extremistische Gewalt wie in Mosambik brauchen andere Ansätze der Krisenprävention.  

Dabei gilt: was vor der Ausbreitung von COVID-19 relevant war, ist jetzt nicht unbedingt falsch. Die Umschichtung von Official Development Assistance (ODA)-Mitteln für Maßnahmen gegen die Pandemie sollte daher nicht zu Lasten von Bemühungen der zivilen Krisenprävention gehen, deren Mittel schon vor der Pandemie begrenzt waren. Im Gegenteil: die Mittel sollten erhöht werden. Denn gesellschaftliche Spannungen könnten sich weiter verschärfen, wie das Beispiel Simbabwe zeigt. Deshalb ist auch wichtig, dass zusätzliche Corona-Hilfen wirklich die verwundbarsten Bevölkerungsgruppen erreichen.  

Mediationsbemühungen nicht zu lange aussetzen, Schuldenerlass unterstützen

Auch sollten Bemühungen etwa im Bereich Mediation nicht zu lange ausgesetzt bzw. im Fall von Simbabwe gerade jetzt konkret unterstützt werden. Um die potenziell destabilisierenden Auswirkungen von COVID-19 systematischer in den Blick zu nehmen, sollte sich der Unterausschuss Zivile Krisenprävention gezielter mit den Auswirkungen der Pandemie befassen und dabei ein besonderes Augenmerk auf die Staaten legen, in denen ein Abrutschen in instabilere Verhältnisse droht.

Generell wichtig ist es für diese Gruppe von Staaten, Mechanismen zu unterstützen, die die sozioökonomischen Folgen der Krise in vielen Staaten eindämmen können – nicht nur kurz- sondern auch mittelfristig. Für einen Schuldenerlass haben sich der Vorsitzende der AU-Kommission, Moussa Faki Mahamat und verschiedene Staats- und Regierungschefs eingesetzt. Der IMF hat bereits im April einen unmittelbaren Schuldenerlass für 25 afrikanische Länder angekündigt, dazu gehören auch Mosambik und Liberia. Im Pariser Club steht eine Entscheidung über weitere Entschuldungen noch aus. Deutschland und die EU könnten durch Unterstützung signalisieren, dass sie auf die Forderungen der afrikanischen Partner zugehen.  

Mindestens genauso wichtig ist, wie Mittel in den Ländern so eingesetzt werden, dass sie Ungleichheit reduzieren. Es wird also nicht nur weitere Finanzierungsquellen ankommen, sondern auch auf die richtige Verteilung in den Regionen und Ländern. Schwächeren Staaten helfen zusätzliche Fonds oder Programme unter Umständen wenig, wenn sie nicht auf ihre konkreten Bedürfnisse und die geringen Kapazitäten ihrer nationalen Strukturen zugeschnitten sind. Die Weltbank schätzt zudem den Rückgang der Rücküberweisungen (Remittances) in Subsahara-Afrika auf 23 Prozent. Daher sollten in Ländern wie Simbabwe, die besonders stark von Rücküberweisungen abhängig sind, betroffene Bevölkerungsteile unterstützt werden.  

Regionalorganisationen gezielt fördern

Die drei beschriebenen Fälle zeigen eine Bandbreite an fragilen Kontexten jenseits des „Krisenbogens“ in denen die Folgen der Corona-Pandemie gravierend sein können. Hier anzusetzen, kann ein substanzieller Beitrag zu Krisenprävention sein. Wichtig ist zunächst die regionale Kooperation, zumal eine Destabilisierung einzelner Länder unweigerlich Auswirkungen auf die jeweilige Region hätte. Für eine Eindämmung von COVID-19 und um die wirtschaftlichen Folgen aufzufangen, sind die Regionalorganisationen – die AU und ihre Subregionalorganisationen - essentiell.  

Die AU geht bislang für manche überraschend koordiniert vor beim Umgang mit der Pandemie und ihren Folgen. Mit den Africa Centres for Disease Control (Africa CDC) verfügt sie seit 2013 über eine wichtige Institution, die schnell auf die Herausforderungen unter COVID-19 reagieren konnte. Das Africa CDC veröffentlichte regelmäßige Orientierungshilfen für afrikanische Staaten im Umgang mit der Pandemie. Als Dachorganisation mit regionalen Vertretungen ist das CDC eine wichtige Schaltstelle, die westliche Staaten und die EU weiter fördern sollten. Die deutsche Bundesregierung unterstützt zudem bereits die WAHO (West African Health Organisation for the ECOWAS Region) und die Southern African Development Community (SADC) direkt, etwa bei der Versorgung von Mitgliedstaaten mit medizinischer Ausrüstung. An diese Kooperation könnte angeknüpft werden, um die Regionalorganisationen mittelfristig auch bei ihrer Reaktion auf die sozioökonomischen Herausforderungen zu unterstützen.

Sub-Sahara Afrika Conflict Prevention COVID-19

Melanie Müller

Dr. Melanie Müller ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sie forscht zu politischen und sozioökonomischen Entwicklungen in Südafrika und dem südlichem Afrika/SADC sowie zu Rohstoffgovernance. @fraumueller_swp

Judith Vorrath

Judith Vorrath ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).