Weißbuch Multilateralismus: Deutsche und internationale Expertise für starke Bündnisse

11. Februar 2021   ·   Sebastian Groth

Zwischen September 2020 und Februar 2021 gaben über 30 Blogbeiträge Input und Ideen für das „Weißbuch Multilateralismus“ der Bundesregierung. Dabei sind zwei Kernbotschaften immer wieder formuliert worden: Die Notwendigkeit, sowohl in die Stärkung des bestehenden Systems zu investieren, als auch neue Wege und Partnerschaften anzubahnen.

Über 30 Blogbeiträge aus 13 Ländern und vier Kontinenten, unzählige Anregungen und spannende Vorschläge – die große Resonanz auf unseren Aufruf zu einer informierten und engagierten Debatte über die Zukunft des Multilateralismus und Deutschlands Beitrag zu dessen Stärkung hat uns sehr gefreut. Sie hat uns noch einmal vor Augen geführt, wie groß die Erwartungen an mehr Zusammenarbeit in den internationalen Beziehungen sind und welche wichtige Rolle dabei gerade der deutschen Außenpolitik zugeschrieben wird.

Das multilaterale System wird herausgefordert wie selten zuvor

Multilaterale Zusammenarbeit, so lautet ein gängiges Vorurteil, sei langwierig, elitär und ohne greifbare Ergebnisse, dabei auch häufig eurozentrisch, intransparent und fern von den „wirklichen“ Problemen der Menschen.

Die Beiträge der Expertinnen und Experten, der Mitdiskutierenden und auch der interessierten Leserinnen und Leser aus dem In- und Ausland teilen diesen Pessimismus nicht. In überwiegender Zahl haben sie vielmehr zwei Grundannahmen bestätigt, die am Beginn der Überlegungen für das deutsche „Weißbuch Multilateralismus“ standen:

Erstens war und ist das multilaterale System der Nachkriegszeit eine der Grundbedingungen für Frieden, Sicherheit, Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland und vielen anderen Teilen der Welt. Es ist heute jedoch herausgefordert wie selten zuvor – durch geopolitische Verschiebungen wie auch durch Polarisierung, Spannungen und den Wiederaufstieg des Nationalismus innerhalb unserer Gesellschaften.

Zweitens ist internationale Zusammenarbeit heute jedoch auch notwendig wie selten zuvor. Das multilaterale System ist aktuell so vielfältigen Herausforderungen und Krisen ausgesetzt wie wohl zu keinem Zeitpunkt in den über 70 Jahren seines Bestehens. Die Covid-19-Pandemie, Umweltzerstörung und menschengemachte Erderwärmung, soziale Ungleichheiten sowie die Bedrohungen unserer demokratischen Gesellschaften verstärken sich gegenseitig und lassen sich nur durch multilaterale Abstimmung und Kooperation bewältigen.

Dass diese beiden Entwicklungen – die fundamentale Herausforderung des multilateralen Systems und eine ungeahnte Bündelung globaler Krisen – heute gleichzeitig auftreten, ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. Tatsächlich sind sie eng miteinander verbunden. Der Aufstieg neuer Akteure, die weltweite Neuverteilung von Macht und Einfluss sowie die Fülle und Komplexität globaler Herausforderungen machen gemeinsame Lösungen schwieriger und schließen Kompromisse und Rückschläge nicht aus. Viele Menschen verlieren daher das Vertrauen in internationale Zusammenarbeit und solidarische Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit. Populistische Bewegungen und Parteien in aller Welt greifen diese Verunsicherung auf und machen nationalen Egoismus, Abschottung und den Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen und technischer Expertise zu ihrem Programm. Damit schwächen sie die Fähigkeit multilateraler Institutionen und Initiativen, gemeinsame Lösungen zu entwickeln, und wirken so als selbsterfüllende Prophezeiungen der mangelnden Effektivität multilateraler Politik.

Höhere Effizienz und neue Formen der Zusammenarbeit als mögliche Antworten

Eine Antwort auf diese Herausforderungen ist hier im PeaceLab-Blog in den vergangenen Monaten immer wieder genannt worden:

Multilaterale Regeln und Institutionen müssen mit der Zeit gehen und konkrete und nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart anbieten. Die Feststellung, dass die Erhöhung der Effizienz des multilateralen Systems Bedingung für dessen Zukunftsfähigkeit ist, durchzieht dabei viele der hier eingebrachten Beiträge. Effizienz in einem System freiwilliger Zusammenarbeit zu erhöhen, erfordert aber vor allem auch, dessen Legitimität zu stärken. Die Einbindung möglichst vieler relevanter Akteure – von neuen regionalen Ordnungsmächten über zivilgesellschaftliche Organisationen bis hin zu Unternehmen oder Städten und Kommunen – ist hierfür eine Voraussetzung.

Gleichzeitig erfordert Effizienz aber auch Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit. Dafür haben uns viele eine doppelte Botschaft auf den Weg gegeben: zum einen das Ziel, in die Reform und Stärkung bestehender multilateraler Organisationen, allen voran der Vereinten Nationen, zu investieren. Gleichzeitig aber müssen wir neue und kreative Wege gehen, wenn wichtige Initiativen – etwa bei der Vereinbarung ambitionierterer Klimaziele, der Stärkung und Fortentwicklung des Völkerrechts oder den Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle – zunächst nicht die notwendige allseitige Unterstützung erfahren. Informelle Freundesgruppen, projektgebundene ad-hoc-Initiativen oder freiwillige Selbstverpflichtungen williger Partner sind nur einige der immer wieder genannten Instrumente eines derart erneuerten und zeitgemäßen Multilateralismus.

Unterstützerinnen und Unterstützer der multilateralen Ordnung müssen zusätzlich dazu fähig sein, die Notwendigkeit globaler Zusammenarbeit und deren nicht vermeidbaren Zumutungen – umfangreicher Abstimmungsbedarf, Zwang zur Mehrheitsfindung, Einhaltung vereinbarter Regeln und Grundprinzipien – in einer Art und Weise zu erläutern, die verständlich ist, Argumente liefert und Bedenken ernst nimmt. Nur so können wir Zweifelnde überzeugen oder zumindest Offenheit für ein unbefangenes eigenes Urteil fördern.

Die Beiträge zu dieser Debatte haben genau das in beispielhafter Weise getan. Daher möchte ich allen Autorinnen und Autoren herzlich für ihre Bereitschaft danken, ihre Expertise bei der Vorbereitung unseres Weißbuchs Multilateralismus einzubringen und für ihre Standpunkte zu werben und zu streiten.

Viele Anregungen und Überlegungen der hier veröffentlichten Beiträge werden sich im Weißbuch Multilateralismus wiederfinden. Denn schon jetzt ist klar: Diese Debatte hat unser Nachdenken über Gegenwart und Zukunft des Multilateralismus erheblich bereichert, viele neue Fragen aufgeworfen und wertvolle Anstöße geliefert. Das Weißbuch Multilateralismus wird dabei ein wichtiger Startpunkt für eine uns weiter begleitende Diskussion darüber sein, wie die Bundesregierung ihre internationale Zusammenarbeit gestalten will und soll. Wir setzen darauf, dass Sie sich an dieser Diskussion weiter rege beteiligen werden.

Vereinte Nationen Partner Multilateralismus

Sebastian Groth

Sebastian Groth ist Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt. @planungsstab