Ein Weißbuch Multilateralismus

09. September 2020   ·   Niels Annen

Das Auswärtige Amt wird in den kommenden Monaten federführend für die Bundesregierung das erste Weißbuch Multilateralismus erarbeiten. Wie bereits bei den „Krisenleitlinien“ sind auch hier Zivilgesellschaft und Fachleute herzlich eingeladen, diesen Prozess mit Beiträgen auf dem PeaceLab-Blog zu begleiten, zu unterstützen und zu inspirieren.

Deutschlands Wohlstand, seine Sicherheit und seine außenpolitische Handlungsfähigkeit hängen seit der Gründung der Bundesrepublik von unserer Einbindung in Bündnisse, multilaterale Organisationen und internationale Vereinbarungen ab: Das internationale Völkerrecht verleiht der globalen Ordnung ein verbindliches Regelwerk. In der Europäischen Union, ein gemeinsamer Raum der Freiheit und des Rechts, teilt sich Deutschland die Souveränität mit 27 anderen Mitgliedstaaten. In der NATO organisieren wir seit vielen Jahrzehnten unsere Sicherheit gemeinsam mit unseren Verbündeten.

Deutschland braucht eine Welt mit klugen Regeln und einem verlässlichen Miteinander

Auch der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands als Exportnation benötigt eine stabile Ordnung. Freie und sichere Handelswege sind daher ebenso wichtig wie gegenseitig verbindliche Regeln. Internationale Stabilität erwächst nicht aus Egoismus oder dem Streben nach dem eigenen, kurzfristigen Vorteil. Solidarität und Chancengleichheit sind wesentliche Aspekte einer als gerecht empfundenen Ordnung zwischen großen und kleinen, mächtigen und weniger mächtigen Staaten. Mit anderen Worten: Deutschland braucht eine Welt mit klugen Regeln und einem verlässlichen Miteinander, damit es uns langfristig gut geht. Ob bei Krisen und Konflikten, Armut und Migration, bei Krankheiten und Pandemien, den Folgen der Erderwärmung oder der Verschmutzung der Meere, irgendwann bekommen wir die Auswirkungen zu spüren – wenn nicht früher, dann später. Die Covid-19-Pandemie hat uns dies in aller Deutlichkeit vor Augen geführt.

Solch ein normatives Verständnis internationaler Ordnung steht seit einigen Jahren unter massivem Druck. Einige Akteure setzen verstärkt auf Machtpolitik und untergraben die Idee einer regelbasierten Ordnung; andere wiederum versuchen die Regeln einseitig zu ihrem Vorteil zu ändern. Alle setzen dabei auf das vermeintliche Recht des Stärkeren. Gleichzeitig wächst in vielen Gesellschaften, auch in manchen westlichen, die Kritik an einer scheinbar ineffizienten internationalen Zusammenarbeit. Es mehren sich die Stimmen, die diese als zu kostspielig ablehnen und so tun, als ob sich globale Probleme wie der Klimawandel, Migration und Cybersicherheit innerhalb nationaler Grenzen in den Griff bekommen lassen. Das Resultat von Großmachtwettbewerb und wachsendem Nationalismus wäre aber eine zunehmend zersplitterte Weltordnung ­– politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Dem will Deutschland entgegenwirken.

Multilateralismus ist ein Gesamtansatz der Bundesregierung

In der deutschen Sicherheitsstrategie, dem „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ von 2016, wurde Deutschlands Verantwortung unterstrichen, die globale Ordnung entsprechend unserer Kräfte aktiv mitzugestalten. Deshalb wird Deutschland sich dem Trend zur Demontage der internationalen Ordnung entgegenstellen; nicht allein – das hätte zu wenig Gewicht – sondern gemeinsam mit seinen Partnern; allen voran mit der EU und ihren Mitgliedstaaten.

Das Weißbuch Multilateralismus soll daher ein Bekenntnis zu einem aktiven Multilateralismus werden, den wir gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern in Europa und der Welt verfolgen und gestalten wollen. Es soll zeigen, warum und wie Deutschland mehr als je zuvor bereit ist in den Multilateralismus zu investieren. Deutschland wird deutlich machen, wie es multilaterale Institutionen und Organisationen aktiv stärken und weiterentwickeln will. Wie es mithelfen will, sie zu reformieren und zu verbessern, wo dies nötig ist. Und wir wollen, wie mit der Allianz für den Multilateralismus, neue Wege zur Bearbeitung jener Herausforderungen finden, die derzeit nicht ausreichend von Regelsystemen erfasst sind; der Cyberraum ist hierfür ein Beispiel.

Das Auswärtige Amt wirkt in zahlreichen internationalen Foren und Konstellationen für einen wertegeleiteten Multilateralismus, der die internationale Ordnung und die Menschenrechte stützt und stärkt. In Themenfeldern ihrer Verantwortung tun dies ebenso die anderen Ressorts der Bundesregierung; zum Beispiel in den Feldern Klima, Gesundheit, Arbeit und soziale Teilhabe oder wirtschaftliche Zusammenarbeit. Multilateralismus ist daher ein Gesamtansatz der Bundesregierung und dies soll im Weißbuch Multilateralismus deutlich werden.

Die Bundesregierung ist auf die Ideen und den Rat von Expertinnen und Experten angewiesen

Auswärtige Politik wird heute aber nicht mehr nur in Ministerien oder internationalen Gremien gemacht, sondern von vielen Akteuren aus dem staatlichen wie dem nicht-staatlichen Bereich gestaltet. In einer Demokratie ist die Mehrheitsfähigkeit von Außenpolitik wichtig für ihren langfristigen Erfolg. Wenn deutsche multilaterale Außenpolitik daher ein Modell auch für die kommenden Jahre und Jahrzehnte sein soll, dann muss sie weiterhin von der Mehrheit der deutschen Gesellschaft mitgetragen werden. Nur auf dieser Grundlage können wir in der Welt für die Zukunft des Multilateralismus werben und aktiv werden. Eine Umfrage vom April 2019, nach der die Deutschen unsere kooperative Außenpolitik mehrheitlich unterstützen, aber viele mit dem Begriff Multilateralismus wenig anfangen können – war daher nicht nur Bestätigung sondern auch Weckruf. Das Weißbuch Multilateralismus setzt hier an, auch als Dialogangebot darüber, wie wir gemeinsam Deutschlands Rolle in der Welt gestalten wollen.

Angewiesen sind wir als Bundesregierung vor allem auf die vielen ausgewiesenen nationalen wie internationalen Expertinnen und Experten, die uns Ideen und Rat geben, wo und wie sich Deutschland besonders effektiv für die regelbasierte Ordnung einsetzen kann, wo neue Wege zu gehen oder Prioritäten zu setzen sind. Sie alle sind herzlich eingeladen, sich im Rahmen dieses Blogs an der Diskussion zu beteiligen, wir freuen uns auf Ihre Beiträge.