Mit mehr Mitteln für Prävention den Primat der zivilen Ansätze stärken

21. Juli 2016   ·   Martina Fischer

Die Diskussion um die neuen Leitlinien sollte möglichst viele Ministerien einbinden, um sie für ein friedenspolitisches Leitbild zu gewinnen. Angesichts eines eklatanten Missverhältnisses zwischen den Ausgaben für militärische und zivile Mittel braucht es nicht zuletzt ein klares Bekenntnis zu zivilen Instrumenten im Titel.

Der „Aktionsplan zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ (2004) war das Ergebnis einer parteiübergreifenden Initiative von Parlamentarier/innen, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Ministerialbeamten, die sich für den Aufbau einer „Infrastruktur für zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung“ in Deutschland engagierten. Er präsentierte eine umfassende Bestandsaufnahme mit 161 Empfehlungen zur weiteren Politikentwicklung. Aktivitäten in den unterschiedlichen Handlungsfeldern konnten fortan in Berichten für den Bundestag dokumentiert und überprüft werden. Zivilgesellschaftliche Expert/innen haben in der Folge allerdings mit Recht bemängelt, dass das Regierungshandeln im Hinblick auf Ressortkohärenz und öffentliche Sichtbarkeit zu wünschen übrig lässt. Einige (u.a. auch die Autorin dieses Beitrags) haben ein friedenspolitisches Leitbild gefordert, von dem die Strategien der Ressorts abgeleitet werden können. Die Erstellung eines neuen Leitlinienpapiers eröffnet dafür Chancen und bietet zugleich die Möglichkeit, veränderte globale Herausforderungen zu diskutieren.

Globale Herausforderungen ursachenorientiert angehen

In den 1990er Jahren ging die Zahl der bewaffneten Konflikte zurück, u.a. dank des Engagements der Vereinten Nationen und ihrer Regionalorganisationen. In den 2000er Jahren änderte sich der Trend. Inzwischen ist wieder eine Zunahme von Gewaltkonflikten zu verzeichnen. Kriegsursachenforscher sehen nicht nur terroristische Aktivitäten, sondern auch die Auswirkungen des „Kriegs gegen den Terror“ als relevante Faktoren. Die westlichen Militärinterventionen haben also ihren Teil zu der Gewaltspirale beigetragen. Gleichzeitig stehen wir vor Machtverschiebungen im internationalen System, die auch zwischenstaatliche Spannungen und Gewalteskalation wieder wahrscheinlicher werden lassen.

Es gilt – gemeinsam mit der Friedensforschung und im Dialog mit der Zivilgesellschaft - die Ursachen systematisch zu analysieren, um angemessene Strategien zu entwickeln. Eine zentrale Aufgabe besteht darin zu verdeutlichen, dass sich terroristische Gewalt letztlich nicht erfolgreich mit militärischer Gegengewalt eindämmen lässt, sondern dass die Ursachen bearbeitet werden müssen, die Menschen motivieren, sich extremistischen Netzwerken anzuschließen. Auch die weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen, auf die vorwiegend mit Abwehrmaßnahmen reagiert wird, müssen ursachenorientiert angegangen werden. All diese Herausforderungen lassen sich nur multilateral, gemeinsam mit den Vereinten Nationen und ihren Mitgliedstaaten bewältigen.

Normen und Werte für deutsche Friedenspolitik festschreiben

Vor allem sollte das neue Leitlinienpapier Normen und Werte verbindlich fixieren. Es sollte explizit auf die im Grundgesetz enthaltene Verpflichtung „… dem Frieden in der Welt zu dienen“ Bezug nehmen und die grundlegenden Werte beschreiben, an denen sich deutsche Friedenspolitik orientieren soll:

  • dass Frieden auf Gerechtigkeit gegründet sein muss;
  • dass Frieden und Sicherheit an die Wahrung der Menschenrechte geknüpft sind;
  • dass das globale Handeln mit dem Völkerrecht vereinbar sein muss; 
  • dass man die Vereinten Nationen und multilaterale Formen der Friedenssicherung maßgeblich unterstützen wird (Ausbau der Instrumente der Krisenfrüherkennung der Vereinten Nationen und auch der Europäischen Union);
  • dass man die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) stärken wird, die große Verdienste in der Konfliktprävention bei der Loslösung der baltischen Staaten von der ehemaligen Sowjetunion und in Osteuropa aufzuweisen hat, und auch in der Ukraine-Krise deeskalierende Maßnahmen eingeleitet und die Kontrahenten ins Gespräch gebracht hat;
  • dass Deutschland angesichts des heraufziehenden neuen Ost-Westkonflikts eine ausgleichende Rolle einnehmen und Erfahrungen mit Konzepten der „gemeinsamen Sicherheit“ vermitteln wird, um seine Bündnispartner davon zu überzeugen, dass Sicherheit in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland zu haben ist, und dass erfolgreiche Friedensprozesse davon abhängen, ob es gelingt, alle Konfliktbeteiligten an einen Tisch zu holen - man muss mit allen reden, auch wenn es sich um schwierige Akteure handelt;
  • dass die Instrumente für zivile Krisenprävention und Friedensförderung (s.o.), die in den vergangenen Jahrzehnten hierzulande mit Expert/innen aus NRO und Wissenschaft etabliert wurden, konsequent weiter auszubauen sind (dazu gehört, die Mittel für den Zivilen Friedensdienst, die AG Frieden und Entwicklung, die Fördereinrichtung ZIVIK beim Institut für Auslandsbeziehungen und das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze weiterhin sukzessive zu erhöhen und auch die bislang chronisch unterfinanzierte Deutsche Stiftung Friedensforschung mit dem erforderlichen Grundkapital auszustatten); zusätzlich müssten unbürokratische Förderinstrumente für die Stärkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten in Krisenregionen konzipiert werden;
  • dass man ressortübergreifende Kohärenz über das bisherige Maß hinaus anstrebt um sicherzustellen, dass friedensfördernde Maßnahmen in der Entwicklungs- oder Außenpolitik nicht durch Versäumnisse in anderen Ressorts (Sicherheits-, Außenwirtschafts- oder Handelspolitik) zunichte gemacht werden; hier gilt es, den Export von Kleinwaffen und Lizenzen für Kriegsgerät in Krisenregionen und Diktaturen gänzlich zu unterbinden und Unternehmen zu verpflichten, ihre Investitionen im Hinblick auf Friedensverträglichkeit und Vereinbarkeit mit menschenrechtlichen Standards zu prüfen; und last but not least wäre es an der Zeit, die Umsetzung der international vereinbarten Nachhaltigen Entwicklungsziele sowie die Klimaziele wirklich ernst zu nehmen, die eigenen Anteile an der Zerstörung von Lebensgrundlagen andernorts zu kritisch reflektieren und spürbar zu reduzieren.

Einige dieser Punkte wurden auch von NRO-Netzwerken und vom „Beirat Zivile Krisenprävention“ beim Fachgespräch des Unterausschusses Zivile Krisenprävention im Bundestag am 30.05.2016 eingebracht.

Die Streichung des Wortes „zivil“ entwertet den Primat ziviler Mittel

Das Leitlinienpapier soll von einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe verfasst und der Schreibphase ein Konsultationsprozess mit der Zivilgesellschaft vorgeschaltet werden. Für eine Reihe von NRO steht außer Frage, dass die in den letzten Jahren etablierten Dialogstrukturen für einen Austausch mit der Regierung genutzt werden sollten. Einige diskutieren bereits über Veranstaltungsformate. Gleichwohl ist vielen noch nicht ganz klar, wohin die Reise gehen soll. Für Verwunderung sorgte vor allem, dass der Zusatz „Ziviles“ Krisenengagement, der zunächst im Arbeitstitel noch enthalten war, aufgegeben und die Überschrift durch „Leitlinien der Bundesregierung für Krisenengagement und Friedensförderung“ ersetzt wurde (vgl. dazu den Kommentar von Prof. Tobias Debiel beim Fachgespräch des Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag „Aktionsplan Zivile Krisenprävention – Stillstand oder Weiterentwicklung?“).

Ein zentrales Anliegen des Aktionsplans von 2004 bestand darin, das eklatante Missverhältnis bei der Mittelverteilung für zivile und militärische Instrumente zu korrigieren; dieses Missverhältnis besteht – trotz aller Ausgabensteigerungen für die zivilen Instrumente - fort: In einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion „Die Linke“ legte die Regierung 2014 eine Übersicht vor. Demnach wurden in der Dekade 2004-2014 etwa 12 Milliarden Euro für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung verwandt. Zum Vergleich: Im Bundeshaushalt 2016 sind für „Verteidigung“, also militärische Mittel, 36 Milliarden Euro für 12 Monate vorgesehen. Dieses Missverhältnis passt nicht zu der Aussage, dass der Primat bei den zivilen Ansätzen liegen soll. Wenn keine Balance hergestellt wird, ist es wahrscheinlich, dass weiterhin Militär für Aufgaben entsandt wird, für die es gar nicht prädestiniert ist, einfach nur weil es „rasch verfügbar, prominent aufgestellt und den politischen Eliten daher vertraut ist“ (vgl. IP-Artikel „Für mehr Krisenprävention. Deutschland kann seinem Ruf als Zivilmacht besser gerecht werden“). Weil und solange das beschriebene Missverhältnis existiert, muss sich ein ressortübergreifendes Leitlinienpapier auch im Titel zum Ausbau der zivilen Instrumente bekennen. Die Streichung des Zusatzes „ziviles“ Krisenengagement ist also keine Lappalie und wirklich bedauerlich, weil das Anliegen des Aktionsplans, den Primat der zivilen Mittel zu stärken, dadurch entwertet wird.

Seit 10 Jahren fehlt eine PR-Strategie für zivile Konfliktbearbeitung

Es wäre zu wünschen, dass es gelingt, möglichst viele Ministerien an der Diskussion um die neuen Leitlinien zu beteiligen, um sie für ein friedenspolitisches Leitmotiv und für ein Bekenntnis zum Primat der zivilen Ansätze zu gewinnen. Zudem wäre es wichtig, die Potenziale ziviler Konfliktbearbeitung einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen. Der Dialog mit den NRO wird gewiss zur Qualifizierung des Diskurses beitragen; aber um eine gesellschaftliche Debatte zu erreichen, wäre eine gezielte PR-Strategie erforderlich. Sie ist seit 10 Jahren überfällig.

Leitbild Politikkohärenz Zivilgesellschaft Osteuropa

Martina Fischer

Dr. Martina Fischer ist Politologin und Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt (@BROT_fuerdiewelt). Zuvor war sie mehr als 30 Jahre in der Friedens- und Konfliktforschung, davon knapp zwei Jahrzehnte an der Berghof Foundation (Berlin), tätig.