Zivile, gewaltfreie Konfliktbearbeitung stärken statt für Militärisches vereinnahmen!

21. Juli 2016   ·   Kathrin Vogler

Die Leitlinien drohen, zivile Friedensprojekte weiter für Militärstrategien zu vereinnahmen. Stattdessen brauchen wir eine selbstkritische Analyse unseres eigenen Beitrags zu Krisen, mehr Geld für zivile Instrumente und mutige Vorschläge, um die Dominanz des Militärischen in der Außenpolitik zurückzudrängen.

"Wer sich einbildet, auch in Zukunft ließe sich aus großer Höhe mit Bomben politischer Gehorsam erzwingen, unterschätzt die Möglichkeiten, die fanatische Terroristen haben, in fahrlässiger Weise. Jedes Atomkraftwerk ist eine stationäre Atombombe, die von Terroristen mit geringem Aufwand in ein Tschernobyl verwandelt werden kann. Wir haben allen Grund, schleunigst über zivile Alternativen zu militärischen Einsätzen nachzudenken und die vorhandenen Ansätze solch ziviler Alternativen zu entwickeln." (Prof. Dr. Theodor Ebert, 2001).

Die Bundesregierung beabsichtigt, den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ Anfang nächsten Jahres durch ein neues Leitlinien-Dokument zu ersetzen, das die zivile Konfliktbearbeitung nach der bisherigen Papierlage noch tiefer in die Militärstrategien der Bundesrepublik integriert. Statt friedenspolitischer „Lessons Learned“ droht Komplettvereinnahmung. Noch ganz offen ist, welche Auswirkungen diese Verplanung auf die Rolle und das Selbstverständnis ziviler Friedensprojekte haben wird, fest steht aber schon eines: Viel Gestaltungsmacht haben sie nicht.

Militärische Mittel dienen nie dem Frieden – das sieht auch die Mehrheit der Deutschen

Die Forderung nach einer zivilen, möglichst präventiven Konfliktbearbeitung – um Kriege zu verhindern oder gewaltvolle Auseinandersetzungen mit nichtmilitärischen Mitteln zu beenden und die Ursachen für Konflikte konsequent zu beseitigen – ist nicht nur die logische Konsequenz aus der historischen Erkenntnis, dass nach zwei von Deutschland entfesselten Weltkriegen nie wieder Krieg von diesem Land ausgehen soll.

Ganz aktuell sehen wir angesichts von 32 Kriegen und über 65 Mio. Kriegsflüchtlingen weltweit, dass militärische Mittel niemals dem Frieden dienen. Im Gegenteil lassen sie Konflikte eskalieren, sei es in der direkten Konfrontation oder indirekt durch Waffenexporte. So sieht das auch immer noch die Mehrheit der Menschen in Deutschland. In einer Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr aus dem Jahr 2015 heißt es zur gesellschaftlichen Bewertung der laufenden Bundeswehr-Einsätze (Resolute Support/Afghanistan, KFOR/Kosovo, Nordirak, Mali usw.): „Als einzige Mission wird der Seenotrettungseinsatz im Mittelmeer von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung befürwortet (56 Prozent). Die übrigen Einsätze werden jeweils von vier bzw. drei von zehn Bürgerinnen und Bürgern befürwortet (Zustimmungswerte zwischen 41 und 32 Prozent).“

Friedensförderung als Querschnittsaufgabe

Aus dieser Grundstimmung heraus entstand in der Friedensbewegung die Forderung nach einer Stärkung ziviler, gewaltfreier Konfliktbearbeitung. Friedensorganisationen und Kirchen entwickelten etwa vor über 20 Jahren die Idee eines „Zivilen Friedensdienstes“, in dessen Rahmen heute berufserfahrene Frauen und Männer in Konfliktbearbeitung und Mediation qualifiziert werden und als Friedensfachkräfte in Krisenregionen in enger Kooperation mit dortigen Gruppen und Institutionen Friedensprozesse fördern. 2003 forderte die neu gegründete "Kooperation für den Frieden" erstmals, Friedensförderung als Querschnittaufgabe ressortübergreifend zu betrachten.

Dieser Ansatz wurde 2004 von der damaligen Bundesregierung im Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ aufgegriffen: Alle Ressorts sollten in einem Ressortkreis ihre Maßnahmen der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung abstimmen; 2010 richtete der Bundestag den „Unterausschuss für Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ ein, der, angegliedert an den Auswärtigen Ausschuss, „mit Expertenanhörungen und fortlaufenden Unterrichtungen durch nationale, europäische und internationale Institutionen“ die „Integration des Themas in die parlamentarische Arbeit“ fördern will.

Der Mainstream definiert „Sicherheit“ überwiegend militärisch

Aber der Dissens war von Beginn an vorprogrammiert, weil die Bundesregierung, die Mehrheit im Bundestag und die politisch-strategische Peripherie „Sicherheit“ weiterhin überwiegend militärisch definiert, so z.B. die SWP-Studie „Bürgerkriege und Massenverbrechen verhindern – aber wie?“:

"Die Prävention von Gewalt – sei es im herkömmlichen Sinne, sei es im engeren Verständnis einer ‘Präventionsverantwortung‘ – setzt ein großes Maß an Wissen voraus: an Wissen darüber, wie sich die Risiken von Gewaltkonflikten erkennen und möglichst genau prognostizieren lassen; an Wissen darüber, wie diese Risiken verringert werden können – ob auf langfristigem strukturellem Wege oder mit direkten operativen Interventionen. (...) Wenn es einen erstaunlich unstrittigen Ertrag der Forschung gibt, dann ist es dieser: Auf robustes, angemessen ausgestattetes Peacekeeping kann nicht verzichtet werden, wenn es darum gehen soll, organisierte innerstaatliche Gewalt zu verhindern und in ihrem Ausmaß einzudämmen."

Zivile Friedensfachkräfte sind mehr als ein humanitäres Deckmäntelchen!

Dem gegenüber steht immer noch die ambitionierte Zielsetzung, den Einsatz von Militär als Mittel der Außenpolitik Schritt für Schritt durch gewaltfreie, friedliche und nachhaltige Konfliktbearbeitungsstrategien zu ersetzen. Dieses Spannungsfeld zwischen den erfolgreichen Projekten des praktischen zivilen Friedensengagements und einer zunehmend  militärisch dominierten Außenpolitik offenbart sich insbesondere dort, wo sich die Handlungsbereiche überschneiden: Während das Militär zivile Friedensfachkräfte in ihrem abgestuften Maßnahmenkatalog beständig als Nachkriegs-Konsolidierungsinstrument wahrnimmt und sie gerne auch als Bestandteil „zivil-militärischer Zusammenarbeit“ präsentiert, kämpfen diese um ihre Unabhängigkeit und darum, nicht als „humanitäre Deckmäntelchen“ instrumentalisiert zu werden.

Militärische Dominanz zurückdrängen statt die zivile Komponente zu entkernen

Zurzeit ist die Bundeswehr offiziell in 16 Konflikte verstrickt, in zeitlich und geografisch entgrenzten Einsätzen ohne Zielbestimmung und Exit-Strategien (siehe z.B. Kosovo seit 1999 oder aktuell in Syrien). Und wenn die große Koalition nun beabsichtigt, den seit 2004 gültigen Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ durch neue „Leitlinien für das Krisenengagement der Bundesregierung“ zu ersetzen, so lässt schon der Titel ahnen, wohin die Planung geht: das Adjektiv „zivil“ wird im Titel nicht mehr geführt, die Begriffe „Prävention“ und „Konfliktlösung“ ebenso wenig. Und der erste Gliederungsentwurf dieser „Leitlinien“ liest sich dann auch wie die endgültige Absage an die Forderung nach einer nicht-militärischen Außenpolitik.

Der inhaltliche Referenzrahmen (u.a. das „Weißbuch Sicherheitspolitik“, die „Leitlinien fragile Staaten“, die angekündigte „Cyber-Strategie 2016“, die EU „Global Strategy“) bestätigt, dass auch der zuständige Redaktionskreis (BMVg, BMI, BMZ unter Federführung des AA) die zivile Komponente noch konsequenter einbinden und damit entkernen will. In allen Strategiepapieren werden im Kontext „hybrider“ Konfliktszenarien neue, aktive Rollen für zivile Akteure beschrieben: „Denn die Prävention einer mit hybriden Mitteln betriebenen Eskalation erfordert zivile Maßnahmen, die direkt und schnell den Versuch beantworten, Abhängigkeiten und Schwächen auszunutzen. … Es gilt, Radikalisierungen den Boden zu entziehen und Minderheiten so zu integrieren, dass sie gegen Aufwiegelung unempfindlich werden.“ (SWP-Studie „Abschreckung plus“)

Eine Absage an die krachend gescheiterten militärischen Interventionen wird es von dieser Bundesregierung also nicht geben. Dabei wären eine selbstkritische Analyse des eigenen Beitrags zur Eskalation von Krisen und mutige Vorschläge, wie die Dominanz des Militärischen im außenpolitischen Handeln zurückgedrängt werden könnte, mehr als notwendig. Ebenso dringend wäre eine drastische Aufstockung der Budgets für zivile Instrumente wie den Zivilen Friedensdienst, politische Mediation oder unbewaffnetes ziviles Peacekeeping.

Kaum Zeit für die Einbindung der Zivilgesellschaft

Doch die Chance, hier unabhängige friedenspolitische Spielräume einzufordern, ist klein. Denn es heißt zwar, in die Erstellung des Dokuments soll die Zivilgesellschaft eingebunden werden, allerdings ist dafür nicht viel Zeit eingeplant: Knapp vor der Sommerpause wurde der Prozess öffentlich gestartet, nach der Sommerpause bleiben gerade noch zwei Monate, denn im Oktober soll die Partizipationsphase abgeschlossen werden.

Leitbild Friedenseinsätze Zivil-militärische Zusammenarbeit Politikkohärenz Zivilgesellschaft

Kathrin Vogler

Kathrin Vogler, MdB, ist gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie Obfrau im Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln.