„It's the prevention, stupid!“ Bausteine für ein besseres deutsches Krisenengagement

04. Oktober 2016   ·   Almut Wieland-Karimi

Am deutschen Gerüst für zivile Krisenprävention muss an einigen Stellen weiter gebaut werden: Eine stärkere Fokussierung, bessere Managementkenntnisse, Mediation als Präventionsinstrument und der Aus- und Umbau des ZIF sind nur einige vielversprechende Bausteine.

Die Leitlinien für ziviles Krisenengagement und Friedensförderung sind ein wichtiger Schritt, um den Aktionsplan weiterzuentwickeln und das deutsche friedenspolitische Engagement im internationalen Kontext und Konzert zu fokussieren. Es ist begrüßenswert, dass diese nicht in einer stillen Amtsstube, sondern unter Beteiligung vieler erfahrener Praktiker, Politiker und Wissenschaftler entstehen.

Gleichzeitig wäre es in der nächsten Legislaturperiode wünschenswert, den vernetzten Ansatz auch im konzeptionellen Bereich stärker zu leben. Falsch wäre es, drei Dokumente (eine Zukunftscharta unter Federführung des Entwicklungsministeriums, das Weißbuch zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr aus dem Verteidigungsressort und nun die neuen Leitlinien des Auswärtigen Amts), zwar unter Beteiligung der jeweils anderen Ressorts, zugleich aber in unabhängigen Prozessen zu erarbeiten. Ein gemeinsamer whole-of-government-Rahmen könnte dann auch die von Philipp Rotmann in seinem Blogeintrag gestellte Frage beantworten: „Wie wird Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik in fragilen Staaten politisch wirksamer?

Auf Stimmenfang gehen: local ownership weiter denken

Gut wäre es, wenn wir das immer wieder geforderte local ownership auch an dieser Stelle ernst nähmen und viele Stimmen aus Krisen- und Konfliktländern einfingen: Wie sehen ein afghanischer zivilgesellschaftlicher Aktivist, eine burundische Menschenrechtlerin und Ortskräfte bei MONUSCO in der Demokratischen Republik Kongo das deutsche bzw. europäische Engagement? Was finden diese gut – und was könnten wir aus ihrer Sicht verbessern? Was die „Krisen-Community“ in Berlin dazu denkt, ist zumeist schon bekannt – neue Anregungen wären wertvoll.

Der „New Deal for Engagement in Fragile States“ aus dem Jahr 2011 ist ein zentraler Richtungswechsel, wie Geberländer und fragile Staaten miteinander arbeiten sollten: Akteure in fragilen Staaten definieren selbst ihre Prioritäten auf dem Weg zu Peace- und Statebuilding. Schwerpunkte für Programme sollen in den betroffenen Ländern und nicht in westlichen Hauptstädten festgelegt werden. Sierra Leone ist ein gutes Beispiel: Gemeinsam mit den Vereinten Nationen konzentrierte sich die Regierung auf ihre Prioritäten und suchte Partner für deren Umsetzung – statt Angebote der Geber anzunehmen, welche teilweise nicht kohärent und kompatibel waren. Nachfrage statt Angebot.

Nicht überall mitmischen, sondern Engagement wirkungsvoll fokussieren

Wir brauchen eine Fokussierung, um als Friedensmacht oder friedensstiftende Kraft nachhaltig zu wirken, Friedenspotential zu schaffen und zu nutzen. In den immer komplexeren Konfliktlagen können wir nur positive Wirkung entfalten, wenn wir unsere Markenzeichen – zum Beispiel Mediation und Rechtsstaatlichkeit, wie ich bereits im Review2014-Prozess forderte – ausbauen. Ein „Fast-Überall-Mitmischen“ führt nur dazu, dass viele kleine Projekte kurzfristig aufblühen, zumeist aber keine tiefen Wurzeln schlagen können.

Hinzu kommt, dass Projektfinanzierungen im jährlichen Rhythmus keine Garantie für Nachhaltigkeit darstellen und politische Veränderungen sich nicht nach dem Kalender richten. Die Arbeit mit Verpflichtungsermächtigungen – derzeit der einzige Weg, mehrjährige Projektzusagen zu machen – verschafft zwar eine kleine Abhilfe, löst aber den Widerspruch nicht auf. Auch ein Thema für die nächste Regierungskoalition.

Auch müssen wir nicht überall mitmischen, sondern uns vielmehr in den bestehenden Foren und multilateralen Organisationen dazu austauschen, wer was und wo aus welchen Gründen am besten kann. Spannend ist in diesem Kontext auch, wie andere Staaten sich aufstellen, beispielsweise Kanada mit seinem erfreulichen Comeback und einem 450 Millionen US-Dollar starken Peace and Stabilization Operations Program. Wie auch in Großbritannien mit der Stabilisation Unit soll kanadische Friedenspolitik für die ganze Regierung kohärent aufgestellt werden, also ohne Ressortzersplitterung.

Ein gutes ziviles Präventionsinstrument für Deutschland: Mediation

Ein positives – und wahrscheinlich das konkreteste – Beispiel für die Schärfung eines zivilen Instruments ist die Friedensmediation und die Mediationsunterstützung, wie auch Hans-Joachim Giessmann in seinem PeaceLab2016-Beitrag argumentiert.

Deutschland als ehrlicher Makler mit politischem Gewicht hat im Verbund mit den traditionell vermittelnden kleinen Staaten wie der Schweiz seine Kapazitäten aufgebaut. Auf allen Ebenen des Auswärtigen Amts sind entsprechende Ausbildungsangebote verankert worden – in der Attachéausbildung, auf den mittleren Karrierestufen und als gegenseitiges Coaching auf Botschafter-und Direktorenebene. Die Initiative Mediation Support Deutschland ist gut aufgestellt, um mit ihren Fähigkeiten und Erfahrungen auf Track 2 und 3 in Kooperation mit der Regierungsebene, insbesondere dem Auswärtigen Amt, kohärente Prozesse auf verschiedenen Ebenen umzusetzen. Auch die Bundestagsabgeordneten könnten als Vermittler eine wichtige Rolle spielen.

Es fehlt noch der gemeinsame Startschuss, um konzentriert auf verschiedenen Tracks in einem bestimmten Konflikt vermittelnd aktiv zu werden – natürlich in enger Kooperation mit den Vereinten Nationen, Regionalorganisationen und weiteren Akteuren.

Auf Managementkenntnisse setzen

Ein weiterer wichtiger Baustein für ein erfolgreiches Engagement ist die Weiterentwicklung unserer strategischen Politik- und Prozesssteuerungsfähigkeiten. Wir brauchen Manager, die nicht nur die politischen Rahmenbedingungen gut kennen, sondern auch systematisch und strategisch moderne Managementinstrumente anwenden. Es wäre hierfür sinnvoll, im Bereich der Personalentwicklung verstärkt auf Managementkenntnisse zu setzen, insbesondere für diejenigen, die entsprechende friedenspolitische Strategien aufsetzen und koordinieren. Sie müssen sich – wie in anderen Politikbereichen auch – in immer komplexeren Systemen orientieren und behaupten. Die Managementkompetenz ist umso wichtiger, je begrenzter die Ressourcen – wie Zeit, Geld und Personal – sind.

Beispiel internationale Friedenseinsätze: Umfragen unter zivilen Peacekeepern belegen, dass ihr größter Stressfaktor in nicht entsprechend befähigten Vorgesetzten und Missionsleitern liegt. Mangelnde Leadership- und Managementkompetenzen, wie das Mandat zu erklären und in Arbeitsaufträge zu übersetzen, klare Ziele zu definieren, nachvollziehbare organisatorische Strukturen zu bauen sowie Transparenz und Motivation zu unterstützen, sind für manchen Misserfolg und viel Frustration verantwortlich.

Der Aus- und Umbau des ZIF ist richtig und wichtig

Der Ausbau des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) zur „schlagkräftigen Entsendeorganisation“, so wie Außenminister Steinmeier es im Rahmen des Review-Prozesses angekündigt hat, befindet sich auf der Zielgeraden. Die Reform des Sekundierungsgesetzes aus dem Jahr 2009 soll in diesem Herbst in das Gesetzgebungsverfahren gehen. Kernbausteine der ZIF-Transformation sind die Umstellung von sogenannten Sekundierungsverträgen auf Arbeitsverträge mit sozialversicherungsrechtlicher Absicherung für die zivilen Experten sowie die Übertragung der hoheitlichen Aufgabe der Entsendung von Experten in Friedenseinsätze vom Auswärtigen Amt ans ZIF.

Damit einher geht der Umbau des ZIF in eine noch stärker auf die operative Umsetzung und die Politikberatung fokussierte Institution, da abzusehen ist, dass sowohl Friedenseinsätze in Anbetracht der zunehmenden Konflikte zunehmen als auch die Nachfrage nach ziviler Expertise in den nächsten Jahren steigen werden.

„It’s the prevention, stupid!“

Alle wissen wir es. Alle wiederholen wir es Mantra-ähnlich: „It‘s the prevention, stupid“ könnte man in Anlehnung an ein bekanntes Zitat des Gatten der demokratischen US-Präsidentschaftskandidatin sagen. Wir brauchen den politischen Willen und das Instrumentarium, um vor dem Ausbruch gewalttätiger Konfliktaustragung aktiv zu werden. Insbesondere die Vereinten Nationen haben in ihren Reformberichten aus dem vergangenen Jahr, wie dem HIPPO-Bericht und dem Review der Peacebuilding-Architektur, ihren Fokus darauf gelegt. Auch die International Crisis Group arbeitet mit der Abteilung S im Auswärtigen Amt daran. Friedensmediation sowie die Förderung von Rechtsstaatlichkeit sind Instrumente, die uns wirkungsvoll dem Ziel der Prävention näher bringen könnten.

Erfreulich: Das Primat des Politischen und des Zivilen bzw. ziviles Krisenengagement als prima ratio gewinnen an Bedeutung. Die Wegstrecke ist jedoch noch lang.