Krisenprävention von den Zielen her denken

20. Oktober 2016   ·   Ursula Schröder

Ein friedenspolitischer Fokus im Bereich der Krisenprävention ist mehr als eine normative Positionierung. Er ist notwendige Voraussetzung einer nachhaltigen und globalen Sicherheitspolitik. Die Wahl der Instrumente und die Methoden ihrer Evaluation müssen der politischen Zielsetzung entsprechen, nicht umgekehrt.

Das Feld der Krisenprävention und Friedenssicherung steht vor zunehmend komplexen Herausforderungen. In den letzten Jahren haben wir einen dramatischen Anstieg organisierter Gewalt erlebt, die Anzahl von Todesopfern in gewaltsamen Konflikten ist die höchste in den letzten 20 Jahren. Konflikte sind volatiler, gewaltsamer und grenzüberschreitender geworden.

In diesem neuen sicherheitspolitischen Umfeld verschwimmen die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zunehmend, wie auch Bundesinnenminister de Maizière in seinem PeaceLab2016-Beitrag feststellt, und das Risiko nichtintendierter negativer Folgen deutschen Engagements ist hoch. Friedensfördernde Maßnahmen müssen daher nicht nur ressortübergreifend geplant, sondern vor allem in eine Gesamtstrategie mit klaren politischen Zielsetzungen eingebettet werden, die im Rahmen der Leitlinien Krisenprävention und Friedensförderung reflektiert werden sollten.

Von den Politikzielen, nicht von den Instrumenten her denken

Die kohärente Gestaltung deutschen Engagements in Krisensituationen wird durch die Existenz einer Reihe unverbundener Grundlagendokumente erschwert. Einen Mangel an Kohärenz und Strategiebildung und das Fehlen einer klaren Bezugnahme auf den Friedensauftrag des Grundgesetzes hat bereits der Beirat Zivile Krisenprävention 2014 in einem Impulspapier konstatiert. Vor diesem Hintergrund ist der Leitlinienprozess zur Verständigung über ein neues Grundlagendokument für deutsches Krisenengagement und Friedensförderung wichtig und begrüßenswert. Insbesondere auch im Kontext der eingangs skizzierten komplexen internationalen Herausforderungen ist eine grundlegende Diskussion über Zielsetzungen und Gestaltungsspielräume deutschen Engagements in der Krisenprävention notwendig.

In der aktuellen Debatte droht allerdings der bisherige Fokus auf die Gestaltung von Politikinstrumenten fundamentalere Fragen nach den übergeordneten Zielen und den längerfristigen Auswirkungen außenpolitischen Engagements in Krisensituationen zu überlagern. Selbst ein sehr guter Instrumentenkasten kann aber die notwendige Auseinandersetzung über das Zusammenwirken spezifischer Instrumente und ihre Zielkonflikte nicht ersetzen.

Instrumente in eine langfristige politische Gesamtstrategie einordnen

In der aktuellen Diskussion sollten daher die vielfältigen Instrumente deutschen Engagements in Krisen- und Konfliktregionen stärker in ein politisch motiviertes Gesamtkonzept eingeordnet werden. Beispielsweise können die Stabilisierung fragiler politischer Institutionen oder die Ertüchtigung einzelner Sicherheitskräfte nicht als Politikziele an sich gelten, sondern müssen als kurz- und mittelfristige Programme in einer spezifischen Konfliktphase einer friedenspolitischen Zieldimension untergeordnet werden.

Um politische Ziele nachhaltig zu erreichen, sollte krisenpräventives Handeln insgesamt mehr von den langfristigen Auswirkungen einer Gesamtstrategie her gedacht und angelegt werden, nicht von den kurzfristig zu erwartenden Folgen einzelner politischer Initiativen. Der Leitlinienprozess bietet hier eine Chance, die politische und strategische Gestaltung deutschen Engagements in Krisensituationen neu zu ordnen. Wie kann das aussehen?

Warum es richtig ist, Sicherheitspolitik als Friedenspolitik zu denken

Eine klare friedenspolitische Orientierung ist ein bewährtes Leitbild deutschen Engagements in Krisensituationen. Insbesondere im Kontext der komplexen Herausforderungen in Krisen- und Konfliktsituationen zeigt sich immer wieder, dass gesamtgesellschaftliche Friedensprozesse und eine Orientierung an der menschlichen Sicherheit der Bevölkerung in Konfliktregionen notwendige Voraussetzungen für das Entstehen stabiler politischer Ordnungen und für die nachhaltige Bewältigung gewaltsamer Konflikte sind.

Umgekehrt wissen wir auch, dass internationales Engagement in Krisen- und Konfliktsituationen ohne klare politische Rahmenzielsetzung selten den gewünschten Erfolg hat. Insbesondere die Bilanz internationaler Unterstützungsmaßnahmen für die Sicherheitsinstitutionen in krisengefährdeten Staaten ist oft ernüchternd. Dies ist insbesondere da der Fall, wo sich internationales Engagement auf Kapazitätsaufbau und Ertüchtigung von Sicherheitskräften konzentriert, ohne dabei die politischen Rahmenbedingungen ausreichend in den Blick zu nehmen. Ein eingeschränkter Fokus auf Kapazitätsaufbau und Ertüchtigung ohne eine begleitende Evaluation des Einflusses der Maßnahmen auf die politischen Macht- und Konfliktkonstellationen vor Ort ist oft nicht nur langfristig wirkungslos, sondern schlimmstenfalls konfliktverschärfend. Ein friedenspolitischer Fokus außenpolitischen Engagements sollte daher nicht nur als eine normative Positionierung, sondern auch als notwendige Voraussetzung einer nachhaltigen und globalen Sicherheitspolitik verstanden werden.

Welche Handlungsempfehlungen für das deutsche Engagement in der Krisenprävention folgen aus dieser Analyse? Und wie sollten diese im Leitlinienprozess weiterverfolgt werden?

Politische Risikoprüfung muss zum Standardverfahren werden

Um von abstrakten Prinzipien der Politikgestaltung zu einer erfolgreichen Umsetzung krisenpräventiver Strategien zu gelangen, brauchen wir ein besseres Verständnis der Erfolgs- und Misserfolgsbedingungen bestehender Ansätze in der Krisenprävention. In einem Politikfeld, in dem die Resultate internationaler Unterstützung bisher durchaus gemischt sind, sollte deutlicher die Frage gestellt werden, unter welchen Bedingungen spezifische Strategien erfolgreich und sinnvoll sein können, und unter welchen nicht.

Insbesondere eine Prüfung der politischen Risikofaktoren deutschen Engagements muss eine Minimalanforderung an zukünftige Initiativen in diesem Politikfeld sein, um die Wahrscheinlichkeit negativer Folgen zu verringern. In der Entwicklungszusammenarbeit sind solche Verfahren im Rahmen des do-no-harm-Ansatzes oder des „Peace and Conflict Impact Assessment“ (PCIA) bereits etabliert und könnten gewinnbringend in andere Politikfelder überführt werden, wie es auch Christoph Bongard in seiner Forderung nach einer ressortübergreifenden Friedensverträglichkeitsprüfung auf diesem Blog beschreibt.

In politisch brisanten Politikfeldern, wie der Unterstützung der Sicherheitsinstitutionen in krisengefährdeten Staaten, sollte eine politische Risikoprüfung zu einem Standardverfahren werden. Dies empfiehlt auch die Europäische Union in ihrem neuen Rahmendokument zur Verbesserung der EU-Unterstützung für Sicherheit und Entwicklung in Partnerländern. Die Debatte über die zukünftigen Leitlinien sollte daher vor allem dafür genutzt werden, ein Set an Standards und Handlungsprinzipien deutschen Engagements festzulegen, das die Umsetzung der zukünftigen Leitlinien in politisch riskanten Politikfeldern, wie der Ertüchtigung von Polizei- und Militärkräften, ermöglichen kann.

Umfassende Analyse politischer Implikationen statt isolierter Projektevaluation

Die oft erst langfristig sichtbaren politischen Wirkungen deutschen Engagements in der Krisenprävention und Friedensförderung standen bisher nicht zentral im Fokus der politischen Debatte in Deutschland. Wirkungsanalysen sind noch nicht systematisch in der Planung, Durchführung und Bewertung deutscher Maßnahmen zur Friedensförderung verankert. Ohne eine solide Analyse der positiven wie negativen Effekte deutschen Engagements läuft dieses allerdings Gefahr, gut gemeint, aber nicht gut gemacht zu sein, wie Andreas Wittkowsky auf diesem Blog argumentiert.

Politische Wirkungsanalysen sollten in diesem Kontext umfassend verstanden werden und können sich nicht sinnvoll auf die isolierte Evaluation spezifischer Projekte im Hinblick auf den erreichten Output beschränken. Wie das Beispiel Kapazitätsaufbau und Ertüchtigung im Sicherheitsfeld zeigt, stellt sich oft nicht so sehr die Frage, wie einzelne Instrumente verbessert werden können, sondern wie sie richtig einzusetzen sind, um die friedenspolitischen Ziele deutschen Engagements zu unterstützen, statt sie zu unterlaufen. Unbeabsichtigte Wechselwirkungen beeinflussen den Erfolg internationalen Engagements in Krisensituationen oft umfangreicher als die mangelnde Effektivität und Effizienz einzelner Instrumente.

Wie es auch die Beiträge von Philipp Rotmann sowie von Steffen Eckhard und Marius Müller-Hennig auf diesem Blog fordern, müssen die bisher oft technisch verstandenen Ausbildungs- und Ausstattungsprogramme im Sicherheitssektor daher mit hochrangigem politischen Engagement und klaren politischen Zielvorgaben verbunden werden. Ziel von Wirkungsanalysen sollte hier immer eine umfassende Evaluation der kurz- und langfristigen politischen Effekte sein, um eine begleitende politische Bewertung und Anpassung laufender Unterstützungsmaßnahmen zu ermöglichen.

Wissenschaftliche Expertise stärker bündeln

Ein zentraler Beitrag der Wissenschaft im Leitlinienprozess sollte daher darin bestehen, Konzepte und Kriterien bereit zu stellen, die eine integrierte Evaluation krisenpräventiver und friedensfördernder Außenpolitik ermöglichen. Wie können abstrakte politische Ziele der Krisenprävention empirisch beobachtbar gemacht werden, um die notwendige Abstimmung deutschen Engagements in der Krisenprävention über Ressortgrenzen hinweg nachvollziehbar und verbindlich zu gestalten?

Hierfür wird es notwendig sein, wissenschaftliche Expertise stärker als bisher in die Planung und Umsetzung friedensfördernder Maßnahmen zu integrieren. Existierende Institutionen und Strukturen wissenschaftlicher Forschung im Bereich Friedensförderung sollten daher gestärkt werden. Ziel sollte es sein, eine Wissensgemeinschaft zu schaffen, die Wissen und Expertise sowohl der Forschung als auch der politischen Praxis über politische Handlungsoptionen in der Krisenprävention und Friedensförderung bündelt.