Zivil-militärisches Krisenengagement: Neue Wege gehen, alte Hürden überwinden

24. November 2016   ·   Ursula von der Leyen

Strategien und Mittel zur Krisenprävention und Krisenbewältigung müssen so breit gefächert sein wie die Herausforderungen, denen sie gerecht werden müssen. Die immer komplexeren Krisen und Konflikte rings um den Globus verlangen eine engere Vernetzung von Diplomatie, Entwicklungspolitik, zivilen Akteuren und Streitkräften als bisher. Der alte Antagonismus von zivil und militärisch hilft dabei nicht weiter.

Neue Herausforderungen für die zivil-militärische Zusammenarbeit

Den Nutzen und die Notwendigkeit vernetzten Handelns im Krisenengagement der Bundesregierung erleben wir jeden Tag aufs Neue: Sei es bei der Bewältigung von Fluchtursachen, beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder bei der Stabilisierung fragiler Staaten und Regionen in Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten. Wir können diese Herausforderungen nur erfolgreich meistern, wenn wir abgestimmt und geschlossen handeln.

Die Krisen und Konflikte, die wir rings um den Globus erleben, sind komplexer denn je. Sie treten parallel auf, und sie beeinflussen sich gegenseitig. Diese Lage verlangt neue Formen der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Sie verlangt eine engere Vernetzung von Diplomatie, Entwicklungspolitik, zivilen Akteuren und Streitkräften als bisher. Es genügt nicht mehr, parallel zu agieren, sondern wir müssen über alle Konfliktphasen hinweg Hand in Hand zusammenarbeiten.

Ein Beispiel dafür ist unser deutsches Engagement im Nordirak: Bereits seit 2014 stehen wir den kurdischen Peschmerga zur Seite: mit Ausrüstung und mit Training, seit 2015 auch mit Unterstützung aus der Luft. Sie haben bereits wichtige Erfolge erzielt im Kampf gegen den IS. Und die Kurden haben auch 1,8 Millionen Flüchtlinge bei sich aufgenommen. Das wiederum war nur möglich, weil von Tag eins an humanitäre Hilfe und wirtschaftlicher Aufbau geleistet worden sind. Diese Verzahnung ist genauso wichtig, wenn belagerte Städte einmal befreit und die Terroristen zurückgedrängt sind. Auch dann müssen umgehend weitere politische und entwicklungspolitische Maßnahmen greifen. Nach der Rückeroberung von Tikrit und Ramadi sind medizinische Hilfe erbracht, Sprengfallen entsorgt, Wasser, Elektrizität und Wohnraum unmittelbar wieder hergestellt worden. Die Menschen müssen sehen, dass es einen Unterschied macht, ob der IS sie beherrscht, oder ob sie in Freiheit leben können. Erst mit Versöhnung und Wiederaufbau entsteht tragfähiger Frieden.

Ein neuer Rahmen für nachhaltige und umfassende Vernetzung

Das neue Weißbuch 2016 hat den Rahmen gesteckt für eine nachhaltige und umfassende Vernetzung. Sie beginnt mit einer Verbesserung der Entscheidungsstrukturen der Bundesregierung im Sinne einer ressortübergreifenden Strategieentwicklung. Der Bundesicherheitsrat könnte hier seine Rolle als strategischer Impulsgeber neu definieren.

Die Weiterentwicklung des vernetzten Ansatzes drückt sich auch aus in einer auf Prävention ausgerichteten Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Dazu zählt die verbesserte Krisenfrüherkennung, die die Analyse- und Bewertungsfähigkeiten der Bundesregierung auf eine breitere Basis stellt. Dazu gehört aber auch der konsequente Ausbau des Ertüchtigungsansatzes. Das heißt, wir müssen uns darauf besinnen, dass die Menschen vor Ort am besten wissen, was zu tun ist – und dass sie bereit sind, alles für ihre Heimat zu tun. Die Bundeswehr unterstützt deswegen Länder wie Tunesien, Niger oder Mali, zum Beispiel mit der nachhaltig angelegten Ausbildung lokaler Truppen. Gerade mit Blick auf die Bekämpfung von Fluchtursachen ist dieser Ansatz von unschätzbarem Wert.

Umfassende Vernetzung im Sinne des Weißbuchs erlaubt keinen Antagonismus mehr von „zivil“ und „militärisch“. Die Akteure im Krisenengagement lassen sich nicht länger auf wenige Mittel und Aufgaben reduzieren, auch Streitkräfte nicht. So beschränkt sich der Auftrag der Bundeswehr schon lange nicht mehr auf klassische Stabilisierungseinsätze. Von den aktuellen Missionen dienen vier der Ausbildung nationaler Streitkräfte. In Mali hilft die Bundeswehr zudem, das Friedensabkommen zu sichern und die Zivilbevölkerung zu schützen. Und mit den Marinemissionen im Mittelmeer helfen deutsche Soldatinnen und Soldaten nicht nur, Schleusernetzwerke aufzudecken; sie haben auch schon über 18.000 Menschen aus Seenot gerettet.

Dieses selbstverständliche Neben- und Miteinander von zivilen und militärischen Komponenten, was in vielen Einsatzgebieten längst Alltag ist, das sollte auch der klare Kompass für unser ressortgemeinsames Planen und Handeln insgesamt sein.

Neue Wege in der zivil-militärischen Zusammenarbeit

Die Maßnahmen, die die Bundeswehr in der Krisenprävention und Krisenbewältigung einsetzt, sind keine rein militärischen Aufgaben, sondern Teil des politischen und entwicklungspolitischen Engagements. Dennoch werden wir auch künftig Krisen und Konflikten begegnen, die den entschlossenen Einsatz der internationalen Gemeinschaft mit einem entsprechenden völkerrechtlichen Mandat erfordern. Ein Einsatz ist oft unabdingbar, um unmittelbare Gefahren von der Zivilbevölkerung abzuwenden oder zivile Unterstützung überhaupt erst zu ermöglichen. Einen solchen militärischen Einsatz in unseren offenen Gesellschaften transparent zu machen und zu kommunizieren, ist nicht allein Aufgabe des Verteidigungsministeriums, sondern der gesamten Bundesregierung und auch des Deutschen Bundestages.

Im Ergebnis müssen Strategien und Mittel zur Krisenprävention und Krisenbewältigung so breit gefächert sein wie die Herausforderungen, denen sie gerecht werden müssen. Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Streitkräfte – sie alle haben ihre Wertigkeit und ihre Berechtigung. Über ihren Einsatz – jedes für sich oder gemeinsam – entscheidet die Bundesregierung je nach Lage.

Zivil-militärisches Krisenengagement in diesem Sinne weiterzuentwickeln – so wie wir es bei unserem PeaceLab2016-Workshop „Perspektiven des Zivil-Militärischen Krisenengagements“ diskutiert haben – bietet die Chance, neue Wege zu gehen und alte Hürden zu überwinden. Genau das erwarte ich auch von den neuen Leitlinien der Bundesregierung für Krisenengagement und Friedensförderung.