Und wir sprechen doch dieselbe Sprache!

06. Dezember 2016   ·   Andreas Steinmetz

Ein Engagement in Krisenprävention und Krisenreaktion muss von übergeordneten politischen Zielen geleitet werden. Dafür sind auch mehr institutionelle Maßnahmen notwendig, um die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts phasenübergreifend zu verbessern. Nicht die maximale, sondern die optimale Kooperation ist hier gefragt.

Nach dem Weißbuch soll ein weiteres Grundlagendokument der deutschen Außenpolitik neu aufgelegt werden. Dabei ist sehr zu begrüßen, dass die Leitlinien für zivile Krisenprävention und Friedensförderung in einem inklusiven Prozess beraten und dann intern ressortübergreifend finalisiert werden sollen. Im Weißbuchprozess haben wir damit bereits gute Erfahrungen gesammelt: Das Wissen stammt eben nicht mehr nur aus den einschlägigen Ministerien, das im „vernetzten Ansatz“ entstandene Resultat wurde sodann auch vom Bundeskabinett verabschiedet, wodurch das Weißbuch 2016 ein Papier der gesamten Bundesregierung ist.

Ordinäre Aufgabe der Bundeswehr ist der Friedenserhalt durch Abschreckung. Friedenserzwingung, -erlangung und -sicherung sind außerordentliche Verteidigungsanstrengungen im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs. Der Einsatz von Waffengewalt ist ultima ratio, definiert aber nichtsdestotrotz die singuläre Stellung der Bundeswehr. Dieses Weißbuch ist anders als seine Vorgänger. Es ist vornehmlich ein sicherheits-, kein militärpolitisches Dokument. Der singuläre Charakter des Militärs ist ein auffälliges Nichtthema. Wird hier geschickt verschleiert, um die skeptische Bevölkerung und kritisch eingestellte Beobachter zu beschwichtigen? Und ist die geflissentliche Voranstellung ziviler Elemente durch das Militär nicht Grund für noch mehr Misstrauen? Ist der Staatsbürger in Uniform ein Militarist? Gibt er sich als Wolf im Schafspelz?

Es wäre ein grundlegender Fehler, die gerade von Kampfverbänden gemachte Erfahrung, dass das erfolgreiche Abwehren eines Taliban-Hinterhalts allein keine nachhaltige Verbesserung der allgemeinen Sicherheitslage mit sich bringt, in ihrer Nachwirkung zu unterschätzen. Wer täglich auf Patrouille angesprengt und beschossen wird, dem ist sehr an einer Verbesserung der Lage gelegen.

Die Feststellung, dass das Militär in keiner Konfliktphase das alleinige Mittel ist, fiel der Bundeswehr leicht. Das Wirken im Verbund (als Teil des Bündnisses) ist Teil ihrer Genetik. Freilich beschränkte sich die Verzahnung einst vornehmlich auf die verbündeten NATO-Streitkräfte, deren integraler Teil die westdeutschen Streitkräfte waren. Dennoch ist man es gewohnt, sich auf andere einzustellen und reflektiert die Grenzen der eigenen Fähigkeiten sehr genau. Pragmatismus bei der Suche nach Lösungsansätzen ist für eine Armee, die die Zusammenarbeit auch unter schwierigen Bedingungen gewohnt ist, gelebte Praxis. Umgekehrt sind Auswärtiges Amt und BMZ gemäß ihrem traditionellen Rollenverständnis nicht auf die Bundeswehr ausgerichtet, geschweige denn angewiesen.

Nicht Vereinnahmung durch das Militär, sondern Fügung unter den Primat der Politik

Hier folgt oft der Vorwurf, dass staatliche und nichtstaatliche – zivile – Akteure, die sich im Rahmen der Krisenprävention, Konfliktbeilegung und -nachsorge sowie der Friedenskonsolidierung engagieren, durch den vernetzten Ansatz einer militärischen Handlungslogik unterworfen werden sollen. Das deutsche Afghanistanengagement wird landläufig als gescheitert wahrgenommen und weil das Engagement auf den Streitkräfteeinsatz verengt wird, wird die Bundeswehr dafür verantwortlich gemacht, dass sie immer noch in Afghanistan ist. Als Deutscher BundeswehrVerband fordern wir darum unter anderem, dass der Bundestag nicht nur den Einsatz militärischer, sondern auch den Einsatz aller zivilen Anteile mandatiert. Wir wollen – im Sinne des „Whole-of-the-Government-Approach“ – das Bewusstsein fördern, dass die gesamte Bundesregierung wie auch das Parlament die Verantwortung für das Gelingen eines Engagements tragen.

Es ist legitim, wenn sich nichtstaatliche, privat finanzierte Hilfsorganisationen ihre Unabhängigkeit durch eine Distanzierung von Militärmissionen bewahren. Sind ihre Projekte erfolgreich, profitieren davon alle. Für staatliche Institutionen darf dieser bewusste Sonderweg nicht in Frage kommen. Dies ist keine Vereinnahmung durch das Militär, es ist die Fügung unter den Primat der Politik. Ferner weiß ein militärischer Befehlshaber sehr wohl, dass Führen im gesamtstaatlichen, ganzheitlichen Ansatz anders funktioniert als beim Militär: An einem runden Tisch sitzen selbstbewusste Akteure, denen nichts befohlen werden kann, sondern die überzeugt werden müssen. Die Vertreter begegnen sich auf Augenhöhe, sind ein Team und müssen sich auch so verhalten.

Gesucht: ein umsetzungs- und einsatzorientiertes Konzept, das ständig evaluiert und aktualisiert wird

Schon der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ von 2004 benennt die Bundeswehr als ein Mittel der Krisenprävention – z.B. durch Ausbildungshilfe. Zivil ist die Krisenprävention also nicht. Die nun fortgeschriebene Dichotomie, Weißbuch einerseits und Aktionsplan/Leitlinien andererseits, sollte eigentlich in einer zusammenhängenden Sicherheitsstrategie für den Frieden überwunden werden, aus der sich spezifischere Konzepte für Politikbereiche und Regionen ableiten.

Die Bundeswehr ist kein bewaffnetes THW, jedoch ist auch Entwicklungszusammenarbeit mehr als das Bohren von Brunnen oder Errichten von Schulen. Wenn wir sie als Strukturpolitik definieren, müssen die neuen Leitlinien auch Antworten auf die Frage geben, wie mit konfrontativ, anti-westlich ausgerichteten Staaten umzugehen ist. Die Leitlinien dürfen nicht nur ein Papier für Krisenprävention in Räumen begrenzter Staatlichkeit sein.

„Comprehensive“ und „Whole-of-the-Government“-Approach sind kein Selbstzweck, es sind lediglich prozessuale Leitbilder. Im Aktionsplan heißt es hingegen: „Ziel ist es, die Möglichkeiten der Bundesregierung auszubauen, die Außen- Sicherheits- und Entwicklungspolitik noch stärker für die zivile Krisenprävention zu nutzen.“ Damit wurde die zivile Krisenprävention zu einem übergeordneten politischen Ziel erklärt. Es fehlten jedoch politische Zielsetzungen, die erreicht werden sollen. Der „erweiterte Sicherheitsbegriff“, von dem der Aktionsplan ausgeht, ist dafür kein Ersatz.

Im ISAF-Einsatz haben wir gelernt, dass abstrakte, wohlklingende Ziele nicht ausreichen und vor Ort keine Orientierung geben, wenn die Einsatzrealität eine andere ist. Die Leitlinien können hier Orientierung bieten. Es muss fortan ein umsetzungs- und einsatzorientiertes Konzept sein, das andauernd evaluiert und aktualisiert wird – auch und insbesondere in Abstimmung mit anderen Grundlagendokumenten. Überhaupt brauchen wir mehr institutionelle Maßnahmen, um die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts phasenübergreifend zu verbessern. Nicht die maximale, sondern die optimale Kooperation ist hier gefragt. Dass es nach Jahren der „Prüfung“ nun ein gemeinsam von Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium bewirtschaftetes Budget gibt, ist ein später richtiger Schritt. Die verschiedenen Philosophien der Häuser und Bereiche, in denen wir Soldaten, Diplomaten, Entwicklungshelfer, Wissenschaftler – Bürger – sozialisiert wurden, mögen Probleme aufwerfen. Davon loslösend müssen wir uns stets vor Augen führen, dass wir höchstens einen anderen Dialekt, aber keine andere Sprache sprechen.