Von Elefanten und Papiertigern in der Friedensmediation

22. Dezember 2016   ·   Lars Kirchhoff, Anne Isabel Kraus, Julia von Dobeneck

Wenn es wirklich drauf ankommt, wird in internationalen Mediationsprozessen bislang noch auf politische Erfahrung statt auf erworbene Mediationskompetenz und Methoden gesetzt. Um das zu ändern, ist das Erleben von durch gute Methodik generierten, weichenstellenden Momenten in echten Prozessen entscheidend. Dafür müsste bei der Zusammenstellung von Vermittlungsteams stärker auf den Einbezug methodischer ExpertInnen geachtet werden. Die Bundesregierung sollte ihr Engagement in der Friedensvermittlung in Zukunft explizit auf das professionelle Zusammenspiel von politischen und methodischen Ressourcen ausrichten.

Vor dem Hintergrund der überzeugenden inhaltlichen Vorschläge, die bislang im PeaceLab2016-Blog zu lesen sind, erscheint es uns umso entscheidender, einen sprichwörtlichen Elefanten im Raum auf der Haltungs-, Einstellungs- und Wahrnehmungsebene transparent zu benennen. Unser Wissen über Existenz und Ausmaß dieses Elefanten speist sich aus über zehn Jahren Tätigkeit in der Ausbildung von internationalen und deutschen Diplomaten für das Auswärtige Amt, die EU, OSZE und UN, diversen Coachings von Sondergesandten sowie De-Briefings und Forschungsinterviews mit Repräsentanten beider "Welten". Der Befund leitet sich nicht aus wissenschaftlichen Theorien, sondern direkt aus dem intensiven und vor allem ehrlichen Austausch mit der Praxis ab.

Wenn es wirklich drauf ankommt, greift bislang primär die politische Vermittlungslogik

Der Befund lautet: Trotz aller Beachtung und Aufwertung, die die Professionalisierung von Mediation und Mediation Support gefunden hat, steht international und in Deutschland eine echte, strategische, beidseitig betriebene Zusammenführung der politischen, diplomatischen de-facto Mediation (Vermittlung) auf der einen und der propagierten, methodisch geprägten, prinzipiengeleiteten Mediation auf der anderen Seite gerade auf Track I nach wie vor aus. Plakativ formuliert: “when the going gets tough,” wird auf vorhandene politische Einflussmöglichkeit statt auf die Wirksamkeit von Methoden gesetzt, auf politische Erfahrung statt auf erworbene Mediationskompetenz – und auf schnelles Handeln statt auf die sorgfältige Analyse.

Grund dafür ist aus unserer Sicht das Fehlen eigener konkreter, belastbarer Erfahrungen mit der Wirksamkeit der Mediationsmethodik auf Seiten politischer Vermittler. Und richtig: Hat man nicht selbst die Erfahrung gemacht, wie man durch präzises Herausarbeiten der in einem Konflikt involvierten Interessen neue Lösungsoptionen schaffen kann oder wie sich durch den Einsatz spezifischer Techniken das Verständnis zwischen Konfliktparteien unmittelbar verbessert, werden einen alle noch so stichhaltig formulierten Plädoyers nicht wirklich überzeugen.

Die Lücke zwischen politischer und methodenbasierter Mediation

Zwischen dem Mythensystem der Friedensmediation, d.h. dem weltweit wachsenden, idealisierenden Narrativ zu professioneller Mediation und mediation support, Kooperation, Inklusivität und Multitrack, und dem herrschenden operationalen Code, d.h. dem faktischen, oft traditionell machtpolitisch geprägten praktischen Denken und Handeln in der Konfliktvermittlung, besteht zwar kein Graben, aber eine signifikante Lücke. Methodik-orientierte, prinzipiengeleitete Friedensmediation wird als zeitgemäß, redlich, aber oft ineffektiv eingeordnet. Chancen auf Wertschöpfung durch effizientes Zusammenspiel der beiden Ansätze werden so vertan; es kommt zu handwerklichen Unstimmigkeiten in Prozessen und Abkommen.

Notwendig ist ein im Grunde einfaches Umdenken, das jedoch einen kleinen Paradigmenwechsel darstellen würde: Die oben genannten Aspekte bilden eben keine Gegensätze ab, zwischen denen es sich zu entscheiden gilt, sondern komplementäre Ressourcen, die ausbalanciert kombiniert werden müssen: zum einen politische/r Einfluss, Erfahrung und Aktion, zum anderen mediative Methodik, Kompetenz und Analyse.

Empfehlungen: Mediationsmethodik konkret erfahrbar machen

Was tun? In erster Linie muss der Mehrwert des Einsatzes von Mediationsmethodik konkret erfahrbar gemacht werden: eine echte Zusammenführung der unterschiedlichen Ressourcen setzt positive Erfahrungen mit ihrer beider Wirksamkeit voraus. Trainings und Coachings sind dabei hilfreich, entscheidend aber ist das Erleben von durch gute Methodik generierten, weichenstellenden Momenten in echten Prozessen. Dafür müsste auf Seiten der Bundesregierung ganz konkret bei der Zusammenstellung von Vermittlungsteams stärker auf den Einbezug methodischer ExpertInnen geachtet werden und bei Teams mit primär methodischer Expertise auf die Einbeziehung der politischen Ebene.

Zweitens sollte der Stellenwert von Vermittlungsmethodik in den relevanten Ausbildungs- und Begleitungsformaten erhöht werden: auch und gerade politisch erfahrene Vermittler brauchen fundierte Zusatzkompetenzen, um in Konflikten mittels Mediationsmethodik Lösungen wahrscheinlicher und nachhaltiger zu machen und um Angebote im Bereich mediation support tatsächlich annehmen und praktisch umsetzen zu können. Neben der jüngst erfolgten Integration von Mediationsmethodik in die Diplomatenausbildung bieten sich hier vom Auswärtigen Amt initiierte Formate der Vor- und Nachbereitung – und kontinuierlichen Begleitung – von Vermittlungseinsätzen und ihren Akteuren an.

Nur durch Umsetzung dieser beiden Schritte wird der drittens notwendige Haltungswechsel bei politischen Vermittlern authentisch möglich. Dieser Haltungswechsel ist in dem Moment vollzogen, wo einem de facto (und nicht nur nominell) an Methodik und Prozessdesign orientierten Mediations- und mediation support-Ansatz – gerade wenn es wirklich drauf ankommt – so weitreichend vertraut wird, dass sich dessen einzigartiger Mehrwert realisieren kann und dieser mit der politischen Handlungslogik komplementär ineinandergreift.

Unser abschließender Vorschlag lautet, das künftige Vermittlungsprofil Deutschlands ganz explizit auf das professionelle Zusammenspiel von methodischen und politischen Ressourcen auszurichten und Deutschland als „principled (yet pragmatic), method-based (yet flexible) mediator“ im internationalen Diskurs und der weltpolitischen Arena zu platzieren.

Mediation Friedensförderung

Lars Kirchhoff

Prof. Dr. Lars Kirchhoff arbeitet am Center for Peace Mediation der Europa-Universität Viadrina. Als Teil der „Initiative Mediation Support“ (IMSD) ist er auch Mitverfasser des Positionspapiers der IMSD zum Thema Mediation in den neuen Leitlinien.

Anne Isabel Kraus

Dr. Anne Isabel Kraus arbeitet am Center for Peace Mediation der Europa-Universität Viadrina. Als Teil der „Initiative Mediation Support“ (IMSD) ist sie auch Mitverfasser des Positionspapiers der IMSD zum Thema Mediation in den neuen Leitlinien.

Julia von Dobeneck

Julia von Dobeneck arbeitet am Center for Peace Mediation der Europa-Universität Viadrina. Als Teil der „Initiative Mediation Support“ (IMSD) ist sie auch Mitverfasser des Positionspapiers der IMSD zum Thema Mediation in den neuen Leitlinien.