Form follows function - auch in der internationalen Friedensförderung!

09. Januar 2017   ·   Peter Mares

Die Leitlinien sollten Synergien zwischen der zivilen Konfliktbewältigung und der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik hervorheben. Um letztere in Zukunft effektiver zu gestalten, sollten präzise und kohärente Zielvorstellungen die zuwendungsrechtliche Ausgestaltung von Projekten bedingen und nicht umgekehrt.

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist Friedenspolitik. Bereits die 1970 von Ralf Dahrendorf formulierten Leitsätze für die Auswärtige Kulturpolitik des Auswärtigen Amtes stellten letztere in den Dienst der Friedenssicherung. Dieser Anspruch wird seitdem aufrechterhalten. Dabei benennen die seit 1996 regelmäßig vorgelegten Berichte der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik den Zusammenhang zwischen letzterer und Frieden, Krisen- und Konfliktprävention teilweise recht pauschal, teilweise bereichsspezifisch. So wird von den deutschen Medien angenommen, dass sie dazu beitragen (können), „die Grundidee von Frieden und Völkerverständigung zu vermitteln“. Sportprojekte werden dazu genutzt, um unter anderem Konfliktprävention und Friedensentwicklung zu fördern. Deutsche Minderheiten können „als interkulturelle Bindeglieder friedensstiftende Partnerschaften und Netzwerke […] entwickeln“. Insgesamt werde durch Netzwerkausbau und mit der Ausbildung aktueller und zukünftiger Eliten in Schlüsselländern zur Prävention und Bewältigung von Krisen beigetragen, ebenso durch den interkulturellen Dialog und Wertedialog. Zuletzt wurde dem „Beitrag von Kulturerhalt-Vorhaben zur Stabilisierung in Krisenstaaten und zum Kulturgüterschutz als Krisenprävention“ wachsende Bedeutung beigemessen.

Zum Teil wird der Zusammenhang von Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik und Frieden auch indirekter beschrieben. So ziele sie „darauf ab, durch praktische Maßnahmen zivilgesellschaftliche Kräfte zu stärken, die sich für Frieden […] einsetzen“. Die einschlägige Webseite des Auswärtigen Amtes formuliert pauschaler und zählt zu den Zielen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, „einen Beitrag zur weltweiten Krisen- und Konfliktprävention zu leisten“.

Das Verhältnis zwischen ziviler Krisenprävention und Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik bleibt vage

Vom Standpunkt der zivilen Konfliktbearbeitung aus identifizierte der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ (2004) wiederum unter anderem Kultur und Bildung als strategische Ansatzpunkte und widmete ihnen ein eigenes Unterkapitel. Friedenspotenziale sollten in Kultur und Bildung unter anderem durch eine Intensivierung des Kulturaustausches und die Operationalisierung des Leitbildes „Kultur des Friedens“ (u.a. auch Islamdialog) geschaffen werden. Betont wurde daneben auch „die Unterstützung von Bildungssystemen, die den gewaltfreien Umgang mit Konflikten fördern und unterschiedliche Perspektiven insbesondere auf zeitgeschichtliche Unterrichtsinhalte zulassen.“ Die ersten drei der insgesamt vier Berichte der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans (2006, 2008, 2010, 2014) widmeten dem Bereich „Kultur, Bildung, Medien“ jeweils ein eigenes Unterkapitel zu den Schwerpunkten bzw. (zentralen) Handlungsfeldern der deutschen (zivilen) Krisenprävention. Zwei Bereiche, denen aus Sicht der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik friedensfördernde Wirkung zukommt, spielen in den Berichten der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans keine solche Rolle: Minderheiten werden ausschließlich unter dem Aspekt ihres Schutzes bzw. ihrer Schutzbedürftigkeit genannt; Sport taucht nur an einer Stelle in einem Projekttitel auf.

Durch diesen Überblick wird deutlich, dass das Verhältnis von ziviler Konfliktbearbeitung und Auswärtiger Kultur- und Bildungspolitik (noch) nicht so klar herausgearbeitet wurde, wie das wünschenswert wäre. Dass es eine gemeinsame Schnittmenge gibt, darf als gegeben angenommen werden. Dass diese gemeinsame Schnittmenge aber aus den beiden Perspektiven nicht deckungsgleich ist, verwundert gleichwohl.

Mehr Synergien zwischen ziviler Konfliktbewältigung und Auswärtiger Kulturpolitik

Die beiden Berichte der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik zu den Jahren 2008/2009 und 2009/2010 enthielten auch folgendes Desiderat, das weiterhin gilt: „Zwischen den Erfahrungen in der zivilen Konfliktbewältigung und der Auswärtigen Kulturpolitik müssen gezielt Synergien geschaffen werden.“ Diese Forderung sollte in geeigneter Weise in den zu entwickelnden neuen Leitlinien der Bundesregierung für Krisenengagement und Friedensförderung Eingang finden. Inhaltlich wäre das eine Aufgabe für die Friedens- und Konfliktforschung als Teil der „Friedens-Infrastruktur“ in Deutschland, für deren Aufnahme in die Leitlinien Ulrich Schneckener in seinem Beitrag auf diesem Blog plädiert. Angenommene konfliktpräventive Wirkungen von Maßnahmen im Bereich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sind zu überprüfen. Dabei sollte unter Anwendung des "Do no Harm"-Ansatzes auch untersucht werden, inwiefern solche gut gemeinten Maßnahmen nicht auch konfliktverschärfend wirken können. Die wissenschafts- und politikseitigen Voraussetzungen, unter denen neu generiertes Wissen über die Wirkungen von Interventionen der zivilen Konfliktbewältigung und der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik politisch relevant sein könnten, haben Nicole Deitelhoff und Christopher Daase und Lars Brozus in ihren Beiträgen auf diesem Blog herausgearbeitet.

Auswärtige Kulturpolitik in der Praxis der Friedensförderung

Wie sieht es nun in der Praxis aus? Bisher finden die Politikbereiche der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und Zivilen Konfliktbearbeitung ihren konkreten Niederschlag in der Projektförderung, die durch das deutsche Zuwendungsrecht stark reglementiert ist. Das Zuwendungsrecht unterscheidet nur zwischen institutioneller Förderung und Projektförderung, was dazu führt, dass für die kurzfristige Umsetzung politischer Anliegen überwiegend die Projektförderung zum Zuge kommt.

Am Beispiel des Förderprogramms zivik (Zivile Konfliktbearbeitung) des ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) sieht die Praxis so aus, dass – im Unterschied zu staatlich gelenkten Maßnahmen – Projekte von Organisationen gefördert werden, die einen zivilgesellschaftlichen Beitrag zu internationalen Friedensbemühungen leisten. Die Förderung mit Mitteln des Auswärtigen Amtes ist auf politische Fragestellungen mit Bezug auf konkrete Konfliktkontexte ausgerichtet und behandelt die friedliche Dialogkultur im Rahmen von potenziell gewalttätigen Auseinandersetzungen. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach den notwendigen Veränderungen bei den relevanten Personen und Gruppen, um gewaltgeprägte Konflikte einzudämmen. So konnte bspw. das Centre for Peacebuilding and Reconciliation in Sri Lanka durch Begegnungsveranstaltungen mit religiösen Würdenträgern der vier größten Glaubensgemeinschaften – Buddhismus, Hinduismus, Islam und Christentum – das Misstrauen und die Feindseligkeit zwischen den unterschiedlichen Glaubensrichtungen erfolgreich zurück drängen. Erst die notwendige Prozessbegleitung ermöglicht es dabei, belastbare Wirkungsaussagen treffen zu können. Gleichzeitig erschweren die engen Zeit- und Zielvorgaben des Zuwendungsrechts und der Haushaltsvorgaben dieses Unterfangen.

Das notwendige Engagement ist langfristig, kontextspezifisch und strategisch

Signifikante Erkenntnisse liegen deshalb (1) in der Notwendigkeit eines Langzeit-Engagements. Sozialer Wandel braucht seine Zeit, gerade mit Blick auf die Aufarbeitung von traumatischen Geschehnissen, wie den Balkankriegen in den 1990er Jahren. Alle Bemühungen im Dialog und in der Vertrauensbildung benötigen viel Geduld und einen langen Atem. (2) In der Anerkennung der Einzigartigkeit des lokalen Kontextes. Ohne die Einbindung lokaler Kräfte und eine lokale Mitverantwortung gibt es kaum Aussicht auf nachhaltige Ergebnisse. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Arbeit von peacedialogue NGO in Armenien, wo Aktionen im öffentlichen Raum Menschen darin bestärken, sich sozial zu engagieren. Und (3) im Aufbau strategischer Partnerschaften zwischen Angehörigen verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen. Erfolg kann nur erzielt werden, wenn alle relevanten Gruppen beteiligt sind. Einprägsame Beispiele finden sich hierfür in Israel, wo jüdische und arabische Bevölkerungsgruppen in Bildungsprojekten, wie dem von Givat Haviva, über Jahrzehnte an einem friedlichen Miteinander arbeiten.

Wenn man nun die politischen Rahmenbedingungen und die Ausgestaltung in der Praxis in Bezug zueinander setzt, ergibt sich das Bild, dass vage oder diffuse politische Zielvorstellungen dazu führen, dass die Rahmenbedingungen durch administrative Vorgaben (wie im Zuwendungsrecht) bestimmt werden. Wir haben gelernt, dass die oben genannten Erfahrungen zentral sind, aber unter den jetzigen Bedingungen und der Fokussierung auf die bloße Förderung von Projekten die Arbeit nicht so effizient geleistet werden kann, wie es wünschenswert wäre. Es geht übermäßig viel Energie in die Verwaltung und Dokumentation von in sich abgeschlossenen Projekten, anstatt in die eigentliche Umsetzung von friedensfördernden Aktivitäten und die nachhaltige Stärkung von Organisationen. Politikbereiche wie die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und Zivile Konfliktbearbeitung müssen präzise und kohärente Zielvorstellungen festlegen, die die zuwendungsrechtliche Ausgestaltung bedingen – und nicht umgekehrt! Wir schlagen deshalb folgende konkrete Anpassungen vor: Die Finanzbedarfsplanung und damit die Mittelanforderungen in Projekten ist im Moment auf 6-Wochen-Rhythmen beschränkt. Diese sollten in einem ersten Schritt auf längere Zeiträume hin erweitert werden (3-6 Monate). Dadurch bliebe mehr Zeit, sich auf die Aktivitäten selbst zu konzentrieren, anstatt auf ein aufwendiges, eng getaktetes Berichtswesen. In darauffolgenden Schritten sollte der Blick von der zeitlich beschränkten Projektförderung auf die längerfristige Entwicklung und Unterstützung von Organisationen insbesondere vor Ort in Konfliktregionen gerichtet werden, die sich in der Zusammenarbeit bereits bewährt haben. Dadurch würde man die Planungssicherheit erhöhen und die bereits bestehenden Ressourcen (Know-How, Zeit, Personal und Geld) verstärkt in nachhaltige und belastbare Strukturen der Friedensförderung investieren können.

Leitbild Politikkohärenz Friedensförderung

Peter Mares

Peter Mares ist Leiter des zivik Förderprogramms im ifa (Institut für Auslandsbeziehungen).