Mut zu mehr Prävention: Eine Zwischenbilanz des PeaceLab-Prozesses

26. Januar 2017   ·   Frank-Walter Steinmeier

Krisenprävention und Konfliktlösung sind für die Bewahrung unseres Friedens, unserer Freiheit und unseres Wohlstands von zentraler Bedeutung und damit im ureigenen Interesse Deutschlands. Wir wollen dabei in Zukunft präventive Ansätze und zivile Mittel zur maßgeschneiderten Unterstützung politischer Strategien setzen, und dafür schlagkräftigere Strukturen innerhalb der Bundesregierung entwickeln.

Die Welt, so habe ich es selbst mehr als einmal formuliert, scheint aus den Fugen geraten zu sein. Doch was bedeutet das für uns? Man möchte schier verzweifeln in Anbetracht der vielen Krisenherde, der Intensität der Konflikte und ihrer Folgen für uns. Doch Resignation kann nicht die Antwort sein. Wenn Krisen in der internationalen Politik der „neue Normalzustand“ sind, dann muss es der Anspruch der Außenpolitik sein, handlungsfähig zu sein, um einen Beitrag zur Lösung von Konflikten zu leisten. Damit verteidigen wir nicht nur die Werte, sondern wir handeln auch in unserem ureigenen Interesse.

Ich bin überzeugt: Die Eingrenzung politischen Gestaltungswillens auf die eigenen, nationalen Grenzen ist der falsche Weg. Außenpolitik und Diplomatie sind für die Bewahrung unseres Friedens, unserer Freiheit und unseres Wohlstands von zentraler Bedeutung. Dieses Bemühen hat in den vergangenen Jahren durchaus Erfolge gezeitigt: Mit dem hart errungenen Abkommen mit dem Iran konnte das Aufflammen eines weiteren regionalen Konfliktherdes verhindert werden. Durch intensives diplomatisches Engagement ist es gelungen, den Konflikt in der Ostukraine zumindest einzuhegen. Und das konzertierte militärische und politische, von Maßnahmen der Stabilisierung unterlegte Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft im Irak hat den IS in die Defensive gedrängt. Der historische Friedensschluss in Kolumbien verdeutlicht, dass Frieden erreicht werden kann - mit Mut zum Risiko, mit Beharrlichkeit und allen Rückschlägen zum Trotz.

Von Partnern in der Zivilgesellschaft lernen: der PeaceLab2016-Prozess

In diesen und anderen Prozessen der Konfliktlösung und der Friedensförderung hat Deutschland Verantwortung übernommen. Mit dem Review-Prozess „Außenpolitik weiter denken“ habe ich nach meinem Amtsantritt Ende 2013 versucht, eine gesellschaftliche Debatte über die deutsche Rolle in der Welt anzustoßen und Schlussfolgerungen für die deutsche Außenpolitik zu ziehen. In zahlreichen Veranstaltungen, Bürger- und Expertengesprächen haben wir Außenpolitik zur Diskussion gestellt. Dabei wurde deutlich: Krisen zu verhindern und zu bewältigen muss eine höhere Priorität erhalten, als dies früher der Fall war. Wir müssen schneller, entschiedener und substanzieller handeln, wenn wir einen effektiven Beitrag zur Konfliktbewältigung leisten wollen. Die Gründung einer neuen Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt war hierfür sichtbarer Ausdruck. Sie sollte die Instrumente, die der Außenpolitik zur Verfügung stehen, schärfen, Expertise bündeln und neue Ansätze der Konfliktbewältigung entwickeln.

Doch uns war von Beginn an klar: Die Instrumente des Auswärtigen Amts allein werden nicht ausreichen, um Krisen zu verhindern und Konflikte zu lösen. Hierfür ist ein integrierter Ansatz gefragt, der die Erfahrungen, Ansätze und Mittel der Außenpolitik, der Sicherheits- und der Entwicklungspolitik vereint – weit über die zuständigen Ministerien hinaus. Wir wollen auch weiter von dem Wissen unserer Partner in der Zivilgesellschaft lernen: von den Konfliktforschern und den Kirchen, von den Beteiligten am Zivilen Friedensdienst und den Entwicklungsexperten, von Studierenden und interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Wir haben mit Ihnen über Ihre Erwartungen an das Krisenengagement der Bundesregierung diskutiert. Dieser PeaceLab-Prozess hat uns wichtige Anstöße gegeben, die nun in neue Leitlinien der Bundesregierung für Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung einfließen, die im Frühjahr vom Bundeskabinett verabschiedet werden sollen. Vielen Dank an alle, die daran teilgenommen und sich eingebracht haben!

Die neuen Leitlinien: Prävention, politische und zivile Ansätze stärken

Die neuen Leitlinien beschreiben die Werte und Interessen, die unser Handeln in der Krisenprävention und Friedensförderung leiten. Sie werden das Weißbuch zur Sicherheitspolitik um den gesamten – vornehmlich zivilen – Instrumentenkasten ergänzen, mit dem Deutschland im Verbund mit unseren Partnern dazu beitragen kann, Krisen zu verhindern, Konflikte zu bewältigen und nachhaltigen Frieden zu gestalten. Wir wollen dabei verstärkt auf präventive und zivile Ansätze setzen. Damit unterstützen wir die Präventionsagenda des neuen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres.

Gleichzeitig werden wir – ganz im Sinne der neuen Globalen Strategie der Europäischen Union – die Bemühungen fortsetzen, unsere Partner im Ausland widerstandsfähiger gegen Krisen zu machen. Denn eine Krise schon vor dem Ausbruch zu verhindern ist effizienter und kostengünstiger als sie später mühsam zu bewältigen – und vor allem verhindert sie menschliches Leid. Wir wissen aber auch: Nicht immer wird uns das gelingen. Wir werden auch in Zukunft mit akuten Konflikten zu tun haben und uns die Frage stellen müssen, was konkret wir tun können, um Gewalt einzuhegen. Militärische Lösungen gibt es in den seltensten Fällen – und wenn doch, dann brechen die Konflikte allzu oft schon nach wenigen Jahren erneut aus. Nur politisch ausgehandelte Konfliktlösungen sind nachhaltig, und der Weg dorthin ist steinig. Denn die Erfahrung hat uns gelehrt, dass Gesellschaften, die vom Krieg zerrüttet wurden, sich nicht über Nacht zu demokratischen Rechtsstaaten entwickeln. Eine solche Entwicklung erfordert vielmehr Geduld und beharrliches Engagement. Feststeht für mich: Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind die besten Garanten für einen nachhaltigen Frieden.

Auch in Zukunft „Krisenprävention weiter denken“

Die Leitlinien stellen die besonderen Stärken und künftigen Schwerpunkte unseres Instrumentenkastens heraus. Dazu zählt auch der zivile Stabilisierungsansatz, den das Auswärtige Amt in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Inzwischen wird dieser in einer Reihe von Ländern in enger Abstimmung mit unseren internationalen Partnern eingesetzt: maßgeschneiderte Projekte, die schnell und flexibel die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort verbessern, einen Anreiz für die Beteiligung am politischen Prozess setzen und das Vertrauen in legitime politische Akteure stärken. Wir wollen damit politische Konfliktlösungen unterstützen und die ersten Grundlagen dafür legen, dass langfristige Mechanismen der Friedenskonsolidierung und Entwicklungszusammenarbeit überhaupt greifen können.

Um unseren Instrumentenkasten noch effektiver und flexibler nutzen zu können, werden die Leitlinien die Strukturen und Verfahren im ressortgemeinsamen Ansatz schlagkräftiger gestalten: von der Krisenfrüherkennung bis zum kontinuierlichen Lernen und Evaluierungen. Die Leitlinien stehen daher zwar am Ende des PeaceLab-Debattenprozesses, aber sie beenden mitnichten den darin gelebten Austausch. Ich wünsche uns dazu jenen offenen und konstruktiven Dialog, der bereits in den über 100 Beiträgen auf diesen Seiten und in den zahlreichen Veranstaltungen des PeaceLab2016 gelebt wurde.