Europäische Verteidigungspolitik: Jetzt geht’s um Resultate!

27. März 2018   ·   Sophia Besch

Ob die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU wirklich vorankommt, hängt von der neuen Bundesregierung ab. Um den zahlreichen neuen EU-Verteidigungsinitiativen Glaubwürdigkeit zu verleihen, muss die Bundesregierung nun handeln: die EU-Institutionen stärken, die eigenen Verteidigungsprojekte europäisieren und sich auf konkrete Ergebnisse konzentrieren anstatt auf elegante Strukturen.

Die Leitlinien werden deutlich: „Deutschland strebt eine gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion an“. Und tatsächlich hat sich Deutschland in den letzten Jahren stark für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) eingesetzt. Der Europäische Auswärtige Dienst in Brüssel soll wirksame Strukturen schaffen, militärische Operationen zu planen und durchzuführen. Gleichzeitig soll die EU-Kommission eine starke europäische Verteidigungsindustrie aufbauen, die in der Lage ist, EU-Militärs zu versorgen.

CARD identifiziert. PESCO plant. EDF finanziert.

Drei eng miteinander verknüpfte Initiativen sind hierbei besonders wichtig. Erstens, der neue Coordinated Annual Review on Defence (CARD), der von der Europäischen Verteidigungsagentur durchgeführt wird. CARD soll die nationalen Verteidigungsetats von Mitgliedsstaaten systematisch überprüfen und Möglichkeiten für gemeinsame Initiativen und Projekte ermitteln. Zweitens, die Permanent Structured Cooperation (PESCO). PESCO soll EU-Staaten dabei helfen, militärische Fähigkeiten gemeinsam zu entwickeln und ihre Einsatzfähigkeit zu verbessern. Im Rahmen der PESCO sollen unter anderem die durch CARD ermittelten Projekte entwickelt werden. Drittens, der Europäische Verteidigungsfonds (European Defence Fund – EDF), ein ehrgeiziger Ausgabenplan für die Verteidigungsforschung und die Beschaffung neuer militärischer Technologie. Der EDF bietet Mitgliedstaaten finanzielle Anreize, um die Verteidigungszusammenarbeit – unter anderem im Rahmen von PESCO – zu  fördern.

Bei all diesen Initiativen kommt der Bundesregierung in den nächsten Jahren eine zentrale Rolle zu. Sie muss die richtige Balance finden: Wichtige Reformen vorantreiben, ohne dabei echte Resultate aus den Augen zu verlieren. Denn seitdem Deutschland zu einer führenden Stimme in der GSVP geworden ist, prägt die Sorge um eine "Germanisierung" der europäischen Verteidigung den Blick der anderen Mitgliedsstaaten auf Initiativen aus Berlin: ein Fokus auf Institutionen statt auf militärische Operationen. In dieser Legislaturperiode hat die Bundesregierung die Chance, dies zu ändern.

Steuerung und Struktur von PESCO verbessern

Anfangen könnte sie damit, sich entschiedener dafür einzusetzen, die Struktur und Steuerung der PESCO zu verbessern. Bislang haben widersprüchliche Visionen aus Deutschland und Frankreich PESCO geprägt. Berlin hat stets die Dimension als politisches Integrationsprojekt betont und eine möglichst große Zahl teilnehmender Länder angestrebt. Paris hingegen hat sich in der Entwicklungsphase für ambitionierte Zulassungskriterien ausgesprochen: Zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollten für Verteidigung ausgegeben werden, 20 Prozent davon wiederum für Investitionen in die Forschung. Nur besonders motivierten Mitgliedsstaaten sollte der Zugang zu PESCO Projekten gestattet werden. Der Kompromiss, auf den sich die EU letztlich geeinigt hat, sieht sehr deutsch aus. Die ambitionierten französischen Ziele blieben zwar bestehen, sind aber kein Zulassungskriterium. An PESCO nehmen nun fast alle EU-Mitgliedsstaaten teil.

Dieses Ergebnis spiegelt die Befürchtung der deutschen Regierung wider, dass der Zusammenhalt in der EU leiden könnte, wenn eine Avantgarde-Gruppe von Ländern Fortschritte macht und andere zurücklässt. PESCO in seiner jetzigen Form birgt allerdings das Risiko, kaum mehr als ein Papiertiger mit Wohlfühlverpflichtungen zu bleiben. Doch noch ist es nicht zu spät. Der Erfolg von PESCO wird maßgeblich davon abhängen, ob es der EU gelingt, durch ein Prüfverfahren Mitgliedsstaaten dazu zu verpflichten, tatsächlich mehr in die Verteidigung Europas zu investieren. Die neue Bundesregierung sollte hier mit gutem Beispiel vorangehen. Gleichzeitig sollte sie sich für ein Verfahren einsetzen, das diejenigen zur Rechenschaft zieht und notfalls aus dem Club rauswirft, die ihren Pflichten nicht nachkommen.

Verteidigungsindustrien ernsthaft europäisieren

Zweitens, Rüstungspolitik: PESCO, CARD und der Europäische Verteidigungsfonds sind wichtige Schritte hin zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsfähigkeit. Sie verfolgen das Ziel, die Effizienz der Verteidigungsausgaben zu maximieren, die  Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie zu verbessern, und die verschiedenen Technologien aneinander anzupassen. Davon ist die EU derzeit weit entfernt. So herrschen in der europäischen Verteidigungsindustrie Fragmentierung, Duplikation und Protektionismus. Viele Mitgliedstaaten unterhalten faktisch nicht-wettbewerbsfähige Rüstungsindustrien als staatlich subventionierte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, oder sie kaufen "von der Stange" aus Drittländern wie den USA. Das größte Problem liegt jedoch in dem niedrigen Niveau der europäischen Verteidigungsausgaben.  

Im März 2018 wurde die erste Liste mit PESCO-Projekten und der an den jeweiligen Projekten teilnehmenden Staaten veröffentlicht. Sie setzt sich zu einem Großteil aus Projekten zusammen, die ohnehin schon geplant waren, und die sich unter dem PESCO-Schirm nun für EU-Subventionen qualifizieren. Für Deutschland geht es unter anderem um Ausbildung, verbesserte Einsatzfähigkeit und Krisenreaktion sowie ein medizinisches Hauptquartier. Besonders vielversprechend ist ein Projekt zum Abbau bürokratischer Hürden für grenzüberschreitenden militärischen Verkehr.

Doch PESCO ist dann am erfolgreichsten, wenn Projekte auf die Bedürfnisse auf europäischer Ebene eingehen und hier dringendste Fähigkeitslücken füllen. Die Bundesregierung sollte künftig mit europäischen Partnern geplante Rüstungsprojekte über PESCO laufen lassen, wie beispielsweise den europäischen Kampfjet, den Deutschland und Frankreich planen, oder ein innovatives europäisches Drohnenprojekt. Diese Projekte können dann außerdem vom Europäischen Verteidigungsfonds profitieren.

Zurzeit laufen die Verhandlungen zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen der EU an. Die EU ist bereit, Rüstungsprojekte europäischer Staaten mitzufinanzieren. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass der Finanzrahmen die deutsche Priorität der Schaffung einer europäischen Verteidigungsunion widerspiegelt und zusätzliche Finanzmittel für den Verteidigungsfond zur Verfügung stellt.

Prozesse der EU und der NATO harmonisieren

Drittens muss sich die Bundesregierung für eine bessere Abstimmung zwischen EU- und NATO-Prozessen einsetzen. Zwei Schwierigkeiten sind absehbar: Zum einen hängt die Wirksamkeit von CARD davon ab, dass EU-Mitgliedsstaaten auch wirklich ihre nationalen Verteidigungspläne mit der EU teilen. Zum anderen muss der CARD Prozess so gut wie möglich auf den Planungsprozess der NATO abgestimmt werden, um Bedenken einiger Mitgliedsstaaten über mögliche Duplikationen entgegenzuwirken, den Informationsaustausch zu verbessern und größeres Vertrauen zwischen der NATO und der EU zu schaffen. Die Bundesregierung sollte die NATO- und CARD-Prozesse im Auswärtigen Amt und dem Bundesverteidigungsministerium so weit wie möglich integrieren, und die Terminkalender beider Prozesse harmonisieren.

Den französischen Vorschlag einer Europäischen Interventionstruppe aufgreifen

Deutschland muss, viertens, auf den Vorstoß des französischen Präsidenten Macron reagieren, eine Europäische Interventionstruppe (European Intervention Initiative – EII) zu schaffen. Neben der industriellen Kooperation möchte die EU auch die Zusammenarbeit europäischer Truppen verbessern. Gemeinsame Verpflichtungen und gemeinsam entwickelte Fähigkeiten – zum Beispiel in gemeinsamen Ausbildungszentren – sollen den gemeinsamen Einsatz der EU-Streitkräfte erleichtern. PESCO-Mitglieder haben sich außerdem dazu verpflichtet, den Athena-Finanzierungsmechanismus der EU für gemeinsame Operationen zu reformieren. 

Bekannte Hindernisse für EU-Einsätze bleiben jedoch weiterhin bestehen. Europäische Länder haben unterschiedliche militärische Kulturen und es mangelt ihnen an einer geteilten Bedrohungswahrnehmung. Letztlich scheitern EU-Einsätze jedoch hauptsächlich am mangelnden politischen Willen. Es gibt keine Garantie dafür, dass die PESCO-Mitgliedsstaaten in einer Krise ihre Kräfte auch wirklich einsetzen.

Präsident Emmanuel Macron hat auf diese Schwierigkeiten nun reagiert. Mit der Europäischen Interventionstruppe hat er ein Kooperationsformat vorgeschlagen, das die langwierigen bürokratischen EU-Prozesse umgehen soll. Dieser Vorstoß stellt Deutschland vor eine Herausforderung. 

Auf der einen Seite widerspricht schon die Grundidee einer „Interventionstruppe“ der strategischen Kultur Deutschlands. Auf der anderen Seite würde eine Truppenformation außerhalb PESCOs das EU-Projekt schwächen, auf das Deutschland sein politisches Kapital gesetzt hat. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen hat daher eine Integration der Interventionstruppe in PESCO gefordert – ein Vorschlag, der in Frankreich allerdings wohl wenige Anhänger finden wird. Eine andere Option wäre die Anbindung der Interventionstruppe an Deutschlands NATO Framework Nation Concept.

Großbritannien sollte auch nach dem Brexit zur Verteidigung Europas beitragen können

Schließlich sollte Deutschland hinsichtlich des französischen Vorschlags aber auch zwischen den Zeilen lesen: Ein wichtiger Vorteil der Europäischen Interventionstruppe ist, dass ihre Unabhängigkeit von EU-Mechanismen die Teilnahme Großbritanniens ermöglicht. In den Leitlinien schreibt die Bundesregierung dass „der geplante Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union das wichtigste Friedensprojekt des letzten Jahrhunderts auf eine schwierige Probe [stellt].“

Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass Großbritannien auch nach dem Brexit noch zur Sicherheit und Verteidigung Europas beitragen kann. Das bedeutet, dass die EU bei ihren Einsätzen die Mechanismen für die Teilnahme von Drittstaaten reformieren muss. Sie sollte Drittstaaten zum Beispiel früher in den Einsatzplanungsprozess einbeziehen. Konkret könnte die Bundesregierung darauf hinarbeiten, dass der „Ausschuss der beitragenden Länder“ wieder mehr Bedeutung erlangt. Hier sollten die EU-27 ihre Botschafter schicken, um sich mit Drittstaaten auszutauschen, die Truppen zu EU-Einsätzen beisteuern. Außerdem sollten wieder mehr Treffen zwischen der EU-Außenbeauftragten und Verteidigungsministern von Drittstaaten stattfinden. 

Von diesen Reformen würde nicht nur Großbritannien profitieren. Auch Norwegen drängt zum Beispiel seit langem darauf, stärker in die GSVP eingebunden zu werden. Die Schwierigkeit wird sein, zwischen Norwegen und Großbritannien und problematischeren Kandidaten, wie zum Beispiel der Türkei, zu differenzieren. Der Europäische Auswärtige Dienst ist hier auf die politische Unterstützung von Mitgliedsstaaten angewiesen. Ob es in der Europäischen Verteidigungspolitik zu tragfähigen Resultaten kommt, ist noch offen. Doch der Erfolg der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion hängt maßgeblich von Berlin ab.

Europäische Union Verteidigung

Sophia Besch

Sophia Besch ist Research Fellow am Center for European Reform (CER) in London.