Irak-Mandat: Transparenz schafft Vertrauen

21. März 2018   ·   Mario Schulz

Um das eigene Engagement in Krisengebieten politischer, strategischer und kohärenter zu machen, verabschiedete die letzte Bundesregierung die Leitlinien. Doch diese werden im neuen Bundeswehrmandat für den Irak nicht erwähnt. Um nicht beliebig und ziellos zu wirken, muss die Bundesregierung offene Fragen und Risiken klar kommunizieren.

Die neue Bundesregierung will weltweit mehr Verantwortung für Frieden und Sicherheit  übernehmen. Das zivile Engagement zur Stabilisierung des Iraks und nun auch der Einsatz der Bundeswehr über den kurdischen Nordirak hinaus tragen dazu bei. Doch das Beispiel Irak zeigt auch: Um die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ umzusetzen, muss die Bundesregierung noch nachbessern. Dazu muss sie ihre Strategie besser kommunizieren und Raum für kritische Fragen schaffen.

Die Leitlinien wurden für das Engagement im Irak gemacht

Als die letzte Bundesregierung 2014 beschloss, die kurdischen Peschmerga auszubilden und militärisch auszurüsten, waren Strategie und Kommunikation vergleichsweise simpel, auch wenn Waffenlieferungen in einen aktiven Konflikt eine kleine sicherheitspolitische Revolution waren. Die Peschmerga sollten den Islamischen Staat wirksam bekämpfen und einen Völkermord an den Jesiden verhindern. Doch nach dem weitgehenden militärischen Sieg über den IS sind die deutschen Interessen im Irak schwieriger auszumachen. Die Gefahren gehen nun von fragiler Staatlichkeit, geschwächtem gesellschaftlichem Zusammenhalt und zerstörtem Vertrauen in staatliche Institutionen aus. Um das Engagement in genau solchen Kontexten politischer, strategischer, und kohärenter zu machen, verabschiedete die letzte Bundesregierung die Leitlinien.

Diese sollte sich die Bundesregierung als Handlungsrahmen für ihr Engagement im Irak setzen – und zwar nicht nur für die bestehenden zivilen Maßnahmen, die das Auswärtige Amt durchführt, sondern zum Beispiel auch für „Trainings- und Beratungsmaßnahmen der Streitkräfte“, die auch in den Leitlinien vorkommen. Es ist daher bedauerlich, dass die Bundesregierung diesen ressortübergreifenden Konsens im neuen Irak-Mandat der Bundeswehr nicht erwähnt. Das trägt auch dazu bei, dass unter anderem der Bundeswehrverband das neue Mandat dafür kritisiert, dass es keiner politischen Strategie folge, und überstürzt und ziellos sei.

Bundesregierung sollte Risiken klar kommunizieren

Dabei ist der neue Einsatz vor allem politischen Erwägungen geschuldet: Die einseitige Unterstützung der kurdischen Kräfte im Nordirak ist – ohne die konkrete Bedrohung durch den gemeinsamen Feind IS – nicht länger tragbar, da nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum im Oktober 2017 die politischen und militärischen Konfliktlinien zwischen Erbil und Bagdad wieder akut geworden sind. Doch die Neujustierung des militärischen Engagements Deutschlands erweckt den Eindruck, dass die Bundesregierung mit diesen Entwicklungen nicht ausreichend gerechnet hat, und nun hastig nach einem neuen Einsatzbereich sucht, anstatt strategisch und vorausschauend zu handeln.

Die Bundesregierung sollte künftig mögliche politische Konsequenzen jedes Engagements ehrlich kommunizieren. Was sind die politischen Umstände unseres Engagements? Welche Entwicklungen sind absehbar? Welche zwar unwahrscheinlich, aber für unser Engagement potentiell desaströs? Wer diese Fragen und Risiken frühzeitig kommuniziert, der ist auch besser darauf vorbereitet, das eigene Engagement immer wieder anzupassen.

Ein Beispiel: Deutschland hat nach Jahren der Unterstützung für Peschmerga in der autonomen Region Kurdistan einen militärischen Fuß in der Tür. Anstatt im Mandat abstrakt darauf zu verweisen, dass Deutschland dadurch eine Brücke zwischen Bagdad und Erbil bilden soll, müsste die Bundesregierung konkrete Vorschläge dazu machen: Wie genau kann das veränderte Engagement für politische Kontinuität sorgen? Könnte Deutschland beispielsweise gemeinsame Sanitätsausbildung für Peschmerga und irakische Sicherheitskräfte anbieten? Könnte ein Engagement in Kurdistan daran gebunden werden, dass die kurdischen Parteien der Integration von Kommandostrukturen zustimmen?

Wichtiger Fortschritt: Das Anerkennen schwieriger Umstände für das eigene Handeln

In den Leitlinien heißt es, ein Engagement in Krisen und Konflikten fände in einem „volatilen Umfeld“ statt, „das Risiken erhöht und Folgeabschätzungen erschwert“. Diese Anerkennung schwieriger Umstände für das eigene Handeln ist ein wichtiger Fortschritt. Eine entsprechende Kommunikation, die das eigene Vorgehen realistisch verortet, müsste den Handlungskontext im Irak deshalb ausführlicher beschreiben, als es die Bundesregierung im neuen Mandat macht. Dort wird die zerklüftete Sicherheitslandschaft im Irak übergangen – über 50 Milizen beherrschen, oft unter Duldung, aber nicht unter Kontrolle von Bagdad, weite Teile des Landes. Die bewaffneten Gruppen sind loyal gegenüber politischen Parteien, verschiedenen Regionalmächten wie dem Iran, oder sind von Minderheiten aufgestellt worden, die der Zentralregierung nicht trauen. Sie tragen zur politischen Spaltung des Landes bei, und machen eine gewalttätige Eskalation politischer Konflikte wahrscheinlicher.

Auch wenn die Bundesregierung für solche Probleme keine Lösungen anbieten kann – oder sich diplomatisch nicht auf zu dünnes Eis wagen will – sollte sie solche Kontextfaktoren so offen wie möglich anerkennen. Einerseits um ein vollständiges Bild zu zeichnen, anhand dessen sich die Fortschritte und Rückschläge des Engagements letztlich messen lassen müssen. Andererseits aber auch, um bei später auftretenden Entwicklungen nicht ratlos dazustehen. Zum Beispiel wenn, anders als geplant, die deutsche Ausbildung über Umwege doch halbstaatlichen Milizen zukommen sollte. Denn es ist auch ein wesentlicher Fortschritt der Leitlinien, dass sich Deutschland langfristiges Engagement trotz erschwerter Bedingungen zutrauen will – und dazu ein weites Spektrum außenpolitischer Instrumente einsetzt.

Die Bundesregierung muss also in Vorleistung treten, wenn sie die Motivation hinter ihrem Engagement kommuniziert. Was wollen wir erreichen? Welche Instrumente stehen dafür zur Verfügung? Aufbauend auf eine nüchterne Analyse des Handlungsumfeldes muss sie auch kritische Fragen zulassen: Welche Risiken birgt das Engagement? Wenn wir die Milizen für problematische Akteure halten – was braucht es, um ihre Rolle zu schwächen? Oder: Sollte ihre Legitimität gefördert werden?

Drei Prioritäten für die Strategiefindung im Irak

Die Leitlinien bieten die richtigen Anstöße, um diese Fragen zu beantworten. Doch fehlt bislang der institutionelle Rahmen dafür, um zum Beispiel eine Irakstrategie aus einem Guss zu schaffen. An sinnvollen Vorschlägen mangelt es nicht. So schlug Christian Thiels an dieser Stelle vor, Kompetenzen bei einem nationalen Sicherheitsberater zu bündeln, oder einen Sonderbeauftragten für die jeweiligen Einsätze zu ernennen. Doch auch ohne solche Reformen kann eine ressortgemeinsame Strategiefindung im von den Leitlinien skizzierten Rahmen zu einer kohärenteren Strategie im Irak führen. Dabei sollte sich die Bundesregierung von drei Prämissen leiten lassen.

Erstens: Engagement in fragilen Kontexten muss einer politischen Strategie folgen. Wie wird gewährleistet, dass kritische Fragen zu den politischen Rahmenbedingungen immer wieder gestellt werden können? Welche Rolle werden die irakischen Streitkräfte in Zukunft spielen? Besteht etwa die Gefahr, dass eine neue irakische Regierung, zu der spalterischen Politik zurückkehrt, die maßgeblich zur Marginalisierung der Sunniten und zum Erfolg des IS beigetragen hatte?

Durch eine klare Kommunikation können Synergien entstehen

Zweitens: Maßnahmen brauchen konkrete, aber gleichzeitig flexible Zielsetzungen. Wie können Anreize geschaffen werden, realistische Ziele zu definieren, klar zu kommunizieren – und sie anzupassen, falls nötig? So können auch Synergien erkannt werden: Kann das militärische Ausbildungsprogramm zur Kampfmittelräumung mit dem community policing des Auswärtigen Amts verknüpft werden? Bestehen Zielkonflikte zwischen den Projekten verschiedener Ressorts? Welche Instrumente der Bundesregierung können unvorhergesehenen Entwicklungen Rechnung tragen?

Drittens: Wie kann ressortübergreifend kommuniziert werden, dass Langzeitfolgen und Wirksamkeit des Engagements schwer abzuschätzen sind, aber wir uns aber dennoch engagieren? Das kann gelingen, wenn jede Aktivität an eine theory of change geknüpft ist. Diese legt dar, wie ein Projekt beispielsweise zur Stärkung des irakischen Zentralstaats beiträgt und wie die Wirkungstheorie an veränderte Umstände angepasst werden kann. Funktionieren wird das aber nur, wenn alle Ressorts im Sinne des vernetzten Ansatzes die Wirkungsmechanismen ihres Engagements mit Blick auf die Gesamtlage durchdenken und nicht nur auf die eigenen Prioritäten. Friedensförderung in einem Land wie dem Irak ist kompliziert und auch mit den besten Instrumenten nicht frei von Risiken – das ist nicht die Schuld der Bundesregierung. Um jedoch nicht beliebig und ziellos zu wirken, muss die Bundesregierung eine vernetzte Politik auch ganzheitlich kommunizieren, indem sie die richtigen Fragen offenlegt und sich um die Antworten streitet. Dafür bieten die Leitlinien den richtigen Rahmen. Sie dienen nicht nur der besseren Wirksamkeit der Friedensförderung, sondern stellen auch einen wichtigen Konsens der Ressorts dar. Dieser muss bei Auslandseinsätzen stärker genutzt werden.