Ethnische Quoten im Sicherheitssektor? Ja, aber…

20. Juni 2018   ·   Julia Strasheim

Ethnische Quoten in Polizei und Militär sind ein häufiges Instrument in SSR-Programmen. Doch das Beispiel Nepal zeigt: Ihre Umsetzung ist ein hochpolitischer Prozess, der viele Probleme birgt. Denn Quoten beheben nicht die eigentlichen Ursachen von Ungleichheiten, sie können diese sogar noch verschärfen. Wer - wie die Bundesregierung - Quoten unterstützt, sollte gleichzeitig auf langfristige rechtliche und institutionelle Reformen hinarbeiten.

Die Integration ethnischer Minderheiten in Polizei und Militär ist häufig ein ganz konkretes Instrument in der Reform des staatlichen Sicherheitssektors (SSR) nach gewaltsamen Konflikten. Quoten, die das Kräfteverhältnis zwischen ethnischen Gruppen im Sicherheitssektor regeln sollen, wurden seit Beginn der 1990er Jahre beispielsweise in den Friedensverträgen in Bosnien, Burundi und Mazedonien verhandelt. Auch die Bundesregierung hat als Partnerin in SSR-Prozessen Quoten aktiv unterstützt. Sie war etwa im Januar 2006 Unterzeichnerin des Afghanistan-Pakts, in dem der Aufbau einer „ethnisch ausbalancierten“ Armee als Ziel formuliert wurde.  

Ethnische Quoten im Sicherheitssektor können durchaus eine positive Rolle im Friedensprozess spielen: Sie können die Diskriminierung von Minderheiten durch Sicherheitskräfte mindern und ihr Sicherheitsempfinden und Vertrauen in Polizei und Militär stärken. Die Bundesregierung sollte Quoten aber nicht als Allheilmittel für Frieden und Sicherheit nach Gewaltkonflikten verstehen. Gerade ihre Umsetzung ist kein rein technischer, sondern ein hoch politischer Prozess, der viele Probleme birgt.

Lehren aus dem nepalesischen Friedensprozess

Nepal ist ein aktuelles Beispiel für ambivalente Auswirkungen von Quotenregelungen im Sicherheitssektor. Aus diesem lassen sich mindestens drei Lehren für eine neue SSR-Strategie der Bundesregierung ziehen. In Nepal unterstützt Deutschland seit 2006 als einer der wichtigsten internationalen Partner die Regierung in der Gestaltung des Friedensprozesses. Ein wesentlicher Erfolg dieser Unterstützung ist die Demobilisierung und (Wieder-)Eingliederung von Ex-Kombattanten in Zivilgesellschaft und Armee.

Die Inklusivität des nepalesischen Sicherheitssektors ist im Friedensvertrag von 2006 und der Verfassung von 2015 verankert. 45 Prozent aller Stellen sollen für Frauen und ethnische Gruppen reserviert sein – vor allem für Madhesis, die etwa 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen und schon lange eine bessere Repräsentation fordern.

Trotz Quotenregelung haben Madhesis bis heute wenig Vertrauen in Sicherheitskräfte und waren zuletzt bei Protesten 2015 und 2016 exzessiver Polizeigewalt ausgesetzt. Quoten für ihre Integration in den Sicherheitssektor werden aufgrund entgegenwirkender legaler Hürden nur schleppend umgesetzt: im Jahr 2016 waren zum Beispiel nur 57 Personen oder 0.062 Prozent der Beschäftigten der Armee Madhesis.

Auswahlverfahren diskriminiert Minderheiten

Warum ist das so? Es beginnt bei den Einstellungsvoraussetzungen. Um sich auf einen Job im Sicherheitssektor zu bewerben, müssen Bewerber/innen ihre Staatsbürgerschaft nachweisen. Laut Nepals Verfassung besitzen Kinder nepalesischer Mütter und ausländischer Väter aber nicht automatisch die Staatsbürgerschaft. Das ist nicht nur sexistisch, sondern diskriminiert Madhesis besonders, da sie enge Verbindungen nach Nordindien pflegen und oft Ehepartner auf der anderen Seite der Grenze finden.

Auch im eigentlichen Rekrutierungsverfahren werden Madhesis benachteiligt. Noch ist Nepali die einzige nationale Amtssprache – und die Sprache, in der die Armee Einstellungstests durchführt. Madhesi-Bewerber/innen fallen in schriftlichen Tests oft durch, da Nepali nicht ihre Muttersprache ist. Auch fragt die Armee in ihren Einstellungstests Wissen über hinduistische Traditionen ab und wird im säkularen Nepal immer noch als Hindu-Institution wahrgenommen. Das schreckt etwa muslimische Bewerber/innen ab. 

Das „Projektdenken“ ablegen: SSR findet nicht im Vakuum statt

Für eine Neuausrichtung ihrer SSR-Strategie sollte die Bundesregierung daher darauf achten, konkrete Projekte zu unterstützen, die die Rekrutierung von Minderheiten in den Sicherheitssektor erleichtern können. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel die Überarbeitung der Modalitäten von schriftlichen Prüfungen, um Chancengleichheit zu gewährleisten.

Darüber hinaus sollten sich internationale Partner von SSR-Prozessen bewusst sein, dass Reformen des staatlichen Sicherheitssektors nicht in einem Vakuum stattfinden. Vielmehr sind sie eingebettet in den Gesamtkontext an Gesetzeslagen und Reformprozessen in Nachkriegsgesellschaften. Wenn dieser Gesamtkontext es verhindert, dass ethnische Minderheiten gleichgestellt sind, dann können vereinzelte Elemente wie Quoten im Sicherheitssektor nicht viel verändern. Das legt die Gesetzeslage zur Staatsbürgerschaft und Amtssprache in Nepal beispielhaft dar.

SSR-Instrumente können ihre angedachte Funktion nur übernehmen, wenn die Gesetzeslage oder andere politische Reformen die Ziele des SSR-Programms nicht torpedieren. Das erfordert von internationalen Partnern wie Deutschland auch, dass sie selektives „Projektdenken“ ablegen und einen umfassenden Blick auf den Gesamtkontext von rechtlichen und institutionellen Reformen einnehmen.

Madhesis erhalten keine Jobs in der Führungsebene

Dass die Inklusion ethnischer Minderheiten in die Sicherheitskräfte das Verhalten dieser kaum verändert, hängt auch mit den vorhandenen Hierarchieebenen zusammen. Madhesis bekommen im nepalesischen Sicherheitssektor kaum Jobs auf der Führungsebene, sondern vornehmlich in unteren Rängen. Sie führen die Entscheidungen anderer aus. Während meiner letzten Feldforschung bejahte ein Madhesi-Polizist meine Frage, ob er bei einer Demonstration auf Mitglieder seiner eigenen Gemeinde schießen würde: „Weigere ich mich, werde ich von meinen Vorgesetzten geschlagen.“ Ob trotz der Quote für Madhesis in der Polizei noch gefoltert werde? Es werde weniger, aber ja: „Das war eben schon immer so.“ 

Es wäre zu einfach, dieses Verhalten nur mit herabsetzenden Einstellungen der Vorgesetzten gegenüber Minderheiten zu begründen. Zu den Ursachen der Folterkultur in Gefängnissen gehören schlechte Bezahlung und unzureichende Ausbildung. Auch werden Polizist/innen in Nepal zentral ausgebildet und oft nicht in ihrer Heimat stationiert. So fehlen ihnen der enge Kontakt zur Gemeinde und lokale Sprachkenntnisse. Sie bemerken Veränderungen in der Sicherheitslage nur langsam und sind in Krisensituationen überfordert.   

Keine schnellen Lösungen: Institutionen verändern sich nur langsam

Für eine neue SSR-Strategie der Bundesregierung bedeuten diese Beispiele: Die Einführung ethnischer Quoten im Sicherheitssektor führt selten zu schnellen Erfolgen, da sie lang gewachsene institutionelle Kulturen nicht von heute auf morgen verändern können. Damit Quoten nicht zu einem reinen Zahlenspiel werden, muss die Bundesregierung diese mit langfristigen Ansätzen und Reformen verzahnen. Dazu gehören Initiativen, die den Aufstieg ethnischer Minderheiten in Führungspositionen im Sicherheitssektor (und darüber hinaus) fördern. Außerdem sollte die Bundesregierung Programme unterstützen, die eine langfristige Veränderung institutioneller Kulturen bereits in der Aus- und Weiterbildung von Sicherheitskräften anstreben.

Ganz praktisch kann das zum Beispiel die Reform der Lehrpläne von Polizeiakademien sein. Diese sollten neben Menschenrechtskursen auch psychologische Trainings beinhalten, in denen Polizeianwärter/innen lernen, wie sie unter Stress im Feld reagieren. Zudem sollten Lehrpläne vermitteln, den Mehrwert ethnischer Vielfalt im Sicherheitssektor wertzuschätzen.

Die Bundesregierung sollte daher von Lösungen absehen, die auf schnell messbare Resultate oder kurzfristige, oft nur symbolische Erfolge abzielen. Institutionen verändern sich nur langsam. Für eine wirklich nachhaltige Reform von Sicherheitsinstitutionen reicht daher auch die in der Entwicklungszusammenarbeit übliche Projektdauer von wenigen Jahren oft nicht aus. Eine SSR-Strategie der Bundesregierung sollte also auf langfristige Partnerschaften abzielen.

Unbeabsichtigte Nebenwirkungen: Ethnische Gruppen sind nicht homogen

Die Einführung ethnischer Quoten im Sicherheitssektor kann auch unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben. Denn ethnische Gruppen sind nicht so homogen, wie sie oft dargestellt werden. Wer eigentlich „Madhesi“ ist, ist in Nepal beispielsweise tief umstritten. Und unter denen, die sich selbst als Madhesi bezeichnen, gibt es erhebliche politische Konflikte zwischen verschiedenen Kasten und sozialen Schichten.

Diese Konflikte werden nicht durch Quoten gelöst. Im Gegenteil: Quoten haben Ungleichheiten innerhalb der Madhesis noch verschärft, weil vor allem diejenigen davon profitieren, deren Eltern bereits durch Quoten in staatlichen Institutionen arbeiten.

Bei der Unterstützung ethnischer Quoten im Sicherheitssektor sollte die Bundesregierung daher stets abwägen: Welcher unbeabsichtigten Folgen könnten Quotenregelungen haben? Gibt es beispielsweise innerethnische Konflikte, die durch Quoten gar verschärft werden können? Für eine Antwort auf diese Fragen reicht allein der Ruf nach einer stärkeren Repräsentation benachteiligter Gruppen im staatlichen Sicherheitssektor nicht aus. Die Bundesregierung muss in Kapazitäten investieren und sich Expertise einholen, um bestehende Machtstrukturen auch innerhalb von ethnischen Minderheiten zu analysieren und diese zu hinterfragen.

Security Sector Reform Friedensförderung Frieden & Sicherheit

Julia Strasheim

Dr. Julia Strasheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für internationale Sicherheitspolitik bei der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung und assoziierte Wissenschaftlerin am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.