Präventives Stressmanagement in SSR-Prozesse integrieren

18. Juni 2018   ·   Ulrike Schmid

Für die Fähigkeit der Soldaten, das eigene Gewaltpotential auch in Situationen mit extremer Belastung auf das notwendige Maß begrenzen zu können, sind psychische Stabilität und, wie es bei der Bundeswehr heißt, "mentale Fitness" unabdingbar. Die SSR-Strategie der Bundesregierung sollte deswegen den Aufbau von Kapazitäten für präventives Stressmanagement enthalten.

Die zerstörerische Gewalt, mit der die Soldaten konfrontiert sind, erfordert psychische Stabilität. Nur so können sie ihr wirksam begegnen: mit so viel Kampfkraft wie nötig, um der Gewalt der Angreifer Einhalt zu gebieten und mit so wenig Gewalt wie möglich, um nicht selbst durch ein Unmaß oder gar Exzesse kontraproduktiv zu werden und die Legitimität des Einsatzes zu verlieren.

Dieses Spannungsfeld wird in zwei kürzlich publizierten UN-Berichten deutlich. Improving Security of UN Peacekeepers fordert mit Blick auf das Risikobewusstsein in Peacekeeping-Einsätzen vom UN-Hauptquartier und den truppenstellenden Staaten – von der Kommandoebene runter bis zum Soldaten – einen Haltungswandel. Die entsandten Soldaten müssten in die Lage versetzt werden, den Angriffen bewaffneter Gruppen wirksamer zu begegnen. Hierfür benötigen sie einen bewussten und professionellen Umgang mit den Risiken des Einsatzes. Daran mangele es zu oft.

Gleichzeitig warnt der Bericht Journey to Extremism in Africa, dass Exzesse der staatlichen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte gegen die eigene Bevölkerung die Rekrutierungserfolge extremistischer Gruppen verbessern. Der Ausschlag für die Entscheidung, diesen Gruppen beizutreten, sei oft die Tötung oder Verhaftung von Familienmitgliedern oder Freunden durch den Staat gewesen – also durch Soldaten und Polizisten.

Hier gilt es präzise zu sein: das betrifft nicht die Mehrheit oder gar alle Verteidigungs- und Sicherheitskräfte. Pauschalisierungen sind fatal: Sie erschweren eine sinnvolle Analyse der Faktoren, die zu Gewaltexzessen führen, und untergraben zudem die Arbeit vieler im besten Sinne professioneller Soldaten und Polizisten, die gerade in fragilen Staaten unter äußerst schwierigen Umständen arbeiten. Dadurch werden außerdem die häufig sowieso schon angespannten zivil-militärischen Beziehungen in diesen Ländern belastet, denn solche Pauschalurteile werden in den lokalen Diskursen aufgegriffen.

Eine kontinuierliche Überlastung von Soldaten hat schwerwiegende Konsequenzen

Der Faktor Mensch ist für den Aufbau von leistungsfähigen und demokratisch kontrollierbaren Armeen von zentraler Bedeutung. Dies betonte auch ein westafrikanischer Offizier mit langer Einsatzerfahrung in Bürgerkriegen während einer Sondierungsmission: „Man hat schon Kriege ohne Waffen gesehen, doch noch keinen Krieg ohne Menschen“. Solche Sondierungen haben gezeigt: Man ist sich vor Ort der Problematik und des Bedarfs bewusst.

Deutschland bietet seinen Soldaten eine vergleichsweise vielfältige Unterstützung an, wenn es um Stressmanagement und psychosoziale Belastungen geht und baut das Angebot aus. Aus den Einsätzen im Kosovo und in Afghanistan haben wir gelernt: Kontinuierlich (über-)belastete Soldaten verlieren ihre Leistungsfähigkeit, werden öfter krank oder, wenn die Unterstützung fehlt, dienstuntauglich. Wer nicht gelernt hat mit den zerstörerischen Auswirkungen der durchlebten Gewalt umzugehen, wird z.B. depressiv oder reagiert mit aggressivem Verhalten oder Substanzmissbrauch. Zudem werden überlastete Soldaten im Einsatz zum Risikofaktor für ihre Kollegen und den Einsatz als Ganzes.

All dies verweist auf einen weiteren Aspekt, der selten explizit angesprochen wird: die Menschenrechte der Soldaten. Das Konzept der Inneren Führung der Bundeswehr trägt diesen Herausforderungen und ihrer Verpflichtung als Arbeitgeber gegenüber ihren Soldaten mit einer Fürsorgepflicht und damit verbundenen Maßnahmen Rechnung. Auch in Deutschland ist noch viel zu tun – der Ausbau des Personalpools und von Strukturen braucht Zeit, doch man ist auf einem guten Weg.

Solch kontinuierliche Überlastung gibt es auch bei Soldaten aus fragilen und Konfliktstaaten – gleichwohl unter den erschwerten Bedingungen von Fragilität und Konflikt. Ihnen steht keine vergleichbare und meistens – außer auf dem Papier – de facto gar keine Unterstützung zur Verfügung. Wenn sich dies nicht ändert, dann wird der destruktive Prozess des Recyclings von Gewalt, wie er in Afghanistan, im Sahel aber auch in Indonesien oder Mexiko seit Jahren an Dynamik gewinnt, nicht mehr zu stoppen sein.

Psychische Belastungen der Soldaten werden vernachlässigt

Die internationale Gemeinschaft vernachlässigt diese Problematik: Das Medical Support Manual for UN Field Missions von 2015 beschreibt zwar die Herausforderungen und zeigt auf, was truppenstellende Nationen bei der Ausbildung ihrer entsandten Soldaten berücksichtigen sollen. Doch die UN können dies nicht zwingend einfordern; damit würden sie in die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten eingreifen. Sie können angebotene Truppen ablehnen oder – wie bei der Mission in der Zentralafrikanischen Republik geschehen – bei anhaltendem Fehlverhalten zurücksenden.

Selbst SSR-Prozesse, die von den UN oder anderen internationalen Partnern koordiniert werden, setzen präventives Stressmanagement nicht auf ihre Agenda. Der Schwerpunkt liegt auf Law-and-Order-Ansätzen. Erst seit Kurzem unterstützt ein multilaterales Vorhaben zumindest den Aufbau eines Zentrums für posttraumatisch versehrte Soldaten in Nigeria.

Dieser rehabilitative Ansatz ist zu begrüßen, doch vor allem Prävention ist gefragt: vor und begleitend zum Einsatz sowie nachsorgend – also die Soldaten auch nach dem Einsatz unterstützend und in den Folgejahren niedrigschwellig begleitend. Verdrängte Belastungen brechen manchmal erst nach Jahren in Form von Suizid oder Gewalt gegen andere durch.

Deutschland sollte präventives Stressmanagement als Standard etablieren

Die deutsche SSR-Strategie sollte Prävention durch die Stärkung des Faktors Mensch im Sicherheitssektor als vorrangiges Ziel haben – und könnte damit zugleich den UN bei ihrer Prioritätensetzung auf Prävention zuarbeiten.

Die deutsche Ertüchtigungsinitiative beschränkt sich bislang auf eine eher technische Ausbildung und Ausstattung. Sie sollte Kapazitätsaufbau zu Stressmanagement in ihr Angebot aufnehmen. Sie bietet einen bereits etablierten Rahmen, in dem Deutschland präventive Maßnahmen vorstellen und die Einführung von lokal angepassten Maßnahmen und Strukturen unterstützen kann – in Form von Prozessbegleitung, denn ein Transfer des Konzepts der Bundeswehr ist aufgrund der verschiedenen Kontexte nicht sinnvoll. Doch es kann wichtige lokale Überlegungen anregen: Die Bundeswehr könnte deshalb im Rahmen von Modulen ihre Konzepte und Maßnahmen zur Diskussion stellen, ohne dass diese kopiert werden.  

Präventives Stressmanagement gehört nicht nur als ergänzende Komponente in das Angebot der Ertüchtigungsinitiative. Ein pensionierter Offizier der Bundeswehr betont: So ein Präventionsansatz muss zwingender Bestandteil (als Standard) verantwortungsvoller Ausbildungsunterstützung ausländischer Streitkräfte durch EU- bzw. NATO-Staaten sein.

Präventives Stressmanagement muss als Standard integriert werden – nicht nur für das Militär, sondern auch für die Polizei, das Gefängniswesen etc. Dies würde dazu beitragen, menschliche Sicherheit grundsätzlich und inklusiv in den Vordergrund zu stellen. Doch das Militär hat Priorität: Defizite beim Militär wirken sich systemisch auf den ganzen Sicherheitssektor aus – gerade in fragilen und Konfliktstaaten.

Kapazitätsaufbau kann auch durch die Unterstützung ziviler Akteure gefördert werden: Hier könnte die Bundesregierung mit Projekten gezielt Kapazitäten der lokalen Zivilgesellschaft stärken, so dass lokale zivile Akteure bei der Entwicklung des Designs von Stressmanagement zielführend mitwirken können. Vor allem aber könnte die Bundesregierung lokale zivil-militärische Arbeitsgruppen durch externe Prozessbegleitung unterstützen und damit vor dem Hintergrund oft angespannter Beziehungen gleichzeitig eine konstruktive Kooperation zwischen den lokalen zivilen und militärischen Akteuren fördern.

Präventives Stressmanagement in die deutsche SSR-Strategie zu integrieren, würde dem Risiko begegnen, dass Kapazitätsaufbau ohne Reformen die Gefahr für Repression erhöht. Das gilt sowohl für Ansätze, die nur innerhalb des Militärs angewandt werden, als auch für Projekte, die nur mit zivilgesellschaftlichen Akteuren arbeiten. Doch vor allem die Unterstützung zivil-militärischer Arbeitsgruppen wäre nachhaltig. Gleichwohl trägt jede dieser Varianten zur Stabilisierung des Faktors Mensch innerhalb des Militärs bei und stärkt damit die Position jener im besten Sinne professionellen Kräfte, die erst in der Lage sind, Law-and-Order-Maßnahmen und Institutionenaufbau in der Armee zur gelebten Realität werden zu lassen. Reformen brauchen Menschen, die diese Reformen leben.

Deutsche Stärken für den Kapazitätsaufbau im Stressmanagement gefragt

Deutschland ist aus mehreren Gründen mit Maßnahmen zu diesem Kapazitätsaufbau gefragt:

  • Erfahrungen aus zivil-militärischen Dialogen in Projekten des Zivilen Friedensdienstes geben Einblicke in die Dynamik und Herausforderungen von Kommunikation in angespannten zivil-militärischen Beziehungen;
  • Der psychosoziale Ansatz der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), der von deutschen Experten ausgearbeitet wurde, fördert in der Gesellschaft ein besseres Verständnis der psychosozialen Dynamiken und Herausforderungen von Stress und Trauma;
  • Mit seinem vergleichsweise starken Fokus auf soziale Aspekte unterstreicht das Medizinisch-Psychologische Stresskonzept der Bundeswehr die Bedeutung sozialer Elemente im Umgang mit Stress und Trauma – auch beim Militär.

Die Expertise aus diesen Arbeitsansätzen muss gebündelt werden. Gleichzeitig ist es notwendig, sich zügig und zugleich wohlfundiert zu engagieren. Die inhaltliche Aufbereitung eines Handlungsansatzes für Kapazitätsaufbau zu präventivem Stressmanagement sollte daher über eine Studie erfolgen, welche Fragilität, kulturelle Aspekte von Stress und Trauma und  interkulturelle Kommunikation sowie zivil-militärische Kooperation und damit verbundene Prozessbegleitung thematisiert. Deutsche und internationale Experten und Akteure aus Militär, Zivilgesellschaft und IZ – auch und gerade aus fragilen Kontexten – sollten hier im Rahmen von Fachgesprächen  beitragen. Solche Formate bieten zugleich die Möglichkeit, Expertise zusammenzubringen.

Eine solche Aufbereitung des Handlungsansatzes erlaubt zudem den erforderlichen Personalpool (auch) auf der Seite des internationalen Partners, der Prozessbegleitung anbieten möchte, aufzubauen. Auch bei uns in Deutschland gilt: Strategien und Handlungsansätze brauchen Menschen, die damit arbeiten können.

Friedenseinsätze Zivil-militärische Zusammenarbeit Security Sector Reform Frieden & Sicherheit

Ulrike Schmid

Dr. Ulrike Schmid arbeitet freiberuflich im Bereich Peacebuilding in Westafrika – in den letzten Jahren u.a. zu Dialog & Versöhnung (UNICEF/PBF) sowie Sondierungen zum Thema Kapazitätsaufbau zu Stressmanagement beim Militär mit der Schnittstelle SSR (Schweizer Kooperation).