Jugend als Friedensakteur: „The Missing Peace“ 30. August 2018 · Antonia Kuhn, Lukas G. Schlapp Jugendliche könnten mehr als bisher zu einem nachhaltigen Frieden beitragen. Junge Menschen in Deutschland haben zudem nicht nur den Willen, sondern auch Perspektiven, Ideen und Forderungen – zum Beispiel, dass die Bundesregierung interne Reformen in den UN voranbringt und digitale Partizipationsformate mehr nutzt. Debatten UN-Sicherheitsrat Was soll Deutschland beitragen? Als Jugenddelegierte zur UN-Generalversammlung vertreten wir die Forderungen der 14- bis 25-jährigen Deutschen bei den Vereinten Nationen. Auf unserer Deutschlandtour sammeln wir in Workshops und Gesprächen die Visionen und Perspektiven der jungen Menschen. Dabei treffen wir Jugendliche in diversen Lebenssituationen: Von Engagierten in Jugendparteien oder -verbänden, Schüler*innen aller Schulformen über junge Menschen mit Behinderung, junge Migrant*innen und Freiwillige bis hin zu Jugendlichen in Jugendarrestanstalten. Während der bisher ca. 40 Treffen mit Jugendlichen haben wir festgestellt, dass sich auch Jugendliche in Deutschland, von denen die meisten Kriege nur aus den Nachrichten oder dem Geschichtsunterricht kennen, mit Fragen des Friedens beschäftigen. Die Mehrheit der Jugendlichen ist sich bewusst, dass es ein Privileg ist, in einer Region aufzuwachsen, in der die EU seit 70 Jahren Frieden garantiert. Wenn junge Menschen in Deutschland über Frieden und Sicherheit sprechen, ist das für sie nicht nur die bloße Abwesenheit von physischer Gewalt. Vielmehr ist Frieden erst vollkommen erreicht, wenn grundlegende menschliche Bedürfnisse erfüllt werden, ohne den Planeten zu zerstören. Damit weisen diese Wünsche viele Parallelen zu dem von der Bundesregierung verwendeten umfassenden Sicherheitsbegriff auf. Erfahrungen und Ideen der Jugendlichen nutzen Jugendliche können zu einem nachhaltigen Frieden beitragen. Erst vor kurzem wurde in der Progress Study die Forderung bekräftigt, in das Potential der Jugendlichen als Friedensakteure („The Missing Peace“) zu investieren. Jugendliche können verschiedene Perspektiven beitragen: So sind Jugendliche nach wie vor stärker in der digitalen Welt und den Sozialen Netzwerken verwurzelt als andere Altersgruppen. Sie können am besten das Potential von sozialen Medien für Friedensprozesse nutzbar machen, indem sie zum Beispiel Online-Plattformen zum Austausch nutzen und damit einen Dialog über Frontlinien hinweg in der Gesellschaft ermöglichen. Wie wichtig die Rolle der Gesellschaft in solchen Prozessen ist, zeigte sich 2016 in Kolumbien, als die Bevölkerung den historischen Friedensvertrag mit den FARC-Rebellen überraschend ablehnte. Jugendliche einzubeziehen, muss als notwendig und selbstverständlich verstanden werden. Alle Mitgliedstaaten sollten daher Jugenddelegierte als festen Bestandteil ihrer UN-Delegationen verankern. Jugendliche sind auch anders von Konflikten betroffen als ältere Menschen: Führt ein Konflikt z.B. zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten, so sind junge Menschen, die entweder noch in der Ausbildung oder am Beginn ihres Arbeitslebens stehen, tendenziell früher und stärker davon betroffen. Gehen aufgrund des Konflikts Arbeitsplätze verloren, so sind junge Menschen davon besonders stark betroffen, weil sie im Vergleich zu ihren älteren Kolleg*innen noch keine Rücklagen für sich und ihre Familien bilden konnten. So kommt es schnell zu einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, die zu Frust und Perspektivlosigkeit unter den Jugendlichen führt und sie anfällig für gezielte Anwerbungsversuche von Terroristen und anderen radikalen Kräften macht. Darüber hinaus wirken sich Konflikte auch innerhalb der Gruppe der Jugendlichen unterschiedlich aus: So gelten insbesondere junge Frauen als schutzbedürftig; gleichzeitig können Jugendliche – vor allem junge Männer – auch als potentielle Täter im Konflikt involviert sein. Mangelhafte Bildung und hohe Frustration durch Perspektivlosigkeit machen Jugendliche anfällig für gezielte Anwerbungsversuche von Terroristen und anderer radikaler Kräfte. Durch ihre verschiedensten Erfahrungen haben junge Menschen wertvolle Einblicke in Konflikte, die genutzt werden sollten. Darüber hinaus sind Friedensprozesse nie kurzfristige Veränderungen, sondern langfristige Umbrüche, welche fast immer jahrelange Bemühungen voraussetzen. Mit dem Wissen, dass diese Prozesse alle Generationen betreffen, erscheint es unabdingbar, dass auch Jugendliche in Friedensbemühungen integriert werden; dies geschieht z.B. seit einigen Jahren in Kolumbien. Letztlich ist das Engagement für den Frieden unter Jugendlichen, die mit Kindern in vielen Konfliktregionen die größte Bevölkerungsgruppe bilden, groß: Weltweit helfen junge Menschen Geflüchteten, machen auf Menschenrechtsverletzungen und soziale Ungleichheiten aufmerksam, oder setzen sich in ihrem Umfeld für mehr Dialog zwischen verschiedenen Parteien ein. Was haben sie darüber hinaus für Möglichkeiten, um auf internationaler Ebene aktiv einen dauerhaften Frieden mitzugestalten? Jugendpartizipation bei den UN nimmt zu Lange spielten Jugendliche in der Wahrnehmung des Sicherheitsrates keine aktive Rolle in Friedensprozessen. Die Jugend, die der Sicherheitsrat als Gruppe der 18- bis 29-Jährigen definiert, fand als eigenständige Gruppe keinen Eingang in die Resolutionen des Gremiums. Erst 2015 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 2250 und legte damit den Grundstein für eine aktive Jugendbeteiligung in Friedensprozessen. Jugendverbände wie UNOY stießen diesen nicht nur bewusst an, sondern beteiligten sich auch maßgeblich am Prozess. Resolution 2250 gilt als bahnbrechend, da das Narrativ von jungen Menschen geändert wurde: Anstatt junge Menschen ausschließlich in potentielle Opfer und Täter zu gruppieren, wird ihr Potential, positiv und konstruktiv an der Friedenssicherung und -wahrung mitzuwirken, betont. Die Mitgliedstaaten möchten die Jugend auf allen Entscheidungsebenen in Friedensprozessen einbeziehen. Die Folgeresolution 2419 aus dem Juni 2018 formuliert den Anspruch, dass Jugendbeteiligung in Friedensprozessen auch innerhalb der Vereinten Nationen möglich sein muss. So sieht Resolution 2419 beispielsweise ein Briefing des Sicherheitsrats durch Jugendorganisationen zu relevanten jugendbezogenen Aspekten vor. Jugendbeteiligung bei den Vereinten Nationen nimmt somit einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Das zeigte sich auch durch die Schaffung der Stelle der*des Sondergesandten des Generalsekretärs für Jugend in 2013. Die Aufgabe der*des Sondergesandten ist es, der Jugend bei den Vereinten Nationen eine stärkere Stimme zu geben und ihre Perspektiven und Bedürfnisse sichtbar zu machen. So ist diese*r dafür zuständig, mehr strukturiere Jugendpartizipationsmechanismen bei den UN zu schaffen. Jugenddelegierte-Programme in allen Mitgliedstaaten etablieren Eine weitere Möglichkeit, sich einzubringen, bieten Jugenddelegierten-Programme in einigen Mitgliedstaaten. Die Rolle der Jugenddelegierten ist es, die Jugend des eigenen Landes in verschiedenen Gremien der UN zu vertreten: So werden wir (1) eine Rede vor dem 3. Ausschuss der Generalversammlung und der Sozialentwicklungskommission halten, (2) an Resolutionen – besonders der Jugendresolution – mitwirken, (3) eine Informationsveranstaltung bei der Deutschen Ständigen Vertretung organisieren und (4) unsere eigene Delegation in Jugendfragen beraten. Auf internationaler Ebene muss Jugendpartizipation noch stärker institutionalisiert werden. Jugendliche einzubeziehen, muss als notwendiger und selbstverständlicher Prozess verstanden werden. Dafür sollten alle Staaten Jugenddelegierte als festen Bestandteil ihrer Delegationen zu den Vereinten Nationen verankern – bisher gibt es diese Form der Jugendpartizipation bis auf wenige Ausnahmen nur in westlichen Staaten. Daneben wäre es gerade für mehr Jugendpartizipation in Friedensfragen wichtig, dass die Jugenddelegierten auch in den ersten Ausschuss der Generalversammlung, der sich mit Fragen der Abrüstung und der internationalen Sicherheit befasst, eingebunden werden. Jugendliche in Deutschland: UNSR reformieren und neue Formen der Partizipation schaffen Die Gespräche in den vergangenen Monaten haben uns gezeigt: Die Jugendlichen haben eigene Ideen für eine friedliche und sichere Weltgemeinschaft und starke Vereinte Nationen. Ein Großteil der Forderungen befasst sich mit möglichen Reformen des Sicherheitsrates: So fordern viele Jugendliche eine gerechtere Sitzverteilung zugunsten neu aufstrebender Staaten wie Indien oder Brasilien. Außerdem möchten sie die Nutzung des Vetorechts einschränken, da die Bemühungen der Vereinten Nationen zur Friedenssicherung ihrer Ansicht nach durch einen zu häufigen Gebrauch des Vetos durch die ständigen Mitglieder blockiert werden. Die Jugendlichen hoffen, dass Deutschland in den kommenden zwei Jahren seine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat nutzt und interne Reformen anstößt und voranbringt. So sollte die Bundesregierung verstärkt bei den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates für die Unterstützung der Initiative von Frankreich und Mexiko werben, die auf eine Selbstverpflichtung der Vetomächte abzielt, in bestimmten Fällen von ihrem Veto keinen Gebrauch zu machen. Jugendliche in Deutschland hoffen, dass Deutschland interne Reformen im Sicherheitsrat voranbringt. Die Bundesregierung sollte für die Initiative von Frankreich & Mexiko werben, die die Nutzung des Vetorechts einschränkt. Der andere Teil der Forderungen richtet sich direkt an die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. Das Engagement der Bundesregierung für gewaltfreie Lösungen von Konflikten und humanitäre Missionen zugunsten der Zivilbevölkerung bewerten die jungen Menschen positiv. Dahingegen sehen sie die Waffenexporten aus Deutschland in die Welt kritisch. Daher wünschen sie sich einen stärkeren Beitrag Deutschlands zur Verringerung des weltweiten Waffenhandels, was durch eine strengere Risikoüberprüfung der Nehmerländer erreicht werden könnte. Wir erwarten, dass Entscheidungsträger*innen sowohl der deutschen Regierung als auch innerhalb der Vereinten Nationen die Forderungen der Jugend hören, zur Kenntnis nehmen und in ihre politischen Entscheidungen mit aufnehmen. Bessere Beteiligungsmöglichkeiten – vor allem in der digitalen Welt – müssen geschaffen werden. Diese ermöglichen eine vereinfachte globale Vernetzung über Ländergrenzen hinweg. So könnten Online-Konsultationen ausgeweitet werden. Jugendliche dürfen mit diesen Träumen und Wünschen nicht alleine gelassen werden, sondern müssen jetzt gehört werden. Debatten UN-Sicherheitsrat Was soll Deutschland beitragen? Vereinte Nationen Zivilgesellschaft Frieden & Sicherheit Jugend in Konflikten Antonia Kuhn Antonia Kuhn ist UN-Jugenddelegierte und begleitet im Oktober 2018 die deutsche Delegation zur UN-Generalversammlung und im Frühjahr 2019 die Sozialentwicklungskommission. Lukas G. Schlapp Lukas G. Schlapp ist UN-Jugenddelegierter und begleitet im Oktober 2018 die deutsche Delegation zur UN-Generalversammlung und im Frühjahr 2019 die Sozialentwicklungskommission.
Artikel Friedensförderung braucht eine Verjüngungskur Friedliche und inklusive Gesellschaften entstehen, wenn auch junge Menschen in gesellschaftliche und politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Die neue Bundesregierung sollte daher einen Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-Resolution 2250 entwickeln und deutlich mehr in die Beteiligung von jungen Menschen in der Friedensförderung investieren. Elsa Benhöfer • 04. April 2018
Veranstaltungsbericht Youth in Conflict On 6 October 2016, Polis180 organized a workshop bringing together 35 students and young professionals from different countries to discuss the role of youth in conflict and to develop recommendations for the German governments new guidelines on crisis prevention, stabilization and peacebuilding. Polis180 • 26 October 2016
Artikel Ein neuer Fixpunkt für die Krisenprävention: Afrikas Jugend Krisenprävention in Afrika heißt vor allem: Zukunftsperspektiven für die Jugend schaffen. Die Bundesregierung sollte sich deswegen für eine entwicklungsorientierte Handelspolitik gegenüber Afrika einsetzen. Auch durch die Förderung von Investitionen deutscher Unternehmen in Afrika und von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kann die Bundesregierung ihrer Rhetorik zur Krisenprävention Taten folgen lassen. Isabel Pfaff • 09. Februar 2017