Transitional Justice lebt vom internationalen Austausch

18. Dezember 2018   ·   Anna Kaminsky

Der internationale Austausch macht vielen Transitional Justice-Akteuren Mut, die in ihren Ländern Ausgrenzung und Anfeindung erleben. Hier können sie Erfahrungen und Solidarität austauschen. Doch für viele Akteure ist die Teilnahme zu teuer. Die Bundesregierung sollte fehlende Ressourcen bei Partnern in Postkonfliktgesellschaften ausgleichen und ein permanent staff bereitstellen, der kontinuierliche Treffen organisiert.

Debatten

in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung

Jede Gesellschaft und jeder Staat steht nach Gewaltherrschaft, Diktaturen oder Kriegen vor der Frage, wie mit den begangenen Verbrechen, den Opfern und Tätern umgegangen werden soll. Wie das friedliche Zusammenleben zwischen vormals verfeindeten Gruppen nach unterschiedlichen Gewalterfahrungen gewährleistet werden kann, steht dabei im Vordergrund. Eine der wichtigsten Herausforderungen ist es, einerseits den Opfern und Verfolgten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und andererseits die Täter und Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, ohne hierbei altes durch neues Unrecht zu ersetzen.

Es gibt keinen Königsweg

Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihren vielfältigen Institutionen und ihren multiplen Formen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für viele Staaten zu einem Vorbild geworden. Es gibt jedoch keinen Königsweg, mit der Vergangenheit „fertig zu werden“. Aufarbeitung bzw. Transitional Justice ist kein genormtes Verfahren und es gibt kein Modell, das für jeden nationalen oder historisch-politischen Kontext passen würde. So vielfältig wie die jeweiligen Formen der ausgeübten Gewalt und ihre Akteure sind, so vielfältig sind die Formen mit dieser Gewalt umzugehen.

Die Auseinandersetzung mit Gewaltherrschaft und Diktatur umfasst dabei in allen bisher verfolgten Modellen mehr als die strafrechtliche Komponente. Seien es die sogenannten Schweigepakte, bei denen der Gesellschaft (von oben verordnet) die Auseinandersetzung mit den begangenen Verbrechen verweigert wird. Begründet wird dies meist damit, dass dies der Wahrung des gesellschaftlichen Friedens dienen würde. Oder seien es die Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, wie sie Chile oder Südafrika praktiziert haben, die Enquete-Kommissionen in Deutschland mit der Unterstützung einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung oder die Praxis der Internationalen Strafgerichtshöfe. Jede dieser Formen von Gewalt- oder Diktaturaufarbeitung steht früher oder später vor der Herausforderung, die Grenzen der strafrechtlichen Aufarbeitung durch andere Formen zu ergänzen, um eine „Heilung“ der Gesellschaft zu ermöglichen.

Fortgesetzte Gefahr für soziale Existenz, Leib und Leben

Für viele derjenigen, die staatlich legitimierte und praktizierte Gewalt zu thematisieren oder Verantwortliche zu benennen versuchen, ist dies mit fortgesetzter Gefahr für Leib, Leben und soziale Existenz verbunden. Das gilt insbesondere dann, wenn mit dem Ende der Gewalt kein wirklicher „Regimechange“ verbunden war. Die Beschimpfungen als „Nestbeschmutzer“ oder Lügner und Verleumder sind dabei nur das Geringste.

Wie wir durch die vielfältigen Kontakte und Kooperationsbeziehungen in unterschiedliche Länder erfahren konnten, sind viele derjenigen, die sich der Vergangenheitsaufarbeitung verschrieben haben, in ihren Ländern eine kleine Minderheit. Sie behandeln oft Themen, die für die Mehrheitsgesellschaft unangenehm sind und verdrängt werden sollen. Hinzu kommt, dass viele dieser Aktivisten in ihren eigenen Ländern untereinander nicht vernetzt sind. Dies erschwert bereits auf nationaler Ebene die Möglichkeiten, sich gegenüber Politik und Gesellschaft Gehör zu verschaffen. Die Zersplitterung in einzelne Gruppen oder Persönlichkeiten fördert die Isolierung und verhindert Solidarisierung. Einen Austausch zwischen den Akteuren auf individueller oder institutioneller Basis zu etablieren, ist ein langwieriger Prozess.

Interessanterweise gelingt das, was oft auf nationaler Ebene schwierig ist, auf internationaler Ebene jedoch leichter. Hier haben sich in den vergangenen Jahren Netzwerke gebildet, die befördert werden durch gemeinsame Konferenzen und internationale Austauschprogramme wie das Programm Memory Work der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die LABs der GIZ bzw. der GLAC des Auswärtigen Amtes und anderer Akteure. Es wurden teilweise Chat-Gruppen eingerichtet, um über thematische Fragen zu diskutieren.

Mut schöpfen aus dem internationalen Austausch

Die GIZ hat vor einigen Jahren ein neues Format eingeführt, um diesen internationalen Austausch weiter zu forcieren. Mit den Nelson Mandela Dialogues hat sie eine Plattform geschaffen, bei der Vertreter aus verschiedenen Aufarbeitungskontexten von Argentinien und Uruguay über Kenia und Südafrika bis nach Deutschland, Kanada, Bosnien, Serbien, Kroatien und Kambodscha sich zu einem Netzwerk zusammenschlossen. Im Abstand von einem Jahr konnten sich die TeilnehmerInnen an verschiedenen Orten und Ländern treffen, um sich auszutauschen und komplexe Themen zu diskutieren. Zwischen den Konferenzen entwickelten sich verschiedene thematische Gruppen und es erfolgten bilaterale Einladungen.

Der Austausch ergab, dass es übergreifende Themen gibt, die unabhängig vom nationalen Kontext relevant sind. Dazu gehörten einerseits inhaltliche Fragen, z.B. was Gerechtigkeit ist, welchen Stellenwert die Behandlung der intergenerationellen Weitergabe von Traumata für Postkonfliktgesellschaften hat, oder wie Minderheiten das fehlende Interesse der Mehrheitsgesellschaften an Aufarbeitung aufbrechen können. Erfahrungen wurden aber auch zu ganz praktischen Fragen ausgetauscht: Wie sollte mit Archivunterlagen umgegangen werden? Welchen Beweiswert haben diese? Wie können Netzwerke erfolgreich und dauerhaft etabliert werden und woher kann Finanzierung organisiert werden?

Vielen TeilnehmerInnen machte es Mut zu wissen, dass sie mit ihren Erfahrung von Nichtbeachtung, Ausgrenzung und Anfeindung nicht alleine, sondern Teil einer (inter)nationalen Gemeinschaft sind, und dass ihre Probleme oft universell und übergreifend waren. Es war und ist für sie sehr wichtig, über die Netzwerke auch Solidarität zu erfahren, voneinander zu wissen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten erfahren zu können.

Es fehlen die finanziellen Mittel, internationale Netzwerke zu pflegen

Bei aller Übereinstimmung in inhaltlichen Fragen waren viele Diskussionen davon bestimmt, wie es gelingen kann, solche Netzwerke auch nach Auslaufen der finanziellen Projektförderung hinaus aufrecht zu erhalten. Internationaler Austausch ist teuer und kann durch die Akteure oft nicht finanziert werden. Diese leiden oft darunter, dass sie selbst für ihre eigene Arbeit vor Ort kaum die notwendigen Mittel auftreiben können, geschweige denn frei verfügbare Mittel haben, um an regelmäßigen Netzwerktreffen teilnehmen zu können. Flüge, Visagebühren oder den Aufenthaltskosten stellen viele Teilnehmer vor unlösbare Probleme.

Doch braucht es vor allem Kontinuität, um eigenes Handeln zu reflektieren und neue Anregungen durch die Erfahrungen anderer zu erhalten. Online-Konferenzen können für diese Kontinuität nicht sorgen. Die Erfahrung aus den regelmäßigen jährlichen Treffen zeigt, dass zeitlich begrenzte Online-Konferenzen für die zwischenzeitliche Pflege der Kommunikation wichtig sind, jedoch den direkten Kontakt und Austausch im Rahmen einer mehrtägigen Zusammenkunft nicht ersetzen können.

Wo die Bundesregierung ansetzen kann

Hier fehlt es bisher an Strukturen, die einerseits die fehlenden Ressourcen bei vielen Partnern in Postkonfliktgesellschaften ausgleichen und andererseits eine Art permanent staff bereitstellen, die Themen und Austausch moderieren und kontinuierliche Treffen organisieren und strukturieren könnten.

Um diese Strukturen zu erhalten und bei potentiellen Geldgebern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein längerfristiger Austausch unumgänglich ist, müssen alle Akteure stärker verdeutlichen, dass um tragfähige Beziehungen zwischen verschiedenen Partnern zu etablieren zunächst Vertrauen hergestellt werden muss. Dies erfordert Zeit und scheitert zumeist daran, dass es zwar eine punktuelle Projektunterstützung gibt, jedoch das Verständnis für die Langsamkeit solcher Prozesse oftmals fehlt.

Daher sollte die Bundesregierung für internationale Austauschprogramme in diesem Bereich sowohl Mittel für eine dauerhafte Supportstruktur als auch Reise- und Aufenthaltskosten für mehrtägige Face-to-Face-Treffen zur Verfügung stellen.

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in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung