Stückwerk beenden, Entwicklung ziviler Fähigkeiten professionalisieren 29. Mai 2019 · Carina Böttcher Die Entwicklung der Fähigkeiten für die zivilen EU-Missionen ist derzeit fragmentiert und unkoordiniert. Durch nationale Implementierungspläne des zivilen GSVP-Pakts und eine Überprüfung der zivilen Fähigkeiten können die EU-Mitgliedstaaten die Grundlage für mehr Koordination und Kooperation schaffen. Wenn die zivile GSVP professionalisiert werden soll, ist das dringend nötig. Debatten Neustart in Brüssel? Ideen für die europäische Friedens- und Sicherheitspolitik Im November 2018 haben die EU-Mitgliedstaaten den zivilen GSVP-Pakt (Civilian CSDP Compact) beschlossen. Mit 22 politischen Verpflichtungen wollen sie bis 2023 die zivile Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) fit für künftige Herausforderungen machen und langjährige Defizite beheben. Die Entwicklung ziviler Fähigkeiten haben sie dabei als eine der zentralen Herausforderungen identifiziert. In der zivilen GSVP bestehen Fähigkeiten vor allem aus qualifizierten Expertinnen und Experten, beispielsweise Polizeibeamten, Menschenrechtsberaterinnen oder Experten für zivile Verwaltung, die in den Missionen an der Mandatsumsetzung mitwirken. Im Kapazitätsaufbau und der strategischen Beratung geben sie ihr Wissen an ihre lokalen Gegenüber weiter. Unter der Entwicklung ziviler Fähigkeiten sind daher die Auswahl und das Training von Personal zu verstehen, die sich nach aktuellen und zukünftigen Bedarfen der Missionen richten. Da die Mehrzahl des Personals in GSVP-Missionen von den Mitgliedstaaten sekundiert wird, findet dieser Prozess vor allem auf nationaler Ebene statt. Mehr Personal ausbilden und rekrutieren, vorausschauender planen Aus zwei Gründen gibt es dringenden Verbesserungsbedarf: Erstens hat die zivile GSVP in den letzten Jahren neue Aufgabenfelder hinzugewonnen, die neue spezifische Fähigkeiten erfordern. Die Missionen sollen beispielsweise stärker in der Bekämpfung von Terrorismus, hybriden Bedrohungen, irregulärer Migration und organisierter Kriminalität tätig werden. Expertinnen und Experten für diese Aufgaben entlang des Nexus von innerer und äußerer Sicherheit werden aber auch in den Mitgliedstaaten derzeit händeringend gebraucht oder zu anderen EU-Agenturen wie Frontex entsandt und umso seltener den GSVP-Missionen zur Verfügung gestellt. In diesen Bereichen müssen die EU-Staaten daher schnellstmöglich mehr Personal rekrutieren und ausbilden, um auch dem Bedarf der zivilen Missionen zu entsprechen. Eine vorausschauende Entwicklung ziviler Fähigkeiten ist notwendig, um das zivile Krisenmanagement weiter zu professionalisieren. Zweitens ist die Entwicklung ziviler Fähigkeiten auch nach über 15 Jahren ziviler Missionserfahrung als nationale Kompetenz der EU-Staaten fragmentiert und unkoordiniert geblieben. Die nationalen Strukturen zur Rekrutierung und Ausbildung in den Mitgliedstaaten sind unterschiedlich ausgeprägt: Während einige Staaten wie Deutschland mit dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze (ZIF) professionelle Institutionen nur für diesen Zweck gegründet haben und über Personal-Pools verfügen, stellen andere Staaten Personal ad-hoc bereit, eine gezielte Fähigkeiten-Entwicklung für zivile Missionen fehlt teils komplett. Auf der EU-Ebene gibt es daher keinen Überblick darüber, auf welche Fähigkeiten und welches Personal die GSVP aus den Mitgliedstaaten zurückgreifen kann (zumindest theoretisch, falls diese bereitgestellt würden), und in welchen der Aufgabenfelder es an geeignetem Personal mangelt. Ist eine neue Mission erst einmal in Planung, kann dieser Mangel ein schnelles und effektives Krisenmanagement ausbremsen oder sogar verhindern. Eine vorausschauende Entwicklung der Fähigkeiten ist daher notwendig, um das zivile Krisenmanagement weiter zu professionalisieren. Um beide Probleme zu beheben, haben sich die Mitgliedstaaten im Pakt auf zwei Ziele geeinigt, die die Entwicklung der Fähigkeiten verbessern sollen: Sie wollen individuelle Nationale Implementierungspläne (NIP) entwerfen und eine jährliche Fähigkeiten-Überprüfung durchführen. Der aktuelle Stand der Umsetzung zeigt jedoch, dass auf dem Weg dorthin noch einige Hindernisse überwunden werden müssen. NIP mindestens im EU-Rahmen zirkulieren Zurzeit ist es um die zivile GSVP ruhig geworden, denn die EU-Mitgliedstaaten arbeiten vor allem national an ihren NIP. Bis zum Herbst 2019 sollen sie darin darlegen, wie sie die Verpflichtungen aus dem Pakt umsetzen wollen, welche Ziele sie sich setzen und an welchen Stellen sie sich verbessern wollen. Die NIP bilden anschließend die Basis für die Überprüfung der Fähigkeiten auf EU-Ebene. In einem ersten Schritt haben sich die Staaten im Frühjahr auf eine Vorlage (Template) geeinigt, welches allen NIP zugrunde liegen soll. Diese Vorlage lässt den EU-Staaten jedoch viel Spielraum: Es kann dazu genutzt werden, um eigene Strukturen sorgfältig zu prüfen und sich Ziele zur Verbesserung zu setzen, oder um recht oberflächlich eine Pflichtaufgabe zu erfüllen, ohne eigene Defizite offenbaren zu müssen. Daher bleibt fraglich, ob die NIP zu einem Mindestmaß an Vergleichbarkeit führen, das nötig wäre, um die Fähigkeiten zu überprüfen. Und noch ein weiterer Punkt steht in Frage: Die EU-Staaten haben sich noch nicht darüber verständigt, ob die NIP veröffentlicht oder zumindest im EU-Rahmen geteilt werden. Falls die Dokumente tatsächlich eine vertrauliche nationale Angelegenheit bleiben, ist der Aufwand weitgehend überflüssig. Würden sie zumindest unter den EU-Staaten zirkuliert, könnten sie Möglichkeiten für bi- oder multilaterale Zusammenarbeit und gemeinsame Projekte aufzeigen. Erfolge sichern, Entwicklung verstetigen, Informationen aktualisieren Im Herbst 2019 wird die finnische Ratspräsidentschaft nach der Fertigstellung der NIP die erste Überprüfungskonferenz ziviler Fähigkeiten ausrichten. Durch die jährliche Überprüfung soll bis 2023 regelmäßig der Status quo der zivilen Fähigkeiten und der Umsetzung des Pakts ermittelt werden. Bisher gibt es jedoch noch keinen Vorschlag für ein mögliches Prozessdesign. Ziel muss es sein, eine Überprüfung zu schaffen, die für die EU und ihre Mitgliedstaaten einen informativen Mehrwert schafft, sie jedoch nicht durch einen zu hohen administrativen Aufwand belastet. Zumindest müssen zu diesem Zweck die nationalen Ziele und bereits getätigten Verbesserungen in Bezug auf die 22 Ziele des Compact ausgewertet werden. Genauso sollte für die einzelnen Aufgabenbereiche der zivilen GSVP analysiert werden, welche Staaten welche Kapazitäten priorisieren und entwickeln. Wo es zwischen den Zielen der Staaten Überschneidungen gibt, sollten Vorschläge für Kooperationen und Synergien gemacht werden. Die Überprüfung sollte dazu beitragen, Erfolge in der Umsetzung des Pakts zu sichern, die Entwicklung der Fähigkeiten langfristig zu verstetigen und Informationen über zukünftige Bedarfe zu aktualisieren. Verbindlichkeit und mögliche Sanktionierung klären Die Mitgliedstaaten haben sich zudem noch nicht darauf geeinigt, welche Institution die Fähigkeiten-Überprüfung durchführen wird. Hierfür gäbe es eine Reihe von Möglichkeiten: Naheliegend wäre die ‚Civilian Planning and Conduct Capability‘ (CPCC) im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). Eine weitere Möglichkeit wäre es, ein kleines Sekretariat zu diesem Zweck zu gründen. Zuletzt könnte die EU auch eine externe Institution, z.B. ein Forschungsinstitut oder einen Think Tank, beauftragen, um neue Erkenntnisse aus einer informierten Außenperspektive zu erlangen. Schließlich ist auch noch offen, wie verbindlich die Überprüfung ist und ob es Konsequenzen geben wird, wenn die Mitgliedstaaten Verpflichtungen aus dem Pakt vernachlässigen. Letzteres ist jedoch unwahrscheinlich, da bereits vor dem Beschluss des Pakts viele EU-Mitgliedstaaten Bedenken gegenüber Sanktionen geäußert haben. Zurückhaltung ablegen, Chancen nutzen Neue Sicherheitsherausforderungen sowie begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen für die GSVP machen es unabdingbar, dass die EU-Staaten die Entwicklung ziviler Fähigkeiten stärker miteinander koordinieren und enger kooperieren. Neue Sicherheitsherausforderungen sowie begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen für die GSVP machen es unabdingbar, dass die EU-Staaten die Entwicklung ziviler Fähigkeiten stärker miteinander koordinieren und enger kooperieren. Die EU-Mitgliedstaaten sollten daher, erstens, die Zurückhaltung im Informationsaustausch aufgeben und die Chancen aus dem Pakt für eine bessere Entwicklung ihrer Fähigkeiten nutzen. Sie sollten die NIP unter Einbeziehung aller relevanten nationalen Stellen rechtzeitig vor der Überprüfungskonferenz im Herbst fertigstellen und untereinander zirkulieren. Die Bundesregierung, die ein wichtiger Treiber bei der Ausarbeitung des Pakts war und in der zivilen GSVP seit Jahren eine Vorreiterrolle einnimmt, kann mit gutem Beispiel vorangehen und sich im deutschen NIP ambitionierte Ziele setzen. Beispielsweise könnte sie eine quantitative Verpflichtung für die Entsendung von mehr deutschen Polizeibeamten eingehen (derzeit sind es knapp über 30). Außerdem könnte sie darlegen, ob zur Vorbereitung von Sekundierten auf die neuen Aufgaben in der zivilen GSVP neue Trainingsmaßnahmen geplant sind. Sofern die NIP im Ergebnis kaum vergleichbar sind, sollten die EU-Staaten im Rahmen der ersten Überprüfungskonferenz die Vorlage verfeinern und die NIP bis 2020 noch einmal fortschreiben. Sie sollten diese erste Konferenz als Testlauf sehen, der auch Aufschluss über den Mehrwert des Prozessdesigns liefert. Multilaterale Projekte möglich machen, zukunftsgewandte Fähigkeiten entwickeln Zweitens, sollten die Mitgliedstaaten sich zum Ziel setzen, nach und nach die Planungen ihrer nationalen Fähigkeiten besser aufeinander abzustimmen. So können einzelne Staaten Lasten teilen, Geld einsparen und zielgerichteter an Bedarfen arbeiten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass eine informelle Arbeitsteilung entsteht – denn viele Mitgliedstaaten haben schon jetzt Stärken in der Ausbildung von Personal, die sie weiter schärfen können. Beispielsweise entsendet Polen bereits jetzt viele Polizeikräfte; Deutschland hat besonders erfahrene politische und Rechtstaatlichkeits-Beraterinnen und -Berater im ZIF-Pool. Diese Maßnahmen bilden die Basis für einen dritten und letzten notwendigen Schritt, der im Pakt noch nicht vorgesehen ist: Haben die EU und ihre Mitgliedstaaten erst einmal mehr Informationen über den Status quo der zivilen Fähigkeiten zusammengetragen und mehr Koordination geschaffen, können sie sich der Frage widmen, was die zivilen GSVP-Missionen in zwei, fünf oder zehn Jahren leisten müssen, und welche Fähigkeiten dafür gebraucht werden. Erst dieser Schritt, der eine nachhaltige, strategische und vorausschauende Fähigkeiten-Entwicklung einleitet, macht die zivile GSVP zu dem leistungsfähigen Instrument des Krisenmanagements, das die EU in Krisen und Konflikten dringend benötigt. Debatten Neustart in Brüssel? Ideen für die europäische Friedens- und Sicherheitspolitik Friedenseinsätze Frieden & Sicherheit Europa Carina Böttcher Carina Böttcher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) in Berlin.
Artikel Shaping the Future of Civilian Crisis Management Almost unnoticed by the wider public, the EU has taken a landmark decision to make its civilian crisis management more capable, flexible and responsive. However, important commitments in the “Civilian CSDP Compact” remain vague. As a strong supporter of civilian CSDP, Germany should push for further ambitious steps to be made concrete. Carina Böttcher, Marie Wolf • 28 November 2018
Artikel Nicht Migration, sondern Krisen managen: Wie Deutschland die zivile GSVP stärken könnte In den aktuellen Reformdiskussionen der zivilen GSVP sollte sich die Bundesregierung nicht nur mit technischen Ideen zu Einsätzen und Personal einbringen, sondern auch die strategische Schwerpunktsetzung für die GSVP-Missionen im Auge behalten. Die Kernkompetenzen der GSVP liegen im Krisenmanagement – nicht in der Migrationsabwehr. Tobias Pietz • 12. Juni 2018
Artikel Die "Europäische Friedensfazilität": Gute Idee mit großen Risiken Die Idee einer "Europäischen Friedensfazilität" (EPF) könnte eine gute Lösung sein, um die Finanzierung von militärischen Maßnahmen von Entwicklungsgeldern zu trennen. Doch sie birgt auch Risiken. In den Verhandlungen zur EPF sollten die EU-Mitgliedsstaaten unter anderem sicherstellen, dass die Fazilität die afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur nicht schwächt. Julian Bergmann, Mark Furness • 29. Mai 2019