Mehr Polizei für die GSVP: Die Dienstherren sind gefragt

17. Juni 2019   ·   ​Philipp Neubauer​

Das Aufgabenspektrum der Polizei innerhalb der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wandelt sich und erfordert stärker spezialisierte Teams und gemeinsame Trainings für Beamt*innen aus verschiedenen Ländern. Deutschlands Bekenntnis zur zivilen GSVP muss hierbei auch in der Zahl der Entsendungen deutlich werden. Eine Group-of-Friends mit Innenpolitikern aus Bund und Ländern könnte hierfür an Lösungen arbeiten.

Innerhalb der Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union (EU) rücken die zivilen Fähigkeiten zunehmend in den Fokus. Der Ratsbeschluss zur Stärkung der zivilen GSVP von Mai 2018, der zivile GSVP-Pakt von November 2018 und der dazugehörige Aktionsplan von April dieses Jahres bilden einen soliden Rahmen. Diesen gilt es in den kommenden Monaten und Jahren mit konkreten Inhalten zu füllen.

Hierbei kommt der Polizei eine besondere Rolle zu. Nahezu alle zivilen GSVP-Missionen hatten bzw. haben eine Polizeikomponente. Das Aufgabenspektrum der Polizist*innen hat sich über die vergangenen Jahre jedoch stark gewandelt und erweitert. Während in der frühen Phase der EULEX Mission im Kosovo auch exekutive Funktionen im Vordergrund standen, geht die Tendenz aktuell in Richtung kleiner, hoch spezialisierter Missionen, die voranging in den Bereichen der strategischen Beratung, dem Mentoring und dem Kapazitätsaufbau tätig sind.

Der Wandel im Aufgabenspektrum der zivilen GSVP birgt Probleme

Zunehmend rücken auch Migrationskontrolle, Terrorismus und organisierte Kriminalität in den Fokus und sollen, wie Carina Böttcher feststellt, nun auch offiziell zum Aufgabenspektrum der zivilen GSVP gehören. Dadurch wird der Bedarf an polizeilichen Fähigkeiten zwangsläufig steigen. Dabei sollte die EU nicht aus den Augen verlieren, dass die Kernkompetenz der GSVP das Krisenmanagement ist, wie auch Tobias Pietz in seinem Beitrag im Juni 2018 feststellt. Der zivile GSVP-Pakt stellt nun die neuen Aufgaben neben das „klassische“ Krisenmanagement, ohne ihr Verhältnis zueinander zu klären. In Anbetracht der begrenzten Anzahl an entsendebereiten europäischen Polizist*innen sollte klar sein: Die Entscheidung für eine bestimmte Aufgabe, ist immer auch eine Entscheidung gegen eine andere.

Verschärft wird die Situation zusätzlich durch den geplanten Ausbau der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, die bis 2027 auf 10.000 Beamt*innen anwachsen soll. Dieses Vorhaben dürfte die Personalgewinnung für die zivile GSVP weiter erschweren. Zudem soll Frontex in Zukunft vermehrt in Drittstaaten zum Einsatz kommen, womit die Zukunft der Polizei innerhalb der zivilen GSVP grundsätzlich hinterfragt werden könnte. Werden Missionen mit polizeilichen Aufgaben langfristig durch Frontex-Operationen und andere Instrumente abgelöst, deren Mandate wesentlich stärker auf die innere Sicherheit der EU ausgerichtet sind?

Dies hätte nicht nur weitreichende Auswirkungen auf das Anforderungsprofil der zu entsendenden Polizist*innen. Es würde auch einen Bruch mit der friedenspolitischen Ausrichtung der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik bedeuten, die bisher den Markenkern der GSVP ausgemacht hat. Als treibende Kraft hinter dem zivilen GSVP-Pakt sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die friedenspolitische Ausrichtung erhalten bleibt und sich dies auch im Einsatz der begrenzten Polizeikapazitäten für Auslandseinsätze im Sinne des zivilen Krisenmanagements wiederspiegelt.

Wichtige Fortschritte auf operativer Ebene

Auf der operativen Ebene wurden bereits einige Weichen gestellt, die die Arbeit der Polizist*innen in zivilen GSVP Missionen effektiver gestalten könnten. So wurde 2016 eine Mission Support Platform eingerichtet und 2018 wurde im schwedischen Kristinehamn das Warehouse 2.0 für zivile Missionen in den Dienst gestellt. Zudem ist eine Aufstockung der Core Responsiveness Capacity auf 50 Expert*innen geplant, die für eine schnelle Entsendung zu Beginn einer neuen Mission bereitstehen. All dies lässt hoffen, dass Missionen in Zukunft schneller entsandt und ausgestattet werden können und dass sich die Polizist*innen in den Missionen stärker auf ihre wesentlichen Aufgaben vor Ort konzentrieren können. Auch die Entscheidung, die Mandatszeiten zu verlängern und die Missionen zu flexibilisieren, sind Schritte in die richtige Richtung. Gleichzeitig gibt es weiterhin reichlich Raum für Verbesserungen.

Die Core Responsiveness Capacity sollte in eine echte stehende Einheit umgewandelt werden, die für eine schnelle Entsendung bereitsteht und an der auch Polizist*innen beteiligt sind. Zur Entlastung der Missionen vor Ort und um schnelle Reaktionszeiten zu gewährleisten, sollte die EU generell bestrebt sein, alle missionsübergreifenden Aufgaben (wie Logistik, IT-Systeme usw.) weitestgehend zu standardisieren und im Sinne der Mission Support Platform bedarfsgerecht bereitzustellen.

Spezialisierte Teams einsetzen und gemeinsam für den Einsatz trainieren

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten in GSVP-Missionen dazu übergehen, neben individuellen Beamt*innen auch spezialisierte Teams einzusetzen. Dieses Format wird im zivilen GSVP-Pakt bereits erwähnt und die Vereinten Nationen haben gute Erfahrungen damit gesammelt. Beamt*innen aus einem oder mehreren Mitgliedsstaaten könnten sich gemeinsam auf ein bestimmtes Aufgabengebiet vorbereiten und bei Bedarf innerhalb der Missionen gemeinsam als eine Einheit zum Einsatz kommen. Dies würde die Missionen flexibilisieren und für mehr Planungssicherheit sorgen.

Zudem würde es dem Problem innerhalb der multinational zusammengesetzten Missionen entgegenwirken, dass unterschiedliche Auffassungen bestimmter polizeilicher Praktiken vor Ort zunächst in Einklang gebracht werden müssen. Natürlich sind spezialisierte Teams mit einem Mehraufwand bei Auswahl, Vorbereitung und Entsendung der Polizist*innen verbunden. Dennoch sprechen gesteigerte Effizienz und Kohärenz vor Ort für diesen Schritt.

Noch gibt es beim Umfang und der Qualität der Vorbereitung der Polizist*innen starke Unterschiede innerhalb der EU. Gleichzeitig gibt es Bestrebungen seitens der EU, das Training für zu entsendende Polizist*innen und anderem zivilen Personal anzugleichen. Um unnötige Doppelstrukturen zu vermeiden, sollten mehrere Mitgliedsstaaten ihre Ausbildungskapazitäten innerhalb der EU bündeln. In Anlehnung an das Rahmennation-Konzept innerhalb der NATO könnten sie sich zu einem Verbund zusammenschließen und ihre Polizist*innen gemeinsam auf einen Auslandseinsatz vorbereiten. Ein gemeinsames Training bereitet die Beamt*innen aus unterschiedlichen Mitgliedsstaaten zudem effektiv auf die multinationale Realität der Missionen vor.

Dienstherren müssen Polizist*innen tatsächlich gehen lassen

In Folge des letzten Bundestagsbeschlusses zu internationalen Polizeimissionen von September 2016, hat es in Deutschland einige positive Entwicklungen gegeben. Hierzu zählen beispielsweise der neu eingerichtete Fachbereich „Internationale Polizeiliche Beziehungen“ an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol), die Erweiterung des Entsendungszeitraums für Führungspersonal auf zwei Jahre oder die Möglichkeit pensionierte Polizist*innen durch das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) zu entsenden.

Gleichzeitig stagniert jedoch die Zahl der Entsendungen und ist in der Tendenz eher rückläufig. Derzeit (Stand Juni 2019) sind insgesamt nur 55 deutsche Polizist*innen in Missionen von EU (34) und UN (21) im Einsatz. Hinzu kommen weitere 46 Beamt*innen in dem bilateralen German Police Project Team (GPPT) in Afghanistan. Obwohl es weitestgehend Konsens ist, dass Deutschland sein Engagement insbesondere in der polizeilichen Zusammenarbeit ausbauen soll, besteht hier seit Jahren ein Defizit.

Da Polizist*innen, anders als Soldat*innen, nur auf freiwilliger Basis entsandt werden können, müssen Bund und insbesondere die Länder die Anreizstrukturen weiter verbessern. Bekannte Stellschrauben sind Verdienstmöglichkeiten, Karriereplanung (z.B. verpflichtende Auslandsverwendung für Führungspersonal) und Anerkennung. Wichtiger ist jedoch, dass die jeweiligen Dienstherren einer Entsendung positiv und offen gegenüberstehen und den Interessierten eine Auslandsverwendung auch wirklich ermöglichen. Hier spielen die Bundesländer und ihre Polizeidienste eine zentrale Rolle. Mit etwa 215.000 von insgesamt 250.000 Polizist*innen verfügen sie über den Großteil des potentiell verfügbaren Personals. Nur mit ihrer Unterstützung wird die Bundesregierung dem selbst gesteckten Ziel eines gesteigerten Engagements in der zivilen GSVP gerecht werden können. Dies gilt zudem auch für Frontex: Alleine wird der Bund es kaum schaffen, den gesteigerten Personalbedarf abzudecken.

Eine Group-of-Friends aus Bund und Ländern, die Lösungen erarbeitet

Der geplante virtuelle Stellenpool für Auslandsverwendungen, mit dem die Dienstherren zumindest finanziell für den Ausfall der entsandten Beamt*innen kompensiert werden sollen, ist dabei ein wichtiger Schritt. Die Bundesregierung muss diesen nun schnellstmöglich umsetzen. Im Rahmen der Innenministerkonferenz sollte grundsätzlich überdacht werden, inwieweit das derzeitige Finanzierungsmodell – der Dienstherr zahlt die regulären Bezüge und der Bund übernimmt die auslandsbedingten Mehrkosten – bei einem erwünschten Anstieg der Entsendungen langfristig tragfähig ist. Denn sobald die Zahl der entsandten Landesbeamt*innen den Stellenpool übersteigt, müssen die Dienstherren derzeit wieder für die Inlandskosten aufkommen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die jeweiligen Dienstherren dazu bereit sind. Eine ursprünglich im Koalitionsvertrag von 2013 festgehaltene umfassende Bund-Länder-Vereinbarung wird aktuell nicht weiter verfolgt. Bund und Länder sollten die Arbeit hieran wiederaufnehmen.

Dass mittlerweile über 10.000 deutsche Polizist*innen im Ausland eingesetzt waren und dort wichtige Arbeit leisten, dürfte den meisten Bundesbürger*innen und auch vielen Politiker*innen weiterhin unbekannt sein. Insbesondere auf Ebene der Landespolitik braucht es ein Bewusstsein darüber, wie wichtig die Beteiligung an internationalen Polizeimissionen ist. In Anlehnung an die Bund-Länder Arbeitsgruppe "Internationale Polizeimissionen" (AG IPM), könnten der Unterausschuss für zivile Krisenprävention und der Innenausschuss eine Group-of-Friends initiieren, in der sich interessierte Innenpolitiker*innen aus Bund und Ländern über die internationale Arbeit der deutschen Polizist*innen austauschen und gemeinsam an Lösungsansätzen für bestehende Probleme arbeiten können. 

In Anbetracht der Tatsache, dass einige Mitgliedsstaaten der zivilen GSVP keine strategische Relevanz zusprechen, muss die Bundesregierung eine klare Position einnehmen und sich für ambitionierte nationale Implementationspläne zum zivilen GSVP-Pakt einsetzen. Dazu gehört auch, die Zahl der von Deutschland entsandten Polizist*innen deutlich zu erhöhen. Bund und Länder sollten sich im Rahmen der Innenministerkonferenz, wie in der Vergangenheit, auf eine konkrete Zielmarke einigen. Nur wenn Deutschland selbst einen adäquaten Beitrag zur personellen Ausstattung der zivilen GSVP leistet, wird es auch andere Mitgliedsstaaten von diesem Schritt überzeugen können.

Zivil-militärische Zusammenarbeit Europäische Union Europa

​Philipp Neubauer​

Philipp Neubauer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und forscht zur Rolle der Polizei in internationalen Missionen.