Algerische Lösungen für die algerische Krise? 12. September 2019 · Isabelle Werenfels, Luca Miehe Externe Akteure sollten sich in Algerien zurückhalten, da dort die Angst vor einer Einmischung von außen groß ist. Die Bundesregierung kann aber kreative Maßnahmen ergreifen, wie die indirekte Unterstützung über die Afrikanische Union und tunesische zivilgesellschaftliche Akteure. Berlin sollte Menschenrechtsverletzungen klar verurteilen und von Waffenexporten absehen. Debatten Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern Prioritäten bis 2021 In der ersten Hälfte 2019 hat Algerien ein politisches Erdbeben erlebt: Der seit 20 Jahren regierende Abdelaziz Bouteflika ist zurückgetreten, zwei Präsidentschaftswahlen wurden abgesagt, eine Welle von Verhaftungen hat die Elite erschüttert, und zahllose politische Initiativen wurden lanciert. All dies ist die Folge von anhaltenden, landesweiten und friedlichen Protesten, die im Februar begannen. Doch zu Herbstbeginn befinden sich die zentralen Akteure in einer Pattsituation. Auf der einen Seite bleibt die heterogene Protestbewegung (genannt Hirak) weiter entschlossen in der Zielsetzung einer demokratischen Transition, aber ohne Führungsstrukturen. Auf der anderen Seite beharren Teile der etablierten Opposition, die Regimeelite sowie der neue starke Mann, Generalstabschef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah, auf schnellen Präsidentschaftswahlen – ohne einen grundlegenden politischen Transitionsprozess. Das politische Tauziehen findet vor dem Hintergrund einer drohenden profunden Wirtschaftskrise statt. Zu deren strukturellen Ursachen – niedriger Ölpreis, mangelnde Strukturreformen sowie grassierende Korruption – gesellen sich die direkten und indirekten wirtschaftlichen Folgen der politischen Ausnahmesituation. Für die algerischen Eliten wird es folglich schwieriger, sozialen Frieden über die gezielte Verteilung von Ressourcen und Privilegien zu erkaufen. Damit bahnt sich die Vermengung von bislang getrennt verlaufenden sozio-ökonomischen und politischen Protesten an. Dies dürfte eine politische Transition weiter erschweren. Folglich ist es im Interesse nicht nur aller algerischen Akteure, sondern auch der europäischen Nachbarn, dass das größte afrikanische Land zeitnah aus der politischen Blockade findet. Ausländischer Einfluss ist unerwünscht In dieser Situation würde es sich anbieten, dass Deutschland, wie in entfernt vergleichbaren Situationen in Tunesien oder Ägypten 2011, Unterstützung aus dem Instrumentarium deutscher Außen-, und Entwicklungspolitik anbietet. Theoretisch wäre im algerischen Fall von Beratung bei wirtschaftlicher Diversifizierung bis hin zu Expertise bei Verfassungs- und Wahlprozessen oder einem nationalen Dialog alles denkbar. In Algerien lehnen sowohl die Regierung als auch breite Teile der Bevölkerung jegliche Unterstützung von außen ab. Bloß: In Algerien lehnen sowohl die Regierung als auch breite Teile der Bevölkerung jegliche Unterstützung von außen ab. Diese Ablehnung begründet sich durch historische Erfahrungen, die von der Kolonialisierung über den opferreichen Unabhängigkeitskampf und die Vorreiterrolle bei den blockfreien Staaten bis hin zum Bürgerkrieg in den 1990er Jahren reichen. Die algerische Innenpolitik, der öffentliche Diskurs und die Außenbeziehungen sind bis heute maßgeblich von einem hohen Souveränitätsanspruch, einer profunden Angst vor Einmischung von außen und großer Zurückhaltung in der Kooperation mit westlichen Akteuren geprägt. Nicht zuletzt haben Entwicklungen in der Sahel-Region und in Nordafrika seit 2011 zu der Wahrnehmung beigetragen von westlichen Akteuren umzingelt zu sein: Die Nato-Intervention in Libyen, die von Frankreich gestützte G5 im Sahel, das westliche Engagement in Tunesien und die migrationsbedingte europäische Präsenz in Niger werden äußerst kritisch beurteilt. Kein Wunder also, dass seit Beginn der Proteste der Topos von einer Intervention und Manipulation durch ausländische Kräfte Hochkonjunktur hat. Angst vor der „ausländischen Hand“ als politisches Druckmittel Die Ablehnung der so genannten „main étrangère“ ist seit Jahrzehnten kleinster gemeinsamer Nenner über die unterschiedlichen Lager hinweg. Oft ist dies ein Codewort für die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Diese hält sich allerdings seit Beginn der Proteste stark zurück; Paris ist ganz offensichtlich verunsichert und möchte keine Fehler mit möglicherweise langfristigen, auch wirtschaftlichen Folgen für Frankreich machen. Dies tut dem Narrativ der „ausländischen Hand“ aber keinen Abbruch: seit Februar nutzen die verschiedenen Lager diesen Topos primär, um sich gegenseitig zu diskreditieren. Generalstabschef Ahmed Gaid Salah wettert regelmäßig gegen obskure interne und externe Kräfte, die die Proteste angeblich manipulieren. Die Opposition wiederum fordert einen ernsthaften Dialogprozess, um externe Interventionen zu vermeiden. Ein Besuch in Moskau, Berlin und Rom des damaligen Vize-Premiers im März reichte aus, um diesen zur primären Zielscheibe eines der wöchentlichen Freitagsproteste zu machen. Im Hirak wird überdies moniert, die Vereinigten Arabischen Emirate stützten Gaid Salah, um eine Demokratisierung zu verhindern. Auch die Unterstützung Russlands für schnelle Wahlen wird kritisiert. Selbst die algerische Diaspora, speziell in Frankreich, steht unter Generalverdacht. Aus algerischer Sicht sind politische Transitionen in der Region weder Blaupause noch Vorbild Aus algerischer Sicht sind politische Transitionen in der Region weder Blaupause noch Vorbild. Auch wenn vereinzelte Akteure in Algerien die politische Einigung im Sudan als Vorbild für Algerien betrachten, wäre im Gegensatz zum Sudan eine Mediation durch Dritte – etwa die Afrikanische Union oder Nachbarstaaten – in Algerien unerwünscht bis undenkbar. Das „kleine Tunesien“ sehen viele Algerier nicht unbedingt als Vorbild für bemerkenswerte Demokratisierung, sondern für Destabilisierung. Ägyptens Sisi-Regime schließlich gilt dem Hirak als Antithese zum gewünschten zivilen Übergang. Keine Beruhigung der Lage in Sicht Zusätzliche Schwierigkeit für externe Akteure ist die derzeitige Unsicherheit darüber, in welche Richtung sich die politischen Dynamiken entwickeln. Zu Herbstbeginn zeichnete sich einerseits ein Wiedererstarken der Protestbewegung mit möglicherweise radikaleren Schritten in Richtung zivilen Ungehorsams ab. Anderseits schienen immer mehr politische Akteure auf den Vorschlag von Präsidentschaftswahlen einzuschwenken. Wahrscheinlich ist, dass spätestens 2020 Präsidentschaftswahlen stattfinden werden. Je nachdem wie inklusiv sich der Prozess bis dahin gestaltet, werden die Intensität der Proteste, die Konzessionen durch die Regierung und vor allem die Legitimität des neuen Präsidenten größer oder kleiner ausfallen. Im besten Fall könnte sich eine schrittweise Entwicklung in Richtung Transition abzeichnen. Im schlechteren Fall würde sich eine Art Status quo ex-ante ohne die Bouteflika-Netzwerke, aber mit einer verstärkten Rolle des Militärs herausbilden. Nicht ganz auszuschließen ist eine Radikalisierung des Hirak und damit möglicherweise eine Gewaltspirale. In jedem Fall wird das Land kurz- und mittelfristig nur schwer zur Ruhe kommen, denn alle Indikatoren sprechen für eine Verstärkung der sozio-ökonomischen Probleme. Dies dürfte selbst im best-case-Szenario - einem Transitionsprozess mit legitimer neuer Führung - eine erhebliche Herausforderung für die Regierenden darstellen. Die Bundesregierung sollte mit Bedacht agieren Bislang hat sich die Bundesregierung in Zurückhaltung geübt. In der Tat empfiehlt sich weiterhin ein Hands-off Ansatz, der aber Vorbereitungen für verschiedene Szenarien nicht ausschließt. Verstärkte Menschenrechtsverletzungen etwa sollten deutlich verurteilt, auf massive Repression gegen die Bevölkerung mit Maßnahmen bis hin zu Visa-Restriktion für bestimmte Eliten geantwortet werden. Da es wahrscheinlich ist, dass Algerien weiterhin nach algerischen Lösungen für einen Ausweg aus der politischen Krise suchen wird, kann höchstens versucht werden, die Akteure beim Finden ihrer Lösungen zu unterstützen. Dabei gilt es eine Reihe grundsätzlicher Punkte zu berücksichtigen. Erstens: Es kann kreativ über Bande gespielt werden. Nichts spricht dagegen, Treffen algerischer und tunesischer zivilgesellschaftlicher Akteure und Oppositionspolitiker in Tunis zu fördern, wie es deutsche Stiftungen vereinzelt bereits tun. Denkbar sind auch indirekte Unterstützungsangebote über die Afrikanische Union, die gute Kontakte in den algerischen Machtapparat hat. Umgekehrt ist eine herausgehobene Rolle Frankreichs bei kollektiven Kooperationsangeboten zu vermeiden, um Misstrauen vorbeugend zu begegnen. Zweitens: Unterstützung nur eines Konfliktakteurs, zum Beispiel eines zivilgesellschaftlichen Kollektivs, kann kontraproduktiv sein, weil dieser dadurch leicht diskreditiert werden kann. Dagegen ist es sinnvoll, unbürokratisch Expertise für eine mögliche unabhängige Wahlkommission anzubieten, wenn diese von allen Parteien (Hirak, Opposition und Regime) getragen und explizit nachgefragt werden sollte. Überdies könnten interaktive digitale Plattformen aufgebaut werden, auf denen Erfahrungen mit anderen Ländern und Regionen in Transition ausgetauscht werden. Drittens gilt es, die Wirkung symbolischer Gesten zu bedenken. So kann der Empfang von in Algiers im Kreuzfeuer stehenden Offiziellen in Deutschland zu Missverständnissen führen. Von Reisen deutscher Offizieller nach Algerien ist nicht prinzipiell abzuraten. Hierbei sollten jedoch Gesprächspartner sorgfältig ausgewählt werden, da von allen Seiten eine Instrumentalisierung möglich ist. Aber ein verstärkter Austausch auf Arbeitsebene mit politisch nicht exponierten Personen ist zur Vertrauensbildung und zur Unterstützung möglicher Wirtschaftsreformen sinnvoll. Viertens und nicht zuletzt: Algerien war in den vergangenen Jahren größter Abnehmer deutscher Rüstungsexporte. Noch im Sommer 2019 lieferte Deutschland Teilsätze für militärische Lkw und Panzer an das Regime. In dieser kritischen Situation mit ungewissem Ausgang ist es sinnvoll, von derlei Exporten ganz abzusehen. Algerien hat aktuell de facto ein Militärregime. Folglich gilt derzeit bei jeder Kooperation im Sicherheitsbereich: Weniger ist mehr. Debatten Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern Prioritäten bis 2021 Frieden & Sicherheit Algerien Isabelle Werenfels Isabelle Werenfels ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin @iswerenfelsi Luca Miehe Luca Miehe ist Forschungsassistent in der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin @LucaMiehe
Artikel Vorwärts in die Vergangenheit? Frieden braucht Partner Die Bilanz des Friedensgutachtens 2019 ist ernüchternd: Globale Institutionen, internationale Verträge und Menschenrechte geraten verstärkt unter Druck. Davon ist Europa besonders betroffen, denn es verliert massiv an Gestaltungskraft. Deutschland sollte innovative Formate der Rüstungskontrolle entwerfen und neue Wege bei der Stabilisierung von Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften gehen. Herausgeber des Friedensgutachtens • 13. August 2019
Artikel Keine Straße nach Hormus ohne die UN Die Diskussion über Deutschlands Rolle im Nahen und Mittleren Osten ist zurzeit stark auf militärische Aspekte fokussiert. Dabei sollte die Bundesregierung umso intensiver parallel an diplomatischen Lösungen arbeiten und eine Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat anstreben - als nichtständiges Mitglied des Rates und Verfechter einer „Allianz für den Multilateralismus“. Marius Müller-Hennig • 04. September 2019