Keine Straße nach Hormus ohne die UN

04. September 2019   ·   Marius Müller-Hennig

Die Diskussion über Deutschlands Rolle im Nahen und Mittleren Osten ist zurzeit stark auf militärische Aspekte fokussiert. Dabei sollte die Bundesregierung umso intensiver parallel an diplomatischen Lösungen arbeiten und eine Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat anstreben - als nichtständiges Mitglied des Rates und Verfechter einer „Allianz für den Multilateralismus“.

Die Debatte um Militäreinsätze im Nahen und Mittleren Osten hat sich im Verlauf der Sommerpause etwas beruhigt. Es zeichnet sich aber ab, dass sie keineswegs beendet ist. Nachdem lange die militärische Beteiligung an der Anti-IS-Koalition im Vordergrund der deutschen Diskussion stand, war es zuletzt die Frage nach einer Beteiligung an einer maritimen Beobachtungsmission in der Straße von Hormus. Hierzu setzten sich einzelne Diskussionsbeiträge aus der Fachcommunity bereits vergleichsweise konkret mit operativen Fragen auseinander. Insgesamt wird die öffentliche Debatte aber leider vielfach so geführt, als seien militärische Optionen offensichtlich alternativlos und als ginge es nur noch darum, ob und in welchem Umfang sich Deutschland weiterhin militärisch beteiligt bzw. sein Engagement ausweitet und sich damit als vermeintlich verlässlicher Partner erweist. Eine solch verkürzte Diskussion wird aber der Rolle und Verantwortung Deutschlands als nicht-ständiges Sicherheitsratsmitglied nicht gerecht. 

Multilateralismus bedeutet, immer wieder diplomatische Lösungen zu suchen

Neben der Diskussion um etwaige neue oder fortgesetzte Militäreinsätze bräuchte es vor allem eine ernsthafte Diskussion um den aktuellen Stand der diplomatischen und politischen Initiativen für nachhaltige Stabilisierung und Befriedung des Nahen und Mittleren Ostens. Selbst wenn man zu dem Schluss kommen würde, dass der Einsatz von Militär in dem einen oder anderen Fall (weiterhin) erforderlich ist, enthebt das nicht von der Pflicht, mit Nachdruck vor allem eine diplomatische und politische Lösung zu suchen und zu finden. Im Gegenteil gebietet es gerade die Verantwortung für die betroffene Bevölkerung ebenso wie für die in solche Einsätze entsandten Soldat*innen, dass die diplomatischen Bemühungen mindestens ebenso intensiv betrieben werden wie das militärische Engagement. Auch wenn die diplomatische und politische Arbeit oftmals weniger Schlagzeilen generiert als die Entsendung von Militär, ist diese entscheidend für eine nachhaltige Lösung jedes Konfliktes. Zurzeit kann man sich allerdings des Eindrucks kaum erwehren, dass in der politischen Diskussion in Deutschland ein krasses Missverhältnis zwischen der Erwägung von militärischen und diplomatisch-politischen Optionen besteht.  

Wenn man aber zu dem Schluss kommt, dass ein militärisches Engagement sinnvoll wäre, so muss die Art dieses Engagements mit den übergeordneten Interessen deutscher und europäischer Außen- und Sicherheitspolitik kompatibel sein. In der gegenwärtigen internationalen Lage ist aber eines der überragenden außen- und sicherheitspolitischen Ziele Deutschlands, das extrem angespannte multilaterale System zu erhalten und zu stärken (siehe „Allianz für den Multilateralismus“). Und genau deswegen sollte deutsche Außen- und Sicherheitspolitik alles daran setzen, für Militäreinsätze auch ein klares Mandat des UN-Sicherheitsrates zu erstreben. In den gegenwärtigen Debatten scheint die Option einer Mandatierung durch den Sicherheitsrat indes in vielen Fällen keine ersichtliche Rolle mehr zu spielen. Man geht scheinbar so fest davon aus, dass es dort keinen Konsens geben kann, dass man sich nicht ernsthaft darum bemüht. Das ist fatal. Denn es geht hier nicht nur um verfassungs- und völkerrechtliche Überlegungen. Auch realpolitisch betrachtet ist absehbar, dass man ohne einen belastbaren Konsens zwischen den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates mit uni- und multilateralen Interventionen verschiedenster regionaler und globaler Akteure nicht zu einer nachhaltigen Stabilisierung und Befriedung der Region beitragen wird. Ein solcher Konsens muss zudem nicht nur in Form eines Sicherheitsratsmandates abgebildet werden, ihm muss auch ein geteiltes Verständnis über das Vorgehen im Rahmen eines Militäreinsatzes zugrunde liegen. Nur so kann eine desaströse Entwicklung wie im Falle der Intervention in Libyen vermieden werden. Es braucht tatsächlich beides: das formelle Mandat, aus verfassungs- und völkerrechtlichen Gründen und den faktischen Konsens aus realpolitischen Gründen.  

Die militärischen Perspektiven innerhalb des Sicherheitsrates stärken

Um die Voraussetzungen für ein gemeinsames Verständnis zum konkreten operativen Vorgehen zu verbessern, könnten die europäischen Sicherheitsratsmitglieder einen alten Vorschlag aufgreifen und das Military Staff Committee (MSC) des Rates aktivieren, modernisieren und für den militärischen Dialog aller Sicherheitsratsmitglieder (nicht nur der ständigen) nutzen. Es könnte zukünftig eine wichtige Rolle bei der Planung und Überwachung von Beobachtungsmissionen, friedenserhaltenden und friedenserzwingenden Einsätzen unter UN-Mandat spielen.  

Zwar gibt es mit dem Office for Military Affairs im Department for Peacekeeping Operations einen Ort, an dem bereits militärischer Sachverstand zur Planung und Beaufsichtigung von UN-Einsätzen gebündelt wird. Doch ist dieses ein Teil des UN-Sekretariats. Ein aktives MSC könnte demgegenüber explizit die militärischen Perspektiven der Mitgliedstaaten einbringen und vertreten. Zudem könnte es über die Frage von UN-Mandaten und Einsätzen hinaus auch gezielt als Raum für vertrauensbildenden Dialog auf höchster militärischer Ebene dienen. Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung und Rivalität zwischen den Großmächten gäbe es hier großen Bedarf.  

Eine UN-geführte Mission bringt Legitimität  

Vor allem für die jüngst diskutierten Szenarien eines Einsatzes in der Straße von Hormus dürfte es aber eventuell auch mit einem klaren UN-Mandat noch nicht getan sein. Es gäbe gute Gründe, ernsthaft zu prüfen, ob nicht die Form einer UN-geführten Operation den Rahmen darstellt, der am ehesten Erfolg verspricht – wenn man denn zu dem Schluss kommt, dass eine Mission erforderlich und möglich ist. Die Einsatzformen über die bisher diskutiert wird (EU, Koalition der Willigen) sind nämlich nur begrenzt tauglich, um dauerhaft breite internationale Unterstützung und Vertrauen zu generieren. In einer UN-Mission könnten sich hingegen auch Mittelmächte einbringen, die auf allen Konfliktseiten Vertrauen genießen und damit zur Entspannung der Lage beitragen. In der Straße von Hormus dürften zudem andere Akteure mindestens genauso an der Sicherheit der Seewege interessiert sein, wie die USA und die Europäer – wenn nicht sogar mehr.  

In  diesem Fall – wie auch in vielen anderen Einsatzszenarien in der Region – dürfte die Idee eines Blauhelmeinsatzes aber zunächst auf wenig Gegenliebe stoßen. Neben alt bekannten Einwänden mit Blick auf die vermeintlich schwerfälligen, bürokratischen Strukturen der UN könnte gerade auch die Tatsache Skepsis hervorrufen, dass es sich um eine maritime Mission handeln würde. Dabei hat die UNIFIL-Mission im Libanon bereits seit 2006 mit der Maritime Task Force (MTF) Erfahrungen im „Maritime Peacekeeping“ gesammelt. Diese stand zunächst unter deutscher und dann seit 2011 durchgehend unter brasilianischer Führung. Dies zeigt eine zentrale Stärke eines UN-geführten Einsatzes: Gerade in der Straße von Hormus wäre es sicherlich vertrauensfördernd, wenn eine Mission zur Seeraumbeobachtung – und bei fortgesetzten Vorfällen ggf. auch der Seeraumsicherung – vor allem durch nicht direkt betroffene Staaten bestückt und im UN-Rahmen geführt würde. Die Erfahrung mit UNIFIL MTF belegt, dass bei aufstrebenden Mittelmächten Fähigkeiten zur Beteiligung an und Führung von maritimen Friedenseinsätzen in entfernten Einsatzgebieten existieren und dass eine solche Mission im UN-Rahmen ganz real möglich ist.  

Weltpolitikfähigkeit im UN-Sicherheitsrat unter Beweis stellen 

All dies sind keine Argumente, um Deutschland „aus der Schusslinie“ derjenigen Kritiker zu bringen, die mehr Verantwortungsübernahme einfordern. Im Gegenteil wäre gerade Deutschland als nicht-ständiges Mitglied des Sicherheitsrates hier gefordert daran mitzuwirken, die Weltorganisation stärker ins Zentrum der globalen Sicherheitspolitik zu rücken. Dafür sollte die Bundesregierung:  

  • …alles daran setzen, effektive Ansätze für die Bewältigung der drängendsten sicherheitspolitischen Herausforderungen im Nahen und Mittleren Osten unter dem Dach der UN zu entwickeln, den Einsatz von Militär über Mandate des Sicherheitsrates abzusichern und wenn erforderlich und sinnvoll auch in Form UN-geführter Missionen durchzuführen. Im akuten Falle der Straße von Hormus könnten Deutschland und die EU durchaus eine eigene Beteiligung anbieten und aktiv sondieren, welche anderen Staaten bereit wären, sich an einer Beobachtungsmission unter UN-Dach zu beteiligen – gerade auch aus dem weiteren Kreis der multilateral-orientierten Mittelmächte.
  • …über den konkreten Anwendungsfall der Straße von Hormus hinaus die Entwicklung eines generischen, UN-basierten Modells zur Sicherung von Seewegen initiieren, um in zukünftigen Krisenfällen eine schnellere Reaktion zu ermöglichen. Eine ähnliche Stoßrichtung und Motivation dürfte auch der derzeit diskutierten EU-Initiative für maritime Sicherheit zugrunde liegen. Gerade aufgrund der dort implizierten potentiell globalen Reichweite würde die Einbettung in einen UN-Rahmen vermutlich durchaus Sinn machen.
  • …endlich die Reform des Sicherheitsrates ins Laufen bringen. Und dies nicht, um doch noch endlich selbst ein ständiges Mitglied zu werden. Die Erweiterungsdebatten haben lange genug die Reformdiskussion gelähmt und sind gerade mit Blick auf einen deutschen ständigen Sitz aussichtslos und anachronistisch. Viel wichtiger ist es nun, dass der Sicherheitsrat endlich zu dem Ort wird, an dem tatsächlich auch hochrangiger militärischer Dialog systematisch geführt wird. Zur Konzeption und Leitung von Friedensoperationen ebenso wie zu strategischen Fragen im Sinne der Vertrauensbildung.  

Entsprechende Diskussionen und Initiativen könnten zunächst im EU-Rahmen erfolgen und gemeinsam mit anderen Partnern aus der „Allianz für den Multilateralismus“ im Sicherheitsrat und der Generalversammlung eingebracht werden. Nach den abstrakten Diskussionen der letzten Jahre über Weltpolitikfähigkeit wäre eine solche Initiative zeitgemäß.

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Marius Müller-Hennig

Marius Müller-Hennig koordiniert den Arbeitsbereich Europäische Außen- und Sicherheitspolitik im Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auf dem PeaceLab Blog schreibt er in eigener Sache.