Wer keine Strategie hat, kann sie auch nicht kommunizieren

30. Oktober 2019   ·   Isabella Pfaff

Der Bundesregierung fehlt es zurzeit nicht nur an der richtigen Kommunikation ihrer Friedens- und Sicherheitspolitik, sondern an etwas Grundlegenderem: einer Strategie. Sie sollte bei Krisen und Konflikten den Mut haben, Probleme zu benennen, und den Willen, sie zu lösen. Erst dann kann sie den Bürgern ein glaubwürdiges Narrativ vermitteln.

Syrien, 12. September 2018: Präsident Baschar al Assad ist mit seinen Truppen auf dem Vormarsch auf die syrische Stadt Idlib. Es wird befürchtet, er werde dort Chemiewaffen gegen seine militärischen Gegner und gegen die Zivilbevölkerung einsetzen. Diese zugespitzte außenpolitisch Lage ist Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede im Bundestag, die am selben Tag stattfindet, nur einen Satz wert: “Von vornherein einfach Nein zu sagen, egal, was auf der Welt passiert, das kann nicht unsere Haltung sein.“  

Dieser Satz soll zwar unseren Verbündeten signalisieren, dass man sich in Berlin womöglich, vielleicht und unter Umständen doch eine Beteiligung der Bundeswehr in Syrien vorstellen könnte. Oder eben auch nicht. Zu einem „Ja“ kann man sich nicht durchringen, zu einem klaren „Nein“ aber auch nicht. Heraus kommt ein Satz, im Aufbau so verquer und verdruckst, wie die gesamte deutsche Außenpolitik.  

Die deutsche Außenpolitik im Teufelskreis

Dieser Satz spiegelt symbolisch den Stellenwert deutscher Diplomatie samt ihrer kommunikativen Vermittlung wider. Er ist eingebettet in eine längere Haushaltsrede, die vor allem um ein Thema kreist: um Deutschland selbst. Außenpolitische Vorgänge und Zusammenhänge sind, wortwörtlich, „kaum noch der Rede wert“. 

Woran aber liegt es, dass Krisenwissen einerseits und politisches Handeln und Kommunikation anderseits so weit auseinander klaffen? Dazu sagten Jochen Bittner und Kolleg*innen in der „Die Zeit“ im April 2018 alles, was dazu zu sagen ist: „Dem größten und wirtschaftlich stärksten Land Europas fehlt eine strategische Außen- und Sicherheitspolitik, in der eine gestärkte und funktionierende Bundeswehr ihren Platz findet. Weil es keine Strategie gibt, gibt es auch keine Debatten; weil es keine Debatten gibt, bleiben die Deutschen bei ihrem historisch bedingten Vorbehalt gegen alles Militärische; und weil die Deutschen Militärschläge ablehnen, gibt es keine Strategie. Es ist ein Teufelskreis…“

Nach 1990 hat sich Deutschland gedanklich von der Weltpolitik verabschiedet

Begonnen hat es 1990 mit einem eigentlich wunderbaren historischen Ereignis: 

Der Höhepunkt und zugleich die Sollbruchstelle deutscher Außenpolitik in der jüngeren Geschichte war die Wiedervereinigung 1990. Um Francis Fukuyama abzuwandeln: das Ende der Geschichte schien für Deutschland mit dem Mauerfall Wirklichkeit zu werden. Aber nicht im Sinne eines Sieges der liberalen Marktwirtschaft, wie Fukuyama meinte, sondern als tief empfundene „Krise“ im Sinne der ursprünglichen, altgriechischen Bedeutung: als Höhe- und Wendepunkt einer problematischen gesellschaftlichen Entwicklung, bei deren Zuspitzung sich die Chance für eine positive Wendung bietet. „Der Mantel der Geschichte“ wurde erhascht, die Wiedervereinigung glückte. Deutschland beschäftigte sich nur noch mit sich selbst. In dieser Schleife der Selbstbeschäftigung – nennen wir es ruhig Teutozentrismus – steckt die deutsche Politik noch immer. Wir haben uns 1990 von der Weltpolitik gedanklich verabschiedet, ohne dass wir es aktiv wollten oder bemerkten. Währenddessen aber veränderte sich die Welt und wenn wir heute hinaus blicken, blickt eine sich neu formierende Weltordnung zurück, in der wir unsere Rolle noch nicht gefunden haben.   

Hinzu kommt, dass dem wiedervereinigten Deutschland natürlich ein gemeinsames politisches Narrativ fehlte. Die Suche nach einem solchen dauert bis heute an. Sowohl an Umfragen, wie auch an aktuellen Wahlergebnissen lässt sich ablesen, dass wir immer noch keine gemeinsame Problem- und Lösungsdeutung haben. Ost- und West sprechen nach wie vor eine unterschiedliche „politische Sprache“. Während West-Deutschland das gewohnt-bewährte Narrativ der Sozialen Marktwirtschaft und des Rechtsstaates einfach weiter erzählte, merkten die Ostdeutschen, dass sie in diesem Narrativ nicht nur nicht vorkamen, sondern dass diese westdeutsche Erzählung sich einzubetten begann in einem gesamteuropäischen Konsens.  

Der Bundesregierung fehlen kommunikative Leuchttürme

In einer medialen Welt, in der jedes Problem aus der hintersten Ecke des Globus in Echtzeit auf den deutschen Küchentisch kommt, lässt die Bundesregierung die Wähler ohne klare Orientierung zurück:

Syrien, 12. Oktober 2019: Die Situation in Syrien hat sich seit 2018 in keiner Weise verbessert. Im Gegenteil: Die türkische Armee hat vor wenigen Tagen Syrien angegriffen, um gegen kurdische Kämpfer der Syrian Democratic Forces (SDF) vorzugehen. Gegen die Kurden, die in den letzten Jahren erstes und letztes Bollwerk Europas vor dem unmenschlichen Wüten des IS waren. In Frankreich wird der türkische Botschafter einbestellt und Staatspräsident Emmanuel Macron verurteilt das Vorgehen der Türken öffentlich. In Deutschland äußerte sich nicht die Kanzlerin, sondern der Außenminister, und nach gut drei Tagen der Sprachlosigkeit einigte man sich immerhin auf einen Stopp deutscher Waffenlieferungen in die Türkei. Nach weiteren quälenden zwei Wochen des Abtauchens tritt dann Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem Vorschlag der Einrichtung einer Schutzzone in Nordsyrien an die Öffentlichkeit.

In einer solchen Situation braucht es aber mehr: Neben Handlungen eben auch kommunikative Leuchttürme, an denen sich die Menschen orientieren können. Doch der deutschen Politik fehlt dafür offensichtlich eine Strategie, ein Narrativ, die passende Sprache sowie – Mut.  

Wer schweigt, überlässt anderen die Deutungshoheit 

Aber auch in der Politik gelten die Gesetze der Krisenkommunikation: Wer schweigt der befeuert Verschwörungstheorien. Er überlässt Dritten den Raum für Interpretationen – und Handlungen.  

Deshalb gilt in Krisensituationen auch in der Politik:  

1. Den Mut zu haben, ein Problem klar zu benennen.

2. Eine gemeinsames Verständnis (mit Verbündeten) darüber, welches Problem vorliegt.

3. Den Willen, es zu lösen.

4. Ein klares Ergebnis zu bestimmen, das mit der Problemlösung erreicht wird.

5. Die Verpflichtung, den eingeschlagenen Weg zu gehen, um das Ergebnis zu erreichen.

6. Eine stetige und klare Kommunikation mit Fakten, nicht mit Vermutungen.  

Sprache ist deshalb das wichtigste Instrument der Politik, weil sie Politik erst vermittelt. Über die Sprache stellen wir politische Zustimmung her, tauschen Argumente aus, finden zum Konsens. „Wer die Sprache kontrolliert, hat Kontrolle über das gemeinschaftliche Wir“, schrieb der amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber. Diesen Anspruch hat die Bundesregierung aufgegeben. Dabei wäre es in einer multipolaren Welt, in der sich alte Gewissheiten aufgelöst haben, wichtiger denn je die politische Deutungshoheit zu behalten und sie als Ankerpunkte für eine antwortsuchende Gesellschaft zu kommunizieren.

„Sterile Lego-Sprache“ reicht nicht aus  

Vielfältige Chancen, diese Ankerpunkte zu kommunizieren, bieten die digitalen Medien. Diese Chancen sollten die Bundesregierung und deutsche Politiker für aktuelle Ereignisse stärker nutzen. Dafür müssen sie eine angemessene, direkte politische Sprache finden, die der Problembeschreibung dient. Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, macht auf Twitter vor, wie es gehen kann. Sein Tweet an Boris Johnson zum Brexit ist legendär: „… what’s at stake is not winning some stupid blame game. At stake is the future of Europe and the UK as well as the security and interests of our people. You don’t want a deal, you don’t want an extension, you don’t want to revoke, quo vadis?“  

Für deutsche Politiker hingegen gilt die Feststellung des britischen Historikers Timothy Garton Ash von 2013, der ihnen eine „sterile Lego-Sprache“ unterstellte, also die floskelhafte Zusammenfassung von zuvor Gesagtem ohne einen Neuwert. Ein Beispiel hierfür lieferte Außenminister Heiko Maas, als er den türkisch Einmarsch in Syrien mit den Lego-Bausteinen „Wir verurteilen … aufs Schärfste“ und „Wir rufen … auf“ kritisierte. Mit einer sterilen Sprache aber lässt sich keine Zustimmung erzielen.  

Das Motto der Bundesregierung: „Dafür, aber nicht dabei.“

Um Wähler mitzunehmen braucht es auch im Fall von Krisenengagement wie in Syrien eine klare Problembeschreibung. Diese hat wiederum die Verteidigungsministerin geliefert, als sie auf dem Parteitag der Jungen Union zum türkischen Einmarsch sagte: "Das geht nicht, da sagen wir klipp und klar nein, Nato-Partner hin oder her.“ Sie scheint auch mit ihrem Vorschlag der gemeinsamen Schutzzone in Nordsyrien den Mut aufzubringen, das Problem lösen zu wollen, und hat auch ein klares Ziel des Einsatzes formuliert. Soweit so gut. Doch bislang gibt es kein gemeinsames Verständnis der Koalitionspartner in der Regierung über Syrien, oder gar eine Verpflichtung irgendeinen Wege einzuschlagen, geschweige ihn zu Ende gehen zu wollen und diesen mit klarer Kommunikation zu begleiten. Anders gesagt: Die Verteidigungsministerin steht allein; der Rest der Bundesregierung handelt wie immer nach dem Motto: „Dafür, aber nicht dabei.“      

Was folgt daraus? Es fehlt nach wie vor die übergreifende Formel, das Narrativ und die Strategie für die deutsche Außenpolitik; der klare Gestaltungswille und eine Zielbeschreibung dessen, was man erreichen will. Über 30 Jahre galt die Formel vom „Wandel durch Annäherung“. Sie war Leitlinie für die vielleicht größten Erfolge der deutschen Diplomatie nach dem Krieg neben der Westbindung. Zugegeben, es war eine andere Welt mit einer anderen Weltordnung. Aber man muss von der Regierung eines der politisch und wirtschaftlich stärksten Länder der Welt erwarten, dass sie weiß, was sie will und dass sie es auch formulieren kann. Für die europäischen Partner, für die Verbündeten, und vor allem für die Wähler.

Politikkohärenz Kommunikation

Isabella Pfaff

Isabella Pfaff ist Gründerin und Geschäftsführerin der PR-Agentur mfm – menschen für medien. Zuvor war sie als Journalistin u.a. in Krisen- und Kriegsgebieten unterwegs, beriet jahrelang die Pressestelle einer Bundestagsfraktion sowie das Bundesjustizministerium.