Medienkompetenz fördern heißt Krisenprävention stärken!

27. November 2019   ·   Anja Wollenberg

In Transformationsländern sind die Medienstrukturen oft parteilich polarisiert. Daher sollte hier der Fokus auf den Kompetenzen der Mediennutzer liegen, denn die Medienwirkung entsteht bei ihnen. Um Förderschwerpunkte in diesem Feld zu bestimmen, fehlt bisher aber Forschung über Mediennutzung in fragilen Kontexten.

Die Berichterstattung in den lokalen Medien beeinflusst sowohl die Entwicklung von bewaffneten Konflikten in Krisen– und Transformationsländern, als auch die Erfolgschancen von Versöhnungsprozessen. Darüber besteht kein Zweifel. Nicht zuletzt der arabische Frühling hat deutlich gemacht, wie machtvoll lokale und soziale Medien, im Schulterschluss mit überregionalen Sendern (z.B. Al-Jazeera), den politischen Wandel und die darin entstehenden Konflikte mitgestalten. Vor diesem Hintergrund sind Medienförderung und der Einbezug von Massenmedien in Strategien der Krisenprävention schon lange ein Bestandteil auswärtiger Politik in Europa.

Polarisierte Medien können Konflikte verschärfen

Medienförderung steht aber nicht automatisch im widerspruchsfreien Einklang mit anderen Politikzielen, wie Stabilität und Konfliktprävention. In vielen Transformationsländern der arabischen Welt, aber auch in Osteuropa sowie Nord- und Ostafrika, sind im Rahmen von Demokratisierungsprozessen polarisierte Medienstrukturen entstanden, die bestehende Konfliktlinien in der Gesellschaft verschärfen.

So wurde in Libyen die von General Khalifa Haftar im April 2019 gestartete Militäroffensive von Kommunikationskampagnen assoziierter Sender wie Hadath und TV 2018 flankiert. Die Streitkräfte in Tripolis wurden derweil von dem mit dem Government of National Accord (GNA) verbundenen TV-Sender Libya al-Ahrar und anderen offen unterstützt. Im Irak wird die regierende Dawa-Partei vom öffentlichen Sender al-Iraqiya unterstützt, während privat finanzierte Gegenspieler wie al Taghyir und Dijla als Sprachrohr regierungskritischer Parteien gelten. In Kenia haben sich lokale Radiostationen im Nachgang der Wahlen 2007 an der Konflikteskalation zwischen den Anhängern von Präsident Mwai Kibaki und Herausforderer Raila Odinga beteiligt.

Politisch finanzierte Sender als Sprachrohr von Parteien

Das liegt zu einem nicht unerheblichen Anteil an der Logik von Transformationen selbst: Sie begünstigen eine zeitliche Koinzidenz zwischen Liberalisierung von Medien einerseits und dem Wettbewerb zwischen neu entstehenden politischen Parteien andererseits. Diese Parteien brauchen Kommunikationskanäle, um sich zu profilieren. Wenn nach einem Regimewechsel Regulierungsinstrumente nicht schnell genug installiert werden und Zugangsbeschränkungen zum Mediensystem ersatzlos verschwinden, kann es schnell zu einer hohen Dichte von parteilichen Medien kommen. Politisch finanzierte Sender sind auch diejenigen, die Wirtschaftskrisen leichter überleben. Deswegen beobachten wir in vielen neuen Demokratien eine zunehmende Ausbreitung von sogenannten pluralistisch-polarisierten Medienstrukturen, die von einer dichten Verstrickung zwischen Medienkanälen und politischen bzw. Konfliktparteien geprägt sind.

Das Problem solcher Medienstrukturen liegt in ihrer Sprengkraft. Polarisierte Medien können in fragilen Kontexten Konflikte eskalieren lassen und den Zerfall einer Gesellschaft entlang der dort vorfindlichen Sollbruchstellen kraftvoll vorantreiben. Oder sie begünstigen den Rückfall in autoritäre Staatsformen. Der arabische Frühling in Ägypten hat nach 2013 einen solchen Verlauf genommen.

Der eigentliche Feind einer demokratischen Öffentlichkeit ist das Medienmonopol

Sofern die Gefahr autoritärer Rückschläge überwunden und die Eskalation bewaffneter Konflikte verhindert wird, kann im Rahmen der Transformation ein Medienpluralismus entstehen, der Minderheiten, Dissidenten, Parteien, Aktivisten, Regierungen sowie regionalen und kulturellen Gruppierungen gleichermaßen die Gelegenheit gibt, ihre Positionen öffentlich zu artikulieren. Wenn das politische Klima mitspielt, bricht sich hier Vielfalt Bahn, die positiv auf den Zusammenhalt der Gesellschaft zurückwirkt - trotz Parteilichkeit der Anbieter.

Kommunikationsforscherin Katrin Voltmer hat Demokratisierungsprozesse in verschiedenen Kontinenten untersucht und kommt zu dem Schluss, dass Parteilichkeit von Massenmedien in bestimmten Phasen der demokratischen Transformation den Bürgern helfen kann, im politischen Chaos Orientierung zu finden. Meinungsstarke Plattformen fördern Partizipation und die Mobilisierung von Debatten. Sie können den Regierenden helfen, Unmut zu erkennen, bevor dieser in den Zorn mobilisierter Massen umschlägt.

Auch muss Medienpluralismus – parteilich polarisiert oder nicht – als Wirkmacht gegen den eigentlichen Feind einer demokratischen Öffentlichkeit verstanden werden: das Medienmonopol. Parteilich-pluralistische Medienstrukturen haben so gesehen, neben offensichtlichen Nachteilen auch viele Vorteile für demokratische Transformationsprozesse.

Zwischen verbindenden und spaltenden Medien unterscheiden

Aus normativ-westlicher Sicht wird die politische Aufsplitterung der Medienlandschaften aber traditionell als reine Fehlentwicklung bewertet. Sie steht im Gegensatz zum Ideal einer unabhängigen, unparteilichen Medienlandschaft mit öffentlich-rechtlichen Anteilen und sie steht im Widerspruch zum westlichen Ideal journalistischer Objektivität. Mit Blick auf die oben skizzierten Medienrealitäten in den post-autoritären Transformationsländern muss der uneingeschränkte Geltungsanspruch dieser westlich geprägten Ideale allerdings hinterfragt werden. Durch Globalisierung, Digitalisierung und den Aufstieg populistischer Kommunikation sind wir in Europa und den USA längst zum Um- und Nachdenken über die Erneuerung normativer Leitlinien gezwungen. Für den Kontext neu entstehender Demokratien unterscheidet Katrin Voltmer verbindende von spaltenden Kräften im Mediensystem und entkräftet damit das Paradigma der „Unabhängigkeit“. Ist der Blick in diese Richtung geschärft, geben sich schnell neue Ansatzpunkte und Partner für Medienförderung zu erkennen.

Das Ziel externer Unterstützung muss dann sein, die Fließkräfte im System zugunsten verbindender Kommunikationsangebote zu verschieben. Organisationen wie International Media Support (IMS), Internews, BBC Media Action, Institute for War and Peace Reporting (IWPR), Deutsche Welle Akademie (DWA) und Media in Cooperation and Transition (MiCT) unterstützen in diesem Sinne vielerorts Netzwerke von Medienschaffenden, die sich für eine inklusive Gesellschaft und Dialog engagieren. Und hier muss die Medienförderung auch parteiliche Anbieter einbeziehen, sonst würde sie nur in den marginalisierten Randbereichen der lokalen Mediensysteme operieren.

Kompetente Mediennutzer als Bollwerk gegen spalterische Medien

Die für Krisenprävention zentrale Frage der Medienwirkungen, also der Einfluss von Massenmedien auf Konfliktentwicklung, wird aber nicht nur bei der Produktion von Medieninhalten entschieden, sondern vor allem in der Mediennutzung durch das Publikum. Medienwirkung entsteht in den Köpfen der Leser und Fernsehzuschauer, im Prozess der Informationsverarbeitung, häufig unter Einbezug von sozialen Netzwerken. Unter den Bedingungen fragiler Staatlichkeit oder im Kontext bewaffneter Konflikte und politischer Umwälzungen werden Massenmedien aber ganz anders genutzt als in der westlichen Welt.

In der arabischen Welt beobachten wir, dass parteiliche und einseitige Programminhalte zunehmend kritisch reflektiert und häufig negativ bewertet werden. Mediennutzer sammeln Informationen aus einer Vielzahl von Quellen und hierbei werden Freunde und Verwandte als Informationsquellen aufgewertet. Mit den durch Polarisierung, Populismus und Fake-News wachsenden Anforderungen an den Mediennutzer wächst hier möglicherweise eine neue Form der Medienkompetenz. Damit gibt sich der kompetente Mediennutzer auch als mögliches Bollwerk gegen diffamierende und spalterisch agierende Medienanbieter zu erkennen. Eine These, die zu überprüfen wäre.

Auch Medienproduzenten und Behörden benötigen Medienkompetenz

Eine in diesem Sinne zeitgemäße und ganzheitlich gedachte Medienförderung müsste das Publikum miteinbeziehen – zunächst als Zielgruppe für Lernangebote im Bereich Media Literacy. Entsprechende Fortbildungen bieten einige der oben genannten Organisationen der Medienentwicklungszusammenarbeit (MEZ) vor allem an Schulen und Universitäten an. Die Deutsche Welle Akademie hat für Lehrende in diesem Feld ein Handbuch veröffentlicht. Das Global Editors Network machte Media Literacy for Journalists zum Hauptthema ihrer Jahrestagung im Juni 2019.

In gleichem Maße wichtig wäre aber der Einsatz von Media Literacy als Korrektiv für die Medienproduzenten sowie die Öffentlichkeitsarbeiter in Behörden und Ministerien. Denn diese produzieren häufig Medieninhalte für naive, unkritische Mediennutzer ohne sich je mit den tatsächlichen Reflektionskapazitäten ihres Publikums zu beschäftigen. Anders formuliert: Wenn die Staatsmedien in Sudan und Algerien bis zum Regimewechsel über landesweite Bürgerproteste nicht berichten, liegen sie schlicht falsch in der Annahme, dass die Bürger in ihrem Land diesbezüglich ahnungslos bleiben. Ein Wechsel von naiven zu realistischen Publikumsvorstellungen in Politik und Medien müsste zumindest in Ländern mit hohem Bildungsniveau einen erdrutschartigen Zuwachs an journalistischer Qualität auslösen.

Weil dieser Wirkungszusammenhang aber nicht vorausgesetzt werden kann, sondern vom Bildungsstand und einer Vielzahl anderer Faktoren abhängt, wäre es ein guter Anfang, Forschung über die Mediennutzung im Kontext fragiler Staatlichkeit und Transformation stärker zu fördern. Um Veränderungen im Bereich der Produktion anzustoßen, müssen diese Forschungsergebnisse aber über den akademischen Kreis hinaus in den Medienhäusern und Redaktionen Verbreitung finden. In diesem Sinne könnten Kapazitäten und Ressourcen für Publikumsforschung in den lokalen Medienhäusern selbst zu einem Förderschwerpunkt werden. Die Berliner Agentur Media in Cooperation and Transition (MiCT) hat zu diesem Thema beispielsweise Lehrgänge für Radiostationen in Afghanistan, Kenia und Tansania durchgeführt. Ein Plädoyer also an dieser Stelle für mehr Hinwendung zum eigentlichen Ursprungsort von Medienwirkungen: dem Publikum.

Kommunikation

Anja Wollenberg

Dr. Anja Wollenberg ist Kommunikationswissenschaftlerin mit Arbeitsschwerpunkt im Bereich Medienstrukturen und Transformation in der MENA-Region. Sie ist Mitbegründerin der Berliner Organisation Media in Cooperation and Transition (MiCT) und leitet dort den Bereich Forschung und Evaluation.