Zeitzeugen der Krisenprävention: Nutzt das Potential der Friedensmacher 13. November 2019 · Winfried Nachtwei Das Krisenengagement deutscher Diplomaten und ziviler Experten bleibt außerhalb der Fach-Communities unsichtbar. Einsätze der Soldaten werden nur pauschal wahrgenommen. Dabei gäbe es zahlreiche spannende Geschichten zu erzählen. Die Bundesregierung sollte diese Fachkräfte und weitere Institutionen dabei unterstützen, von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen vor Ort zu berichten. Debatten Krisenarbeit kommunizieren Impulse für die Bundesregierung Der Auftaktbeitrag der Bundesregierung zur PeaceLab-Debatte „Krisenarbeit kommunizieren“ ist vielversprechend. Die verantwortlichen Ressorts möchten ihr eigenes Krisenengagement in fragilen Staaten besser, strategischer und koordinierter kommunizieren. Eine konstruktiv-kritische Begleitung des Krisenengagements sei nur mit einer ehrlichen und glaubwürdigen Kommunikation zu erreichen. Seit inzwischen 25 Jahren begleite ich die deutschen Beiträge zu internationaler Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung, davon 15 Jahre in parlamentarischer Mitverantwortung. Zentrale Erfahrung war dabei immer wieder, wie unzureichend, wechselhaft und oft verkürzt das deutsche Krisenengagement hierzulande wahrgenommen wird, und wie sehr es an strategischer, ressortübergreifender, streckenweise auch an glaubwürdiger Kommunikation mangelte. Geringe Sichtbarkeit, schwache Lobby, kaum öffentlicher Druck Die größte Aufmerksamkeit finden militärische Auslandseinsätze (später mehr dazu). Die diplomatische Dimension des Krisenengagements wird viel weniger, die zivilen und polizeilichen Dimensionen fast gar nicht wahrgenommen. Zivile Krisenprävention ist außerhalb der Fach-Community nahezu unsichtbar. Der immer multidimensionale und vernetzte Charakter von Krisenengagement ist in der allgemeinen Medienberichterstattung praktisch kein Thema. Geringe Sichtbarkeit, schwache Lobby, kaum öffentlicher Druck. Kein Wunder, dass die Weiterentwicklung neuer Friedensfähigkeiten lange Zeit hinter den wachsenden Herausforderungen zurückblieb. Doch wenn auch zugleich das Verständnis für multilaterales Krisenengagement gering ist, steht das Einfallstor für Renationalisierung und Unilateralismus in der Außenpolitik weit offen. Grundsätzliche Sympathie, aber auffällig geringe Kenntnisse in der Öffentlichkeit Neue Ansätze und Instrumente der zivilen Krisenprävention entstanden vor allem vor dem Hintergrund der Balkankriege seit Ende der 1990er Jahre. Ihr Grundanliegen – innerstaatliche Konflikte möglichst ohne Gewalt zu verhüten bzw. zu bearbeiten – entspricht dem Friedensgebot der UN-Charta und des Grundgesetzes, ist plausibel und in der deutschen Gesellschaft überwiegend akzeptiert. Ein Glaube an militärisch-gewaltsame Konfliktlösungen ist im politischen Berlin kaum anzutreffen. Diese grundsätzliche Sympathie gegenüber ziviler Krisenprävention geht einher mit auffällig geringen Kenntnissen und kaum aktivem Interesse. Das hat verschiedene Gründe. Denn es geht um viele, unübersichtliche Konflikte, die „weit weg“ sind und von denen man sich hierzulande zumeist nicht selbst betroffen fühlt. Raushalten erscheint vielen als sinnvollste Option. „Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst“ Außerdem ist sehr wenigen hierzulange bewusst, dass ein Schweigen der Waffen noch längst kein Frieden ist, sondern dass Peacebuilding eine komplexe und langwierige Herausforderung für staatliche wie zivil-gesellschaftliche Akteure ist. Hinzu kommt, dass zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung oft hinter den Kulissen stattfinden, prozessorientiert, langwierig und auf den ersten Blick wenig spektakulär sind. Sie produzieren kaum eindringliche Bilder. Das ist wie beim vorbeugenden Brandschutz. Wenn der funktioniert, sieht man nichts. Wenn es aber brennt und die Feuerwehr eingreift, dann bringt das Bilder, Spannung, Aufmerksamkeit. Dazu passt ein tibetisches Sprichwort: „Ein Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst.“ Die Notwendigkeit zu strategischer Geduld sowie die Chancen, Risiken und Dilemmata von Krisenengagement sind schwer vermittelbar – zumal in schnelllebigen Zeiten, geprägt von einem Verlangen nach „einfachen Lösungen“. Wo sich der Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit verschärft, wo Gewaltthemen und bad news regelmäßig vorne liegen, haben Krisenengagement, Streitschlichter und Peacebuilder meistens schlechte Karten. Darüber hinaus fehlt es an medienbekannten Gesichtern, wie ab dem Ende der 1990er Johannes Rau und Hans Koschnik, sowie dem für Aufmerksamkeit bedeutsamen Streitfaktor. Und schließlich lässt sich im Unterschied zum Sicherheitssektor und seinen Ausrüstern auf dem Feld der zivilen Krisenprävention betriebswirtschaftlich nichts verdienen. Also gibt es auch keine Sponsoren aus der Wirtschaft. Seit Bestehen des Aktionsplans zivile Krisenprävention von 2004 und dem zugehörigen Beirat wurde das strategische Handicap dieser „strukturellen Unsichtbarkeit“ immer wieder konstatiert, aber nicht umfassend angegangen. Das soll sich jetzt ändern. Ziviles Krisenengagement bietet enormes Kommunikationspotenzial Trotz aller Erschwernisse hat ziviles Krisenengagement ein erhebliches Kommunikationspotenzial. Regelmäßig erlebe ich das bei Vorträgen zu Krisenengagement und ziviler Krisenprävention, wo die BesucherInnen immer positiv überrascht sind über die Vielfalt professioneller Ansätze der Stabilisierung und Friedensförderung. Und wo bei allen Mühen und Rückschlägen auch ermutigende Fortschritte zu sehen sind. Einzelne Akteure der zivilen Friedensförderung haben ihre Öffentlichkeitsarbeit enorm professionalisiert und präsentieren ihre Kompetenzen informativ, attraktiv und glaubwürdig. Dafür stehen beispielhaft das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), der Zivile Friedensdienst mit seinen Trägerorganisationen und die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Sie erreichen zwar über ihre Community hinaus auch aktiv Interessierte, aber kaum eine breitere Öffentlichkeit. Ein innovativer Pionier für Friedenslösungen ist das Multimedia-Projekt Peace Counts, das 2002 der Journalist Michael Gleich initiierte und in Kooperation mit der Agentur Zeitenspiegel entwickelte. Peace Counts stellt die Arbeit erfolgreicher Friedensmacher aus aller Welt in den Mittelpunkt und wird heute von der Berghof Foundation, Zeitenspiegel Reportagen und der Culture Counts Foundation unterstützt. (Eine wichtige finanzielle Starthilfe leistete in den ersten Jahren das Auswärtige Amt.) Das „MUT – Magazin für Lösungen“ erschien mit einer Auflage von 600.000 als Beilage zu Tageszeitungen und Zeitschriften im deutschsprachigen Raum. Peace Counts hat zig-fach und massenwirksam bewiesen, dass es spannend, attraktiv und keineswegs langweilig ist, Frieden zu machen. Diese Ansätze kommen den Bedürfnissen vieler Menschen entgegen, die die Flut an bad news, Skandalisierungen etc. satt haben und an Lösungen und Ermutigungen interessiert sind. Meines Wissens ist die private Spendenbereitschaft in Deutschland auf dem Feld der Friedensförderung stark unterproportional. Über Mittlerorganisationen sollten solche Medienprojekte auch von den Ressorts unterstützt werden. Die öffentliche Wahrnehmung ist militärlastig Die militärische Dimension von Krisenengagements findet von vorneherein eine ganz andere Beachtung. Der Streit um die Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan erfasste große Teile der Gesellschaft. Strittige Mandatsentscheidungen und Gewaltereignisse gelangen regelmäßig an die Spitze der Tagesnachrichten. Dadurch ist der Eindruck verbreitet, deutsches Krisenengagement bestehe vor allem aus Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die allermeisten der bisher über 50 UN-mandatierten deutschen Auslandseinsätze gehören zur Kategorie Stabilisierung nach Kriegen, Friedensicherung und -konsolidierung. Es gab nur drei explizite Kampfeinsätze. Das ist weitgehend unbekannt. Allerdings bleiben die Kenntnisse von diesen Einsätzen zumeist gering und pauschal. Das belegen immer wieder die jährlichen Bevölkerungsbefragungen des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Die allermeisten der bisher über 50 UN-mandatierten deutschen Auslandseinsätze gehören zur Kategorie Stabilisierung nach Kriegen, Friedensicherung und -konsolidierung (davon knapp zehn Kleinsteinsätze von unbewaffneten Militärbeobachtern bei UN-Missionen). Es gab nur drei explizite Kampfeinsätze. Das ist weitgehend unbekannt. Dass die gewaltarmen Stabilisierungseinsätze in Bosnien und Kosovo erneute Kriegsgewalt verhinderten, ist kaum jemandem bewusst. Anlässlich des 20. Jahrestages des erfolgreichen, aber überwiegend vergessenen NATO Kosovo Force (KFOR)-Einsatzes in diesem Jahr erweckte die Bundesregierung den Eindruck, als sei das nicht der Rede wert. Beim Afghanistaneinsatz zeigten sich die Mängel der Regierungskommunikation ganz besonders: Lange war sie strategielos, ressortfixiert und geprägt von Schönrednerei – bis der Krieg am Boden unübersehbar war und die Glaubwürdigkeit zerplatzte. Ungeachtet des breiten Spektrums an Einsatzrealitäten halten sich in Teilen der Gesellschaft verzerrende, pauschale Gleichsetzungen von Auslandseinsätzen mit Kriegseinsätzen. Beim Afghanistaneinsatz zeigten sich die Mängel der Regierungskommunikation ganz besonders: Lange war sie strategielos, ressortfixiert und geprägt von Schönrednerei – bis der Krieg am Boden unübersehbar war und die Glaubwürdigkeit zerplatzte. Eine systematische und selbstkritische Bilanz des Einsatzes wird seit 18 Jahren verweigert. Seitdem dringen aus Afghanistan in deutschen Medien nur noch nur noch Gewaltnachrichten durch und nichts von erfolgreichen Aufbauprojekten, die es sogar heute noch gibt. Der Afghanistaneinsatz ist das bisher bei weitem größte, komplizierteste, teuerste und opferreichste deutsche Krisenengagement. Dass sein Einsatzziel trotz etlicher Einzelfortschritte nicht erreicht wurde und Krieg und Terror wuchern, überschattet auch die Wahrnehmung von anderem Krisenengagement. 20 Jahre nach Einsatzbeginn sollte im Jahr 2021 endlich eine selbstkritische, unabhängige Bilanzierung dieses ressortübergreifenden Engagements vorliegen, um wenigstens bestmöglich zu lernen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Die Bundesregierung lässt das Potential deutscher Friedensmacher ungenutzt Die Bundesregierung hat die Arbeit der Friedensfachkräfte und Zivilexperten aus Friedensmissionen erstmalig zu den Anlässen 10 Jahre forumZFD (2006) und 10 Jahre ZIF (2012) geehrt. Seit 2013 laden die Minister des Auswärtigen, der Verteidigung und des Innern alljährlich zu einer Feierstunde zum Tag des Peacekeepers ein. Stellvertretend werden je drei Zivilexperten, Soldaten und Polizisten mit ihrer jeweiligen Arbeit vorgestellt und geehrt. Nirgendwo sonst kommen in Deutschland so viele Friedenspraktiker in Zivil und verschiedenen Uniformen zusammen, mit hoher fachlicher und interkultureller Kompetenz, mit Bodenhaftung und langem Atem. Und mit vielen spannenden Geschichten. Die Tage des Peacekeepers und andere Rückkehrer-Veranstaltungen erinnern daran, dass es in Deutschland inzwischen viele zehntausende Frauen und Männer gibt mit Erfahrung aus Konfliktgebieten, und an die Möglichkeiten und Mühen der Friedensförderung – handfeste Mutmacher. Aber es sind lauter Lichter unterm Scheffel: Denn für die Tagesmedien sind solche Veranstaltung verlässlich kein Thema, wie ich es durchgängig beobachten musste. Und die Bundesregierung lässt dieses Potenzial an friedens- und sicherheitspolitischen Zeitzeugen bisher weitestgehend ungenutzt. Dazu trägt auch bei, dass die einladenden Bundesminister nur noch ausnahmsweise erscheinen; die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kam in sechs Jahren kein einziges Mal. Eine deutlich wirksamere öffentliche Kommunikation ziviler Krisenprävention und Krisenengagements insgesamt braucht nicht nur klare, nachvollziehbare Ziele und ein glaubwürdiges Narrativ, ehrliche Wirkungskontrolle und Perspektiven, die über den einzelnen Akteur hinausgehen (keiner schafft es allein!). Sie braucht dringend auch die tausenden Friedenspraktiker, die Krisenarbeit in der Ferne anschaulich und glaubwürdig nahebringen können, quasi als Zeitzeugen aktueller Krisenarbeit und Friedensförderung. Das müsste nur ermöglicht, gefördert, organisiert werden. Die verschiedenen Ressorts sollten für ihren Zuständigkeitsbereich Personalpools von Einsatzerfahrenen zusammenstellen, die freiwillig als Referenten vor allem für Schulen, aber auch in der Erwachsenenbildung zur Verfügung stehen – allein oder mit einem Partner des vernetzten Ansatzes. Die politische Initiative dazu könnte wieder der Bundestags-Unterausschuss „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetzes Handeln“ ergreifen. 2017 hatte er die vorzügliche Wander-Ausstellung „Frieden machen“ der Bundeszentrale für politische Bildung auf den Weg gebracht. Debatten Krisenarbeit kommunizieren Impulse für die Bundesregierung Friedenseinsätze Friedensförderung Kommunikation Winfried Nachtwei Winfried Nachtwei ist Mitglied des Beirats Zivile Krisenprävention, im Beirat Innere Führung/BMVg sowie im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Von 1994-2009 war er Mitglied des Bundestags für Bündnis 90/Die Grünen.
Artikel Instrument statt Beiwerk: Strategische Kommunikation und Stabilisierung Kommunikation ist ein politisches Instrument des Krisenengagements der Bundesregierung, welches sie in Deutschland ressortübergreifend ausbauen sollte. In Stabilisierungskontexten sollte die Bundesregierung vor allem die Kommunikationsfähigkeiten von lokalen Partnern stärken. Juliane Kabus • 07. November 2019
Artikel Frieden ist langweilig? Von wegen! Der Erfolg der Initiative Peace Counts zeigt, dass Reportagen über Friedensstifter*innen in Konfliktregionen auf großes Interesse stoßen. Wichtig beim „konstruktiven Journalismus“ sind kritische und unabhängige Recherchen, gutes Storytelling sowie die Zusammenarbeit mit Experten. Die Bundesregierung sollte dieses Konzept stärken. Michael Gleich • 29. Oktober 2019
Artikel Wer keine Strategie hat, kann sie auch nicht kommunizieren Der Bundesregierung fehlt es zurzeit nicht nur an der richtigen Kommunikation ihrer Friedens- und Sicherheitspolitik, sondern an etwas Grundlegenderem: einer Strategie. Sie sollte bei Krisen und Konflikten den Mut haben, Probleme zu benennen, und den Willen, sie zu lösen. Erst dann kann sie den Bürgern ein glaubwürdiges Narrativ vermitteln. Isabella Pfaff • 30. Oktober 2019