Influencer für die Krisenprävention: Wie die Bundesregierung die sozialen Medien nutzen sollte

09. Januar 2020   ·   Bendix Hügelmann

Auch wenn Kernbotschaften und Strategie oft fehlen: Die Bundesregierung sollte das Thema Krisenprävention in den sozialen Medien besser kommunizieren. Dafür sollten die relevanten Ressorts öfter mit Influencern kooperieren und im Social Web stärker persönliche Geschichten derer in den Vordergrund stellen, die alltäglich in der Krisenprävention arbeiten.

Es werden anstrengende Tage sein am Werderscher Markt 1. Erst kürzlich veröffentlichte das Auswärtige Amt über seinen Twitter-Account ein Statement von Außenminister Heiko Maas nach dessen Austausch mit seinem britischen Amtskollegen Dominic Raab. Deeskalation sei angesichts der gezielten Tötung des Iranischen Generals Ghassem Soleimani nun das Gebot der Stunde. Es dürfe kein Vakuum im Irak entstehen, welches nur dem IS nütze, so der Tenor. Das klingt sehr nach: Wir machen jetzt erstmal nichts, und dann warten wir ab.

Eine entsprechende Reaktion ließ folglich nicht lange auf sich warten: Wie und mit welchen Mitteln Deutschland denn dazu beitragen wolle, dass im Irak kein Vakuum entstehe, fragte etwa der Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger. Eine öffentlich sichtbare Antwort darauf erhielten Ischinger und seine über 18.000 Follower nicht.  

Soziale Medien tragen einen entscheidenden Teil zur Meinungsbildung bei  

Dieses kleine Beispiel sagt viel darüber aus, wie auf der einen Seite soziale Medien zwar theoretisch die Dialogfähigkeit von Institutionen steigern können, dies in der Praxis jedoch regelmäßig an der (politischen) Realität scheitert und zu Sprachlosigkeit führt. Was hätte das Social Media Team des Auswärtigen Amts auch antworten sollen. Auf der anderen Seite tragen soziale Medien inzwischen einen entscheidenden Teil zur Meinungsbildung bei. Als Intermediäre folgen sie dabei keiner klassischen Medienlogik die zwischen Sender und Empfänger trennt; Nutzer sozialer Medien können beides sein, sowohl Sender als auch Empfänger. Diese Form des niedrigschwelligen Austausches verändert die Kommunikation politischer Akteure von Grund auf. Gar nicht auf Social Media zu kommunizieren ist daher auch keine Option.  

Betrachten wir, wie außenpolitisch konnotierte Themen gerade auch bei Twitter oder in den Kommentarspalten bei Facebook wahrgenommen und diskutiert werden, stellt sich deswegen eine ganz grundsätzliche Frage: Wie kann es überhaupt gelingen, krisenpräventive Maßnahmen nachhaltig zu kommunizieren und was macht darüber hinaus professionelle Kommunikation entsprechender Politikfelder in sozialen Medien aus?  

Zwar gibt sich die Bundesregierung in ihrem Grundsatzdokument „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ ein grobes Handlungsprofil, was Leitlinien des Regierungshandelns umschreibt. Das Dokument greift die Kommunikation aber nur in einem einzigen Satz auf: „Die Bundesregierung wird ihre Kommunikationsaktivitäten ausweiten, um ihr Engagement gegenüber der Öffentlichkeit zu erklären, auf Chancen und Grenzen des Engagements hinzuweisen sowie aktiv auf Medien in Deutschland und vor Ort zuzugehen.“ Das ist kein umwerfendes politisches Mandat, aber immerhin. Dass diesem Anspruch aus dem Frühjahr 2017 Taten folgen, beweist unter anderem der vorliegende Beitrag und die Debatte, welche über PeaceLab geführt wird.  

Es gibt wenig öffentliches Interesse am Thema Krisenprävention 

Für die tägliche Arbeit in den Kommunikationsabteilungen der für Krisenprävention zuständigen Ministerien sehe ich in der Umsetzung erfolgreicher Social Media Kommunikation, neben dem latenten Zielkonflikt zwischen der Darstellung des eigenen Ministers und der Fokussierung auf ein Thema, welches nicht unbedingt nur den eigenen Minister in den Vordergrund stellt, fünf themenspezifische Hürden.  

Eines der größten Probleme eines jeden Kommunikators – und da spielen Medientyp und Plattform noch gar keine Rolle – besteht erstens dann, wenn für das jeweilige Thema kein dezidiertes Interesse besteht. Ich greife wohl kaum zu weit, wenn ich mich zur Aussage versteige, dass Krisenprävention in den vergangenen Jahren nicht zu den Kassenschlagern im hiesigen Blätterwald gehört hat. Oder anders gesagt: Die erste Hürde auf dem Weg zu einer gelungenen Kommunikation von Maßnahmen zur Krisenprävention ist ein nur schwach ausgeprägtes, öffentliches Interesse am Thema.  

Erschwerend hinzu kommt zweitens ein ebenso schwach ausgeprägtes Verständnis der notwendigen Hintergründe und Zusammenhänge. Will heißen: Solange nicht irgendwo auf der Welt etwas explodiert interessiert sich die Allgemeinheit doch eher wenig dafür, was die Bundesregierung unternimmt, um ebenjene Ereignisse zu verhindern. Passiert dann doch etwas, greift häufig eine Mischung aus Halbwissen und reflexartiger (parteipolitischer) Kommentierung um sich. Gerade im vorpolitischen Raum und auf Twitter ist dieses im Kern tribalistische Verhalten regelmäßig zu beobachten.  

Erfolgreiche Krisenprävention erzeugt keine schönen Bilder  

Die damit einhergehende Emotionalisierung sicherheits- und außenpolitischer Debatten fußt drittens somit einerseits auf einer sehr reaktiven öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema, sowie andererseits auf dem hohen Komplexitätsgrad der Materie. Beides führt dazu, dass zwischen einer kleinen, informierten Fachcommunity und der breiteren Öffentlichkeit ein erhebliches Informations- und Kompetenzgefälle besteht. Für Kommunikatoren ist dies ein Dilemma, da sie in der fortlaufenden Aufbereitung von Inhalten zwei völlig unterschiedliche Zielgruppen vorfinden, die im Social Web jedoch nur schwer voneinander zu trennen sind. 

Eine vierte Hürde auf dem Weg zu besserer Kommunikation von Krisenprävention liegt in der Medienlogik selbst. Getreu dem alten Presse-Sprichwort „If it bleeds it leads“ kommen Krisen in der Regel erst dann zu größerer Öffentlichkeit, wenn ein gewisses Maß der Eskalation oder der Gewalt erreicht ist. Für die Kommunikation von Krisenprävention ist dies eine paradoxe Situation: Führen nämlich die Maßnahmen der Bundesregierung zum Ziel, und eine Krise kann abgewendet werden, bleibt der Aufmerksamkeit erzeugende Moment – der Sprichwörtliche Knall – natürlich aus. Wie also etwas kommunizieren, dessen größte Leistung darin besteht, dass etwas nicht passiert? Erschwerend kommt hinzu, dass Maßnahmen zur Krisenprävention in der Regel schlecht sichtbar bzw. schwer zu visualisieren sind. Gerade in sozialen Medien ist jedoch die Arbeit mit visuellen Mitteln zwingend erforderlich, um überhaupt die Aufmerksamkeit potentiell interessierter Nutzer zu gewinnen. Auch hier stellt sich jedoch die Frage: Wie soll etwas inszeniert werden, das sich bisher weder über spektakuläre Bilder noch über öffentlichkeitswirksame Akteure ausgezeichnet hat?  

Als letzte Hürde für zielgerichtete und im klassischen Sinne strategische Kommunikation von Krisenprävention ist die Natur ebenjener anzusehen. Maßnahmen der Krisenprävention folgen insbesondere unter Einfluss sicherheitspolitischer Dimensionen selten einem zeitlich belastbaren Plan, der eine entsprechende dramaturgische Aufbereitung und Begleitung nahelegt. Die Stabilisierung einer Region ist eben kein Bauprojekt oder ähnliches. Weder sind Fortschritte notwendigerweise unmittelbar sichtbar oder nachvollziehbar, noch lässt sich der Prozess in klar trennbare Projektphasen unterteilen.  

Mit reichweitenstarken Kanälen kooperieren, um das Thema bekannter zu machen  

Die gute Nachricht: Soziale Medien können dabei helfen, alle genannten Hürden zu nehmen bzw. zumindest rechtzeitig abzuspringen und nicht stumpf dagegen zu laufen, um im Bild zu bleiben.  

So kann ein geringes öffentliches Interesse an Krisenprävention über die Kooperation mit unterschiedlichen, reichweitenstarken Kanälen – etwa den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten – oder Influencern die Awareness, also das Bewusstsein für den Themenbereich nachhaltig steigern. Erste Erfahrungen sammelten auf diesem Wege bereits das Bundesverkehrsministerium mit der kontrovers diskutierten Fahrradhelm-Kampagne „Looks like shit. But saves my life“ oder vor allem auch das Entwicklungsministerium. Letzteres setzt bei der Kampagnen-Planung auf Social Media Influencer wie Gronkh, die als Botschafter in entsprechenden Clips auftreten und Gehör finden. Ein stärkeres Themen- und Problembewusstsein für Krisenprävention steigert den Zugang zur Materie und senkt dabei die oben beschriebene Informations- und Kompetenzasymmetrie zwischen einer breiten und einer informierten Öffentlichkeit. Beides könnte letztlich zu einer Versachlichung der Debatte im vorpolitischen Raum beitragen, was wiederum über dort ansässige Multiplikatoren eine breite Wirkung auch außerhalb der digitalen Sphäre herbeiführen könnte.  

Hochwertige Formate produzieren und persönliche Geschichten darstellen  

An „If it bleeds, it leads“ wird auch dies nur bedingt etwas ändern, jedoch ermöglicht die gezielte Verwendung zeitgemäßer und hochwertig produzierter Social Media Formate die Generierung von Leads abseits von Explosionen. Formate wie beispielsweise „Die Rekruten“ - oder jüngst: „Die Rekrutinnen“ - der Bundeswehr haben in den vergangenen Jahren gezeigt, wie durch die geschickte Verbindung von persönlichen Storytelling-Elementen und Infotainment neue Zielgruppen erschlossen werden konnten und die Awareness zielgruppenübergreifend gesteigert wurde.  

Um also die Sichtbarkeit von Krisenprävention zu erhöhen, kann eine Möglichkeit darin bestehen, diejenigen in den Fokus der Social Media Berichterstattung zu stellen, die vor Ort im Auftrag der Bundesregierung tagtäglich an der Prävention von Krisen arbeiten. Der Fokus auf Akteure erleichtert den Zugang zum Themenbereich und ermöglicht die Visualisierung von, und die Identifizierung mit Regierungshandeln im Kontext der Krisenprävention.  

Webserie aus dem Alltag deutscher Außenpolitik mit Protagonisten aus jedem Ressort  

Bleibt das Problem einer eingeschränkten Planbarkeit entsprechender Maßnahmen, sowie die zugrundeliegende Strategie. Agilität ist dabei für die Umsetzung entsprechender Maßnahmen eine zwingende Prämisse. Was bedeutet das hier? Wenn Isabella Pfaff schreibt, der Bundesregierung fehle es überhaupt an einer Strategie, dann ist dem grundsätzlich zuzustimmen. Wer keine Strategie hat kann diese auch nicht kommunizieren. Die Frage, die sich dann jedoch aufdrängt ist aber doch, nach welchem Ansatz eine solche Kommunikations-Strategie überhaupt auf- und umgesetzt werden kann. Angesichts der Vielschichtigkeit des Themengebiets und der komplexen Zuständigkeits- und Ownership-Verhältnisse erscheint ein herkömmlicher Strategieprozess wenig zielführend.  

Mögliche Alternativen finden sich etwa im Bereich der Software-Entwicklung. Auch hier verändern sich die Anforderungen an das Produkt und Entwicklerteams fortlaufend und unvorhergesehen. Statt Software von den Nutzern isoliert „fertig“ zu entwickeln, ermöglichen eine Beta-Phase und die fortlaufende, dialog-gestützte Optimierung nach dem Roll-Out die Entwicklung eines Endprodukts, das deutlich näher an den tatsächlichen Anforderungen seiner Nutzer steht. Für die Kommunikation von Krisenprävention könnte dies bedeuten, zunächst über das Oberziel „Awareness“ eine ressortübergreifende Social Media Kampagne zu lancieren. In einem Folgeschritt würden dann während der Laufzeit weiterführende Kommunikationsziele identifiziert und umgesetzt werden.   

Konkret könnte dies eine Webserie aus dem Alltag deutscher Außenpolitik sein, welche aus jedem Ressort einen Protagonist oder eine Protagonistin ins Zentrum der Erzählung setzt und begleitet. Dies würde natürlich eine ressortübergreifende Projektkoordination voraussetzen.  

Ressortübergreifender Austausch zu Kommunikation unabdingbar  

Für die kulminierte Außendarstellung und Wahrnehmung deutscher Außenpolitik bietet die Krisenprävention hier auch klare Chancen: Den drei wichtigsten Ressorts im Bereich der Krisenprävention (Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungsministerium) zugehörigen Presse- und Informations-Abteilungen ist der enge Austausch mit der politischen Führung des jeweiligen Ministeriums gemein. Kurze Informationswege und die (zumindest theoretisch) latente Möglichkeit des niedrigschwelligen Austausches in gemeinsamen Presse- und PR-Fragen sind grundsätzlich gegeben. Angesichts des auch im Weißbuch festgehaltenen, vernetzten Ansatzes, der deutsche Sicherheitspolitik ressortübergreifend krisenpräventiv konnotiert und kohärentes Regierungshandlung ermöglichen soll, ist ein fortgeschrittener Austausch der Kommunikationsteams der genannten Ressorts sowieso unabdingbar.

Kommunikation Social Media

Bendix Hügelmann

Bendix Hügelmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und forscht zum Einfluss digitaler Kommunikation auf individuelles Verhalten. Begleitend zu seiner Forschung ist Bendix Hügelmann als unabhängiger Politik- und Kommunikationsberater tätig.

Auf seinem Blog www.politicalinfluencers.de veröffentlicht Bendix Hügelmann Auszüge seiner Forschung sowie Beiträge zum Thema politische Kommunikation. @liquid_wording