Umbruch im Sudan: Strategische Chance für die Bundesregierung

24. Februar 2020   ·   Philipp Jahn

Vom Erfolg der Übergangsregierung im Sudan hängt die Stabilität der ganzen Region Ostafrika ab. Strategische Prioritäten für die Bundesregierung sollten die Unterstützung beim Umgang mit Subventionen und die Stärkung der Mittelschicht des Landes sein. Wichtig ist dabei, die kurzfristige Krisenprävention und längerfristige Entwicklungszusammenarbeit gut aufeinander abzustimmen.

Der Sudan braucht dringend internationale Unterstützung. Es steht viel auf dem Spiel – auch für Deutschland und Europa: Der Sudan ist flächenmäßig der drittgrößte Staat Afrikas mit einer Bevölkerung von über 40 Millionen Menschen. Er befindet sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise und nach der erfolgreichen Revolution in 2019 auch in einer fragilen politischen Transformation. Die dreißigjährige Diktatur Omer al-Bashirs hat seine Institutionen ausgehöhlt, die Auslandsschulden betragen USD 56 Milliarden und der winzige und unterfinanzierte Staatshaushalt dient hauptsächlich dem Erhalt des sozialen Friedens. Güter wie Benzin, Diesel, Kochgas, Weizen und Strom sind hochsubventioniert, damit die verarmte Bevölkerung nicht aufbegehrt.  

Die Übergangsregierung braucht jetzt Unterstützung durch die Bundesregierung  

Sollte die seit Sommer 2019 amtierende Übergangsregierung unter Premierminister Hamdok es nicht schaffen den Staat zu stabilisieren, dann droht der Zerfall des Landes, welches bereits jetzt durch zahlreiche regionale Konflikte geprägt ist. Ein solcher Prozess hätte wegen der regionalen Bedeutung des Sudans direkte Auswirkung auf ganz Ostafrika, insbesondere da das wichtige Nachbarland Äthiopien sich selbst in einer schwierigen Transformation befindet. Der Sudan ist trotz schwerer Wirtschaftskrise einer der wichtigsten Handelspartner von Äthiopien. Eine erfolgreiche Transformation beider Länder könnte dagegen ein demokratisches und wirtschaftliches Zentrum schaffen, von dem die ganze Region profitieren könnte. 

Deutschland muss deshalb die Regierung Hamdok bei der Transformation unterstützen. Der Besuch von Außenminister Heiko Maas im September 2019 und der Besuch von Entwicklungsminister Gerd Müller im Februar 2020 haben bereits große Erwartungen im Sudan geweckt, dass Deutschland sich stark engagieren wird. Für die Bundesregierung ist dies ein „Window of Opportunity“ und eine Gelegenheit, die in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ gesteckten Ziele zu Krisenprävention und Friedensförderung in der Praxis umzusetzen. Hier fasste die Bundesregierung unter anderem zusammen: „Um gesellschaftliche Transformationsprozesse umfassend und effektiv begleiten zu können, ist es erforderlich, kurz­, mittel­ und langfristige Unterstützungsmaßnahmen aufeinander abzustimmen und Übergänge zu berücksichtigen.“ Im Sudan, einem wichtigen Nachbarn Europas, kann sie jetzt zeigen wie kurzfristige Krisenprävention und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit aufeinander abgestimmt funktionieren können. Dazu müssen das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium (BMZ) aber eine kohärente Politik mit gemeinsamen strategischen Prioritäten zur Unterstützung des Sudans entwickeln.  

Interessen vor Ort verstehen: Modell Äthiopien vs. Marktliberalisierung  

Die Entwicklung von strategischen Prioritäten in der Bundesregierung verlangt ein gutes Verständnis der Lage vor Ort. Eine Analyse der Interessen der Akteur_innen ist wegen der vielen konkurrierenden Machtzentren im Sudan allerdings nicht einfach. Die wichtigsten Akteur_innen sind das Militär, die Forces of Freedom and Change (FFC) und die Technokratenregierung. Innerhalb dieser Machtzentren gibt es verschiedene Untergruppen, beispielsweise General Hemeti und seine Rapid Support Forces innerhalb des Militärs oder die verschiedenen politischen Parteien innerhalb der FFC. Das Militär und die FFC sind zwar beide in der im September gebildeten Regierung vertreten, ausschlaggebend für die Willensbildung in der Regierung sind jedoch zwei Hauptströmungen.  

Eine Gruppe, die „Entwicklungspolitiker_innen“, möchte eher dem Modell von Äthiopien folgen und einen „Development State“ errichten. Diese Entwicklungspolitiker_innen haben oft lange Jahre ihrer Karriere in Äthiopien verbracht und bewundern den dortigen Fortschritt. Gleichzeitig wissen sie um dessen Schwächen und versuchen diese bei ihrer eigenen Politik zu vermeiden. Die Gruppe geht von einem nicht-linearen Entwicklungsbegriff aus in welcher dynamische Veränderungen plötzlich passieren. Sie versteht die Transformationszeit als Fortführung einer tieferen, auch gesellschaftlichen Revolution.  

Die andere Gruppe besteht aus Finanzexpert_innen und setzt eher auf Deregulierung und Marktliberalisierung. Sie will den Haushalt sanieren, die Schulden abbauen und setzt auf ausländische Investor_innen. Im Gegensatz zu den Entwicklungspolitiker_innen geht sie von einem linearen Entwicklungsbegriff aus, in welchem Veränderungen aufeinander aufbauen und in einem zeitlich festgesteckten Rahmen zu einer stabilen Wirtschaft führen. Die Übergangszeit dient für sie im Grunde nur der Durchführung von tiefgreifenden Wirtschaftsreformen. Inhaltlich konnten sich bis jetzt beide Gruppen auf eine Liste mit zehn Prioritäten einigen, welche sie anhand des Revolutionsslogan „Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit“ entwickelten.  

Ein bis zwei Drittel des sudanesischen Staatshaushalts gehen in Subventionen    

Die aktuelle politische Debatte im Sudan ist jedoch weniger von diesen zehn Prioritäten geprägt als von der akuten politischen Entscheidung wie und wann die staatlichen Subventionen gestrichen werden sollen, damit der Staatshaushalt saniert werden kann. Der sudanesische Staat gibt nach Schätzungen ein bis zwei Drittel seines Haushaltes für die Subventionierung von Gütern aus. Benzin und Diesel sind deshalb billiger als Wasser im Sudan. Kochgas und Strom billiger als im erdölreichen Saudi-Arabien. Gleichzeitig ist die Streichung von Subventionen der größte politische Mobilisierungsfaktor. Als Omer Al-Bashir im Dezember 2018 die Weizensubventionen reduzieren wollte, kam es zu den ersten landesweiten Demonstrationen, welche vier Monate später seine 30-jährige Herrschaft beendeten.  

Im Dezember 2019 verkündete der Finanzminister der neuen Technokratenregierung, dass die  Subventionen für Diesel und Benzin schrittweise reduziert werden. Wenige Stunden später musste er auf Druck der FFC umschwenken. Nun soll es im März 2020 eine Konferenz geben, auf der die Frage der Subventionen erneut diskutiert wird. Die „Finanzpolitiker_innen“ innerhalb der Regierung drängen darauf, schon vorher mit der Reduzierung der Subventionen, insbesondere von Benzin, zu beginnen. Seit Februar 2020 wird auch an einigen Tankstellen weniger subventioniertes Benzin verkauft. Die Entwicklungspolitiker_innen wollen erst die staatlichen Leistungen für die Menschen verbessern, bevor die Reduzierung der Subventionen beginnt. Sie argumentieren damit, dass durch die Bekämpfung von Korruption und die effizientere Verteilung der subventionierten Güter bereits massive Einsparungen im Staatshaushalt erreichbar sind. Die Frage der Reduzierung der Subventionen muss jedoch vor den Parlamentswahlen 2022 geklärt werden, solange die technokratische Übergangsregierung die Verantwortung trägt. Die politischen Transaktionskosten der Streichung von Subventionen wären zu hoch für gewählte Amtsträger_innen. Eine demokratisch gewählte Regierung, welche die Subventionen streichen müsste, wäre gelähmt und würde schnell die Macht verlieren.  

Wiederaufnahme der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit wichtiger Schritt  

Vor diesem Hintergrund war es ein wichtiger Schritt, dass der Deutsche Bundestag am 13.02.2020 die Wiederaufnahme und den Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit im Sudan beschlossen hat. Dieser ermöglicht es dem BMZ, die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit dem Sudan wieder aufzunehmen, die 1989 kurz vor Omer al-Bashirs Putsch ebenfalls auf Beschluss des Bundestages eingestellt wurde. Der aktuelle Beschluss ist auch als Arbeitsauftrag an alle relevanten Ressorts formuliert, sich nun stärker im Sudan zu engagieren. Inhaltlich soll die Bundesregierung laut Beschluss den Transitionsprozess im Bereich Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsreform, Vorbereitung Wahlen, Parteienaufbau, Unterstützung der Zivilgesellschaft, bei den Wirtschaftsreformen und bei der Rehabilitierung der Infrastruktur unterstützen.  

Im Kontext der oben beschriebenen politischen Situation und der Debatte um die Subventionen sowie der Wiederaufnahme der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit im Sudan sind drei Handlungspunkte zentral für eine kohärente Sudan-Politik Deutschlands. Dabei sollte nicht in erster Linie die Migrationsfrage handlungsleitend sein, sondern die langfristige Transformation des Sudans.  

Subventionsabbau: Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit klug verknüpfen  

Erstens sollte es die oberste strategische Priorität der Bundesregierung sein, die sudanesische Regierung bei der Lösung der Frage zur Zukunft der Subventionen zu unterstützen. Das Auswärtige Amt hat in diesem Sinn auch schon richtig gehandelt und unterstützt auf Wunsch von Premierminister Hamdok im Rahmen der Krisenprävention die Stabilisierung der Stromversorgung in Khartum. Hier ist jedoch wichtig, dass die Bundesregierung die Situation im Sudan wie die oben erwähnten Entwicklungspolitiker_innen im Sudan als revolutionär und dynamisch versteht. Daher darf eine solche Maßnahme der Krisenprävention nicht automatisch im Sinne einer linearen Entwicklung zu einem Schwerpunktsektor Energie in einem Länderprogramm des BMZ führen. Krisenprävention muss zwar als Nexus mit Entwicklungspolitik zusammengedacht werden, aber eben nicht linear. Entwicklungspolitische Interventionen z.B. im Bereich Good Financial Governance müssen jetzt beginnen, damit der Sudan langfristig auf einen Entwicklungspfad kommt. Strategisch wichtige Regionen wie Port Sudan müssen neben Khartum schwerpunktmäßig unterstützt werden. Port Sudan ist der wichtigste Hafen des Landes und sollte er zusammenbrechen, dann hat das Auswirkungen auf die Versorgungslage im ganzen Land.  

Die Aushöhlung der Mittelschicht verhindern  

Zweitens sollte es dabei strategische Priorität für die Bundesregierung sein, die Aushöhlung der Mittelschicht im Sudan zu verhindern. Die gut ausgebildete Mittelschicht bleibt das größte Potential des Landes. Die Wohlstandsfresser, also die Rent-Seeker, des alten Regimes haben jahrzehntelange Produktivität zerstört und dadurch die Verarmung der Mittelschicht vorangetrieben. Schon jetzt haben viele Ärzt_innen, Ingenieur_innen, Beamt_innen und Facharbeiter_innen mehrere Jobs. Sie fahren z.B. Tirhal, ein sudanesisches Uber, was nur deshalb lukrativ ist, weil Benzin faktisch kostenlos ist und so jede Fahrt eine Einnahme. Die Streichung der Subventionen wird deshalb die Mittelschicht auch hart treffen. Dabei waren es insbesondere die Kinder der Mittelschicht, die die Revolution in Khartum getragen und organisiert haben. Und es ist die Mittelschicht die auf die Demokratie-Dividende setzt. Maßnahmen der Krisenprävention durch das Auswärtige Amt müssen deshalb auch die Mittelschicht berücksichtigen und zum Beispiel Möglichkeiten schaffen, um die wegfallenden Einnahmen und Ersparnisse aus Subventionen kurzfristig zu kompensieren: Ohne Subventionen können es sich zum Beispiel die Bäuer_innen wirtschaftlich nicht mehr leisten, die Felder mit Nilwasser zu bewässern. Hier muss durch Interventionen der Krisenpräventionen Abhilfe geschaffen werden. Und auch entwicklungspolitische Interventionen sollten das Ziel haben, das Potential der Mittelschicht freizulegen. 

Entwicklungspolitische Expertise zum Sudan stärken    

Für beide Prioritäten ist es drittens wichtig, entwicklungspolitische Expertise zum und im Sudan zu stärken. Die Schwerpunktsetzung des deutschen (und internationalen) Engagements der letzten drei Jahrzehnte hat dazu geführt, dass Sudan-Expertise insbesondere im Bereich der kurzfristigen Krisenprävention, Migrationspolitik, UN-Friedensmissionen und humanitären Hilfe existiert. Es fehlt an ausreichender entwicklungspolitischer Expertise zum Sudan sowohl in Berlin als auch in Khartum, wo es zum Beispiel bislang keine Referent_in des BMZ („WZ-Referenten“) an der deutschen Botschaft gibt. Die Bundesregierung hat das Problem bereits erkannt und damit begonnen, entsprechende Expertise aufzubauen. Das BMZ wird ab April 2020 einen WZ-Referenten an die Botschaft entsenden. Zusätzlich sollte man überlegen, ob man ein Beratungsteam in Form eines Sekretariats für die handelnden Akteur_innen in der Bundesregierung einrichtet. Hier könnten auch Think Tanks, Zivilgesellschaft und politische Stiftungen eine Rolle spielen. Es wird jedoch mehr Anstrengungen als dies bedürfen, insbesondere wenn man sicherstellen möchte, dass Entwicklungshilfe durch das BMZ und die kurzfristigen Maßnahmen zur Krisenprävention des Auswärtigen Amts sinnvoll aufeinander abgestimmt sind. Der Bundestagbeschluss gibt dabei vor, welche Expertise besonders vom Gesetzgeber gewollt ist.  

Die Besuche von Heiko Maas, Gerd Müller und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben Erwartungen geweckt. Deutschland hat die Mittel um diese Erwartungen zu erfüllen. Die Mittel müssen aber Teil einer klugen und gemeinsamen Politik der Bundesregierung sein. Deutschlands Ansehen in dieser wichtigen Region kann dies helfen.