Rechtsstaat gegen Korruption – wie der Kampf gegen Straflosigkeit gelingen kann

14. April 2020   ·   ​Daniel Kempken

Gut konzipierte Internationale Rechtsstaatsmissionen bekämpfen Korruption, indem sie direkt gegen Profiteure des korrupten Systems vorgehen. Missionen in Guatemala und Honduras waren deshalb so erfolgreich, weil sie mit einem klaren Mandat sichtbare Ergebnisse erzielten. Deutschland sollte diese Art von Rechtsstaatsförderung nutzen, sowohl als Instrument als auch als Erfahrungsschatz.

Bei dem relativ neuen Instrument der internationalen Rechtsstaatsmissionen handelt es sich um gezielte Projekte gegen Korruption und Straflosigkeit. Damit setzen die Rechtsstaatsmissionen bei zwei ganz zentralen Problemen an, die einem funktionierenden Rechtsstaat im Wege stehen. Anhand der Missionen in Guatemala („Comisión Internacional contra la Impunidad en Guatemala“ oder CICIG), welche von 2006 bis 2019 lief, und in Honduras („Misión de Apoyo contra la Corrupción y la Impunidad en Honduras“, MACCIH – 2016 bis 2020) lassen sich die Vorteile dieser Missionen illustrieren.

Abgesichert durch ein Abkommen des jeweiligen Staates mit einer internationalen Organisation, im Fall der CICIG die Vereinten Nationen, im Fall der MACCIH die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), unterstützen renommierte internationale Juristen, Juristinnen und andere Fachkräfte die nationalen Staatsanwaltschaften und Strafgerichte. Damit arbeiten sie im Kernbereich nationaler Souveränität. CICIG in Guatemala hatte sogar eigene Ermittlungskompetenzen, sodass man dort von delegierter bzw. geteilter Souveränität sprechen kann. MACCIH hingegen schuf eine nationale Sonderstaatsanwaltschaft, welche für die eingeleiteten Strafverfahren verantwortlich war.

Die Missionen nehmen einflussreiche Vertreter und Vertreterinnen politischer und wirtschaftlicher Eliten, die von den bestehenden, korrupten Systemen profitieren, ins Visier. Diese müssen plötzlich befürchten, wegen der Begehung schwerer Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es ist somit nicht verwunderlich, dass die Missionen harte Gegenmaßnahmen ihrer mächtigen Gegenspieler provoziert haben.

Klassische Projekte der Korruptionsbekämpfung greifen zu kurz 

Ein bisschen Korruptionsbekämpfung gehört heutzutage zum guten Ton. Ein abgeschlagener Platz bei den notorisch korrupten Ländern auf dem Corruption Perception Index von Transparency International schadet dem Investitionsklima und den nationalen wirtschaftlichen Interessen, teilweise sogar den Korrupten selbst. Für die außenpolitischen Interessen einer Regierung sind negative internationale Bewertungen ebenfalls nicht gerade förderlich.

Viele klassische Projekte der Korruptionsbekämpfung kommen dieser Interessenlage durchaus entgegen. Sie dokumentieren einen vermeintlich guten Willen der jeweiligen Regierung; doch sie schaffen es nicht, korrupte Machtstrukturen aufzubrechen. Korruptionsbekämpfung findet auf dem Papier, nicht aber in der Realität statt. Dies ist vor allem dann wahrscheinlich, wenn wir es mit Fällen von sogenannter „Grand Corruption“ oder „Power Crime“ zu tun haben, einer unheiligen Allianz von Teilen der wirtschaftlichen und politischen Elite, teilweise auch dem Organisierten Verbrechen. Zudem ist es oft genug geschehen, dass an sich schlagkräftige Antikorruptionsmaßnahmen dazu missbraucht wurden, politische Gegner und/oder missliebige Konkurrenten auszuschalten. Unterm Strich waren so manche Antikorruptionsprojekte durchaus im Sinne des jeweiligen korrupten Systems. Sie können es schlimmstenfalls sogar nach außen hin legitimieren und damit stabilisieren.

Rechtsstaatsmissionen sind ein Erfolgsmodell

CICIG und MACCIH hatten einen anderen, einen direkteren und gezielteren Ansatz als klassische Antikorruptionsprojekte. Durch das klare Mandat, unmittelbar gegen Straflosigkeit vorzugehen, wurden beide Missionen weder durch die Zusammenarbeit mit einer Vielzahl zahnloser staatlicher Institutionen noch durch eine Überfrachtung mit Aufgaben verwässert. Sie haben dafür gesorgt, dass mächtige und hochrangige Personen bis hin zu Staatspräsidenten im Gefängnis landeten. Für Personen, die sich bisher der Straflosigkeit sicher sein konnten, gab es plötzlich ein Risiko. Staatsanwaltschaften, die sich bis dato an gewisse Kreise nicht herangetraut hatten, wurden selbstbewusster. Durch ihre weithin sichtbaren Erfolge hatten die Missionen zumindest zeitweise sehr großen Rückhalt in der jeweiligen Bevölkerung.

In einer rückblickenden Analyse der Arbeit von CICIG wurde die treffende Frage gestellt: „Eine zu erfolgreiche Initiative?“ Die korrupten Systeme schlossen die Reihen und schlugen zurück. In Guatemala wurde der Leiter von CICIG, Iván Velásquez, zur Persona non grata erklärt. In Honduras war es der OAS nicht möglich, eine Verlängerung der Mission zu den bisherigen Bedingungen und Arbeitsmöglichkeiten auszuhandeln. Beide Missionen sind beendet. Doch das Erfolgsmodell ist in der Welt.

Die Siegeszüge von CICIG und MACCIH haben sichtbar gemacht, dass es sehr wohl möglich ist, Systeme der Grand Corruption aufzubrechen. Damit haben beide Missionen im Vergleich zu herkömmlichen Projekten in der Korruptionsbekämpfung einen Unterschied gemacht.

Erfolgsrezept: Straflosigkeit direkt angehen

In der Ressortübergreifenden Strategie zur Rechtsstaatsförderung der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 ist Korruptionsbekämpfung als wichtiges Ziel genannt. Die in der Strategie ebenfalls genannten Rechtsstaatsmissionen sollten verstärkt genutzt werden, sowohl als Instrument als auch als Erfahrungsschatz.

Das Erfolgsrezept bestand darin, die Straflosigkeit in einem nicht zu großen Team aus nationalen und internationalen Juristen/innen direkt und gezielt anzugehen. Hierbei hatten die Missionen durch ein internationales Abkommen garantierte Kompetenzen, die Ermittlung und Anklage möglich machten. Ganz wesentlich war hierbei das Recht der Ermittler/innen, die zu ermittelnden Fälle selbst auszuwählen. Außerdem wurden Staatsanwälte/innen und Richter/innen nach ihrer Integrität und Fähigkeiten unter Beteiligung der internationalen Missionsmitglieder ausgewählt.

Als Geber sollte die Bundesregierung ihren Einfluss im Sinne der Einrichtung solcher Missionen geltend machen. Zentralamerika ist hierbei mit Blick auf den großen Nachbarn im Norden ein Sonderfall. Hätten die USA auf CICIG und MACCIH bestanden, wären die Missionen vermutlich noch heute tätig. Im politischen Dialog mit einer Regierung, die von sich behauptet, Korruption bekämpfen zu wollen, kann die Bereitschaft zu einer ähnlichen Mission als Lackmustest für den politischen Willen gewertet werden. CICIG war das Vorbild. In Honduras haben die Menschen durch monatelange Demonstrationen eine honduranische CICIG gefordert und schließlich die MACCIH erstritten. Eine zu MACCIH-Zeiten eingerichtete Beobachtungsstelle der Zivilgesellschaft sollte nun unterstützt werden, um der notwendigen, kritischen Stimme der Bevölkerung auch nach Beendigung der Mission eine Plattform zu geben.

Politischen Willen austarieren und Zivilgesellschaft einbinden

Das Ende der beiden Missionen hat gezeigt, dass es ohne wirklichen politischen Willen in den Gastländern nicht geht. Ein solcher kann in einigen Fällen von der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft mit Erfolg eingefordert werden. Das wird am ehesten funktionieren, wenn der politische Preis einer Verweigerungshaltung zu hoch ist. Deutschland kann hierbei nur dann erfolgreich sein, wenn die Bundesregierung sich im jeweiligen Geberkreis gut abstimmt.

Bei neuen Missionen in El Salvador, in Ecuador und gegebenenfalls in anderen Ländern wird sowohl im politischen Dialog als auch bei einer Förderentscheidung darauf zu achten sein, wie die jeweilige Mission konzipiert ist. Sie sollten nicht zu breit ansetzen und die Kompetenz haben, direkt gegen Korruption und Straflosigkeit vorzugehen. Reine Beratungsmissionen sind hingegen beim Kampf gegen Grand Corruption kein probates Mittel.

In diesem Spannungsfeld ist es von Vorteil, wie MACCIH eine nationale Sonderstaatsanwaltschaft, gegebenenfalls auch eine Sondergerichtsbarkeit aufzubauen und ihr über die Mission Schutz zu gewähren. Die eigene Ermittlungstätigkeit von CICIG bot eine zu große Angriffsfläche für Vorwürfe der Souveränitätsverletzung.

Ganz zentral ist zudem die Einbindung und Unterstützung der Zivilgesellschaft – und das Austarieren des politischen Willens auf der Seite des Partnerlandes.

Bei der Bekämpfung endemischer Korruption geht es im Kern um die Veränderung menschlichen Verhaltens. So etwas geht nicht von heute auf morgen. Es braucht Anreize und es braucht Grenzen, die den Korrupten durch eine funktionierende Strafjustiz aufgezeigt werden. Dass solche Grenzen möglich sind, haben die Rechtsstaatsmissionen in Guatemala und Honduras gezeigt. Nun gilt es, aus den Rückschlägen zu lernen, den Ansatz bei künftigen Missionen zu optimieren und so die aufgezeigten Grenzen langfristig zu etablieren.

Frieden & Sicherheit Rechtsstaatsförderung Korruption

​Daniel Kempken

Daniel Kempken ist freier Berater für Rechtsstaatsförderung und Antikorruption. Von 2017 bis 2019 war er Referatsleiter für Governance, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.