#RealityCheck 5: Alte und neue Herausforderungen des Zivilen Friedensdienstes in Uganda

01. Juli 2020   ·   Anna Hellge

Die Corona-Pandemie hat die Arbeit des Zivilen Friedensdienstes in Uganda verändert. Arbeitsabläufe mussten digitalisiert, die sich verschärfende häusliche Gewalt angegangen werden. Gleichzeitig erklärt Anna Hellge von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dass nicht nur Soforthilfe geleistet werden muss: auch die Kulturförderung sollte nicht vergessen werden.

1. Wie sieht Ihre Arbeit zu Krisenprävention und Friedensförderung in der Regel aus?

Als Programm des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) in Uganda arbeiten wir in Teso und Karamoja, den zwei ärmsten Regionen des Landes, hauptsächlich zu Landkonflikten, denn Land und Boden sind aufgrund des raschen Bevölkerungswachstums und des zunehmenden wirtschaftlichen Drucks stark umkämpft. Es gibt verschiedene Landsysteme – traditionelle und das westlich orientierte – die gleichzeitig angewendet werden, und die meisten BürgerInnen wissen zu wenig über ihre Rechte und Pflichten, wenn es um Landbesitz und -nutzung geht. Zudem kommt es in Karamoja immer wieder zu Auseinandersetzungen um Weideland zwischen HirtInnen, die mit ihrem Vieh wandern, und anderen LandnutzerInnen. Die Konkurrenz um die wenigen Landflächen wird zusätzlich durch die Abgrenzung von Wild- und Waldschutzgebieten und durch den zunehmenden Abbau von Bodenschätzen mit großflächiger Landnahme durch in- und ausländische InvestorInnen befeuert. Auch interethnische Spannungen tragen ihren Teil dazu bei. 

Als Team des ZFD begleiten und initiieren wir Dialogprozesse. Dabei bringen wir alle Konfliktparteien an einen Tisch. Ziel ist es, dass sich die Beteiligten gemeinschaftlich um eine Beilegung der Konflikte bemühen und Lösungen finden, die für alle akzeptabel und praktikabel sind. Dies geschieht durch Dialogplattformen und Mediationsprozesse, aber auch durch die Aufarbeitung und Verbreitung von Informationen zu Rechten und Pflichten der Bevölkerung und der Behörden, die für Landbesitz und Landnutzung zuständig sind.

Dabei stützen wir uns auf den Multi-Stakeholder-Ansatz, der auf die Einbeziehung aller Betroffenen in die Lösungsprozesse und -initiativen baut. Hierfür haben sich in den letzten sieben Jahren verschiedene Interessengruppen geformt, an denen derzeit ca. 150 Institutionen, Organisationen und traditionelle Autoritäten beteiligt sind.

2. Wie hat Corona Ihre Arbeit beeinflusst? Vor welchen Herausforderungen und neuen Chancen stehen Sie im Moment?

So wie überall auf der Welt stehen wir momentan vor der Herausforderung, unsere Unterstützung digital und vom Schreibtisch aus umzusetzen. Das ist nicht überall möglich und manche unserer PartnerInnen haben nicht die technischen Voraussetzungen dafür. Das kann frustrierend sein! Unser ZFD-Team ist derzeit aufgespalten in Europa und innerhalb Ugandas. Hier war ein schnelles Umdenken nötig, insbesondere für administrative Prozesse. Darin liegen aber natürlich auch Chancen: Die Digitalisierung ist innerhalb der letzten Wochen stark vorangeschritten – und manche der neuen Prozesse werden wir hoffentlich auch nach der Pandemie beibehalten.

Ansonsten hieß es, einerseits zu schauen, was in der Programmarbeit noch möglich ist und anderseits, welche zusätzlichen Maßnahmen in dieser Krise benötigt werden. Eine neue Herausforderung ist die Zunahme häuslicher Gewalt während der Pandemie. Männer bleiben zu Hause und können ihrer traditionellen Versorgerrolle nicht mehr gerecht werden – das manifestiert sich leider vermehrt in Spannungen und Gewalt gegen Frauen und Kinder. Als direkte COVID-Maßnahme legen wir darauf mit unserer Arbeit zurzeit ein besonderes Augenmerk, denn Frieden kann niemals existieren, wenn rund die Hälfte der Gemeinschaft Gewalt ausgesetzt ist.

Mit einer Reichweite von 87% der Bevölkerung ist das wichtigste Medium in Uganda das Radio. Daher findet ein Großteil unserer Sensibilisierungsmaßnahmen jetzt im Radio statt. Wir senden z.B. Talkshows zum Thema häusliche Gewalt, bei denen ZuhörerInnen die Möglichkeit haben, einem ExpertInnenteam Fragen zu stellen, oder über eine Hotline mit kompetenten BeraternInnen verbunden werden. Dass wir durch das Multi-Stakeholder-Modell so ein breit gefächertes Netzwerk haben, kommt uns jetzt zu Gute.

Vor dem Hintergrund der zusätzlich zur Pandemie drohenden Ernährungskrise aufgrund einer Heuschreckenplage haben wir gemeinsam mit einer Gruppe junger MusikerInnen einen „Corona Virus Awareness Raising Song“  produziert. Das Besondere daran: Die MusikerInnen stammen aus zwei historisch zerstrittenen Regionen, zwischen denen es immer wieder zu konfliktreichen Auseinandersetzungen kommt. In dem Song kommt neben COVID-19 auch die illegale Aneignung von Land, eine wesentliche Konfliktursache in beiden Regionen, zur Sprache. Dieser Song wird nun von Radiosendern in beiden Regionen ausgestrahlt. Auch Hilfsorganisationen und das ugandische Gesundheitsministerium spielen ihn beim Verteilen von Lebensmitteln in der Region. Für uns ein toller Erfolg. 

3. Welche Unterstützung wird aus Ihrer Sicht gebraucht? Was können externe Akteure wie Deutschland tun?

Fragile Staaten werden von der Pandemie erwartungsgemäß besonders hart getroffen. Bereits bestehende Konflikte spitzen sich zu und neue Konflikte brechen auf – Friedensarbeit ist jetzt wichtiger denn je.

Bei der Frage, wie diese aussehen soll, lohnt es sich über den Tellerrand zu schauen. Natürlich müssen akute Bedarfe gedeckt werden, und wir brauchen finanzielle Mittel um die wachsenden Herausforderungen gemeinsam mit unseren PartnerInnen zu meistern. Aber wir sollten auch neue Wege beschreiten. Nicht nur Erst- und Entwicklungshilfe wird benötigt, sondern auch Kulturarbeit. Kunst und Kulturarbeit verleiht Menschen eine Stimme, ob in einer Szenemetropole oder in einem Flüchtlingscamp. Leider werden diese – besonders in Krisenkontexten – oft vergessen und zu wenig gefördert. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich: An Talent und Engagement mangelt es nirgends auf der Welt. Des Weiteren brauchen wir mehr administrative Flexibilität seitens der Geberorganisationen. Insbesondere während der Pandemie drohen bestimmte Programme sonst zum Stillstand zu kommen. Außerdem müssen unsere lokalen PartnerInnen trotz der Einschränkungen arbeiten können. Dazu brauchen sie unter anderem Unterstützung im Bereich Digitalisierung. Der digital gap hat sich während des Lockdowns und beim mobilen Arbeiten mit den lokalen Partnernetzwerken massiv gezeigt. Aber: Ugandas Bevölkerung ist jung – und es gilt, gemeinsam mit diesen jungen Menschen, den Weg der Digitalisierung schnell und effektiv zu beschreiten.

Entwicklungszusammenarbeit Zivilgesellschaft Sub-Sahara Afrika

Anna Hellge

Anna Hellge arbeitet als Programme Advisor für Medien und Kommunikation für den Zivilen Friedensdienst (ZFD) der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.