Zivile Friedensarbeit braucht jetzt starke Partnerschaften, Solidarität und Flexibilität

08. Juni 2020   ·   Martina Rieken

Auch und gerade während der Corona-Pandemie ist die zivile Konfliktbearbeitung zentral. Die Bundesregierung sollte deswegen lokale zivilgesellschaftliche Organisationen, Frauen und Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger stärker unterstützen, die Digitalisierung der Friedensarbeit vorantreiben und sich bei der Mittelverwendung in der Projektförderung flexibler zeigen.

In vielen Krisen- und Konfliktregionen verschärft die Corona-Pandemie bestehende Konflikte und erhöht die Gefahr, dass Gewalt ausbricht. Gleichzeitig werden vermehrt Menschenrechte und Handlungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft eingeschränkt. Daher müssen die Bemühungen um friedliche Konfliktbearbeitung unbedingt aufrechterhalten werden. Dieser Beitrag zeigt an Beispielen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) aus Nepal, Mexiko und Kenia, wie die Friedensarbeit trotz der Einschränkungen weitergeht, welche Rolle die Zivilgesellschaft dabei spielt und welche Unterstützung jetzt gebraucht wird.  

Internationale Anstrengungen dürfen sich nicht nur auf Wirtschafts- und Gesundheitspolitik konzentrieren

Die Corona-Pandemie trifft die Gesellschaften fragiler Staaten besonders hart. Die oft prekäre Gesundheitsversorgung steht vor dem Kollaps. Schwierige Lebensbedingungen und Armut begünstigen die Ausbreitung des Corona-Virus und führen zu einer drastischen Zunahme sozialer Spannungen und häuslicher Gewalt. Konflikte werden durch Versorgungsengpässe, Einkommensverluste, Unsicherheit und Ängste verschärft. Manch autoritäres Regime missbraucht die präventiven Maßnahmen gegen das Virus, um die Menschenrechte und die Spielräume der Zivilgesellschaft weiter einzuschränken, wie beispielsweise die Menschenrechtsorganisation WOLA aus Ländern in Südamerika berichtet. Diese politische Instrumentalisierung der Krise kann also zur Verstärkung autoritärer Maßnahmen und der weiteren Einschränkung von Partizipationsmöglichkeiten und Raum für Zivilgesellschaft führen. In mehr als 30 Ländern wurde der Notstand ausgerufen. Damit gehen erhebliche Ausweitungen von Regierungsbefugnissen und eine Machtkonzentration bei der Exekutive einher. Laut Amnesty International und Human Rights Watch besteht die Gefahr, dass Beschränkungen des öffentlichen Raums zeitlich über die aktuelle Krise hinaus gehen und die bürgerlichen und politischen Rechte auf Versammlung oder freie Meinungsäußerung unangemessen und unverhältnismäßig einschränken. Die Zivilgesellschaft wird durch die Pandemie und ihre Auswirkungen doppelt geschwächt, sie kann weder ihre Dienstleistungs-, noch ihre Watch-Dog-Funktion wie gewohnt ausfüllen.

Die schwerwiegenden gesundheitlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen der Pandemie gefährden den Weg zum Frieden in Krisen- und Konfliktregionen langfristig. Genau deshalb ist es wichtig, lokalen zivilgesellschaftlichen Akteuren der Friedensarbeit weiterhin zur Seite zu stehen. Internationale Bemühungen sollten sich nicht nur auf den Wirtschafts- und Gesundheitssektor konzentrieren. Sie sollten in gleicher Weise die zivile Friedensarbeit und Gewaltprävention stärken, damit die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie abgefedert werden.

Die Friedensarbeit der lokalen Partner des Zivilen Friedensdienstes geht weiter – und zeigt, wie krisenfest sie ist: ihre Akteure entschärfen Konflikte, stehen verletzlichen Gruppen bei und behalten die Menschenrechte im Blick. Vielerorts füllen sie sogar staatliche Versorgungslücken, etwa bei gesundheitlicher Aufklärung und psychosozialer Beratung. Die meisten Partner und ZFD-Fachkräfte setzen derzeit auf mobile und virtuelle Kommunikationswege. Sie haben sich technisch und inhaltlich schnell an die neuen Herausforderungen angepasst, wie Beispiele aus Nepal, Mexiko und Kenia zeigen.

Die Corona-Pandemie ist nicht genderneutral – vulnerable Gruppen schützen

Frauen aus Krisen- und Konfliktregionen sind in der Corona-Krise höheren Risiken ausgesetzt als Männer. Besonders hart trifft es Alleinstehende und Alleinerziehende. „Da sie zuhause isoliert sind, können sie ihre Rechte nicht einfordern. Da sie ihre Familie allein ernähren, überwiegend im informellen Sektor arbeiten und oft verschuldet sind, machen sie harte Zeiten durch und laufen Gefahr, ausgebeutet zu werden und Gewalt zu erleiden“, sagt Lily Thapa, Gründerin der ZFD-Partnerorganisation WHR (Women for Human Rights) aus Nepal. WHR setzt sich eigentlich für die Besserstellung und Unterstützung alleinstehender Frauen und von Gewalt betroffenen Frauen ein. Seit Beginn der Corona-Pandemie informiert WHR gefährdete Frauen über gesundheitliche Risiken, Schutzmaßnahmen zu COVID-19 und dazu, wie sie sich insgesamt besser gegen Krisen wappnen können. „In Nepal fehlt es alleinstehenden Frauen oft an wichtigen Dokumenten“, sagt Dikshya Singh Rathour, lokale ZFD-Fachkraft bei WHR. „Dadurch besteht die Gefahr, dass sie bei der staatlichen Verteilung von Hilfsgütern nicht berücksichtigt werden.“ WHR dokumentiert, welche Frauen alleinerziehend sind und im informellen Sektor arbeiten. So kann besser gewährleistet werden, dass auch sie staatliche Hilfe erhalten. Mit den Gemeinden arbeitet WHR daran, die Sicherheit der Frauen während der Ausgangssperre zu gewährleisteten und im Krankheitsfall separate Quarantänemöglichkeiten zu bieten. In zehn Distrikten konnte WHR bereits eigene Räume mit insgesamt 365 Betten bereitstellen.

Schutz für die, die andere schützen – Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger stärken

In einigen Ländern werden Präventionsmaßnahmen gegen das Virus als Vorwand genutzt, um die Meinungs- und Handlungsfreiheit zu beschneiden, um kritische Berichterstattung zu unterbinden oder die Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern (MRV) zu behindern. Wer sich in Mexiko beispielsweise für die Menschenrechte stark macht, wird häufig bedroht, inhaftiert oder gar getötet – das war auch vor COVID-19 so. Die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie erschweren die Arbeit der MRV zusätzlich. Die ZFD-Partnerorganisation ALUNA unterstützt MRV dabei, ihr Engagement trotz der ständigen Bedrohung aufrechtzuerhalten. Die Organisation bietet in der Krise verstärkt psychosoziale Betreuung an, damit MRV mit der Belastung besser umgehen und sich wirkungsvoller schützen können. „Gerade jetzt erleben sie eine noch stärkere Gefährdung ihrer Arbeit, sie sind in ihrer Mobilität eingeschränkt, ihre Bemühungen sind weniger sichtbar“, erklärt Clemencia Correa, Geschäftsführerin von ALUNA. „Zudem beobachten wir eine wachsende Militarisierung im öffentlichen Leben, die es erschwert, Rechte einzufordern.“ Gleichzeitig ist eine höhere psychosoziale Belastung der Bevölkerung erkennbar. „Auch wenn das Corona-Virus biologisch gesehen alle Menschen gleich stark gefährdet, sind Risiken und Gefahren verschieden verteilt“, sagt Correa, „sie sind beispielsweise höher bei sozial Benachteiligten, bei der ländlichen Bevölkerung und bei Migrantinnen und Migranten.“ ALUNA macht auf die psychosozialen Auswirkungen der Pandemie aufmerksam. Auf ihrer Website werden im neuen COVID-19-Bereich Schutzmaßnahmen und Bewältigungsmöglichkeiten erläutert, mit verlässlichen Informationen wird eine kritische Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Pandemie gefördert.

Falschnachrichten schüren Krisen – mit Friedensjournalismus entgegenwirken

Auch lokale Medien müssen in Corona-Zeiten dringend weiter gefördert werden. Sie helfen mit einer ausgewogenen Berichterstattung dabei, angespannte Situationen zu deeskalieren. In Kenia unterstützt der ZFD das Netzwerk UMOJA – Radio for Peace der Partnerorganisation KCOMNET. Mehr als 40 Community-Radios sind Mitglied in dem Netzwerk. Ihr Anliegen ist es, konfliktsensibel über Themen zu berichten, die die Bevölkerung bewegen, und sie in Diskussionen einzubinden. Das ist gerade in Krisen wichtig, denn besonders dann verbreiten sich Falschnachrichten und Stigmatisierungen wie Lauffeuer. Sie schüren Ängste und münden schnell in Gewalt. UMOJA konzentriert sich auf sachliche Aufklärung, beispielsweise durch einen Corona-Fake-News-Alert. „Gerade in Krisenzeiten ist es Aufgabe des Community-Radios, den Menschen zu helfen, den Unterschied zwischen Fakten und Fälschung zu erkennen“, sagt Faith Chege, Journalistin und lokale ZFD-Fachkraft im UMOJA-Netzwerk. Tagesaktuell prüfen Journalistinnen und Journalisten im Homeoffice Nachrichten im Internet auf ihren Wahrheitsgehalt. Gleichzeitig wird sondiert, welche Themen die Bevölkerung beschäftigen. Auf dieser Basis produziert das Team vertrauenswürdige Inhalte wie z.B. Clips, die auf Englisch, Swahili und Somali übersetzt werden und 12 Millionen Hörerinnen und Hörer erreichen.

Zivilgesellschaftliche Friedensarbeit braucht Verlässlichkeit, Flexibilität und Perspektive

Zivilgesellschaftliche Organisationen tragen durch ihre friedensfördernde Arbeit erheblich dazu bei, die Folgen der Corona-Pandemie zu mildern. Sie brauchen jetzt Solidarität und starke internationale Partnerschaften, damit sie ihre Friedensarbeit unvermindert fortsetzen können, wie auch Dr. Joseph Ryarasa Nkurunziza vom ZFD-Partner Never Again Rwanda in diesem Blog ausführt.

Um akute und künftige Herausforderungen in der Corona-Zeit gut meistern zu können, wäre es sinnvoll, wenn die Bundesregierung die Friedensarbeit der lokalen Zivilgesellschaft in den Partnerländern in ihren internationalen Corona-Response-Programmen viel stärker berücksichtigt, da sie den sozialen Zusammenhalt fördert und Gewalt vorbeugt, Menschenrechte und vulnerable Gruppen im Blick behält, aufklärt und deeskaliert und so die Folgen der Pandemie in vielerlei Hinsicht abfedert. Es braucht zum Beispiel eine Garantie, dass die langfristig angelegte Arbeit auch in Zukunft Bestand haben wird und sich die Partner vor Ort auf zuverlässige und flexible Projektförderungen stützen können. Gerade jetzt ist mehr Flexibilität bei der Mittelverwendung in der Projektförderung nötig, damit die lokalen Partnerorganisationen in Notlagen wie dieser dringliche Hilfsmaßnahmen schnell und unkompliziert finanzieren können. Es sollte auch der gesamte Instrumentenkasten genutzt und die Maßnahmen miteinander verbunden werden, z.B. Verknüpfung von Soforthilfemaßnahmen mit krisenpräventiven Maßnahmen (Ernährungssicherung), Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Epidemie-Ausbrüche (Sensibilisierungsmaßnahmen, nachhaltige Gesundheitsinfrastruktur) und Maßnahmen zur Adressierung sozialer und politischer Konflikte (Stärkung staatlicher Institutionen, zivile Konfliktbearbeitung, soziale Kohäsion) im Sinne des HDP-Nexus. Zudem, und das ist vielleicht eine Chance der Krise, könnte die Digitalisierung der Friedensarbeit vorangetrieben werden, z.B. indem die technische Ausstattung der lokalen Teams in den Partnerorganisationen und Weiterbildungen der zivilgesellschaftlichen Akteure vor Ort im Umgang mit virtuellen Arbeitstools gefördert werden.

Die Corona-Pandemie wird die Friedensarbeit langfristig vor Herausforderungen stellen. Programme für Friedensförderung und Gewaltprävention wie der Zivile Friedensdienst brauchen einen stabilen Mittelaufwuchs, um aktuelle und künftige Bedarfe der Partner bedienen zu können.

Mehr Beispiele aus der ZFD-Friedensarbeit in Zeiten von Corona im neuen COVID-19-Portal des ZFD: www.ziviler-friedensdienst.org/corona-pandemie


Friedensförderung Gender COVID-19

Martina Rieken

Martina Rieken ist Koordinatorin für Öffentlichkeitsarbeit beim Konsortium Ziviler Friedensdienst. @zfdnews