Widersprüche in der Außenpolitik: Folgen für Frieden mitdenken

17. Mai 2021   ·   Nadine Ansorg

Während die Bundesregierung den Fokus der Leitlinien auf friedliche Konfliktlösung im Umsetzungsbericht bekräftigt, überträgt sie dies nicht ausreichend auf andere Politikfelder. Auch auf EU-Ebene fehlt der Einsatz für ihre Prioritäten zur Friedensförderung. Berlin sollte seine Risikoanalysen verbessern, Widersprüche offenlegen und postkoloniale Forschung stärker einbeziehen.

Die Bundesregierung setzt in ihrem Umsetzungsbericht zu den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ einen klaren Fokus auf eine friedliche Konfliktlösung, zivilgesellschaftliche Einbindung und Koordinierung von Partnerschaften zur Friedensförderung. Die Umsetzung der Leitlinien stellt das Engagement Deutschlands zur Förderung des Friedens in der Welt auf ein neues Fundament.

Der Umsetzungsbericht muss jedoch auch vor der gesamten deutschen Außenpolitik und ihrer Wechselwirkungen mit anderen Politikfeldern bewertet werden. Zwar strebt die Bundesregierung einen ressortübergreifenden Ansatz an und koordiniert verschiedene Bereiche und Politikfelder in themenübergreifenden Arbeitsgruppen, wie etwa im Bereich Sicherheitssektorreform. Die Bundesregierung muss jedoch noch stärker systematisch analysieren, inwieweit Aktivitäten in anderen Politikfeldern wie etwa Wirtschaft, Migration und Landwirtschaft den Bestrebungen zur Friedensförderung entgegenlaufen und diese dementsprechend anpassen.

Friedensförderung steht Rüstungs-, Migrations- und nachhaltiger Wirtschaftspolitik gegenüber

In den Leitlinien verpflichtete sich die Bundesregierung dazu, Maßnahmen zur Rüstungskontrolle und Abrüstung zu verstärken. Im Umsetzungsbericht geht sie auf konkrete Maßnahmen wie etwa die Programme der Minen­ und Kampfmittelräumung in Stabilisierungskontexten ein. Dennoch genehmigte Deutschland allein im vergangenen Jahr Rüstungsexporte für mehr als eine Milliarde Euro an Länder, die in Konflikte in Jemen oder in Libyen verwickelt sind. Länder wie Ägypten, Katar, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei oder Jordanien standen 2020 auf der Rüstungsexportliste der Bundesregierung. Somit fließen Rüstungsgüter direkt oder indirekt in die Fortführung des Konfliktes in Jemen, in der eine von Saudi-Arabien geführte Allianz an der Seite der dortigen Regierung die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen bekämpft. Dies konterkariert Anstrengungen zu Frieden im Nahen Osten.

Auch Politiken auf EU-Ebene untergraben eine nachhaltige Friedenspolitik der Bundesregierung: Während sie sich in ihren Leitlinien für eine nachhaltige Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung im Globalen Süden einsetzt, hat die Europäische Agrarpolitik noch immer negative Folgen auf Landwirtschaft in Ländern des Globalen Südens und bedarf einer dringenden Reform. Wegen anhaltender Subventionen für europäische Landwirte sind Produkte wie Weizen und Milch importiert aus Europa oft günstiger als lokale Produkte. In Burkina Faso beispielsweise führt der Import von billigen, subventionierten Milchersatzprodukten aus Europa dazu, dass die lokale Landwirtschaft nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Dies führt zu einer Destabilisierung der Märkte, etwa in Westafrika und somit zu einer Zerstörung von nachhaltigen Lebensgrundlagen.

Zivile europäische Missionen zum Aufbau von rechtsstaatlichen Strukturen und zur Reform des Sicherheitssektors dienen in erster Linie europäischen Interessen. Dabei wird die Eindämmung von Migration beispielsweise unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus vorangetrieben, ohne darauf zu achten, dass Migration ein Grundpfeiler für gesellschaftliche Dynamiken auf dem afrikanischen Kontinent ist. Operationen der EU-Agenturen Frontex und Europol stehen in der Kritik, internationale Standards des Völkerrechts zu verletzen und ohne konstitutionelle Grundlage zu handeln. Mit ihrer Beteiligung an allen elf zivilen Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) in der EU-Nachbarschaft, wirkt auch die Bundesregierung an dieser politischen Steuerung von Migration mit. 

Gute Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit haben auch Schattenseiten 

Im Vordergrund der deutschen Friedenspolitik stehen normative Ziele wie Demokratieförderung, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung. Dies sind hehre Ziele, die gesamtgesellschaftliche Unterstützung finden. Dennoch sollte die Bundesregierung die Maßnahmen auch in diesem Bereich kritisch hinterfragen: Stärkung und Wiederaufbau staatlicher Strukturen im Rahmen von Peacebuilding-Missionen hat nicht nur positive Seiten. Kurzfristige Peacebuilding-Maßnahmen können mitunter zur Stärkung von autoritären Machtstrukturen beitragen, so dass es die internationale Unterstützung dem Regime ermöglicht, langfristig an der Macht zu bleiben, ohne sich jedoch demokratisch zu reformieren. 

In Uganda beispielsweise konzentriert sich die Bundesregierung mit einem Vorhaben zur Stärkung von Regierungsführung und Zivilgesellschaft auf die Förderung der Menschenrechte. Doch die Stärkung der Sicherheitskräfte der Regierung bedeutet nicht unbedingt eine Förderung der Menschenrechte für alle. Die ugandischen Sicherheitskräfte agieren oft als Werkzeug der Regierung und sorgen nicht für eine Herstellung von Sicherheit und Durchsetzung der Menschenrechte in der gesamten Gesellschaft. 

Auch die Frage nach Rechtsstaatlichkeit bringt Spannungen mit sich. Fragile Staaten üben oft nur eingeschränkt Staatlichkeit auf ihren Staatsgebieten aus. An welche Autorität knüpft sich jedoch die Rechtsstaatlichkeit, wenn es in Teilregionen eines Staates wie der Zentralafrikanischen Republik keine staatlichen Akteure gibt? Hier müssen alternative Modelle gefunden werden, die das Primat des Rechts aufrechterhalten und eine gewisse Stabilität herstellen. Die Bundesregierung verweist in ihren Leitlinien auf die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren. Darüber hinaus sollte sie diskutieren, inwieweit sie nicht staatliche Akteure wie traditionelle Autoritäten in „nicht staatliche Rechtsstaatlichkeit“ einbinden können.

Kritik an neokolonialistischen Strukturen ernst nehmen und Asymmetrien beseitigen

Die Bundesregierung betont, dass eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe wichtig ist. Doch besonders afrikanische Staaten empfinden internationale Eingriffe noch immer als neokolonialistisch. In den Leitlinien wird deutlich, dass strategische Entscheidungen in den Bereichen Entwicklung und Zusammenarbeit oft von ökonomischen und politischen Interessen des Globalen Nordens geprägt sind. Die Bundesregierung setzt sich beispielsweise in ihrer Friedenspolitik auch für eine weitere Stärkung des Internationalen Strafgerichtshof ein. Viele afrikanische Staaten kritisieren jedoch, dass sich seine Fälle auf Afrika fokussieren und Staaten des Globalen Nordens wie auch Lateinamerika ausschließen.

Es besteht der Eindruck, dass dieses asymmetrische Verhältnis nur eine Fortsetzung der kolonialen Geschichte mit anderen Mitteln ist. Die bestehenden globalen Machtverhältnisse treiben dabei Entscheidungen für bestimmte Fälle: Während afrikanische Fälle wie die der ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo (Elfenbeinküste) oder Omar al-Bashir (Sudan) behandelt werden, torpediert die amerikanische Regierung alle Anstrengungen des Gerichtshofs, mutmaßliche Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan zu untersuchen. Dies führt zu einer Schwächung des Gerichtshofs und einem Ungleichgewicht zu Ungunsten afrikanischer Staaten.

Risikoanalysen verbessern und Einsatz auf EU-Ebene stärken

Die Bundesregierung sollte umfassendere Analysen zu Folgenabschätzung vornehmen, die sich besonders auf Wechselwirkungen mit anderen Politikfeldern wie Wirtschafts- und Migrationspolitiken auf deutscher und europäischer Ebene konzentrieren und nicht-intendierte Effekte bewerten. Die ressortübergreifenden Arbeitsgruppen der Bundesregierung und bestehende Risikoeinschätzungsverfahren bilden einen guten Anfang, doch sie gehen derzeit nicht weit genug. Bestehende Analyseinstrumente müssen grundlegend verbessert werden, um Widersprüche offenzulegen. Entscheidungsträger in der Bundesregierung müssen konsequenter agieren, wenn andere Politiken friedensfördernde Programme konterkarieren und untergraben.

Die Bundesregierung sollte sich zudem von der Annahme verabschieden, dass deutsche und europäische Werte und Normen Vorrang vor denen des Globalen Südens haben. Sie sollte sie sich weiterhin kritisch mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinandersetzen und überlegen, wie eine Dominanz des Globalen Nordens vor dem Globalen Süden verhindert werden kann. Dazu gehören die Förderung und Einbindung postkolonialer Forschung an deutschen Universitäten, die Schulung von MitarbeiterInnen der Ministerien und ein andauernder und offener Dialog mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen VertreterInnen des Globalen Südens.

Auf europäischer Ebene sollte die Bundesregierung darauf bestehen, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in allen EU-Missionen umzusetzen. Besonders im Europäischen Rat, wie auch im EU-Ministerrat sollte sie darauf drängen, verbindliche Regelungen für alle EU-Missionen einzuführen. Eine bessere Kontrolle der EU-Operationen, besonders auch von Frontex und Europol, ist dabei unabdingbar. Die Bundesregierung sollte zudem auf eine grundlegende Reform der europäischen Agrarpolitik drängen, um eine Überproduktion zu vermeiden und negative Folgebedingungen für die Landwirtschaft im Globalen Süden abzuwenden. Im Bereich der europäischen Migrationspolitik muss sie außerdem ihre eigenen humanitären Ansprüche umsetzen.