Waffen für instabile Regionen untergraben Deutschlands Glaubwürdigkeit

11. Mai 2021   ·   Martina Fischer

„Ertüchtigungsmaßnahmen“ und die EU-Friedensfazilität, die Militärhilfen an Drittstaaten ermöglicht, werden im Umsetzungsbericht der Bundesregierung positiv hervorgehoben, dabei ist die Wirkung sehr umstritten. Deutschland sollte auf Waffenlieferungen verzichten und sich für eine Erhöhung der EU-Mittel für zivile Krisenprävention und Friedensförderung einsetzen.

In ihren Leitlinien versprach die Bundesregierung 2017, sich für Krisenprävention und Friedensförderung auf deutscher und europäischer Ebene einzusetzen. Dazu zählt sie offenbar auch Militärhilfen für Partner in Krisenregionen. In ihrem Ende März 2021 erschienenen Umsetzungsbericht verweist sie mit Stolz auf die enorme Steigerung von Maßnahmen militärischer Ertüchtigung auf 400 Projekte im Volumen von 500 Mio. Euro seit 2016. Der entsprechende Titel im Bundeshaushalt (Einzelplan 60, S. 3056) wurde auf 225 Mio. Euro erhöht und damit in fünf Jahren mehr als verdoppelt. Zudem hat die Regierung einen EU-Fördertopf mitbeschlossen, der die Ausbildung und Ausrüstung von Armeen in Drittstaaten forcieren und auch Waffentransfer ermöglichen soll: die sogenannte European Peace Facility (EPF). Der Umsetzungsbericht begrüßt das neue Instrument, das im März 2021 vom Rat der EU angenommen wurde und das in den kommenden sieben Jahren mit 5,7 Mrd. Euro (aktuelle Preise) ausgestattet wird.

40 NGOs aus EU-Ländern befürchten hingegen die unkontrollierte Verbreitung von Kriegsmaterial und eine destabilisierende Wirkung statt Friedensförderung. Sie appellierten an die Mitgliedstaaten, auf Waffenlieferungen im Rahmen der EPF zu verzichten. Zudem beobachten sie mit Sorge, dass dem Budget der EU für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung eine Reduzierung droht. Die Einwände verhallten, ebenso, wie die Forderung nach einem wasserdichten Regelwerk für die EPF, das Do-no-harm-Kriterien standhalten würde. Dabei unterminieren undifferenzierte Militärhilfen und eine unausgewogene Ausgabenpolitik die Glaubwürdigkeit der Leitlinien und der EU-Politik. 

Die „European Peace Facility“: ein Paradigmenwechsel

Der Ratsbeschluss zur Etablierung der „EU-Peace-Facility“ vom 22. März 2021 markiert einen Paradigmenwechsel in der EU-Politik. Er macht die Ausstattung von Armeen in Drittstaaten mit Gerät aus der Gemeinsamen Militärgüterliste der EU möglich, darunter Handfeuerwaffen, Haubitzen und Kanonen. Die Befürworter verweisen auf „Sicherungsmaßnahmen“, die in einem Methodological Framework dargelegt worden seien. Dieses Papier, das der Auswärtige Dienst der EU für den Rat erarbeitete, ist gespickt mit Kann-Bestimmungen und wachsweichen Formulierungen.

Es wird versichert, die EPF werde im Einklang mit internationalen Übereinkünften zur Eindämmung des Waffenhandels in Krisengebieten genutzt, aber es bleibt offen, wie das geschehen soll. Konfliktanalysen, Monitoring und Kontrollen sollen von Fall zu Fall gestaltet werden; Endverbleibskontrollen werden angekündigt, aber ihre Ausgestaltung bleibt unklar. Wenn Empfänger gegen internationales Recht verstoßen oder Menschenrechte verletzten, könnte dies die Aussetzung oder Beendigung von EPF-Maßnahmen nach sich ziehen, heißt es im Konjunktiv - eine Verpflichtung zum Stopp ist nicht enthalten. Arnold Wallraff, ehemaliger Präsident des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, bezeichnete diese Klausel im Interview mit ARD-Monitor als „stumpfes Schwert.“ Zudem hat das Papier den Charakter einer Richtlinie und ist nicht rechtsverbindlich. Dies verheißt auch für die Eindämmung von Kleinwaffen nichts Gutes: Da die Regelungen auf EU-Ebene schwächer als die deutschen Richtlinien ausfallen, so fürchtet Wallraff, könnten auch in Deutschland  zusätzliche Türen geöffnet werden. 

Der EPF-Beschluss ist zudem von einem hohen Maß an Intransparenz begleitet, denn die relevanten Papiere hält der Rat unter Verschluss. Das EU-Parlament (EP) darf nicht mitreden, da die EPF nicht zum Gemeinschaftshaushalt gehört, sondern „off-budget“ läuft, als Pool, der durch Gelder der Mitgliedstaaten gespeist wird. Das EP hatte Empfehlungen zur EPF veröffentlicht und Mitsprache bei der Programmgestaltung gefordert, wurde jedoch vom Rat mit einem flüchtigen Briefing abgespeist. Auch die Parlamente der Mitgliedstaaten werden nicht eingebunden.

Schon im Rahmen von „Migrationspartnerschaften“ erhielten kooperationswillige Regime von der EU und ihren Mitgliedstaaten in den vergangenen Jahren Finanzhilfen für den Ausbau von Sicherheitsapparaten: Trainings, verbunden mit Ausrüstung für Grenzsicherung und Überwachung. Nutznießer waren vor allem afrikanische Staaten, zum Beispiel die libysche Küstenwache. Sie erlangte durch Folterlager für Geflüchtete und vielfältige Menschenrechtsverletzungen traurige Berühmtheit. Auch in den Sahelstaaten, unter anderem in Mali und Niger, etablierte die EU Schulungen für Sicherheitsapparate, an denen auch deutsche Ausbilder beteiligt sind. Die Ertüchtigung richtete sich auch auf den Kampf gegen gewaltsamen Extremismus und grenzüberschreitende Kriminalität wie Drogen- und Menschenschmuggel und das Aufhalten von Staatszerfall. Mit den Menschenrechten nahm man es bei der Auswahl der Partner allerdings nicht immer so genau (beispielsweise in Libyen, Ägypten und Sudan). Für die Intensivierung militärischer „Ertüchtigung" wurde 2017 ein ziviles Budget, das Instrument der EU für Stabilität und Frieden (IcSP) umfunktioniert, auch daran war die deutsche Regierung maßgeblich beteiligt. Allerdings war Militärkooperation mit diesem Budget gewisse Grenzen gesetzt, da Waffen nach den Bestimmungen des Vertrags von Lissabon (2009) nicht aus dem Gemeinschaftshaushalts finanziert werden durften.

Zur Wirkung der Militärhilfen bleibt der Umsetzungsbericht vage

Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung in den letzten vier Jahren unterstützten neuen Ausrichtungen in der EU-Politik und mit Blick auf eine Intensivierung militärischer Ertüchtigung, stellt sich die Frage nach der Wirkung dieser Maßnahmen. Dazu heißt es im Umsetzungsbericht: „Evaluationen ausgewählter Projekte bescheinigen jeweils hohe Relevanz, weitgehende Zielerreichung und effiziente Umsetzung.“ Der Bericht schweigt zu der Frage, zu welchen Einsätzen Evaluierungen erstellt wurden, von wem und wo man diese einsehen kann. Die EU-Missionen zur Ausbildung des Sicherheitssektors in Mali und Niger wurden in einem Prüfbericht des Europäischen Rechnungshofsbeispielsweise mit sehr schlechten Noten versehen, weil sie klare Ziele und Wirkungsindikatoren vermissen ließen. Der Bericht stellte auch die Nachhaltigkeit der Trainings in Frage und vermisste Informationen dazu, wo das geschulte Personal anschließend tätig wird.

Dass Ausbildung nach europäischen Standards Militärangehörige nicht unbedingt zu demokratischen Akteuren macht, zeigte sich in Mali, wo sich 2012 und 2020 Offiziere, die in Europa und den USA geschult wurden, an Umstürzen beteiligten. Colonel Assimi Goita, der selbsternannte Führer der Junta, die sich dort im August letzten Jahres an die Macht putschte, hatte eine Ausbildung am George C. Marshall European Center for Security Studies, einem der regionalen Zentren des US-Verteidigungsministeriums in Garmisch-Partenkirchen, absolviert. Die malische Armee wurde fortlaufend durch die EU und die Bundeswehr ertüchtigt - obgleich sie nach UN-Berichten in den letzten vier Jahren zahlreiche Menschenrechtsverletzungen beging.

Nach dem Putsch wurde die EU-Ausbildungsmission EUTM 2020 schließlich – zumindest zeitweilig – ausgesetzt. Wiederum bleibt unklar, welche Schlussfolgerungen aus der Evaluierung des EU-Rechnungshofs für die Gestaltung von deutschen und EU-geführten Ertüchtigungsprogrammen gezogen wurden und wie Wirkungsanalysen in Zukunft gestaltet werden sollen. Angesichts der zweifelhaften Effekte und großen Risiken von Militärhilfen sollte die Bundesregierung umdenken und auch auf EU-Ebene andere Schwerpunkte setzen.

Rüstungsexportkontrolle, Evaluierung und mehr Geld für zivile Instrumente der EU sind nötig, um Glaubwürdigkeit zu retten

  • Wenn deutsche und europäische Außenpolitik im Sinne von Friedenspolitik gestaltet werden soll, müssen Militärkooperationen dem Do-no-harm-Prinzip folgen - was mit der EPF vollends aus dem Blick zu geraten scheint. Dafür sind neben einer sorgfältigen Partnerauswahl effektive Rüstungsexport-Kontrollgesetze in den EU-Mitgliedstaaten unerlässlich. Firmen und Institutionen, die Ausrüstung in Drittstaaten transferieren wollen, müssen selbst die Unbedenklichkeit nachweisen und in den wenigen genehmigungsfähigen Ausnahmefällen sind Überprüfung und wirksame Endverbleibskontrollen durch staatliche Stellen erforderlich. Die NGO Greenpeace hat einen Entwurf für ein Rüstungsexportkontrollgesetz erarbeitet, das gute Grundlagen für die Umsetzung in Deutschland liefert. Auch auf EU-Ebene wird eine Verordnung benötigt, die Verstöße gegen den Gemeinsamen Standpunkt der EU von 2008 unter Strafe stellt. Für beides sollte sich die Bundesregierung stark machen.
  • Anstatt militärische Ausbildung und Ausrüstung mit immer mehr Finanzmitteln und auch noch mit Rüstungslieferungen zu versehen, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten die bisherige Praxis kritisch prüfen und anpassen. Auch Fördermaßnahmen aus dem deutschen Ertüchtigungstitel und Maßnahmen der Sicherheitssektorreform (SSR), die auch im entwicklungspolitischen Kontext und zur Friedenskonsolidierung etabliert wurden, sollte die Bundesregierung sorgfältig auswerten und sicherstellen, dass die Do-no-harm-Grundsätze aus der ressortgemeinsamen Strategie zur Sicherheitssektorreform konsequent umgesetzt werden. Mit der Devise "more of the same", die für deutsche und europäische Militärkooperationen allzu lange handlungsleitend war, kommt man nicht weiter. Das haben auch die Vereinten Nationen erkannt. Auf Initiative Südafrikas verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Ende 2020 die UN-Resolution 2553 zu SSR. Sie fordert, Maßnahmen zur Reform von Polizei und Armeen in umfassende Reformen staatlicher Institutionen einzubinden und der Verfasstheit, Steuerung und Kontrolle von Sicherheitsapparaten mehr Beachtung zu schenken. Nur so könnten Kooperationen im Sicherheitsbereich friedensfördernde Wirkung entfalten. Die Resolution folgt der Erkenntnis, dass isolierte Schulungs- und Ausrüstungsprogramme nicht zur Überwindung von Konfliktursachen beitrugen.
  • Um sicherzustellen, dass Militärkooperationen nicht die Do-no-harm-Prinzipien verletzen, braucht es unabhängige Evaluierungen aller Auslandseinsätze der Deutschen Bundeswehr, die veröffentlicht werden. Auch auf EU-Ebene sollte sich die Regierung für umfassende Wirkungsanalysen von GSVP-Einsätzen starkmachen. Maßnahmen, die im Rahmen der EPF durchgeführt werden, müssen dabei besonders sorgfältig angeschaut werden.
  • Last but not least sollte die Bundesregierung darauf hinwirken, das Missverhältnis in der Gewichtung ziviler und militärischer Instrumente der EU-Außenpolitik zu korrigieren. Im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (2021-27) sind 7,95 Mrd. Euro für einen Verteidigungsfonds und 1,69 Mrd. Euro für Militärische Mobilität vorgesehen (aktuelle Preise). Gleichzeitig droht den Mitteln für zivile Konfliktbearbeitung eine drastische Kürzung: für die Aufgaben des „Instruments für Stabilität und Frieden“, das bislang 2,3 Mrd. Euro umfasste, bleibt bei der Überführung in das neue „Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Kooperation“ (NDICI) weniger als eine Mrd. Euro übrig. NGOs und kirchliche Hilfswerke hatten eine Verdoppelung dieser Mittel gefordert und gehofft, dass sich die deutsche Regierung in der EU dafür engagieren würde. Nun sollte die zukünftige Bundesregierung wenigstens in den jährlichen EU-Haushaltsverhandlungen noch für eine substanzielle Aufstockung kämpfen.
Friedensförderung Krisenprävention Waffenexporte

Martina Fischer

Dr. Martina Fischer ist Politologin und Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt (@BROT_fuerdiewelt). Zuvor war sie mehr als 30 Jahre in der Friedens- und Konfliktforschung, davon knapp zwei Jahrzehnte an der Berghof Foundation (Berlin), tätig.